Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Alf Mayer: Interview mit Katja Bohnet zu „Krähentod“

„Ich beschäftige mich nicht lange damit, ob man etwas darf oder nicht“

Blut kennt der Polizist Viktor Saizev besser als Wasser, heißt es ziemlich am Anfang von „Krähentod“, dem dritten Buch mit dem Ermittlerpaar Rosa Lopez und Viktor Saizev vom Landeskriminalamt Berlin, Delikte am Menschen. Der Roman spielt weitgehend innerhalb weniger Tage in Moskau. Viktor will dort Urlaub machen, schon am Flughafen wird direkt neben ihm ein Mann erschossen und er landet – auch dank eines alten Haftbefehls – im Gefängnis. Das ist erst der Anfang.

Dieses Mal treffen wir uns in Frankfurt. Samstagmorgen, Flohmarkt-Tag. Die Küchenuhr bei Katja Bohnet zuhause ist mir unvergesslich. (Mein Hausbesuch bei ihr hier.) Wir haben den Eisernen Steg als Treffpunkt ausgemacht, sie kommt von der Flohmarktseite herüber. Ist gut gelaunt. Eigentlich will ich als Erstes fragen, ob sie denn schon etwas gefunden hat, vergesse das aber, weil es gleich zur Sache geht.

Küchenuhr im Hause Bohnet

Alf Mayer: Bei deinem neuen Buch ist es ziemlich schwierig, eine inhaltliche Frage zu stellen, ohne sofort ein Spoilern zu riskieren. Trotzdem müssen wir über die Toten reden, die es in „Krähentod“ gibt, da sind ja auch wichtige Personen dabei.

Katja Bohnet: Tja, Schnitter Tod … Wenn er kommt, dann erntet er. Ich weiß vorher nicht so genau, was meinen Figuren passiert. Das entwickelt sich erst beim Schreiben. Jemand aus dem Verlag hat gesagt: „Sie trauen sich wirklich was, denn Sie …

… Kill Your Darlings?

Ja. Dass eine wichtige Person sich in einem dramatischen Moment verabschiedet. Die, von der wir hier reden, ist bei Lesungen die beliebteste meiner Figuren gewesen. Sie hatte wirklich vielschichtige Beziehungen innerhalb meiner Romane. Ich hab ihr alles gegönnt. 

Und trotzdem …

Es kommt immer die Stelle, wo ich zurückschrecke. Ich schreibe für mich so etwas wie ein neues Noir. Leben ist Enttäuschung. Es ist unbegreiflich, wie bei Beckett. Ich kann mich genau an den Moment erinnern, als ich die Stelle geschrieben habe, die du meinst. Ich hab mich hingesetzt und mir gesagt: Jetzt musst du!
Das habe ich vorher nicht so gewusst, als ich den dritten Band mit diesem Ermittlerpaar anfing. Aber als Schriftstellerin kann ich es mir nicht einfach machen. Da muss ich immer auch Grenzen ausloten, muss ausprobieren, wie weit ich gehen kann. Was ich gelernt habe: So etwas öffnet immer auch Türen.

Das heißt, es gibt ein viertes Buch mit Rosa Lopez und Viktor Saizew?

Ja. Ich bin mit dem Schreiben bei etwa der Hälfte.

Und wieder Russland?

Nein, wieder mehr in Berlin. Voraussichtlich auch Frankreich. (lacht) Ich musste mal wieder die Himmelsrichtung wechseln.

Warum, war da zu viel Osten? Das ist doch eins deiner Alleinstellungsmerkmale.

Man muss das nicht totreiten. Trotzdem, ich fand den Osten immer faszinierend. Schon seit meiner Kindheit. Mein Vater lud als Professor regelmäßig Kollegen aus der Sowjetunion und den Satellitenstaaten ein. Wir fanden das toll, unterhielten uns mit den Besuchern, bekamen Gastgeschenke. Meine Mutter musste sehr viel kochen.
Und dann haben mein Mann und ich einen wirklich günstigen Flug gefunden, sind kurzerhand von Malaga auf Moskau umgeschwenkt und mit unserem ersten Kind einfach los.

Das beantwortet ja schon die Frage, ob du Moskau kennst …

Na ja, es gibt immer auch noch andere Quellen. Das ist doch mit das Tolle am Schreiben. Aber ja, es war eine krasse, sehr seltsame Reise. Das war schon beeindruckend und wild.

Wenn jemand wie du „wild“ sagt, dann war es das wahrscheinlich ziemlich. Diese irrsinnige Wohnung, die du beschreibst …

… ja, dieser kafkaeske, endlos lange, bewohnte Flur.

Und dein Wissen über russische Knast-Tattoos und Knastbräuche? Viktor, wie er in Moskau im Gefängnis sitzt?

Gefängnisfilme und -romane sind nicht meine Welt. Die Geschichte machte es einfach erforderlich. Das mit den Tätowierungen habe ich tatsächlich aus einer Ausstellung, da waren tolle Fotos und Erläuterungen.

Noch eine Angst-Frage: Lopez fliegt immer angeschnallt. Wie geht es dir beim Fliegen?

Tatsächlich fliege ich ungern. So schnell zu reisen, das ist widernatürlich. Ich wandere lieber.

Eine Saatkrähe – © Wiki-Commons Vitaly V. Kuzmin

Und die „Saatkrähe“? Die Gratsch? Hast du mal mit einer Jargyn PJa, Halbautomatik, beidseitiger Sicherungshebel, Dienstwaffe von Polizei und Militär in Russland, geschossen?

Dass die im Russischen „Saatkrähe“ genannt wird, war natürlich ein Geschenk. Das habe ich mir nicht entgehen lassen. Ich möchte Waffen eigentlich nicht in die Hand nehmen, das ist fast ein Tabu für mich. Es verursacht mir eine Urangst. Natürlich verstehe ich die Faszination. Aber Waffen bei mir sind nie attraktiv oder geil und cool. 

Was dürfen wir schon wissen über Buch Nr. 4 mit Viktor und Rosa?

Generell muss ich sagen: Mit diesen Figuren langweile ich mich sicher nicht. Es gibt einen Anschlag in Berlin. Lopez bekommt einen neuen Partner. Viktor landet in der Psychiatrie.

Wie ist es, eine Reihe zu schreiben?

Nun ja, zum einen ist es wie ein Trachtenroman: Man erkennt das Motiv. Reihen haben für mich keinen geringeren Stellenwert als Stand-alones. Du musst jedes Mal alles wagen. Es sind vielleicht unterschiedliche Herausforderungen. Jetzt ist mein Bonus beim Verlag, dass ich ohne Exposé losschreiben darf. Das hat mich früher eher gehindert, da hab ich mit den Zähnen geknirscht. An so etwas sitze ich länger als an 50 Seiten.

Das klingt nach Tempo. Wie schreibst du? Und wann?

Ich hab anfangs immer geschrieben, das wird zur Parallelwelt: Von Partys weggehen, um noch etwas schreiben zu können. Um fünf Uhr aufstehen, bevor Kinder und Mann wach sind. Allmählich habe ich mir sozusagen eine Routine angewöhnt. Ich versuche, mich auf die Vormittage zu beschränken. Die Betonung liegt auf Versuch.

Bernhard, der Mann von Rosa Lopez, zieht in „Krähentod“ ja Konsequenzen. Er ist Schriftsteller, historische Romane, nicht sonderlich erfolgreich. Immer wieder geht es um den Irrsinn kreativen Schaffens, etwa auf Seite 36. Dann hat er eine Idee: Dreißigerjahre, eine Heldin, die Nazis aufmischt. Historie, Heldenepos und Krimi als Mix, das bringt es bei ihm. Warum machst du das nicht?

(lacht) Weil es nicht mein Ding ist. Die Realität hat ja erst kürzlich wieder bewiesen, wie man mit solchen Ideen scheitern kann. Damals erschien es mir beim Schreiben als ein hübscher, böser Kommentar. Wir müssen raus aus dieser Höhle, in der wir glauben, dass die Schattenbilder, die wir an der Wand sehen, echt sind. Naiv zu verharren, das ist der Sündenfall. Meine Figuren müssen raus in die Welt. Sie müssen die Katastrophe riskieren. Kennst du den Film „Manchester by the Sea“? Einen Schaden nicht wieder gutmachen zu können, das Leben ertragen zu müssen, das war eine Inspiration.

Nochmal, und Bernhard?

Der ist so etwas wie das ironische Image des Künstlers. Eigentlich lebt er von seinen Rückschlägen, von seiner Hoffnung. Ohne ihn gäbe es Lopez nicht. Er hält ihr den Rücken frei. 

Familiäre Arbeitsteilung?

Ja klar. Familienbindungen sind schwierig und komplex. Das ist nie planbar. 

Dein Facebook-Account erzählt manchmal ganz schön schräge Sachen von deinen Kindern…

Ich habe immer schon etwas für aufmüpfige Kinder übrig gehabt. Jetzt hab ich sie – und es ist fordernd und wunderbar. Übrigens habe ich schon in meinem Anglistikstudium über Kinder im Kriminalroman geschrieben.

„Krähentod“ hat ziemlich viel Politik, spielt sogar zum Teil hinter blattgoldverzierten Türen im Kreml und es gibt, was ich erstaunlich finde, einen russischen Präsidenten, der überhaut nicht an Putin erinnert. Wie ist dir dieser Befreiungsschlag gelungen? Wie kann man im Zeitalter von Trump, wo die Realität zur Ironie geworden ist, die Realität konterkarieren?

Ganz ehrlich? Ob mein Präsident Putin ähnelt oder nicht, das interessiert mich nicht. Ich hab ihn gebraucht für meine Geschichte, ich habe keine Angst vor unterschiedlichen Milieus, also habe ich es gemacht. Ich beschäftige mich nicht lange damit, ob man etwas darf oder nicht. Wenn es getan werden muss, wird es getan.

Fake news, Dark Net und CyberCrime sind Themen in „Krähentod“. Einmal wird an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erinnert…

Mein Roman hat mit Information zu tun, und was man damit macht. Es ist mein bisher politischster Roman. Auch wenn man heute immer noch gern darüber hinwegsieht, dass Frauen politisch schreiben. Es ist ein Versuch, sich einem großen, schwarzen Loch zu nähern. Wir haben keine Ahnung. Ich lese viel, und oft wird mir klar, wie wenig wir von dem verstehen, was passiert. Es ist vergleichbar mit der Atomkraft. Wir leben in einer Risikogesellschaft.

Klingt wie ein gutes Schlusswort. Aber eins muss ich noch fragen: Der Bärtige und Graue, dieser Chor, der immer wieder kommentierend auftritt, woher kommt das? Klar, gab’s den auch bei Sophokles, dem du dankst, oder bei Shakespeare. Die Eulen-Macharachi-Band in „Rango“?

(lacht) In „Asterix“ gibt es so einen Chor der alten Männer, den habe ich geliebt, schon, als ich noch zur Schule ging. Wie ich den Chor gestalte, das habe ich mir bei meinem Buch mit am längsten überlegt. Aber ich finde: Man muss nicht immer alles verstehen. Es darf auch eine Offenheit geben. Als Autorin muss ich nicht alles erklären.

Das Gespräch mit Katja Bohnet führte Alf Mayer im Februar 2019.

  • Katja Bohnet: Krähentod. Thriller. Knaur Taschenbuch, München 2019. 400 Seiten, Klappenbroschur, 14,99 Euro.

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