
Pflege-Erfahrung als staatsbürgerliche Nachhilfestunde
Aus der aktuellen Perspektive eines Patienten
Meine an Alzheimer verschiedene Ehefrau Giuliana ist in der exzellent geführten Seniorenresidenz Neustift (Passau) betreut worden – schon um 2010 wurde aber der Mangel an Pflegekräften zu einem Problem. Meine im April 2022 gestorbene Lebensgefährtin Eska hat partout nicht in ein Pflegeheim wollen: wegen ihrer Erfahrungen mit einer unguten Reha-Klinik. Ich selbst kann heute von Pflegekräften nur mit größter Hochachtung sprechen – dies nach zehn Junitagen im Klinikum Rottalmünster (Niederbayern), ab Anfang September in Görlitz (Sachsen): im Städtischen Klinikum, in der Kurzzeitpflege des Arbeiter-Samariter-Bundes und beim Mobilen Pflegedienst Stumm, ohne die ich, allein, in meiner neuen Wohnung nicht leben könnte.
Das individuelle Engagement und der Teamgeist „meiner“ Pflegekräfte haben mich – nach allem, was konkret über sie so verbreitet worden ist – tief beeindruckt. Aber wie haben es diese Schwestern, Pfleger und Hilfskräfte geschafft, Dienstleister einer beispielhaften Mitmenschlichkeit zu werden? Denn sie müssen, so ist mir nach genauem Hinsehen und -hören bewusst geworden, meist unter Crash-Stress arbeiten, bei personeller Dauer-Unterbesetzung, oft schaurigen Arbeitsbedingungen, allzu oft Elendslöhnen. Und: ohne gebührende Wertschätzung.
„Für uns ist die Pflege-Arbeit kein Beruf“, lautete eine häufige Antwort, „wir machen sie aus Berufung.“ Auf meinen fragenden Blick hin ist noch leise verlegen hinzugefügt worden: „Sonst könnten wir sie gar nicht leisten.“
So exemplifizieren sie nun für mich, dank ihrer staatsbürgerlichen Nachhilfestunde in meiner Lähmungsphase, eben jene Solidarität und soziale Intelligenz, die auf den luftleeren Hochebenen der Öffentlichkeit nur beschworen wird, um sie von unten, von andern einzufordern. Es wäre lohnend zu schildern, wie sie für Patienten einfach da sind und wie sie Schrittmacher einer Rückkehr ins aktive Leben werden, mit Kräften, die offenbar noch aus alten Kulturen rühren. Ihre große Sorge: dass eine dysfunktionale „Gesundheitspolitik“ die Jugend vom Pflegeberuf abschreckt: „Es gibt kaum mehr Nachwuchs.“
Gerhard, Buchmarktjournalist, 85, Bad Griesbach & Görtlitz