Geschrieben am 31. Dezember 2017 von für Crimemag, Highlights 2017, News

CulturMag Highlights 2017, Teil 12 (WEB – Wörtche)

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WEB
Christopher Werth
David Whish-Wilson
Benjamin Whitmer
Thomas Wörtche

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Jean-Pierre Melville: Der einsame Solitär des französischen – nein: des europäischen – Nachkriegsfilms startete seine Karriere gleich nach Kriegsende (1945) und war lediglich 55 , als er seinen letzten Film fertigstellte. Der elsässische Jude Jean-Pierre Grumbach, der sich während seiner Zeit in der Résistance über Nacht in Melville – nach dem Autor des Moby Dick – verwandelte, war alles: Genial, stur, rebellisch, hochstaplerisch, revolutionär, militant, bis zur Selbstaufgabe independent sowie ein Spieler und Hasardeur, der es geradezu darauf anlegte, auf die Schnauze zu fallen. Sein kleines „Studio in der rue Jenner“ – unten wurde gedreht, oben konzipiert und gewohnt -, war ebenso legendär wie lächerlich.

An seinem ersten Chef d´Oeuvre , Bob le Flambeur (1955) – unverhohlen Godards Vorbild für A Bout de Souffle (Außer Atem, 1959) –, arbeitete er mehr als zweieinhalb Jahre. Er montierte die Kamera auf Fahrräder und Kinderwägen, drehte guerillamäßig, ohne Drehgenehmigung, auf den Straßen von Montmartre, und immer nur dann, wenn gerade wieder etwas Geld da war und je nachdem welche Darsteller zur Verfügung standen. Für die noch orientierungslosen Genies der Nouvelle Vague eine Offenbarung wie der Stern von Bethlehem. Nicht nur Godard, auch Truffaut, Rohmer und Chabrol huldigten ihm und holten ihn in ihren ersten Filmen vor ihre Kamera.

JeanPierreMelville_BluRay_Slipcase_3D_oFSK-1web sciascia 9783423107310-de-300Die Arthaus BluRay Edition (Nov. 17) präsentiert neun von Melvilles 13 Spielfilmen zwischen 1947 und 1972; aufgrund der Rechtslage fehlen nur L´Ainé des Ferchaux, Le Deuxième Souffle und Le Samourai in dieser Collection. (Siehe auch die Besprechung von Simon Hauck bei CrimeMag – d. Red.)

Leonardo Sciascia: Das erste Mal in Sizilien. Was liest man da? Auch wenn einem als erstes Filme einfallen: Il Gattopardo von Visconti, Savatore Giuliano. La Terra Trema .. Aber zum Lesen gibt es nur einen – zumindest nachdem man auch über Pirandello nachgedacht hat: Leonardo Sciascia. Wie hat man einen derart grandiosen Autor – nein, nicht vergesssen, sondern eher: aus den Augen verlieren können? Der Sohn eines Bergarbeiters machte eine Schneiderlehre, ehe er nahzu zwanzig Jahre als Volksschullehrer tätig war und später auch in die Politik ging (Stadtrat, Europaparlament). Schlagartig berühmt wurde er 1961 mit seinem – auch verfilmten – Roman Der Tag der Eule, der als das erste literarische Werk über die Mafia gilt.

web 51+m0OJWBsL._SY445_Twenty-Four Eyes: Von den großen japanischen Regisseuren ist Keisuke Kinoshita (gesprochen Keiske Kinoshta) außerhalb Japans der mit Abstand unbekannteste, während seine Landsleute ihn in einem Atemzug mit Ozu, Kuroswa und Mizoguchi nennen (1954 wurde Twenty-Four Eyes in Japan noch vor den Sieben Samurai zum Film des Jahres gewählt). Das fast dreistündige Melodram erzählt, nein, besingt das Schicksal einer progressiven Lehrerin und ihrer zwölf Schüler und Schülerinnen (daher die 24 Augen) einer Zwergschule auf einem kleinen, gottverlassenen Eiland in der Inland Sea. Die Geschichte spielt während zweier Dekaden: zwischen 1928 und 1946. Die stille, nostalgische Heiterkeit der Kindheit weicht der Tragödie einer Jugend, die sich unaufhaltsam und hilflos der Repression und Militarisierung ihrer kleinen Welt ausgesetzt sieht – nur um am Schluß in zwei aufeinander folgenden Kriegen verheizt zu werden. Hemmungslos sentimental und pathetisch, aber immer aufrecht – und aufrichtig – , singt der Film eine noch heute mitreißende Hymne auf die – verlorene – Jugend und den Pazifismus. (DVD: Masters of Cinema.)

51Jfg9UIKdL._SX321_BO1,204,203,200_Kritik der Vögel: Die amüsanteste und buchstäblich vogelwilde Neuerscheinung des Jahres, aus der irren, wirrren Welt der „Ornis“. Warum sind Pinguine „Geschenke der Hölle“ und ist die Meise „das Böse“ oder der Mäusebussard „faul wie die Sau“? Was man schon immer über Vögel wissen wollte, aber bisher nicht zu fragen wagte. Mit wunderbaren Illustrationen von F.W. Bernstein.

Jürgen Roth, Thomas Roth: Kritik der Vögel. Klare Urteile über Kleiber, Ammer, Spatz und Specht. Verlag Blumenbar, Berlin 2017.

Blue Maqams: Feinster tunesischer Blues. Anouar Brahem, Komponist und Oud-Virtouse – das ist die arabische Kurzhalslaute – bespielt seit 25 Jahren das ECM-Label, doch dieses Mal ist ihm ein ganz besonder Coup gelungen. Gemeinsam mit den Jazz-Größen Jack deJohnette (drums) und Dave Holland (Bass), die schon in den Sechziger Jahren bei Miles Davis für Rhythmus sorgten, und dem britischen Pianisten Django Bates: in vielschichtiger Improvisation die Blue Notes des Mittelmeers.(CD: ECM)

web richie_AC_UL320_SR214,320_Donald Ritchie: Gottverdammter Gaijin. Amerikaner. Und dann noch schwul. Auf den ersten Blick schien kaum einer weniger geeignet als er, der 1947, zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki mit der amerikanischen Beatzungsarmee ins Land kam, einerseits Japan – und andererseits den Blick auf Japan zu öffnen.

In 60 Jahren Japan schrieb er annähernd so viele Bücher über das Land – und war zudem noch als Romanautor, Komponist, Maler und Filmemacher tätig. Er selbst bezeichnete sich gerne als „Flaneur“. Speziell seine bahnbrechenden Arbeiten zum japanischen Film – und allen voran Yasujiro Ozu – schlugen Brücken zwischen Japan und dem Rest der Welt, die es zuvor nicht ansatzweise gegeben hatte.

Übersetzungen ins Deutsche gibt es – bezeichnenderweise – keine. Im Original sollte man sich zumal sein wunderbares Travel-Poem The Inland Sea und den erstmals 2001 veröffentlichten Donald Richie Reader vornehmen. Von seinem Standardwerk Japanese Cinema: Art and Industry (1959) erschienen mehrere erweiterte Auflagen.

51GYWQCWP3L._SX275_BO1,204,203,200_John David Morley: Seit zehn Jahren erkunde ich mit wachsender Begeisterung die japanischen Inseln, und seit ebenso langer Zeit ist er als Zeuge und Begleiter, wenn nicht gar Freund dabei: John David Morley. Ohne daß ihn die Liebe einmal nach München verschlagen hätte, hätte er ohne Zweifel Donald Richies Schicksal geteilt, doch so sind gleich zwei seiner Bücher auch auf Deutsch erschienen.

Sind schon die Kindheitserinnerungen als colonial child in Singapur (seinem Geburtsort), Ghana und dem so gar nicht „heimischen“ Old England hinreißend, sind seine japanischen Miniaturen (1985) absolut göttlich – und von geradezu schreiender Komik. (Und daß man nie so genau errät, was daran freiwillig oder unfreiwillig ist, macht ihre wohl größte Qualität aus.) Zugleich das beste und erhellendste, das man über dieses ebenso wunderbare wie hirnrissige Land überhaupt lesen kann. (Nicht mal Donald Richie hat es letztlich kapiert. Und ich natürlich erst recht nicht.)

Der deutsche Titel evoziert heftig – aber nicht einmal far away – Roland Barthes, doch der Originaltitel – Pictures from the Water Trade. Adventures of a Westerner in Japan – beschreibt die Sachlage besser. Hört sich einerseits ein wenig nach Candide an (die echte und die gespielte Naivität) und bedient andererseits frank & fröhlich das Genre („wie es war, als ich mich zum Trottel machte.“). Wobei man wissen muß ist, daß das „Wassergewerbe“ in Japan alles bedient, was der Fall ist – respektive nicht „wasserfest“ ist: sprich das „Nachtleben“.

zz-wanderer-6168079In der Theorie sicher nicht der wundeste Punkt, in Japan Schiffbruch zu erleiden. In der Praxis allerdings die Norm. — Nach dem Monsun. Eine Kindheit in den britischen Kolonien (Malik); Grammatik des Lächelns: Japanische Innenansichten (Piper).

Leser der Filmkritik kannten das Kürzel WEB und schätzten Wolf-Eckart Bühlers Texte über John Ford und seine Stock Company, zum Polizeifilm oder zu linken Filmemachern wie Leo Hurwitz, Irvin Lerner, Abraham Polonsky. Im Frühsommer 2016 zeigte das Filmmuseum München eine Retrospektive seiner Filme (Text von Alf Mayer dazu hier). Der beim US-Klassikerlabel Criterion digital remasterte  John-Huston-Film „The Asphalt Jungle“ ist mit WEBs Dokumentarfilm „Pharos of Chaos“ (1982) über den Schauspieler Sterling Hayden gekoppelt, dem auch sein Film „Der Havarist“ (1983) dann galt. Beim Filmmuseum München ist eine WEB-Edition in Arbeit, die im Laufe des Jahre 2018 erscheint.

Christopher Wert10155892663931950Christopher Werth

… hatte 2017 besonders viel Spaß mit…

Tanztheater: „Grand Finale“ von Hofesh Schechter

Wenn man vor einer Tanztheateraufführung Ohrstöpsel gereicht bekommt, dann weiß man, dass man es gleich mit einer Performance der Londoner Compagnie von Hofesh Shechter zu tun bekommt. Und, dass man diese noch mehr braucht, als bei einem Konzert von Slayer. Sein neustes Stück Grand Finale hatte dieses Jahr Premiere in London und ist seitdem auf Welttournee. Das bunt gemischte Ensemble verschmilzt zu einem pulsierenden Körper und formt zu mal brutalen Beats, mal zu zarten live von Streichern eingespielten Klängen mal verstörende, mal wunderschöne Bilder. Schwer in Worte zu fassen – und niemals langweilig.

belPop: „Belladonna of Sadness“ von Alexandra Savior

Schön aber giftig. Inspiriert von der mystischen Giftpflanze und dem gleichnamigen japanischen Anime-Klassiker. Das erste Mal hörte man sie in der unglücklichen zweiten Staffel von True Detective. Aber das hat ihr nicht geschadet. Sie hat sich mit Alex Turner von den Arctic Monkeys und den Last Shadow Puppets zusammen getan und ein großartiges Album aufgenommen. Ihr Ziel: Es sollte so klingen wie wenn man mitten in der Wüste in eine runtergekommene, geheimnisvolle Bar kommt. Entrückte, melancholische, bitter-süße Soundtracks zu mal kleinen, mal dramatischen Fellini-, Tarantino-, oder Lynch-Filmen. Trotz Retro-Referenzen klingt alles intelligent und fresh. Man freut sich auf jeden Song. Perfekter Pop cum grano salis.

Konzert & Album: „Room 29“ von Jarvis Cocker, Chilly Gonzales und dem Kaiser Quartett

Für den Liederzyklus „Room 29“ verwandelten die Musiker die restlos ausverkaufte Berliner Volksbühne mit lässiger Nonchalance in das berühmte Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard. In musikalischen Portraits werden ehemalige Bewohner des Hotelzimmers wieder lebendig. Mal gruselig, mal kitschig, mal geflüstert, mal mit großer Geste. Das Besondere: kein einziger Ton ist hier zu viel. Das Piano von Gonzales, die Geschichten von Brit-Pop-Legende Jarvis Cocker und die tight arrangierten Streicher schaffen mit ihrer konzentrierten und reduzierten Performance ganz viel Raum für die Imagination der Zuhörer.

51l0oBDI5gL._SX315_BO1,204,203,200_Roman: „The Rise and Fall of D.O.D.O.” von Neal Stephenson und Nicole Galland

Hier benutzt eine Mischung aus Start-up und Geheimdienst einen Käfig wie im Gedankenexperiment von Schrödingers Katze, um darin molekular abgeschottet vom Rest der Welt magische Experimente durchzuführen. Die Handlung zu erklären ist wie immer zu kompliziert, um sie hier wiederzugeben – nur so viel sei gesagt: virtuoser wurde nie mit dem Thema Zeitreisen gespielt. Mit Humor, Action, Spannung, Physik, Geschichte und Philologie wurde bei mir im Herbst die geballte Konkurrenz von feinsten Fernsehserien von Sky, Netflix und Amazon an die Wand gelesen.

Rückblick und Ausblick: der Roman „Snow Crash“ von Neal Stevenson

Nach der Begeisterung für D.O.D.O. habe ich noch mal zu seinem Buch von 1993 gegriffen. Nicht zuletzt, weil Amazon Pläne angekündigt hat, aus der Vorlage eine Fernsehserie zu entwickeln. Damals ein epochales Science Fiction Werk – z.B. geht der heute allgegenwärtige Begriff Avatar auf diesen Roman zurück, der gleichzeitig in der Realität und in einer digitalen Parallelwelt spielt und in dem alle Nationalstaaten und Institutionen wie Militär oder Mafia sich wie die übrigen Konzerne zu Franchise-Unternehmen entwickelt haben. Wie liest es sich heute? Wie wirken die verrückten Ideen und Konzepte von Stephenson heute? Genau diese Perspektive macht die erneute Lektüre nur noch spannender. Und: Bei vielem hinken wir immer noch hinter her.

Christopher Werth bei CrimeMag.

wish-wilsonDavid Whish-Wilson

My favourite 2017 texts, in no particular order, were as follows:

The Deuce. So often the things I look forward to most are overwhelmed by my expectations and don’t meet those expectations. With HBO’s The Deuce, it didn’t happen like that. The Deuce was better than I could have hoped for. With writers like George Pelecanos, David Simon and Megan Abbott involved, this look at the birth of an industry and a neighbourhood is perfectly slow moving, patiently creating layers of detail and character, and I can’t wait for the next season.

Patrick de Witt, The Sisters Brothers. I’ve been immersed the past two years in the 19C, and this book is a great recapitulation of some of the stories of the American west, told with an eye for the telling detail and a black humour that reminded me of Voltaire’s Candide.

Ian McGuire, The North Water. Still in the 19C, this tale of whale fishers in the North Sea is a brutal and fast-paced reflection on masculinity and commerce in an age when absent the eyes of the law all kinds of mayhem ensue.

Kingdom, Season 3. It’s always sad to see a great television series come to an end. This 40 episode, three season look at an MMA gym in California uses the backdrop of a fierce sport to examine the complexities of family, love and loyalty – a clear-sighted look at human behaviour in extremis.

Tom Franklin, Crooked Letter, Crooked Letter. Set a poet loose on a crime story of ancient racial divides and small-town secretiveness and what you get is Crooked Letter, Crooked Letter. Beautifully written and carefully structured, this bestseller deserves all of its accolades.

Staying in the realm of southern gothic, I also loved Jedidiah Ayres’ Peckerwood, which is soon to be made into a film. This is Ayres second novel and it’s a cracking read – bent sheriffs, old-school rural gangsters and various peckerwood miscreants make for a volatile mix in this noir gem set in Missouri. Oh, and you should check out Ayres’ blog Hardboiled Wonderland too, for acute readings of everything interesting that’s going on in noir film and fiction right now – http://spaceythompson.blogspot.com.au

Kim Scott, Taboo. Kim Scott is one of Australia’s great writers, and this novel set in South Western Australia builds on his earlier work to examine the consequences of old racial policies and practices as they play out in a modern Australian town. As skilfully and beautifully written as you would expect from a two-time Miles Franklin Award winning writer.

alan carter 9781925164534_RGBAlan Carter, Marlborough Man. This is Australian crime writer and my Fremantle Press stablemate Alan Carter’s first novel set in New Zealand, bringing forth an entirely new character in Nick Chester. Using Carter’s characteristic dry wit and clever dialog to chug the story along, rural New Zealand has never seemed so dark, weird and dangerous.

Don Winslow, The Force. I’ve long been a fan of Winslow’s quiet novels but also the scope and pacing of his blockbusters such as The Cartel. This novel is somewhere in between, painting a broad and deep picture of NYC cop life while focussing on a smaller cast of characters. A great novel to read in one sitting.

Luc Sante, Low Life. I was recently in New York to research a mid-19C escaped Irish Australian convict who ended up in the Gangs of New York milieu. What better primer to read on the subject than Sante’s Low Life? Comprehensive, acute, humane and written in an engaging style, this is a gritty and fascinating look at the birth of urban American street culture.

David’s website here. „Die Ratten von Perth“ (Line of Sight) was published in Germany in 2017, „Die Gruben von Perth“ (Zero to the Bone) will be next in 2018. Old Scores, the third book in his Perth trilogy will follow. Disclaimer: Thomas Wörtche is the one responsible for this. Alf Mayer wrote a not too small portrait.

© Joshua Mork

© Joshua Mork

Benjam Whitmer

I’m terrible at end-of-year lists, mainly because I don’t have the memory God gave a stump, but I’ll try. For instance, I want to say the best movie I saw in the theaters this year was Hell Or High Water, which I loved because I think it’s high time Americans started romanticizing bank robbery again. But the more I think about it, the more I think it came out last year. So hell, I don’t know. I should stick to books.

I do know that I started reading poetry again, and when Denis Johnson died, I went through all his in The Throne of the Third Heaven of the Nations Millennium General Assembly: Poems Collected and New, which I loved without reservation. It was a good year for new books too. Buckskin Cocaine by Erika T. Wurth and The Savage by Frank Bill were easily two of my favorites this year. Or, for that matter, any year. And I caught up on some crime novels I’ve been meaning to read. Charles Willeford’s Cockfighter and Newton Thornburg’s Cutter and Bone, both of those killed me. And when Sam Shepard died – it was a bad year for my writing heroes – I got sad about that, so I read his only novel, The One Inside, and was very moved by it.

I also read a bunch of non-fiction for my own projects. The Great War and Modern Memory by Paul Fussell tore the roof of my head. As did Rise of the Warrior Cop: The Militarization of America’s Police Forces by Radley Balko. That one ought to be required reading in every American grammar school. And I chuckled my way through A Nuclear Family Vacation: Travels in the World of Atomic Weaponry by Nathan Hodge, Sharon Weinberger.

But the list I’ve been using to measure the year is road trips. I took three good ones to places I’ve been meaning to got for a long time. One up through Wyoming and the Wind River Reservation up to Yellowstone with my kids where we camped for awhile, another down through the San Luis Valley and Taos to Santa Fe, and a third up from Arizona to Denver, through the Navajo Reservation and Monument Valley. And the best thing about those was that I didn’t read a fucking thing.

Benjamin Whitmer is one of Wolgang Franßen’s favorite authors. He published „Im Westen nichts“ (Pike) and „Nach mir die Nacht“ (Cry Father) in 2016 and 2017. Ute Cohen (also  in the Year’s-end-issue) wrote a review titled „Wildromantische, vogelfreie Scheisse“, and CrimeMag also published the opening pages of the aptly named „Im Westen nichts“. In the West – nothing.

Thomas WörtcheThomas Wörtche

Jahresrückblicke wie dieser sind unbequeme Viecher. Erstens, weil man mit abnehmenden Kurzzeitgedächtnis und zugleich turbobeschleunigter Zeit durcheinanderkommt, ob irgendwas dieses Jahr war oder letztes Jahr oder noch länger her. Schließlich ist ja gefühlt sowieso alle drei Monate Weihnachten. Nur an Katastrophen (Computercrash, Carlo Ancelotti, Finanzamt) erinnert man sich viel zu genau. Das ist nicht gut für die Psychohygiene. Zweitens triggern sie das schlechte Gewissen – Bücher, die man nicht rezensiert hat, obwohl man es dringend vorhatte, geschweige denn Bücher, die man nicht gelesen hat, und die auf dem Stapel „mal bei Gelegenheit lesen“ gelandet sind, und der allmählich statische Probleme macht. Gilt auch für Filme, Serien, Musik, Ausstellungen, Soziales. Drittens, sie zwingen dazu, Fremdlesen zuzugeben. Und Fremdlesen ist nun offiziell gar nicht drin, Arbeitsethos und so. Und gerade merke ich, dass auch diese Vorrede peinlicherweise bloß ein Murmeltier-Ding ist. Was soll´s, Rituale sind sozialer Kitt.

Wer Literatur sucht, die eine „Verbindung aus leichter, eleganter Oberfläche und kaum zu ermessendem Tiefenraum von Anspielungen, literarischen Bezügen, Vieldeutigkeit und komischer Subversivität“ bietet (sowas wie eine brauchbare Poetologie gelungener Literatur überhaupt), ist bei Ovids Liebeskunst an der richtigen Adresse. Eine wunderbare Prachtausgabe umgibt den Ovid´schen Text, ganz in der Manier der Renaissance-Ausgaben, mit unfasslich gelehrten und deswegen unfasslich instruktiven Kommentaren, die die Komplexität eines der meistgehassten (Schweinkram, unmoralischer) und meistbewunderten Texte der Weltliteratur aufscheinen lassen. Auch wenn das Verhältnis von Text und Kommentar vermutlich 1:100(0?) ist. Aber eben: Philologie, verstanden als maximale Kontextualisierung, produziert Reichtum, Erkenntnis, ästhetische Lust und schützt vor dümmlicher Gefühligkeit und fataler Reduktion von Lektüre auf den Verständnishorizont des eigenen Nabels. Grandioses Projekt.

jarü Wö 9780226128702Im Zuge ihrer Rezeptionsgeschichte wurde Ovids „Ars Amatoria“ verteufelt, gereinigt, dann verchristlicht. Richard de Fournival (1201-1260) hingegen schlug im 13. Jahrhundert einen Haken und verweltliche Erotik wieder, durchaus im direkten Bezug auf Ovid. Ralph Dutli, der sich wie kaum jemand im okzitanisch-französischen Mittelalter auskennt (ist ja auch ein rasend spannender Chronotopos) hat de Fournivals Liebesbestiarium erstmals ins Deutsche übersetzt und, siehe oben, reich kommentiert. Seit dem älteren Physiologus (schon immer eines meiner Lieblingsbücher, ebenso wie die artverwandten „Emblemata“) hatte man Tieren menschliche Eigenschaften zugeschrieben, die sie als Teil des 2. Buch Gottes (natura loquitur) allegorisch für bestimmte Eigenschaften (Mut, Aufopferung etc.) erläuterten (eine Art fiktive Zoologie). Auch dieser Lesart nimmt de Fournival (als Kleriker ein klarer Akt der Subversion) die transzendente Dimension und transponiert das Prinzip ins Erotische. Jaja, tote, alte weiße Männer – aber: Dutli stellt diesem Text einen radikalfeministischen Konter entgegen: Die „Antwort der Dame“, auch aus dem 13. Jahrhundert, die das Konzept von de Fournival höflich-höhnisch demontiert und auf sexuell-erotische Selbstbestimmung der Frauen insistiert (und nebenbei noch eine „alternative“ Bibellektüre anbietet). Als „Dame“ könnten dabei Autorinnen wie Marie de France oder Christine de Pizan in Frage kommen, es könnte aber auch sein, dass de Fournival selbst der Autor dieses in der Tat revolutionären Textes ist. Anyway, ein sehr lustvolles Spiel mit Gender-Identitäten ist das Ganze sowieso, woraus wir lernen, dass Beton-Positionen schon im Mittelalter sowas von Steinzeit waren.

Keine Chance hat Beton jeglicher Couleur (Standesdünkel, Ideologie, Pathos, Geschnösele, Präpotenz, Wichtigtuerei, Aufgeblasenheit etc.) gegen die Zerätzung durch Mundartverse. „Ick kieke, staune, wundre mir …“ heißt eine wunderbare, von Thilo Bock, Wilfried Ihrig und Ulrich Janetzki herausgegebene Anthologie mit Berliner Mundartgedichten, zumindest in der Erstauflage mit einem knuddeligen Kuschelcover ausgestattet (mittlerweile auch als wohlfeile Volksausgabe zu haben). Obwohl – Berliner Mundart? Eher ein „Metrolekt“, wie Hans Christoph Buch in seinem brauchbaren Vorwort ausführt. Und somit dem ständigen Wandel des Sprachgebrauchs ausgesetzt, von Adolf Glaßbrenner bis Tanja Dückers. Das titelgebende Motto, dessen Urdruck hier erstmals nachgeweisen wird (Jean de Bourgeois, 1925),  dient dem Danziger Friedrich Karl Waechter (und später Heroe der „Frankfurter Schule“, also der anderen, klar), u.a. dazu, sich in seinem Gedicht „Vollmond“ über die Berliner Schnauze (die ja auch nerven kann wie Hölle) lustig zu machen. Der ganze Band ist eine erfreuliche Orgie aus Fallhöhen, dauernd hört und sieht man das „Offizielle“ runterplumpsen, egal, wo es siedelt: In der Sprache, in der Denke, im (Selbst-)Bewusstsein. Berlin Folklore – von mir aus, aber die muss sich ja selbst nicht unbedingt ernst nehmen. Auf jeden Fall eine faszinierende Exkursion in die stilisierte Alltagssprache (nein, „Authentizität“, auch so´n Gruselwort, gehört in die Abteilung „abscheuliche Sprachspiele“, gleich neben „Identität“, ist nicht zu haben, weil Kunst) und seit Peter Rühmkorfs Über das Volksvermögen endlich mal wieder eine sehr intelligente Anthologie des Nicht-Kanonischen. Highlight!

wurstNatürlich möchte ich nirgend anders leben als in Berlin. Trotzdem, sorry to say, sind wir hier in der kulinarischen Diaspora (alle Einwände bekannt, dennoch, ich bin schließlich ein südwestdeutscher Mensch). Das wird besonders schmerzhaft klar, wenn man Wolfger Pöhlmanns beinahe enzyklopädisches Werk Es geht um die Wurst. Eine deutsche Kulturgeschichte liest. Der gelernte Kunsthistoriker ist Wurst-Aficionado, weiß alles über Wurst (historisch und aktuell), kennt vermutlich alle Sorten und jeden einzelnen Produzenten und durchstreift die Republik striktemang mit einem Wurstkompass. Wobei einem natürlich auffällt, wie erbärmlich inzwischen die Verfügbarkeit von anständigen Wurstwaren hier in Berlin ist und welche Kompromisse man in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Man kriegt hier – trotz KaDeWe und Co. – eben nicht alles und nicht immer das, was man gerne hätte, und man merkt, dass man schon gar nicht mehr weiß, was man vermisst. Insofern ist dieser gigantische Wurst-Guide ein extrem gefährliches Buch. Man ist versucht, in eine Art Gargantuaismus zu verfallen, was wiederum aus verschiedenen Gründe nicht so dolle ist, jetzt mal lebensoptimierend gesehen, dann aber wieder: who the fuck cares. Sehen wir mal davon ab, dass sich, seiner Profession geschuldet, Pöhlmann auch einlässlich mit Kunst über (ginge noch, vor allem mit einer Menge kulturhistorischen Trouvaillen) und mit Wurst als Material beschäftigt, letzteres finde ich, wie beinahe alle Food Art, idiosynkratisch eklig, aber kann die Theorie schon verstehen, so gehört doch dieses Buch deutlich in die Kategorie „unverzichtbar“, Standardwerk für Karnivoren.

Leichtes Unbehagen hingegen befällt mich bei Annie Leibowitz` Portraits 2005 – 2016. Natürlich sind das alles großartige Fotografien, handwerklich meisterhaft, grandios arrangiert. Und dennoch: irgendwie Repräsentationskunst. Die Reiche, Schönen, Mächtigen, Klugen in ihren, wenn auch manchmal noch so abgestrapsten Interieurs, die dann auch wieder erlesen rüberkommen, sind bis zum Kitsch (und leider meist ironiefrei) stilisiert (die Queen, Barack Obama, Michelle Obama z.B.), so, dass die Porträtierten als eine geschlossene Gesellschaft mit Leibowitz als arbiter elegantiae auftreten. Ein paar einzelne Bilder über Krisenschauplätze der Weltgeschichte (bei so etwas sehen wir dann Christiane Amanpour sowas von schick engagiert agieren) wirken dann im Gesamtkonzept eher wie Feigenblätter. Auf die ästhetische Überwältigung folgt eher eine ernüchternde Fahlheit.

Auf dem besten Weg Highlights zu werden (wir werden sehen, 2018), weil noch gerade Lektüre in progress: Jürgen Neffes Karl-Marx-Biographie: Marx. Der Unvollendete, weil er auf der Relevanz von Marx besteht und dennoch Marx vor den Marxisten in Schutz nimmt (würde Neffe vielleicht sogar bestreiten oder für irrelavant halte, womit ich keine Probleme hätte), zumindest, was die „teleologische“ Exegeten-Fraktion angeht. Spannend.

kriegUnd Herfried Münklers Der Dreißigjährige Krieg, ein ziemlich cleverer Versuch, dieses europäische Zentralereignis zu Entmusealisieren und auf aktualisierbare Analogien abzuklopfen. Das erscheint mir zunächst einmal sinnvoller als noch eine Interpretation (obwohl, gerade in der deutschen Historiographie gibt es sooo viele Monographien gar nicht) abzuliefern, weil 2018 natürlich mal wieder ein Jahrestag ist. Hin und wieder bemerke ich auch Kopfschütteln bei manchen Rezensionen (wobei man sich fragt, wie schnell man ein hochkomplexes 1000seitiges Buch so hurtig rezensieren kann), weil Münkler viele militärgeschichtliche Passagen hat – und das findet man anscheinend a priori bäääh, was wiederum a priori ziemlich ignorant ist. More later.

ornetteMusikalisch: Meine intensive Wiederentdeckung von Ornette Coleman, vor allem dem der späten 1950er und 1960er Jahre. Sein absolut eigenständiger Umgang mit Tradition, seine Befreiungsschläge gegen Traditionalismen, seine radikale Widerständigkeit gegen zwanghafte Anti-Traditionalismen und, wichtig, seine immer noch enorme, schlichte Hörbarkeit und, noch wichtiger, immer-noch-unter-neuen-Aspekten-Hörbarkeit (cf. Wittgenstein: Aspekt-Sehen).

Kino: Shame on me. Kein einziges Mal im Kino gewest.

Sonstige bewegte Bilder:

Taboo – ein wuchtiges Tom-Hardy-Feature, in dem Edward Fox eine grandiose Leiche spielt. Beeindruckend.

American Gods: Bilder, Bilder, Bilder. Zum Niederknien Ian McShane und Emily Browning und, klar, Peter Stormare. Schatzgewölbe für Mythensüchtige, der vermutlich bösartigste Cliffhanger nach der 1. Staffel.

Quarry: Raffiniert-robuste Umsetzung von Max Allan Collins´ Geschichten über den Berufskiller Quarry – Collins hat schon immer großartige Vorlagen (Road To Perdition, z.B.) geliefert, die sich für multimediale Umsetzung besonders eignen. Anbetungswürdig hier: Jodi Balfour. Blöd: Serie wurde abgebrochen.

Line of Duty. Staffel 1-5. Leider erst jetzt entdeckt. Großartig bösartiges Werk über schmutzpfötige Anti-Korruptions-Cops im UK. So was dürfte das deutsche TV gar nicht.

Game of Thrones. 7. Staffel.  GoT – erst hochgeschrieben, dann runtergeschrieben, welch öder Mechanismus, gähn. Mir doch egal. Ich mag diese kuschelige Familienserie mit ihrer schönen Mischung aus Kopf-ab und Machiavellismus

4 Blocks. Ja, sowas können deutsche Macher, wenn man sie lässt. Und wenn man sie lässt, verbannt man sie auf absurde Sendeplätze. Das ist jetzt nicht originell, aber deswegen nicht weniger traurig wahr. Wehe über ein Land, das seine kreativen Ressourcen derart mit Füßen tritt. Dann glotzt halt Taunus-, Ostfriesen- und Bretagne-Grimmis, Ihr Volldödel (so, Publikumsbeschimpfung auch abgehakt).

No Offense: Drei sehr unterschiedliche Polizistinnen und ihre Sidekicks feudeln durch Manchester, Legalitätsprinzip hin oder her. Das ist very physical, ziemlich fies, erfreulich hemmungslos, so gar nicht nett und oft sehr, sehr komisch.

Westworld: Basiert auf Michael Crichtons „Westworld“-Roman- und Film von 1973, die allerdings gegen das heutige „Westworld“ reichlich naiv aussehen. Atemberaubendes Switchen zwischen Realitäts- und Zeitebenen (klar, stecken doch ein paar der Köpfe von Person of Interest dahinter), rustikales Westernspektakel und subtile Philosophie. Und dann ist da noch einer der elegantesten Vorspänne ever.

Branchenhighlight des Jahres: Die wundersame Rettung des POLAR Verlags, es nicht alles schlecht auf dieser Welt. Und es geht mit den höchst ersprießlichen Berliner TalkNoirs weiter, gleich am 6. Februar im Neuköllner „Froschkönig“.

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