Geschrieben am 15. April 2017 von für Bücher, Crimemag

Hans Blumenberg: Schriften zur Literatur 1945-1958

Blumenberg 58697„Aus unserem Innern kommt die Explosion“

Die frühen „Schriften zur Literatur“ des Philosophen Hans Blumenberg liest Alf Mayer auch als Bausteine einer Theorie des Kriminalromans. Jedenfalls hatte er anregende Lektüre.

„Mir scheint, die Probleme der modernen Welt sind zu kompliziert, als dass man sie anders als auf einfache Weise behandeln könnte“, dieser Satz G.K. Chestertons imponiert dem noch jungen Philosophen Hans Blumenberg. Er nimmt ihn als archimedischen Punkt seines Geburtstagsporträts „Der Mann, der das Gegenteil war“, das am 29.5.1954 unter dem Pseudonym Axel Colly in den Düsseldorfer Nachrichten erscheint. Kundig und ohne Berührungsängste attestiert er darin Chesterton, dass dessen Kriminalnovellen „das kriminalistische Schema ebenso hintergründig wie geistreich abwandeln, dass das Komplizierte am Kriminalfall nur Schein und der wahre Sachverhalt ganz elementar sein müsse“. (Zum Einfachen und Wahren siehe auch in dieser CrimeMag-Ausgabe zur isländischen TV-Serie „Trapped“: „Lehranstalt der Empfindung“.)

Hans Blumenberg als Krimikritiker? Seine Arbeit am Mythos auch als Arbeit an den Deutungen des Kriminalromans? Ich sehe manchen Jünger erbleichen, aber die jetzt gerade erschienenen, von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler herausgegebenen „Schriften zur Literatur 1945 -1958“ taugen durchaus in mancher Hinsicht als Bausteine einer Theorie der Kriminalliteratur, jedenfalls finden sich darin mehr anregende Einsichten und Betrachtungen als in der zu ziemlichem Stillstand gekommenen Theoriebildung der Gegenwart. In der vorangegangenen Ausgabe von CrimeMag (März 2017) hat Thomas Wörtche deshalb auch nicht von ungefähr an Fritz Wölckens StudieDer literarische Mord. Untersuchung über die englische und amerikanische Detektivliteratur“, von 1953 erinnert.

Wölcken_Literarische-Mord_Cover_240Die Leere als Ergebnis der Fülle

Nun also Hans Blumenberg mit über 40 bislang nicht zugänglichen frühen Texten: Zeitungsfeuilletons, Rundfunktexte, Vorträge und Zeitschriftenbeiträge. Er schreibt über Dostojewski, Jean-Paul Sarte, Franz Kafka, Graham Greene, Hans Fallada, Thomas Wolfe, Evelyn Waugh, Samuel Beckett, Proust und C.S. Lewis, Faulkner, Jules Verne, G.K. Chesterton, und immer wieder über Ernst Jünger. Die damals neue Mode der Taschenbücher ist ihm ebenso Thema (siehe dazu auch „Reihenweise“ bei CrimeMag), wie die der Ratgeber, in seinen Betrachtungen über Comics – „Vollsynthetische Bilderwelt. Von Macht und Ohnmacht der ‚Comic-Strips’“ (Bremer Nachrichten, 1955) – verteidigt er das Medium gegenüber denen, die dort eine Vereinfachung beklagen, als erstaunlich tiefgründig. Ein früher, großer Text über Hans Carossa, den er im Alter von 18 schrieb, findet sich im Anhang, in Zeiten der Correctness dankbar sein muss man für einen Artikel mit der Überschrift „Vier Negerromane: Die Schwelle zwischen Schwarz und Weiß“. Editorische Notizen und ein Namensregister runden das Werk, es ist solide und großzügig gestaltet. Ein Band, den man sich immer wieder vornehmen kann. Blumenberg, später dann Professor für Philosophie in Hamburg, Gießen, Bochum und Münster und Mitbegründer der Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik, insgesamt eher ja dem Konjunktiv, dem Indirekten und den Umwegen der Erkenntnis zugeneigt, ist hier 1945 – 1958 oft erfrischend zupackend. 

Vielen der Texte ist eine große Erschütterung anzumerken. Die Nazi-Zeit und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges hallen noch nach – ebenso die Sinnsuche in einer sich mehr und mehr materiell definierenden Zeit. „Ein Verstehen von Wirklichkeit vorzubereiten“, die „ruinanten Erfahrungen“ der ersten Jahrhunderthälfte aufzufangen, das ist für den jungen Hans Blumenberg die Aufgabe moderner Literatur und Kunst. Danach sucht und gräbt er. Er sieht „eine Verlorenheit an die Not des Nihilismus“, versucht das in den Ausprägungen der zeitgenössischen Literatur zu erfassen, schreibt über Graham Greene und „die Zweideutigkeit der Gnade“, über die „Krise des Faustischen“ bei Kafka, über den „ins Nichts verstrickten“ Sartre, den „Rebell gegen die Endlichkeit“: Thomas Wolfe.

„Ich bin froh, dass wir nicht versuchen müssen, die Sterne zu töten“

Ein Zitat:

„Die Leere als Ergebnis der Fülle, der Nihilismus inmitten der differenziertesten Kulturentfaltung. Vor einem Schaufenster zu hören: „Es gibt doch nichts, was es nicht gibt.“ So auch im Geistigen: kein Mangel an Ideen, auch nicht an guten …“

„Nihilismus“ ist Blumenberg der Name der universalen und radikalen Krise der Gewissheit überhaupt. Sie kulminiert für ihn in einem Satz aus Hemingways „Der Alte Mann und das Meer“: „Ich bin froh, dass wir nicht versuchen müssen, die Sterne zu töten.“ 

Für Hans Blumenberg ist der Mensch ein „Mängelwesen“, das schutzlos dem Absolutismus der Wirklichkeit ausgesetzt ist. Die große Leistung des menschlichen Geistes besteht seiner Ansicht nach in unserer Fähigkeit zur Namensgebung, in der Bildung von Metaphern, im Entwickeln und Erzählen von Mythen. Poesie und Schrecken sind ihre Gestalt. Mythen versuchen, den Schrecken umzuwandeln in Geschichten über den Schrecken und ihn dadurch zu bannen. – Wenn das keine Definition des Kriminalromans ist.

Das einem breiten Publikum heute alltäglich gewordene Sich-Aussetzen der Dauererzählung von Verbrechen, Gewalt, Deprivation und kurzzeitiger (Er-) Lösung in Wort und Bild, all die TV-Programme mit ihrem Kriminaldauerdienst am Verbrechen als ein sich unentwegt ins Unendliche drehendes Möbiusband, der 1920 in Lübeck geborene Hans Blumenberg hat unseren zivilisatorischen Hunger danach schon in den 1950ern gesehen: „Zur Katastrophe im Menschenleben: das schwere Rad, das uns zermalmt, der Schuss des Mörders oder auch des leichtsinnigen, der uns trifft. Lange schon hatte sich in uns der Zündstoff angehäuft, nun wird von außen die Lunte angelegt. Aus unserem Innern kommt die Explosion“, zitiert er aus Jüngers „Strahlungen“.

Alf Mayer

Hans Blumenberg: Schriften zur Literatur 1945-1958. Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. Gebunden, 370 Seiten, 32,00 Euro. Verlagsinformationen hier. Die Werke von Hans Blumenberg hier.

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