
Butler trifft es letztlich nicht so ganz, aber das ändert nichts an der Substanz
Wie der britische Butler Kleptokraten und Oligarchen bei der Geldwäsche unterstützt: Der britische Investigativ-Journalist Oliver Bullough entlarvt in seinem Band „Der Welt zu Diensten“ (Textauszug bei uns hier) ein marodes Finanzsystem, dessen harmloses PG Wodehouse-Image Bestandteil eines korrupten, inkompetenten Systems sein soll. – Von Peter Münder. (Siehe auch unseren Textauszug und eine erste Besprechung in unserer Juni-Ausgabe.)
Seit 2016 gibt es die Londoner „Kleptocracy Tour“, bei der man auf einer Busfahrt durch Knightsbridge, Kensington und Hampstead millionenschwere Plutokraten-Immobilien in Augenschein nehmen kann. Dabei soll das von Oliver Bullough sogenannte „Butler“-System als Beweis für die Unterstützung von Steuerhinterziehung, Geldwäsche und anderer Finanzdelikte dienen. Putins Mitläufer und Mafia-Bosse aus dem Umfeld der „Tambow-Bande“ konnten schon seit Jahren große Vermögen zwischen BVI (British Virgin Island)-Refugien, den Seychellen, London, Gibraltar und Schottland investieren und waschen. Die bürokratischen Hilfstruppen, die diese illegalen Millionen-Transfers an offiziellen Hürden vorbei lavierten, nennt Bullough „Butler“, weil sie nach seiner Ansicht ähnlich wie der legendäre, von PG Wodehouse (1881-1975) geschaffene Jeeves als clevere und kreative Diener vorgehen. Den Hinweis auf Wodehouse und dessen Romanfigur Jeeves liefert Bullough schon in seinem Vorwort, ohne jedoch auf dubiose Aspekte in dessen Biographie einzugehen: Schließlich arbeitete der Journalist und Romanautor Wodehouse nach seinen ersten Bankererfahrungen bei der Hongkong & Shanghai Bank später während des Zweiten Weltkriegs nach seiner Internierung durch die Nazis als Propaganda-Sprecher für Hitlers Rundfunk, was von den meisten Briten jahrelang als eine Art Hochverrat bewertet wurde. Aber abgesehen von Wodehouse und seinen kindischen Texten für Hohlköpfe und senile Pensionäre halte ich Bulloughs Butler-Vergleiche für überzogen und überflüssig, weil die wirklich gigantischen, kriminellen Machenschaften im Bereich britischer Finanzbehörden ohne irgendwelche Butler durchgezogen und von mafiösen Gruppierungen organisiert wurden.
Weder benötigte die Danske Bank 2018 Butler-Dienste für ihre betrügerischen Geldwäsche-Transfers (200 Milliarden Euro von Rußland nach Estland), noch musste der korrupte FIFA-Apparat für seine Finanz-Machenschaften mit internationalen Fußball-Vereinen, Olympia-Veranstaltungen, Bestechungsgeldern usw. irgendwelche Helferlein bemühen. Auch Roman Abramovich konnte übrigens den englischen Verein Chelsea Football schon 2003 für 150 Millionen Pfund ohne fremde Hilfe kaufen. Offenbar war die Übernahme von Chelsea jedoch lange im voraus mit Putin abgesprochen und sollte für einen großen russischen Prestige-Schub sorgen. Abgesehen davon wurde Abramovich von vielen Status-verrückten Engländern als neuer Heilsbringer verehrt, weil seine pompöse Yacht und seine private Boeing ihm einen Sonder-Status verschafften und er als sympathischer Kicker-Experte und „instant celebrity“ akzeptiert war, wie Catherine Belton in „Putin´s People“ konstatiert. Sie hatte übrigens auch eruiert, dass die massivsten russischen Finanzdelikte nicht durch britische Butler eingefädelt waren, sondern durch Tony Blair: Der wollte den aus Russland einsetzenden Cash Flow vor allem nach London umlenken, weil die Vorschriften für ausländische Investoren in New York viel zu rigide und zeitraubend waren und für Londoner Broker weniger Hürden existierten, die dementsprechend fettere Boni generierten. Das so hübsch tönende Gerede über „Liberalisierungsprozesse“ im russischen Finanzsektor war ja nur der übliche Hype gewesen, mit dem man diesen Sog nach Westen in Gang hielt.
Suez, Tanganjika, schottische SLP-Waschmaschinen
Oliver Bullough, Jahrgang 1977, wuchs auf einer walisischen Schaf-Farm auf, studierte Modern History in Oxford und setzte sich nach dem Studium 1999 in den Osten ab, nachdem er den „Lonely Planet Guide to Russia“ gelesen und einen Russisch-Kurs belegt hatte. Nach einem Job bei einem englischsprachigen Magazin in St. Petersburg wechselte er nach Bishkek in Kirgisistan zur „Times of Central Asia“ und berichtete von dort auch als Reporter während des Tschetschenien-Kriegs. Er gehört in die Liga der Abenteurer, Kriegsreporter und Fotografen, die wie Redmond O´Hanlon („Congo Journey“), James Fenton („All the Wrong Places“), Tim Page, Michael Herr und Don McCullin („Unreasonable Behaviour“) während des Vietnamkriegs am liebsten exotische, gefährliche Zonen erforschten, die noch echte Herausforderungen bieten konnten. Bullough bedient als Reporter und Analytiker ein breites Spektrum: Analysen zu Politik und Wirtschaft liefert er für das Institute for War and Peace Reporting, Granta und den Guardian, während er in seinem Reisebericht „The Last Man in Russia“ (veröffentlicht 2013) seine russische Quest auf der Suche nach dem orthodoxen, vom System verfemten und schon länger verschwundenen Priester Dmitry betreibt. Dessen traditionelles Wertesystem symbolisiert für Bullough einen stabilen Kodex, der in einer turbulenten Phase pulverisierter Umwertung aller Werte keinen Bestand mehr hat. Im Schneetreiben bei über dreißig Grad Minus, im Gespräch mit ehemaligen Gulag-Insassen, benebelten Alkoholikern und verarmten Randexistenzen spürt der walisische Reporter zwischen Moskau und Sibirien der russischen Seele nach. Und will sowohl Prozesse der Verarmung und Vereinsamung als auch die zunehmende russische Brutalität und Isolation unter die Lupe nehmen. Schlüssige Antworten hat er nicht gefunden, dafür jedoch etliche Freunde.
Im Jahr 2006 kehrte Bullough zurück nach London. Zehn Jahre später, nach dem von Putin angezettelten Krieg gegen die Ukraine, hat sich für Oliver Bullough jedenfalls das Thema russische Korruption und Geldwäsche in Großbritannien zum dominierenden gesellschaftlichen Leitmotiv entwickelt. Und sein Furor angesichts des laschen, indifferenten bürokratischen Umgangs mit Geldwäsche und dubiosen Oligarchen-Millionen wurde immer gewaltigerer, als er feststellen musste, dass sich der Putin-Freund Dmytro Firtasch in England als spendabler Uni- Mäzen in Cambridge, Regierungsberater in Whitehall und Käufer einer stillgelegten Londoner U-Bahn-Station in Knightsbridge (für 53 Milllionen Pfund) gerierte. Inzwischen konnte das FBI ihn in Wien verhaften lassen und einen Antrag zur Auslieferung an die USA stellen.
In den zehn Kapiteln seines Buchs gibt es etliche mit faszinierenden Überraschungseffekten, aber auch welche mit langatmigen eher akademischen Rückblenden in die Epoche von Julius Nyerere in Tanganjika oder Anekdoten über die Veteranen der Suez-Kanal-Gesellschaft („Sonne, Sand, Kanal“), die an die Bedeutung des Kanals für den britischen Handel mit Indien erinnern sollen. Faszinierend sind dagegen die Episoden aus schottischen „Waschsalons“ mit ihren speziellen SLP-Verträgen zur Wahrung absoluter Anonymität toxischer Verträge und krimineller finanzieller Machenschaften.
Die uralten SLPs (Scottish Limited Partnership) waren eigentlich längst in Vergessenheit geraten, als der Milliarden-Dollar-Coup um drei geplünderte moldawische Banken (mit Kreditschwindel) in Edinburgh aufflog – was Ian Rankin ja auch in „Rather be the Devil“ verarbeitete. Erst nach Hinweisen eines Kollegen von Bullough kümmerten sich einige Bürokraten schließlich um diesen Skandal. Und das U-Bahn-Kapitel über die gekaufte Station in Knightsbridge kann auch nur darüber spekulieren, ob dort unten vielleicht schrill beleuchtete Discos, Restaurants oder etwa eine Dependence von Madame Toussaud’s eröffnet werden sollte.
Bullough will uns einen Überblick/Rückblick auf die letzten siebzig Jahre liefern, in denen nach seiner Ansicht Großbritannien zur globalen Diener-Gesellschaft mutierte. Aber wird die Fassade des harmlos-komischen Dieners inklusive banaler Verstrickungen unter debilen Hohlköpfen, in denen es um verschwundene Regenschirme und lächerliche Affären geht, wie sie Wodehouse immer wieder (etwa in „The Inimitable Jeeves“ oder „Right Ho, Jeeves“) aufbaute, überhaupt weiterführend für das Verständnis international operierender Geldwäsche-Banden?
Mit Empörung und furiosen Sanktionsbestrebungen waren ja allle möglichen Instanzen gegen Mafia-Clans und gut getarnte Oligarchen vorgegangen, als mehrere internationale Journalisten-Gruppen 2016 die Panama-Papers enthüllt hatten. Zu den großen Überraschungen gehörte ja auch das Phänomen „Roldugin“: Über zwei Milliarden Dollar waren über Dokumente mit diesem Namen aus Russland geschleust und deponiert worden – Roldugin entpuppte sich aber nicht als Bankier oder Öl-Magnat, sondern als Petersburger Cellist und Vertrauter bzw. Strohmann in Putins Diensten, der später erklärte, dringend Geld zu benötigen. Roldugins Bruder hatte zusammen mit Putin beim KGB gedient.
Inzwischen hat der menschenverachtende Kriegstreiber Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesselt, während nicht nur Catherine Belton („Putin’s People“) oder die Autoren/innen des Putin-„Schwarzbuchs“ (meine Besprechung hier) akribisch die Karriere des KGB-Agenten Putin zum Chef der Oligarchen beschrieben haben – inklusive der kriminellen Aktionen, Strafaktionen und des Mafia-Biotops, von dem Putin protegiert wurde. Das lächerliche „Jeeves“-Image scheint mir auch angesichts der jahrelang in Übersee praktizierten Butler-abstinenten Geldwäsche nicht nachvollziehbar zu sein.
Inzwischen rücken allerdings auch immer mehr ukrainische Oligarchen und Banken in den Strudel offiziellerErmittlungen: In diesen Tagen begann am High Court in London ein Prozess gegen die Ukraine-Bank, bei dem es um betrügerische Kredite und Veruntreuungen von 5,5 Milliarden Dollar geht. Diebeiden Oligarchen Ihor Kolimojskyj und Gennadi Bogoljubow sollen die 2016 verstaatlichte Privatbank jahrelang als gigantische Geldwäsche-Maschine betrieben haben. Weil einige der beteiligten Scheinfirmen auf den British Virgin Islands registriert waren, wird das Gerichtsverfahren nun am Londoner High Court durchgeführt. Ohne angeklagte Butler!
Peter Münder
Oliver Bullough: Der Welt zu Diensten. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde (Butler to the World – How Britain became the servant of tycoons, tax dodgers, kleptocrats and criminals, 2022). Aus dem Englischen von Rita Gravert und Sigrid Schmid. Verlag Antje Kunstmann, München 2023. 272 Seiten, 26 Euro.