Geschrieben am 13. Dezember 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – heute kurz und schmerzlos …

Am Beilchen Thomas Wörtche (TW) und Alf Mayer (AM), auf dem Hackklotz die Graphic Novel „Fatale“ von Max Cabanes/Jean-Patrick Manchette/Doug Headline, „Portrait in Noir“, versammelte Schriften von Jean-Patrick Manchette, und Frank Göhres Storys „Gut leben – früh sterben“.

Max Cabanes_Jean-Patrick Manchette_Doug Headline_FataleManchette I

(TW) „Fatale“ aus dem Jahr 1977 ist ein ziemlich enigmatischer Roman von Jean-Patrick Manchette. Ein „Sittenstück“ aus der französischen Provinz, wo nicht nur Manchette gern eine ziemlich eklige Bourgeoisie ansiedelt. Und eine Femme fatale auf die widerwärtigen Spießer loslässt, die mit Intrigen, Betrug, Machination und Blutvergießen womöglich noch weniger Probleme hat als die feisten Damen und Herren. Der Zeichner Max Cabanes hat mit Unterstützung von Manchettes Sohn Doug Headline jetzt „Fatale“ für einen prächtigen Comic adaptiert, die zweite Arbeit dieser Crew nach „Blutprinzessin (dazu mehr hier). Mit dem Unterschied, dass „Fatale“ ein voll ausgearbeiteter Roman ist, die „Blutprinzessin“ ein Fragment.

Der Comic bleibt auf der Handlungsebene im Wesentlichen vorlagentreu. Sein großes Surplus zur reinen Story ist die extrem toxische Farbdramaturgie, die die toxische Handlung schön grell erscheinen lässt. Und die Figuren als das unterstreicht, was sie sind: lächerliche aufgeblasene Leute, die dennoch tödlich gefährlich sind. Und am Ende steht eine Vision von Schönheit und Glanz. Da laufen dann Bild und Text ziemlich auseinander. Schönes, bösartiges Teil.

Max Cabanes/Jean-Patrick Manchette/Doug Headline: Fatale (Fatale, 2014). Graphic Novel. Deutsch von Resel Rebiersch. München: schreiber & leser noir, 2014. 136 Seiten. 24,80 Euro. Verlagsinformation zum Buch.

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Jean-Patrick Manchette_Portrait in NoirManchette II

(TW) Jean-Patrick Manchette war ein begeistert raissonierender Schriftsteller. Viele seiner Texte finden sich in den „Chroniques“ versammelt, die bei uns beim Distel Verlag erschienen waren. Jetzt aber hat sich der Alexander Verlag unsterbliche Verdienste erworben, weil er eine ganze Menge auf Deutsch nie erschienener Texte von Manchettes Sohn Doug Headline hat versammeln lassen und auch noch ein liebenswertes und charmantes Nachwort von Dominique Manotti dazu spendiert. „Portrait in Noir“ enthält etliche poetologische Überlegungen zum Kriminalroman, eine Hommage an Léo Malet, eine Erzählung, ein Drehbuch und jede Menge Texte über Kino, bezeichnenderweise viel über Klassiker von Fritz Lang bis zu Kurosawa, Faßbinder, Kubrick und Fellini – also eher wenig über „Genre“-Kino. Was über die Extension von Manchettes „Noir“-Begriff einiges aussagt. Das Buch ist, wie die „Chroniques“ auch, ein Buch, das stets zur Hand sein sollte, wenn man für einen bestimmten Sachverhalt in Sachen Literatur und Film einen intelligenten Dialogpartner sucht. Denn wie auf alle theoretischen Sachen von Manchette kann mit Zustimmung oder mit Ablehnung reagieren – egal, man wird es immer mit großen Gewinn tun.

Jean-Patrick Manchette: Portrait in Noir. Hg. von Doug Headline. Mit einem Nachwort von Dominique Manotti. Deutsch von Leopold Federmair. Berlin: Alexander Verlag 2014. 254 Seiten. 28,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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Frank Göhre_Gut leben_früh sterbenDie Freiheit, unterwegs

(AM) Bei den jährlichen Auszeichnungen der Mystery Writers of America (MWA), den Edgars, gibt es die Kategorie des Grandmasters. Über 60 sollte man dafür sein, man muss seiner Zunft mehr als nur Ehre gemacht, muss das Genre geprägt und ein Full House bester Kriminalromane aufzuweisen haben. All diese Kriterien erfüllt in Deutschland wie kein Zweiter Frank Göhre, Großmeister. Er hat in diesen Tagen Geburtstag, vor einem Jahr hat CrimeMag ihm ein Ständchen gebracht (siehe hier, hier, hier, hier und hier sowie hier).

Der Pendragon Verlag aus Bielefeld, der Göhres Backlist am Leben hält, hat diesen Herbst einen neuen Sammelband von Erzählungen, Reisereportagen, Porträts und Krimikurzgeschichten vorgelegt, eine Aufforderung, ins Offene zu kommen. Viele Geschichten von unterwegs, denn da gibt es, wie Rainer Berg anstelle eines Nachworts in einem schönen Bericht von einer gemeinsamen Bootstour festhält, „das Beste, was ein Menschenleben haben kann: Freiheit“.

Frank_Göhre_Geile_MeileFrank Göhre kann mit wenigen Worten, lakonisch und ohne jede Kraftmeierei gesetzt, eine Szene zum Schwingen bringen. Diese Meisterschaft zeigt aufs Schönste der erste Text des Sammelbandes. „Hotel Marrakesch“ ist er betitelt und bringt uns Hubert Fichte (überhaupt Hubert Fichte bei Frank Göhre), John Dos Passos, Friedrich Glauser, Allen Ginsberg, Paul Bowles, Elias Canetti, Harvey Keitel, Alfred Hitchcock, Juan Goytisolo, William S. Burroughs, Jean Genet, Cees Noteboom und Tahar Ben Jelloun nahe in dieser mythischen, ein wenig extraterrestrischen Stadt. Frank Göhre selbst ist da, in jedem Satz kann man spüren, wie gut er diesen Ort kennt und liebt und seine Aura. Der Text ist ein fliegender Teppich, der einen nach Afrika trägt und dahin, wo freie Geister die Aufhebung von Grenzen suchen. (Der Text wurde auch bei CM veröffentlicht, zu Teil 1, zu Teil 2.) Krimigeschichten, Reisereportagen und Porträts wechseln sich in diesem Band ab. Göhres Blick gilt den Außenseitern, zweimal begegnen wir dem Polizisten Fedder wieder. Tempi und Einstellungsgrößen wechseln, dieser Band ist wie die Schallplatte einer Band, die ganz bei sich ist, cool und ruhig, keine Lorbeeren braucht, auch keinen Kritiker, der etwas von Grandmastern erzählt.

Berührt hat mich die Erzählung „Kino“ über erste Erfahrungen und auch die mit dem anderen Geschlecht. Überhaupt die Frauen. Die Männer und die Frauen, die Blicke vom Balkon in fremde Fenster, all das mit Distanz und Nähe, verhaltener Sehnsucht. Die irritierenden Tagebuchnotizen in „Schlaf, Kindchen, Schlaf“, der Typ in „Jane, Baby, Jane“ in seiner Bar, 1987 in Bullhead City, Arizona. Die surreal grimmig-komische Titelgeschichte, die mit einem toten nackten Mann beginnt, der auf seinem Geschlechtsteil eine Miniaturnarrenkappe sitzen hat. Mit Frank Göhre kann man was erleben, sogar Robert B. Parker treffen, wie man ihm noch nie begegnet ist, in „Spenser, mein Name ist Spenser. Ein Porträt in Selbstaussagen“.

Frank Göhre: Gut leben – früh sterben. Stories von unterwegs. Bielefeld: Pendragon Verlag 2014. 248 Seiten. 10,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Frank Göhre.

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