Geschrieben am 14. Dezember 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck … für Frank Göhre

zoe_beck_porträtBratkartoffeln

Für Frank Göhre. Von Zoë Beck.

Das Haus, in dem ich in Blankenese gewohnt habe, hat sich verändert. Nicht von außen, aber es sind ganz andere Leute drin. Meine Nachbarn, mit denen ich mir die Katze geteilt habe, sind weggezogen. Von mir ist nichts mehr dort.

Der türkische Schneider ist auch nicht mehr da, er hatte versucht zu klagen, aber natürlich hat sein Vermieter gewonnen. In dem Lokal gegenüber von Frau Lühmann ist schon wieder Leerstand, aber es sagen sowieso alle, dass auf diesem Lokal ein Fluch liegt. Niemand hält sich dort lange. Die Straße verändert sich, wenn man eine Weile weg war. „Rudolph“ gehört nicht mehr dem alten Herrn Rudolph, sondern seinem Koch, genau wie die Ferienwohnung obendrüber (beides hat nun auch funktionstüchtige, zeitgemäße Homepages), und die Weinhandlung hat der alte Rudolph – ich darf ja eigentlich Bernd zu ihm sagen – seiner Tochter übergeben. Die allerdings auch einen sehr guten Geschmack hat, sie ist nicht umsonst seine Tochter.

Es ist aber nicht alles anders. Bernd sitzt immer noch oft genug in der Weinhandlung herum und trinkt einen mit. Und einmal in der Woche macht er auch die Theke in seinem ehemaligen Laden. Er isst dort immer noch, natürlich. Es ist ja weiterhin derselbe Koch, der mit den hervorragenden Bratkartoffeln. Die haben sich nicht verändert. Die Bratkartoffeln sind geblieben. Der Koch sagt: Er macht sie mit viel Butter. Und er sucht sich genau aus, welche Kartoffeln er nimmt. Wenn die Kartoffeln nicht stimmen, dann werden die Bratkartoffeln nichts.

Der Mann weiß, was er tut.

Ich musste ganz oft dran denken, wie wir dort zwischen den Blankeneser Stammgästen saßen und du meintest, ich solle doch mal versuchen, aus der Nacht herauszuschreiben statt in die Nacht hinein. Bei meinem letzten Roman hab ich es wieder nicht geschafft. Ich habe in die Nacht hinein und dann gleich wieder aus der Nacht heraus geschrieben und tagsüber ein bisschen geschlafen, und jetzt habe ich einen Jetlag, weil ich versuche, dann aufzustehen, wenn die meisten anderen Menschen auch aufstehen. Ich glaube aber, das ist nichts für mich. Der Paketbote findet es allerdings gut, dass ich ihn im Moment nicht anknurre.

Weißt du, woran ich auch manchmal denken muss, das ist deine Lesung in Gießen. Falls du dich an diese noch erinnerst. Du fandest sie, glaube ich, gar nicht so schlimm. Dein Part war natürlich großartig, im Gegensatz zu allem anderen. Irgendjemand las noch schauspielernd etwas Albernes vor sich hin, und Musik gab es auch, alles schwankte zwischen belanglos und grausam. Neben mir saß jemand von der Presse (das müsste eigentlich in großen Leuchtbuchstaben über der Stadt stehen, er hat es nämlich so gesagt: „Ich bin von D E R  P R E S S E, und du so?“ Ich sagte dann: „Ich bin auch von der Presse, aus der bösen Großstadt, total viel wichtig, und ich bin nur und ausschließlich wegen Frank hier, ha.“ Das hat ihn sehr verwirrt), und dieser Presse-jemand fand nicht sehr schlüssig, was auf der Bühne geschah. Ich auch nicht, ich hatte schon Hoffnung, dass wir beide dieselben Dinge nicht schlüssig fanden, aber wir kamen von unterschiedlichen Planeten. Es war einer dieser (vielen) Momente, in denen ich (mal wieder) verstand, warum ich nicht dort leben kann (und konnte). Der Menschen von der Presse (blinkende Leuchtbuchstaben!) konnte mit deinem Text nichts anfangen, er blieb ratlos, ich drosch auf ihn ein, verbal, musste ihn irgendwann leider töten, auch verbal, und dann ging er nach Hause. Übrigens war er gar nicht von der Presse. Das stellte sich später heraus. Er wäre es nur gerne gewesen.

Ein sehr unglücklicher Planet, dieses Gießen. Trotzdem waren sie nett zu dir, wie ich hinterher sehen konnte, aber ich musste weg, ich konnte da nicht sehr viel länger atmen. Ich glaube, du hast das verstanden. Du verstehst überhaupt so vieles, dass ich oft denke, ich muss gar nichts erzählen, du siehst einfach, was gerade los ist.

Und dann war man ja auch fast schon mal tot, aber eben auch nur fast, und man muss sehen, wie man weitermacht, wie ist das überhaupt, ändert man die anderen oder sich oder nimmt man das alles noch ernst oder besonders ernst oder ist es irgendwie alles, man ändert sich, aber nicht ganz, und man nimmt alles weniger ernst, um es ernst nehmen zu können. Da haben wir auch, zwischen den Bratkartoffeln, drüber nachgedacht, und wie man nie wirklich fertig ist mit irgendwas und immer noch lernt und probiert und erfindet. Ich bin an dem Abend in Blankenese mit dem Gefühl nach Hause gegangen, dass irgendwie alles gut wird oder vielleicht schon ein bisschen gut ist, so wie es ist. Nacht, Schreiben, Leben. Danke.

Zoë

Zur Homepage von Zoë Beck geht es hier. Foto: © Victoria Tomaschko.

Tags :