
Eine Buchbesprechung und „Auf ein paar Worte mit…“
Enrico Brissa: Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen. Siedler Verlag, München 2021. 288 Seiten, 20 Euro.
Sheldon Cooper aus der HBO-Serie »Big Bang Theory« hätte an diesem Buchtitel seine helle Freude, schließlich betrieb er bekanntermaßen leidenschaftlich den Vodcast »Fun with Flags« und war bekennender Anhänger der Vexillologie. Allerdings handelt es sich bei »Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen« nicht um die neuste Ausgabe einer profunden Fahnenkunde, sondern um ein durch und durch politisches Buch. Und es beschreibt nicht etwa einen historischen Abriss, wie aus drei heraldischen Farben ein Nationalsymbol wurde. Vielmehr ist das Thema aktueller denn je, handelt über Bedeutung und Nutzen der Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol unserer Demokratie, aber auch über ihren Missbrauch durch antidemokratische Kräfte. Es ist ein Plädoyer für einen gelebten Verfassungspatriotismus.
Über den korrekten Umgang mit der Bundesflagge als Staatssymbol weiß der Autor aus eigener jahrelanger diplomatischer und protokollarischer Erfahrung trefflich zu berichten. Denn der promovierte Jurist Enrico Brissa, Jahrgang 1971, arbeitete zunächst in der Bundestagsverwaltung, bevor er ab 2011 im Bundespräsidialamt als Protokollchef der Bundespräsidenten Christian Wulff (2012 –2012) und Joachim Gauck (2012 – 2017) tätig war. Seit 2016 leitet er das Protokoll im Deutschen Bundestag. 2018 erschien sein erstes Buch »Auf dem Parkett. Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens« im Siedler Verlag.
Enrico Brissa ist also Experte für das protokollarisch korrekte Flagge-Zeigen. Und doch zielt sein Buch vielmehr auf einen verstärkten emotionalen Umgang mit den eigenen Farben. Gerade da in den letzten Jahren bei Demonstrationen die deutschen Staatssymbole von meist rechtsgerichteten Antidemokraten regelrecht okkupiert wurden. Gleichzeitig stößt nach wie vor der bewusst-positive Umgang mit der Deutschlandfahne in weiten Teilen der Gesellschaft vielen grundsätzlich negativ auf, da sich offenbar aus historischen Erfahrungen ein gestörtes Verhältnis zu einem bekennenden Umgang mit staatlichen Symbolen in Deutschland entwickelt hat. Diese Erfahrungen machte Enrico Brissa selbst, als er mit Freunden an einer Berliner Demonstration im Oktober 2018 für eine tolerante und pluralistische Gesellschaft teilnahm und dabei Deutschland- und Europaflaggen schwenkte. Viele hätten die Nationalflagge für ein Nazi-Symbol umgedeutet, würden offenbar nichts über die Geschichte und Bedeutung von Schwarz-Rot-Gold wissen. Grund genug für den Autoren, sich dem Thema zu nähern.

Wenn wir nicht wollen, dass unsere Symbole der Republik von radikalen und zum Teil extremistischen Kräften weggenommen werden, müssen wir diese Patriotismusdebatte in allen Teilen der Gesellschaft führen und uns im Klaren darüber sein, wie wichtig Symbole dabei sind.
Das Buch will Klarheit über die Bedeutung der Staatssymbolik schaffen, wobei das Ergebnis bereits feststeht: es ist ein bejahendes Bekenntnis. Dazu nähert sich der Autor dem Thema in sechs Kapiteln, die nicht zwanghaft einem streng chronologischen Aufbau folgen. Auch fokussiert sich der Verfasser hierbei nicht ausschließlich auf die Bundesflagge, sondern behandelt gleichermaßen auch den Bundesadler und die Nationalhymne gleich mit. Brissa ist zum Glück weit davon entfernt, das Wesen der deutschen Staatssymbolik entlang des diplomatischen Protokolls in einem hüftsteif vorgetragenen und juristisch versetzen Behördendeutsch zu erzählen. Leicht greift er einzelne Fäden auf und verknüpft sie zu einem soliden Erzählstrang. Dazu nutzt er geschickt vielfach nicht nur informative, sondern gerade humorvolle und immer wieder auch nachdenkliche Anekdoten, welche die Komplexität des richtigen Umgangs mit Staatssymbolik wunderbar veranschaulichen. Dies macht das Buch sehr lesenswert. Etwa wenn daran erinnert wird, dass man in den 70er und 80er Jahren eher die Internationale in deutschen Plattenläden kaufen konnte als eine Einspielung der Nationalhymne. Oder wie ein Sturm der Empörung ausbrach, als der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger sich 1 000 Schallplatten mit einer Einspielung des Deutschlandliedes von Heino schenken ließ, um diese danach an Schulen zu verteilen. Heino hatte sich nicht allein auf die dritte Strophe beschränkt. Oder wenn man erfährt, dass die wenigen Schiffe und Boote, die in den ersten Jahren nach Kriegsende unter deutscher Flagge fuhren, nach dem Kontrollratsgesetz die Signalflagge »C« als Doppelstander führen mussten. Der Buchstabe stand hierbei für »Capitulate«. Natürlich kommen gerade auch Sportereignisse, der Fußball und vor allem die Fußballweltmeisterschaften nicht zu kurz. Schließlich platzte das Fußballsommermärchen von 2006 geradezu vor positivem Nationalstolz. Überall wehten deutsche Fahnen und wie selbstverständlich ließen sich die Deutschen ihre Nationalfarben auf die Wangen malen.
Wie jedes Staatssymbol wirken Flaggen als Kennzeichen nach außen, aber auch als Identifikationsmittel nach innen. Die nach außen gerichtete Ordnungsfunktion von Schwarz-Rot-Gold funktioniert problemlos […] die nach innen gerichtete Wirkungsweise, weniger problemlos.
Während in den ersten fünf Kapiteln die historisch gewachsene Bedeutung der Staatssymbole dargestellt und kritisch der heutzutage nicht angemessene Umgang mit diesen angemerkt wird, gibt der letzte und schmalste Abschnitt so etwas wie eine demokratische Lebenshilfe: nämlich »Wie Flagge zeigen?«. Überspitzt gesagt deuten seine Vorschläge fast schon in Richtung eines Umgangs mit der Nationalflagge wie in den USA, ohne natürlich die dortigen fanatischen Flaggenexzesse als Zielflaggenvorgabe zu nennen; ohne dass dies der Autor möchte. Aber mehr Flagge und mehr Patriotismus auf allen Ebenen, soll es schon irgendwie sein.
Enrico Brissa will mit seinem Buch diese identifizierte Dysfunktionalität minieren und die Deutschlandflagge als identitätsstiftendes Staatssymbol stärken. Streng betrachtet ist dieses Anliegen keine leichte Kost, kein Gegenstand, bei dem man seine Meinung wie eine Fahne im Wind hängen kann. Der Buchautor begibt sich mutig auf ein politisch schwieriges Terrain; vielmehr ist es ein Minenfeld. Denn wohl kaum eine Nation dürfte weltweit solch geradezu zwanghafte Probleme im Umgang mit den eigenen Staatssymbolen vorweisen. Allein schon bei dem Versuch den Terminus Patriotismus in den Mund zu nehmen und positiv zu besetzen, ganz im Sinn Dolf Sternbergers, dem Vaters der Begrifflichkeit Verfassungspatriotismus, bekommen fälschlicherweise einentweder einen roten Hautauschlag oder andere einen Rechtsdrall.

Enrico Brissa versteht sein Buch daher vor allem als ein leidenschaftliches Plädoyer für eine bewusstere Verfassungskultur in Deutschland, einen gelebten Verfassungspatriotismus und vertritt die Auffassung, dass eine demokratische Gesellschaft schwer funktionsfähig bleiben kann, wenn nicht die Mehrheit auch emotional an den Staat gebunden ist und sichtbar zu seinen staatlichen Symbolen steht. Staatliche Symbole müssen deshalb positiv besetzt und verständlich sein – und richtig erklärt und verstanden werden. Die Deutschlandfahne muss den Demokraten gehören, denn viele Symbole der Demokratie haben wir nicht. Und vor allem sei die Stärkung einer verfassungspatriotischen Kultur nicht primär eine staatliche Aufgabe, sondern müsse, wenn erfolgreich, vor allem aus der Gesellschaft selbst kommen und immer wieder neu gelebt werden. Der Buchautor ist dabei angenehm weit davon entfernt, normative Vorgaben zu machen, vielmehr will er vor allem zu einem Diskurs anregen, zur bewussten Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein Thema, was, dies dokumentiert sein Buch in verständlicher und nachvollziehbarer Weise, leider viel zu leicht antidemokratischen Kräften überlassen wird. Enrico Brissas Buch wirkt, denn nach der Lektüre muss man sich zwangsläufig kritisch fragen, ob man selbst immer »Flagge bekennt«.
Indem wir Flagge zeigen, verteidigen wir nicht nur die Symbole unseres Staates gegen jede Vereinnahmung. Im kern streiten wir für unsere freiheitliche Verfassung. Sie allein garantiert unsere offene Gesellschaft.
Ein wichtiges Plädoyer, sich für die Grundwerte unserer Demokratie offen einzusetzen und die Nationalfarben als erkennbares Symbol dafür zu benutzen.
Empfohlene Zitierweise: Bodo V. Hechelhammer: Rezension von: Enrico Brissa: Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen, München: Siedler 2021, in: CulturMag/CrimeMag 5 (2021), 1.4.2021. Online-Ausgabe: http://www.culturmag.de/category/crimemag.

Auf ein paar Worte mit … Enrico Brissa
Enrico Brissa, Jahrgang 1971, ist promovierter Jurist. Er arbeitete zunächst in der Bundestagsverwaltung, bevor er ab 2011 als Protokollchef im Bundespräsidialamt der beiden Bundespräsidenten Christian Wulff (2012 –2012) und Joachim Gauck (2012 – 2017) tätig war. Seit 2016 leitet er das Protokoll im Deutschen Bundestag. 2018 erschien sein erstes Buch »Auf dem Parkett. Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens« im Siedler Verlag. Mit CulturMag hat er sich über sein neustes Buch »Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen« unterhalten.
Bodo V. Hechelhammer: Als leitender Bundesbeamter ist es noch immer eher ungewöhnlich, wenn man ein Buch schreibt; noch dazu ein politisches Buch. Wie sahen die Reaktionen aus dem Kollegenkreis aus? Gab es vielleicht sogar Reaktionen von den früheren Bundespräsidenten, für die Sie gearbeitet haben?
Enrico Brissa: Ich habe viele ermutigende und zustimmende Zuschriften erhalten. Da waren mir nicht bekannte Leserinnen und Leser darunter, aber auch höchste Repräsentanten unseres Staates. Es gab übrigens keine einzige negative Reaktion. Abgesehen davon bin ich nun wahrlich nicht der erste Beamte, der ein Buch geschrieben hat. Ich glaube, Sie haben auch eines geschrieben… Übrigens haben alle Bundesbeamten die Pflicht, sich durch ihr gesamtes Verhalten – d.h. inner- und außerdienstlich – zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Genau das habe ich mit meinem Buch getan, das ja nichts anderes ist als ein zu Papier gebrachtes Eintreten für unseren freiheitlich und demokratisch verfassten Staat.
Hechelhammer: Als Protokollchef haben Sie unzählige Anlässe miterlebt, bei denen die Nationalhymne gespielt und Schwarz-Rot-Gold gehisst wurde. Obwohl sich bestimmt eine professionelle Routine eingestellt haben dürfte; was waren für Sie rückblickend die emotionalsten Momente im Zusammenhang mit den deutschen Staatssymbolen, zu welchen Ereignissen und warum?
Brissa: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Einerseits gibt es da protokollarische Ausnahmeereignisse, die ich nie vergessen werde. Zum Beispiel den Papst-Besuch in Deutschland, oder den Besuch des U.S.-Präsidenten Obama. Vor allem aber den letzten Staatsbesuch von Königin Elizabeth II., der ja überhaupt ihr letzter ausgehender Staatsbesuch war. Außerdem erinnere ich mich noch genau daran, als am 3. Oktober 1990 zum ersten Mal die Bundesflagge an meinem ehemaligen Gymnasium gehisst war.
Andererseits sind es zahlreiche Traueranlässe, die mir unter die Haut gingen. Zum Beispiel der Trauerstaatsakt für Bundespräsident Richard von Weizsäcker, aber auch die Rückführung der sterblichen Überreste gefallener Bundeswehr-Soldaten nach Deutschland. Eine besondere Stellung nimmt für mich auch der Trauerakt für die Opfer der neonazistischen Terrorgruppe des sog. NSU ein.
In Ihrem Buch machen Sie auf die Okkupation deutscher Staatssymbole und deren Missbrauch durch antidemokratische Kräfte aufmerksam. Dazu scheint es, dass in unserer Gesellschaft immer weniger Wissen über deren wahre Bedeutung vorhanden ist. Welche Rolle spielt hierbei unser Bildungssystem und welchen Anteil haben die sozialen Medien daran?
Mein Buch ist ein Plädoyer für Schwarz-Rot-Gold und einen gelebten Verfassungspatriotismus. Eine emotionale Verbindung der Staatsbürger zum Staat ist für die Stabilität jedes Gemeinwesens unverzichtbar. Patriotismus ist wichtig und ich verstehe ihn als Verfassungspatriotismus im Sinne von Dolf Sternberger. Auch beim Verfassungspatriotismus spielt die Symbolik eine große Rolle – die aber ziemlich unbekannt ist.
Staatssymbole können ebenso stabilisierend wie destabilisierend wirken, je nachdem wer sie wie einsetzt. Wie unsere Geschichte und unsere Mythen sind sie eine lohnende Beute für all diejenigen, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung abschaffen oder umdeuten wollen. Daher sollten wir uns allen entgegenstellen, die uns diese Farben streitig machen, oder sie umzudeuten versuchen. Das können wir am besten dadurch, dass wir mehr von ihnen wissen und sie entschieden nutzen. Ich glaube, dass es hier noch großer Anstrengungen im Bereich der politischen Bildung bedarf. Und zwar nicht nur in den Schulen. Soziale Medien können hier auch eine große Bedeutung haben. Man sollte dabei aber auch nicht vergessen, dass es gerade radikale und extremistische Gruppen sind, die soziale Medien für ihre Zwecke einsetzen.
Das Besetzen von elementaren Symbolen der Demokratie hat in erschreckender Weise sowohl in Berlin als auch in Washington D.C. bereits stattgefunden, als Demonstranten den Reichstag versuchten zu stürmen und ein amerikanischer Mob das Kapitol besetzte. Auf den Treppen des Reichstages wehten Reichsflaggen, auf den Treppen des Kapitols die Südstaatenfahne. Auch hier wurde leider politisch »Flagge gezeigt«. Wie bewerten Sie diese beiden Ereignisse? Stehen diese vielleicht sogar in einem größeren Kontext?
Dieser Tage erleben wir doch in vielen Ländern eine wahre Renaissance der politischen Symbolik. Um die Symbole von Staat und Nation wird mit großer Heftigkeit gestritten. Extremisten missbrauchen nationale Symbole und Farben zunehmend dazu, demokratie- und verfassungsfeindliche Ideologien zu verbreiten, in die »Mitte der Gesellschaft« zu tragen, diese damit zu spalten und zu polarisieren. Auch in der Bildsprache der sozialen Medien werden Symbolik und Schwarz-Rot-Gold durch die extremistische Rechte instrumentalisiert. Dabei widerspricht jenes Gedankengut vehement der Bedeutung unserer Staatssymbole und -farben. Sie stehen für Freiheit und Einheit! Deshalb brauchen wir eine lebhaftere verfassungspatriotische Kultur, zu der gerade auch eine eigene Symbolik gehört. Es wäre ein schwerer Fehler, die Bundesflagge als Symbol unseres Staates und seiner Verfassung den Feinden derselben zu überlassen. Am besten schützen wir unsere Symbole durch eine entschiedene und selbstbewusste Nutzung.
Deutschland hat offenkundig ein Problem im richtigen Umgang mit seinen Staatssymbolen, die, links wie rechts, politisch instrumentalisiert werden. Sind wir die einzige Nation oder haben andere ähnliche Probleme?
Sicher ist unser Verhältnis zu den eigenen Nationalfarben und den anderen Staatssymbolen ein sehr wechselvolles, was natürlich mit unserer besonderen jüngeren Geschichte zusammenhängt. Da unterscheiden wir uns deutlich von anderen Staaten. Diese Gebrochenheit der deutschen Geschichte spiegelt sich ja auch in regelmäßig wiederkehrenden Debatten um unsere nationale Identität wider. Ich glaube, dass wir uns das immer vor Augen führen müssen. Aber natürlich wird auch andernorts um Fragen der nationalen Einheit und Identität sowie um die Staatssymbole gerungen. In manchen Fällen liegen dem separatistische Bestrebungen zugrunde, in anderen Fällen werden Flaggen ausgetauscht, ohne dass sich das politische System geändert hätte. So hat Mississippi erst vergangenes Jahr als letzter US-Bundesstaat die ehemalige Kriegsflagge der Konföderierten Staaten von Amerika von seiner Flagge gestrichen. Hier waren es die Proteste und Unruhen nach der Tötung von George Floyd und die Black-Lives-Matter-Bewegung, die zur Abschaffung dieses Symbols der Unterdrückung Schwarzer geführt haben.
Ihr Buch »Flagge zeigen!« ist nicht nur eine Metapher dafür, offen für die demokratischen Grundwerte einzutreten, sondern durchaus auch wörtlich zu nehmen. Würden Sie sagen, das Deutschland im Umgang mit »Stars and Stripes« und »Star-Spangeld-Banner« von den USA und lernen kann? Amerika als leuchtendes oder doch eher abschreckendes Beispiel?
Grundsätzlich kann es nicht darum gehen, anderen Nationen in ihrem Patriotismus und Symbolismus nachzueifern oder sie zu kopieren. Angesichts der unterschiedlichen historischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Realitäten wäre dies falsch und unpassend. Wir müssen hier unseren eigenen, bundesrepublikanisch-deutschen Weg gehen! In meinem Buch mache ich ein paar konkrete Vorschläge, wie wir das in Zukunft verbessern können.
Man kann sehr gut auch für demokratische Grundwerte eintreten – ohne offenes Bekenntnis zum Deutschlandlied und zur Deutschlandflagge. Provokant gefragt: Ist es nicht gerade richtig, dass Deutschland aufgrund seiner NS-Geschichte, der staatlich verordneten Überhöhung von Symbolen, offenbar zunehmend gut ohne Staatsymbole auskommt?
Wenn wir zunehmend gut ohne eine Kultur der Staatssymbole auskommen würden, hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. Ich glaube, dass das Gegenteil richtig ist. Wir alle sollten uns besser bewusst machen, wie wichtig Emotionen auch im Politischen sind. Hierzu gehört vor allem auch eine Kultur der politischen Symbolik. Die Bonner Republik war ja ein Staat ohne jeden Pathos, eine Republik, die jedem Übermaß an staatlicher Repräsentation und Symbolik eine nahezu aufdringliche Zurückhaltung entgegensetzte. Dem symbolischen Rausch des Nationalsozialismus folgte gewissermaßen der Kater, was man ja auch gut verstehen kann.
Andererseits hat Staatlichkeit aber nicht nur eine rein rationale Ebene, sondern auch eine emotionale, die wir besser berücksichtigen sollten. Eine patriotische Gesinnung der staatstragenden Mehrheit ist eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität des Staates und unseres Gemeinwesens. Und damit auch für das Wohl jedes Einzelnen, weil es ja der freiheitliche und demokratische Staat ist, der die Rechte und Interessen der Individuen schützt. In diesem Sinne ist es unser Staat und nicht der Staat. Gäbe es ihn nicht, herrschte Anarchie.
Vielleicht können wir gemeinsam dazu beitragen, dass weniger Mitbürgerinnen und Mitbürger unseren Staatssymbolen mit Desinteresse, Scheu oder Vorbehalten begegnen. Solche Gefühle und Distanzierungen sind ja durchaus nachvollziehbar, wenn etwa jemand das symbolisch-propagandistische Übermaß in der DDR erlebt hat, sieht er Beflaggungen mit anderen Augen als ich es tue. Das muss man respektieren. Vielleicht lassen sich diese Vorbehalte aber überwinden, wenn man sich bewusst macht, mit welchem Erfolg radikale und extremistische Kräfte seit gut sechs Jahren unsere Symbole zu kapern versuchen. Mir geht es darum, schlummernde Kräfte der Mitte zu entfachen.
Sie plädieren für mehr patriotische Gefühle. Würden Sie sich selbst als Patriot beschreiben und warum?
Ja, Verfassungspatriot und Europäer! Weil es so ist und, weil es wichtig ist.
Ein Kampf um die Deutungshoheit der Nationalfarben habe begonnen. Kann der Staat entschiedener entgegensteuern oder lastet die Verantwortung nicht allein auf den Schultern der Gesellschaft?
Die Stärkung einer verfassungspatriotischen Kultur ist nicht allein eine staatliche Aufgabe, sondern eine gemeinsame Aufgabe des Staates, der Gesellschaft und aller Staatsbürger.
Das Interview mit Enrico Brissa wurde Corona-konform am 29. und 31. März 2021 schriftlich geführt.
Empfohlene Zitierweise: Bodo V. Hechelhammer: Auf ein paar Worte mit … Enrico Brissa, in: CulturMag/CrimeMag 5 (2021), 1.5.2021.
Online-Ausgabe: http://www.culturmag.de/category/crimemag.
Bodo V. Hechelhammers Buch „Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten“ von Alf Mayer hier besprochen. Seine Texte bei uns hier. Unter anderem ein großes Interview mit Oliver Kalkofe: SchleFaZ bedeutet Liebe und eines mit Oliver Hilmes zu dessen Buch „Das Verschwinden des Dr. Mühe. Zuletzt war er für uns auf den Spuren von … „Serenade für zwei Spione“ (1965) …