Geschrieben am 1. Dezember 2022 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2022

Günther Grosser zur „Frau mit Messer“

Generationenroman der ganz anderen Art

„Frau mit Messer“, der quirlige Roman der koreanischen Schriftstellerin Gu Byeong-Mo, endet mit einem generationenübergreifenden Disput im Nagelstudio über die Rechte und Pflichten einer Nachwuchskraft, die kurz darauf ihre erste Kundin mit einem Rundumpaket mehr als glücklich macht. Allerdings muss sie dabei erschreckt feststellen, dass die alte Dame nur eine Hand hat. Die andere hat sie kurz zuvor bei einem sensationellen Showdown mit ihrem jungen Kontrahenten und Jäger verloren, denn Hornclaw – so ihr Deckname – ist Schädlingsbekämpfungsspezialistin, sprich: Auftragskillerin, und das seit mehr als vierzig Jahren. Sie arbeitet für eine Agentur, bei der man für entsprechendes Entgelt unerwünschte Personen beseitigen lassen kann, und Hornclaw liefert immer zuverlässig und unauffällig ab, z.B. in der U-Bahn, mit dem Messer. Zack, kurzer Stich und schon ist sie wieder weg.

Aber sie wird älter und quält sich über das übliche Maß hinaus – körperliche Einschränkungen, Bedauern, Depression – nun auch mit diesem Scheißgenerationending; ein junger Hitzkopf mit dem blöden Namen Bullfight macht sich andauernd lustig über sie, zeigt ihr die Grenzen auf. Allerdings ahnt sie bald, dass etwas ganz anderes dahintersteckt; es hat mit einem weit zurückliegenden Fall zu tun, und Hornclaw muss dann in diesen sensationellen Showdown, bei dem alle ballern, stechen und schleudern, bis – natürlich – nur noch eine übrig bleibt.

„Frau mit Messer“ ist ein Generationenroman der ganz anderen Art, ein ironisches Literaturspiel mit den Ängsten und Wünschen der – wie sagt man? – reiferen Leute genauso wie mit den lächerlichen Überheblichkeiten und weinerlichen Klagen ihrer Nachkommen, erzählt in Ton und Gestus einer zeitgemäßen Genrekomödie und platziert in einer Gesellschaft, die für Aufstieg und Konsum alles zu opfern bereit ist und dabei das Gefühl für Gemeinschaft und Solidarität zu verlieren droht. Dabei hat die 46jährige Gu Byeong-Mo gleichermaßen ihren Spaß mit dem zwanzig Jahre Jüngeren wie mit der genauso viel Älteren. Immer wieder lässt sie Hornclaw die Wunden lecken, Zweifel und Unbehagen runterschlucken, um sie dann doch wieder zum Aufraffen zu bringen, während Bullfight die Muskeln spielen und seine Kunststückchen zelebrieren darf. Das ist in höchster Weise unterhaltsam, spannungsreich zudem und bei aller Ironie des Gewalttätigen und der absurden Schlenker der Geschichte doch durchsetzt mit einer bittersüßen Melancholie des Vergehens und Verschwindens.

Und Gu schafft es, sowohl den im humanen Kontext so problematischen Begriff „Schädling“ zu entschärfen als auch die Sache mit der Bekämpfung so nüchtern und professionell wie eine Waschmaschinen-Reparatur aussehen zu lassen. Das ideale Weihnachtsgeschenk für Oma.

Günther Grosser

Gu Byeong-Mo: Frau mit Messer (Pagwa, 2013). Deutsch von Wibke Kuhn. Ullstein Verlag. Berlin 2022. 288 Seiten, 22,99 Euro.

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