Geschrieben am 1. Dezember 2021 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2021, News

TW zu Omar Shahid Hamids Polit-Thriller “Verrat“

Politik und Moral

Der klassische Polit-Thriller oder Spionageroman des Kalten Krieges hat ein großes Zentralmotiv, eine Herzkammer, die den Text generiert: Den Verrat, für dessen Personifikation der Maulwurf steht.  Die duale Struktur der damaligen Welt, die beiden „Blöcke“, Ost und West, ist die Voraussetzung dafür, dass der Maulwurf, obwohl das essentiell-pragmatische Werkzeug der Wahl in diesem Konflikt, eine moralische Figur wird, wenn er tut, was er tun soll: Verrat an der eigenen Sache üben.  Moralisch deswegen, weil beide Parteien für sich reklamieren, die Guten zu sein. Und die anderen die Bösen. Natürlich haben Autoren wie Len Deighton, Robert Littell, James Grady, Brian Freemantle oder Ross Thomas diesen Dualismus fleißig zersetzt und auf seine Fragwürdigkeit abgeklopft. John LeCarré ging in seinem letzten Buch „Silverview“ (meine Besprechung hier) sogar so weit, den Maulwurf und die mit ihm verknüpfte Konfliktlage als rein literarisches Spiel, als Zeichenoperation zu bezeichnen.  Man kann das auch als Kapitulation vor der Komplexität der Jetztzeit verstehen, der man mit dualistischen Voraussetzungen nicht einmal mehr literarisch beikommt. Obwohl: Vielleicht sortiert sich die Welt gerade schon wieder neu. Statt dem guten alten Dualismus scheint sich ein Triangel aus USA, China und Russland zu formieren, das dann wiederum mit „Werten“ besetzt ist und sich sozusagen re-moralisiert. 

Pakistanisch-indische Gemengelage

Der bemerkenswerte pakistanische Autor Omar Shahid Hamid, exilierter Ex-Polizist aus Karachi, benutzt für seinen dritten Roman (nach „Der Gefangene“ und „Der Jihadist“) einen realpolitisch existenten Dualismus: Den zwischen den beiden Atommächten Pakistan und Indien, mit dem historische bedingten Zankapfel Kaschmir. Was wäre, fragt Hamid, wenn die beiden Antagonisten versuchten, eine friedliche Einigung herbeizuführen, statt auf Konflikt auf Verhandlungen setzten? Samir Ali Khan, der Sicherheitsberater des pakistanischen Premierministers hängt solchen Überlegungen an. Seine eigene Familie ist Opfer islamistischen Terrors geworden, danach hat er als hoher Polizist gnadenlos zurückgeschlagen, bis er in das politische Amt berufen worden war. Des Tötens müde, versucht er, mit der indischen Seite ins Gespräch zu kommen. Die Inder aber haben einen Maulwurf ganz oben in der Machtstruktur einen Maulwurf platziert, Deaf Leopard mit Codenamen.

Ein Triumpf für den indischen Auslandsgeheimdienstchef V.S. Krishnamurty, der als Genie im Spionagegewerbe gilt. Allerdings sind auch nicht alle Pakistanis mit Ali Khans Friedenspolitik einverstanden, weil Geschäftsinteressen einer Deeskalation im Wege stehen. Konfrontation ist wesentlich profitabler als Verständigung. Wie könnte man also Ali Khan aus dem Spiel nehmen? Er hat eine wunde Stelle – seine alte Liebe Alina, die, aus reichem pakistanischen Hause, als Model und Modeunternehmerin globale Karriere gemacht hat (sie hat, netter Joke, ihr Pariser Modeimperium von einem schwulen Modeschöpfer namens „Karl“ geerbt). Aus verwickelten Gründen hatte Alina Ali Khan vor Jahrzehnten verlassen, jetzt nähern sich die beiden wieder an. Durch einen sehr grimmigen Zufall hört ein pakistanischer Geheimdienst, der, der Ali Khans Politik sabotieren möchte (Pakistan ist ein Irrgarten konkurrierender Dienstes, das ist realiter so) Alinas Telefon ab, als das Wort Deaf Leopard fällt – sprechen Sie das bitte Englisch aus und lassen Sie Ihrer Assoziation freien Lauf, heraus kommt  ein irrer, sehr komischer Gag. Ist Ali Khan der Maulwurf? Diese Idee gefällt auch den Indern. Und Alina ist mit einem unehelichen Sohn erpressbar, den sie als Kind weggeben hatte und der zum fanatischen Dschihadisten geworden ist.  Um ihren Sohn zu retten, muss sie Ali Khan verraten. Und so nimmt eine blutige Tragödie ihren Lauf, an deren Ende … 

Moral

Alles andere wäre jetzt gespoilert, nur soviel: Omar Shahid Hamid demontiert, ähnlich wie LeCarré, den angeblich wertebasierten Dualismus zwischen Indien und Pakistan. Das ist Sarkasmus auf hohem Niveau. Und verschiebt die dem Thema „Verrat“ implizite moralische Dimension ins Private. Alina, die einzige Frau in einer zynischen Männerwelt, muss die Last des guten und richtigen Verhaltens tragen. Sie muss moralische Optionen ziehen, auch wenn die die Wahl zwischen Pest und Cholera sind, während die Herren von solchen Gedanken weitgehend frei sind. Ein böser, fieser Kommentar zu den realen Geschlechter- und Machtverhältnissen, nicht nur in Pakistan.

„Der Verrat“ liest sich auf den ersten Blick wie ein stocksolider, klassischer Spionageroman aus einem weltpolitischen Hotspot (ob wir uns leisten können, nicht in diese Gegend schauen?), was schon spannend und interessant genug ist. Seine implizite Zwiebelstruktur, die Dimension um Dimension freigibt, je genauer man sich auf das Buch einlässt, packt aber noch ein paar Qualitäten obendrauf, die ihn eben nicht zu einem bloß gelungenen Re-Writing alter Muster macht. Omar Shahid Hamid ist ein noch weit unterschätzter Autor, eine aufregende neue Stimme aus der vermeintlichen Peripherie, die sich als zentral erweist.

© Thomas Wörtche 

Omar Shahid Hamid: Verrat (Betrayal, 2021). Deutsch von Almuth Degener. Draupadi Verlag, Heidelberg, 2021. 327 Seiten, 19,80 Euro.

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