Geschrieben am 31. Dezember 2021 von für Highlights, Highlights 2021

Claudia Denker, Garry Disher, Anita Djafari, Danny Dziuk

Claudia Denker: Tschüss 2021! 

Wäre es nicht eine schöne Idee, die Deadline für den Jahresrückblick auf nach Weihnachten zu legen? Fragt eine gestresste Buchhändlerin. Nee? Mist!

Schade, Corona war und ist noch da … meinen Booster durfte ich mir immerhin schon abholen. Bei der Gelegenheit muss ich doch gleich noch ein (hoffentlich) letztes Mal an die Schauspielertruppe um Volker Bruch und ihre unsägliche Aktion »Alles dicht machen« denken. Ein paar Tage habe ich mich richtig aufgeregt … aber nun – abgehakt.

Closed Doors – Ein Fotobuch in Zeiten der Pandemie ist allerdings ein schönes Projekt zum Thema. Im Sommer erschien der Bildband von Lenny Rothenberg. 39 Künstler*innen hat er interviewt und vor ihren Lieblingsclubs und Veranstaltungsorten fotografiert. Nur wenige Exemplare sind noch lieferbar.

Musik: Mein Song des Jahres ist eindeutig »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« von DANGER DAN, die dazugehörige CD und alle Songs darauf haben mich ehrlich umgehauen („Antilopen Geldwäsche“). Schön auch der Auftritt mit Igor Levitt bei Jan Böhmermann.

Das Konzert von Patti Smith fand leider im Juni (letztes Jahr hoffte ich an dieser Stelle noch) aus bekannten Gründen nicht statt, vielleicht ja 2022.

Sehr, sehr traurig: Bernie Conrads (BERNIES AUTOBAHN BAND), Musiker und Texter (u.a. für STOPPOK) ist am 17. November gestorben. 

Gefreut habe ich mich darüber, dass Deniz Yücel PEN-Präsident geworden ist. Eine gute Wahl!

Apropos Wahl: Spannend war es ja dieses Jahr. Ob die neue Regierung uns was Gutes bringt, muss abgewartet werden. Gefallen hat mir die 6-teilige Doku »Kevin Kühnert und die SPD«. Von »Am Boden« bis zur »Bundestagswahl« begleitet man den neuen Generalsekretär der SPD durch die Zeit. Beeindruckend.

Auch ganz unterhaltsam ist der Podcast »Die K-Frage. Mit Kühnert und Klingbeil«. Hoffentlich machen sie damit weiter.

Und »Spinnst Du?« von Sonja Koppitz ist ein sehr informativer Podcast über psychische Erkrankungen. Die Radiomoderatorin berichtet offen über ihre Erfahrungen mit Depressionen und beschäftigt sich mit allem, was mit »lockeren Schrauben« zu tun hat. Toll!

Lesungen und Veranstaltungen waren ja nun Mangelware dieses Jahr, immerhin war ich einmal bei den »Brauseboys«, deren Jahresrückblick ich dieses Jahr auch nicht verpassen werde, und bei der »Reformbühne Heim und Welt«. Sehr schön war Lesung und Gespräch im »silent green Kulturquartier« mit Merle Kröger, Stefanie Schulte Strathaus und Thomas Wörtche. Da wären wir dann auch bei den Büchern: Merle Kröger hat mit Die Experten (Suhrkamp) eins meiner Bücher/Krimis des Jahres geschrieben.

Meine Lieblingskrimis in diesem Jahr:
Colin Niel: Nur die Tiere (Lenos)
Patrícia Melo: Gestapelte Frauen (Unionsverlag)
Yassin Musharbash: Russische Botschaften (Kiepenheuer & Witsch)
Max Annas: Der Hochsitz (Rowohlt)
Candice Fox: 606 (Suhrkamp)
Regina Nössler: Katzbach (konkursbuch)
Johannes Groschupf: Berlin Heat (Suhrkamp)
Frank Göhre: Die Stadt, das Geld und der Tod
Tade Thompson: Wild Card (Suhrkamp)

Erfreut habe ich mich außerdem an:
Sven Regener: Glitterschnitter (Galiani)
Heinz Strunk: Es ist immer so schön mit dir (Rowohlt)
Gerhard Henschel: Schauerroman (Hoffmann & Campe)

Und noch etwas sehr Schönes:
Klaus Cäsar Zehrer: Das schreckliche Zebra (Diogenes)
Der Autor hat aus seiner und einer Privatsammlung von Elinor Richter Fotos ausgewählt und sich zu diesen Fundstücken wunderbare, lustige Geschichten ausgedacht. Ein in Leinen gebundenes Schätzchen.

Sonntagabend … ich gehöre zu den Irren, die noch jede Woche den »Tatort« angucken, für 2022 wünsche ich mir mal wieder ein paar richtig gute!

Claudia Denker ist freie Buchhändlerin in Berlin, Gründerin der Krimibuchhandlung „Hammett“ – und Freundin unseres Projekts von Anfang an. Ihre Beiträge zu unserer monatlichen „Schatzsuche“sind sehr geschätzt.

Garry Disher

I have long appreciated the dynamic role of the setting in crime fiction.  Settings are never static.  For example, a blameless house is altered when a murder occurs in it.  Blood is shed, DNA is left behind, experts poke and peer and collect forensic traces.  That evening, the house is displayed on the TV news.  Later still it lodges in public memory as a murder house.  Indeed, its unnerving reputation might grow or alter over time.

The movements of fictional characters also encourages setting dynamism.  Investigators are journeying characters, searching for answers, and this entails ongoing experiences of starting points, destinations, stops along the way and the journey itself.  At the same time, these investigators must trace the movements of other characters—to understand what brought the killer and the victim together in a certain place, for example, or where the killer went next. 

                  When writing a crime novel I ensure that each journey is an advance on what has so far transpired.  It might provide fresh knowledge, uncover new suspects and witnesses, be perilous or allow the main character some deeper understanding of the crime.  Even a futile journey is an advance, for now the investigator knows to seek a different route or approach.  Also, these journeys create tension and suspense when readers (and investigators) anticipate what might occur at each new place.

                  My outback cop, Hirsch, is constantly on the move.  In addition to his early-morning walks around the town and weekly long-distance patrols, he’s constantly driving to crime scenes, the homes of witnesses and suspects, and Monday briefings with his boss.  Being relatively new to the outback, he journeys with fresh eyes, providing a moving point of view.  He’s experiencing places actively when he approaches, studies and moves on from them, with the result that the setting continues to be vital, not only to the plot but also to his character and state of mind.

                    Roads and vehicles are central to his experiences of movement.  His police Toyota—a distinct place in itself—is linked to many other places because he’s always driving it purposefully to a new location while simultaneously speculating on what he’ll find there, reassessing what he’d found at the previous location, and familiarising himself with the passing terrain—which might sometimes hinder his movements (he’s halted by a bushfire, for example).  He is not in a ‘non-place’ when he drives his 4WD along an outback road but in a constantly moving place, traversing a constantly changing place.

                  And, come nightfall, he returns from some outlying place to his central hub—his home.  But home is a circumscribed place for Hirsch, three tiny rooms at the rear of the police station, and sometimes just as unsafe or disappointing as the distant crime scene he might have visited earlier that day.

Garry Disher steht mit Hope Hill Drive auf Platz 1 der Krimibestenliste des Jahres 2020 und ist nach 2017 mit Bitter Wash Road und 2018 Leiser Tod auf unserer „CrimeMag Top Eight 2020“. Bloody Questions von Marcus Münterfering. Alf Mayers Besuch bei ihm auf der Mornington Peninsula im Jahr 2016 „Der Schauplatz als Charakter.“ und ein zweites Mal in 2020.

Anita Djafari

Ich fang gleich mal an mit einem persönlichen Highlight, eine echte Überraschung: Die Verleihung der Übersetzerbarke durch den VDÜ (Verband der Übersetzer) mit einer herzerwärmenden Laudatio vom geschätzten Kollegen Ingo Herzke im Rahmen der 2021 zum ersten Mal in Berlin durchgeführten translationale. Das Programm „Neustart Kultur“ machte diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Weltlesebühne möglich. Die Übersetzerzunft wird immer besser darin, ihre wichtige Arbeit sichtbar zu machen. 

Es war wahrhaftig nicht alles schlecht in diesem Jahr. 

Wiederbegegnung durch Wiederentdeckung

Für mich hat sich eine Art Motto herauskristallisiert: Wiederbegegnung durch Wiederentdeckung. Im persönlichen Bereich sind das sowieso Glücksfälle, aber auch beim Wiedersehen von Kunst, Wiederhören von Musik und vor allem Wiederlesen von Literatur. Wenn die Begeisterung noch da, aber eine vollkommen veränderte ist, weil man sich selbst – offenbar und gottlob – auch verändert hat. 

So ging es mir mit den Gedichten und Geschichten von Marie Luise Kaschnitz, in die ich mich nochmal vertieft habe für ein Gespräch mit der klugen vielwissenden Ina Hartwig, das wir in Kooperation mit dem HR und den BücherFrauen Frankfurt in der Buchhandlung Schutt aufgezeichnet haben (leider mussten wir die von Ingrid El Sigai gelesenen Gedichte rausschneiden, die Rechte zu teuer). Nachlesen lohnt sich. 

Das Format „Frankfurt liest ein Buch“ ist einsame Spitze für literarische Ausgrabungen oder Wiederbelebungen. So dürfen wir uns jetzt auf Irmgard Keuns Roman Nach Mitternacht freuen. Selten so ein gutes Buch über die Atmosphäre im Dritten Reich gelesen, von einer, die noch länger im Land ausgehalten hat, aber dann doch 1936 ins Exil musste und es dort verfasst hat. Fast vergessen, diese interessante, mutige und freche Autorin, zu oft nur als kurzzeitige Gefährtin von Joseph Roth erwähnt, aber jetzt doch wieder zum zweiten oder dritten Mal gewürdigt. In den 70er Jahren war es die Schriftstellerin Ursula Krechel, die dafür gesorgt hat, dass sie wieder gelesen wurde. Jetzt läuft im Schauspiel Frankfurt „Nach Mitternacht“, immer ausverkauft. Eine Neuauflage des Romans kommt bei Claassen Ende Januar 2022 heraus. Im Mai gibt es jede Menge Veranstaltungen. 

Zum Thema Nazis, Krieg, Exil, Nachkrieg noch zwei ergänzende Lektüreerlebnisse, die bei mir nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Uwe Wittstock hat sich in seinem Buch Februar 33. Der Winter der Literatur auf die wenigen Wochen zwischen Machtergreifung und Wahl konzentriert und anhand des jeweiligen Alltags vieler Literaten und Kulturschaffenden, von Brecht über Döblin,  die Familie Mann, Gabriele Tergit und vielen vielen anderen,  erzählt, wie der Alltag der Menschen aussah, für die es plötzlich zu gefährlich geworden war,  im Land zu bleiben. 

Wie es nach Kriegsende weiterging mit den Nazis lernt man in Andreas Pflügers Roman Ritchie Girl. Ein supergut recherchierter, fulminanter Roman über die Rolle unserer Befreier, der Amerikaner, beim Aufbau des Bollwerks gegen den Kommunismus. Erhellend, auch wenn man vieles schon wusste, aber in dieser komprimierten literarischen Aufarbeitung erschütternd zu lesen, wieso, weshalb, warum so manche Nazi-Größen auch weiterhin „Größen“ sein konnten. 

Und auch wenn mich gerade diese besonders dunkle Seite unserer eigenen Geschichte wieder beschäftigt, werfe ich doch nach wie vor gerne den Blick über den Tellerrand: 

So gehören zum Glück des Wiederentdeckens für mich die Bücher von Jamaica Kincaid. Ich fand diese karibisch-amerikanische Autorin schon vor 20, 30 Jahren gut und hab nie verstanden, warum sie bei uns trotz vieler Übersetzungen ins Deutsche nicht angekommen ist. Aber jetzt bringt der Kampa Verlag ihr Werk wieder heraus. Die Zeit für ihre besondere Art des Schreibens scheint hierzulande erst neuerdings gekommen zu sein. Mich zieht Kincaid immer wieder in ihren Bann mit ihrer Methode der Autofiktion, die sie so gut draufhat, als hätte sie sie erfunden. Jenseits aller Moden, dabei zwischen den Zeilen feministisch, antirassistisch, antikolonialistisch.  Zum Kennenlernen ihres besonderen Sounds empfehle ich den schmalen Roman Mister Potter, mit dem sie sich ihren Vater, den sie nie richtig kennengelernt hat, mit ihren ganz eigenen Mitteln erfindet.

Und dann noch Abdulrazah Gurnah mit dem Literaturnobelpreis. Selbst für uns Litproms kam die Botschaft so unerwartet, dass es bei mir zumindest kurzfristig eine Art Schockstarre oder Blackout ausgelöst hat. Erst im Austausch mit den Kolleg*innen wurde klar: Er war doch im Jahr 2016 bei unseren eigenen Literaturtagen und saß dort auf dem Podium. Und ich hatte doch vor vielen Jahren mit großer Freude Bücher von ihm gelesen. Sein Buch Ferne Gestade war doch schon 2001 ein Titel im Anderen Literaturklub.

Auch Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe (Friedenspreis des deutschen Buchhandels) und Damon Galgut aus Südafrika (International Booker Prize) haben den Literaturbetrieb völlig überrascht. Mal sehen, wie nachhaltig das aufgeflammte (und bisweilen vom „Betrieb“ sehr beflissen geäußerte) Interesse ist. Ich empfehle (nicht nur dem Feuilleton) zur Vorbeugung gegen ähnliche Überraschungsmomente die regelmäßige Kenntnisnahme der Bestenliste Weltempfänger (www.litprom.de), die unter anderem hier in diesem formidablen Magazin alle drei Monate veröffentlicht wird.

Es wäre schön, wenn sich der Diskurs über den viel strapazierten Begriff „Diversität“ einfach verstetigen und weniger hysterisch geführt würde.  In allen Bereichen. 

Neue Formate 

Auch wenn wir es satthaben, die meiste Zeit über Kacheln auf dem Bildschirm zu kommunizieren – ein paar Formate, die sich aus der Not entwickelt haben, dürfen von mir aus gern beibehalten werden.  Dazu zähle ich die schöne Idee von Tralalit. Eine Art virtueller Lesezirkel, man meldet sich an und spricht über die Übersetzung eines Buchs mit der Übersetzerin oder dem Übersetzer, alle bringen sich ein. Bis jetzt habe ich es nur einmal mitgemacht mit dem Buch Gestapelte Frauen der Brasilianerin Patricia Melo, mit ihrer Übersetzerin Barbara Mesquita. Zwei Stunden ernsthafte Diskussion über das schwierige Thema Femizide (im brasilianischen Urwald), das Melo in einen so stimmigen Roman gepackt hat, dass die Lektüre einem nicht nur einmal den Atem stocken lässt und gleichzeitig in Atem hält. Darüber zu sprechen in einer ruhigen und souverän von Lisa Mensing moderierten Veranstaltung, tat einfach gut. 

Und last but not least: ein neues Format für die Ohren. Ich habe ein bisschen rumprobiert und geübt und im neuen Jahr legen wir los mit der Umsetzung von „Plan B – der Bücherpodcast“ in der Frankfurter Buchhandlung Schutt. Mit der Inhaberin Angelika (Judy) Schleindl habe ich irgendwann mal zusammen studiert. Wie gesagt: 2021 war für mich das Jahr der Wiederbegegnungen. Es ist schön, wenn daraus Neues entsteht. 

Anita Djafari ist Literaturvermittlerin und Jurysprecherin der Litprom-Bestenliste Weltempfänger

Danny Dziuk: Kuhhandel 

„Ohne Kunst & Kultur wird’s still“ hat zwar seine Berechtigung, aber was mich daran dann doch nervt: was mit „Kunst und Kultur“ gemeint ist. Nämlich unterschiedslos alles. Vom subtilsten Theatergenie bis hin zum einfältigsten Schlagerschmierlapp: Alles Kunst & Kultur. Und wenn dann noch das Argument des „sechstgrößten Wirtschaftszweiges im Land“ dazukommt, gerät auch der Rest vollends durcheinander. Wo etwa ein Grönemeyer behauptet, dass ein Kollaps der Veranstaltungsbranche jeglichen „Raum für Verblödung“ öffne: könnte man dem nicht ohne Übertreibung genausogut entgegenhalten, dass gerade die größten und wirtschaftsträchtigsten Events die verschiedensten Arten von Verblödung doch eigentlich erst erzeugen?

Und weshalb war Kunst & Kultur jetzt nochmal „systemrelevant“? Wegen besagter Wirtschaftskraft oder der ohne sie angeblich drohenden „Verblödung“? Oder wegen beidem? Und für welches „System“ eigentlich „relevant“? Könnte einem jemand das vielleicht mal genauer erklären?

„Es wäre unfair“, sagt jedenfalls Marina Anna Eich (die gleich einen ganzen Film über „Alarmstufe rot“ gedreht hat), „Nahrung für Geist und Seele so abzustempeln“, als wäre sie etwas Zweitrangiges. Nahrung für Geist und Seele: das gelte für „Mario Barth bis Hölderlin.“ –

Mario Barth also als „Nahrung für Geist und Seele“. Und ein größeres Lob, als mit Hölderlin in eins gesetzt zu werden, wird Mario Barth auch wohl nie wieder erfahren (und Hölderlin eine größere Herabsetzung im Gegenzug sicher auch nicht). Und ist es da nicht durchaus legitim zu fragen, ob durch solche alles-scheißegal-Nivellierungen nicht viel mehr an Kultur kaputtgeht als durch die Lockdowns?

Wenn der Preis für die Künstler und deren Solidarität mit „Alarmstufe rot“ also darin bestehen sollte, stillschweigend solche Kröten schlucken zu müssen, da wäre ich für meinen Teil dann doch lieber Bankangestellter oder Tankwart, allein schon um mich von solchem Wirrsinn nicht verrückt machen zu lassen. Henry Miller meinte mal sinngemäß, dass Goebbels zwar eine durch und durch verkommene Person und jeder seiner Atemzüge eine haarsträubende Lüge gewesen sei, aber einen Satz von ihm würde er dennoch unterschreiben: „Sobald ich das Wort Kultur höre, ziehe ich die Pistole.“ Nun, über einen derartig schwarzgalligen Humor verfüge ich zwar nicht, aber wenn Hölderlin und Barth in dieselbe Schublade gehörten (und danke für diese Vorlage übrigens, denn derartig krass hätt ich´s selber nicht zuzuspitzen gewagt), dann wäre selbst Börsenabzocker ein noch geradezu ehrbarer Beruf: da geht´s dann wenigstens direkt um´s Geld, und die arme Kultur muss nicht auch noch zusätzlich drunter leiden. 

Ich höre übrigens gerade einen Vorwurf lauter werden: nämlich dass man in einer Situation wie dieser nicht auch noch „das Qualitätsfass aufmachen“, sondern bitteschön gefälligst solidarisch sein sollte. Denn um politische Forderungen durchzusetzen, brauche es manchmal eben schräge Allianzen, das wisse doch jeder. Einverstanden, antworte ich, nur sollte man trotzdem keinen Moment vergessen, mit wem man dann da auf der Barrikade steht: nämlich mit ausgemachten Ramschhändlern & Etikettenschwindlern, denen jegliche Qualität außer der von Verkaufszahlen schnuppe ist, aber dennoch die Reste von Kultur, die es wert sein könnten, als Alibi dafür verwenden, sich ihre Geschmacksbeleidigungen auch noch staatlich subventionieren zu lassen. 

Ich kenne einen Musiker, der beim Posten von „Alarmstufe rot“ immer gern vorne mit dabei war und ansonsten seine Bewunderung für Jürgen Drews etwa folgendermaßen mal begründete: dass Letzterer zwar auch selber genau wisse, dass es der reinste Schrott sei, womit er pausenlos den Rest der Welt zumüllte, aber bewundernswerterweise genau das dennoch eisenhart durchziehe, „ohne daran kaputt zu gehen oder zum Vollalk zu werden.“ Da lob ich mir doch die Vollalks. Und von wegen „Ohne Kunst und Kultur wird´s still“: hätte denn eine solche Stille nicht auch etwas geradezu Himmlisches?  

Ja, das sind so Fragen, die übrigbleiben, wenn man sich wie ich zumindest teilweise für „Alarmstufe rot“ engagiert hat. Und wie über alles, was einem Bauchschmerzen bereitet, die man gerne loswerden möchte, kann man auch darüber dann eben ein Liedchen schreiben.

Danny Dziuk, „der Große im Hintergrund“ (FAZ), Autor, Komponist, Sänger, Arrangeur und vieles mehr … Seine Webseite Dziuks Küche.

Und natürlich jetzt hier mit dem passenden, eigens geschriebenen Song:

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