Geschrieben am 1. September 2019 von für Crimemag, CrimeMag September 2019

Katja Bohnet über Ivy Pochoda „Wonder Valley“

Mit einer Prise Oxikodon

Rezension von Katja Bohnet

Ein Cover wie ein guter Tripp. Palmen, Froschperspektive — Filterlove! Der Roman „Wonder Valley“ erzählt über das Tal, in dem Träume zerbrechen. Vielleicht das tote Tal. Menschen sterben, werden erdolcht. Obwohl der gewaltsame Tod passiert, legt die Autorin keinen Thriller vor. Ivy Pochodas schreibt über Los Angeles, die Stadt, die nie hält, was sie verspricht. Nur, weil die Sonne scheint, muss das Leben noch kein gutes sein. Ein Roman, den man mit einer Prise Oxikodon leichter erträgt.

Kaputte Typen

Die Geschichte beginnt mitten im Zentrum. Ein Flitzer hält die Stadt in Atem. Die Ironie: Nacktheit bewegt die Menschen im Sonnenstaat mehr als Armut, mehr als eine abgefuckte Klimapolitik, mehr als Rassismus oder ein Grabscher an der Spitzeder Nation. Foucault ist eben überall. Besonders in Amerika.Vier separate Geschichten, die aufeinander zustreben. Vier Lebensformen, die schicksalhaft miteinander verwoben sind. (Wir sind Teil eines Ganzen. Alles ist miteinander verbunden. Der menschliche Schmetterlingseffekt.) Ein Durchschnittsamerikaner (Tony), dem langsam der Lebenssinn abhanden kommt, Britt, die zusammen mit jungen Praktikanten auf einer Farm mittels des Shamanismus zu einem besseren Leben, zur Einsicht bekehrt werden soll, ein aus dem Gefängnis Entlassener (Ren) auf der Suche nach seiner Mutter (als obwir das nicht alle wären!)und zwei obdachlose Gewalttäter (Sam und Blake), Säufer, Diebe, Penner, die wahlweise Schach spielen oder Spielfiguren durch die Gegend werfen. In Pochodas Roman ist die Gewalt allgegenwärtig. Aber es handelt sich besonders um die Gewalt der sozialen Systeme, familiäre oder psychische Gewalt. Man bemerkt es nur nicht, weil sie so selbstverständlich ist wie die stickige Luft, die zum Atmen im Sonnenstaat noch bleibt.

Suche ohne Schatz

In unwiderstehlicher Sprache berichtet Pochodas über jedes Detail verlorener Seelen. Menschen, die alle suchen, aber nichts mehr finden können. „“Kennst du dieses Gefühl, dass du nirgends hingehörst? Dass die Welt nicht für dich gemacht ist?“„Schon.“ Wobei es in Rens Fall kein Gefühl war, es war eine Tatsache so gewiss wie sein eigener Herzschlag.“

Ivy Pochoda

Falls das Ende dieser Geschichten nach fast vierhundert Seiten ein Happy End sein sollte, werden Sie es nicht bemerken. Warum man diesen Roman über die großen Verlierer einer Gesellschaft nicht in hohem Bogen wegschmeißt? (Mal ehrlich, sind die Abendnachrichten nicht schon deprimierend genug?) Weil in all dem Hühnerdreck, dem Schlachtblut, verwesendem Fleisch und Absturz die Menschlichkeit besonders hell leuchtet. Gute Worte, Freundschaft, Mutterliebe (sie kommt seltsam daher, aber ist das nicht immer so?), Teamwork, Sex. Soldarität bedeutet etwas. Manchmal alles, wenn um uns herum nur noch Ausbeutung, Sucht,organisierte Kriminalität und Rassismus existiert. Dieses leise Lüftchen Hoffnung umweht den Sündenpfuhl. Das Sodom und Gomorrah unter Palmen.

Gewalt muss sich entladen

Wenn also eine der Figuren über dreihundert Seiten stirbt, kommt es fast einer Erleichterung gleich, wenn sie endlich auch noch erstochen wird. Wenn Kriminalität sich entlädt, gleicht sie oft einer Epiphanie. Auf verbrannter Erde gedeiht neue Frucht. Der Teufel soll diese Stadt und ihre Menschen holen, und verlassen Sie sich drauf: Er tut es auch! „Schau sie dir an, diese Leute in ihren Wagen, die überquellen von Sachen: Rücksitze vollgehäuft mit Ersatzkleidung und Notfallsnacks, und unter den Sitzen so viel verlorenes Zeug, dass es für ein ganzes Leben reichen würde.“Was man diesem Buch vorwerfen kann: Es entwickelt keinen Sog. Das Erzählte ist langsam, es wird beobachtet, beschrieben. Figuren denken nach. Oft Merkmal der Belletristik, das vermeintliche Kennzeichen „ernst zu nehmender“ Literatur. Was man diesem Buch hoch anrechnen muss: Es sieht genau hin. Auf Amerika, auf L.A., die Stadt. Die Autorin liebt ihre Figuren, die (Funfact, Tragik?) überwiegend Männer sind. Die in der Bekehrungskommune gestrandete Leistungssportlerin Britt könnte ein Abbild der Autorin sein (Pochodas spielte einst professionell Squash), wenn biografische Ansätze irgendeinen Mehrwert bieten würden. (Haben sie das je getan?)

Tod im Paradies oder: Das Paradies ist tot

Dieses Paradies ist nicht mehr zu retten. Lassen Sie es untergehen! Es gibt vielleicht keine Hoffnung, aber zumindest unter den Menschen Absolution. Britt, Ren, Tony, Blake und James müssen lernen: Du kannst mit Rache im Herzen, Wut, dem Gefühl, abgehängt zu sein, mit Angst, Sinnlosigkeit, Sucht oder Einsamkeit einDasein fristen, aber dieses sogenannte Leben wird dich langsam auffressen. Wer trägt die Schuld? Die Stadt? Das Land? Die Politik? Oder ein jeder selbst, der es nicht vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen will? Pochodas findet eine klare Antwort dafür: Ihre Figuren müssen in die Hölle dieses kaputten Amerikas hinuntersteigen, um durch das Feuer gereinigt wieder ins Leben hervorzugehen.

Katja Bohnet

  • Ivy Pochoda: Wonder Valley (2017). Deutsch von Sabine Roth und Rudolf Hermstein. Ars Vivendy Verlag, 2019. 395 Seiten, 18 Euro.

Ein Textauszug aus „Wonder Valley“ bei CrimeMag hier. Rezension von Andrea O’Brien hier. Katja Bohnets Hazel Frost liegt gerade in den Buchhandlungen und wird bei uns in den „Bloody Chops“ besprochen. Zwei CrimeMag-Besuche bei ihr hier und hier.
Katja Bohnets Texte bei CrimeMag hier.

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