Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

„Hollywood Calling“

Alf Mayer über das Fotobuch von Isadora Tast

Der Kampf hat sich gelohnt. Jetzt liegt das Buch vor, nicht zuletzt durch eine Crowdfunding-Kampagne mitfinanziert. Seine Produktions-geschichte ähnelt der von Independent-Filmen: jahrelang hartnäckig verfolgt, trotz aller Widrigkeiten drangeblieben, zwischendurch Brotarbeiten gemacht, nie aufgegeben und dann Jahre nach den ersten Momenten des Traums doch noch verwirklicht. „Hollywood Calling“ heißt der Bildband von Isadora Tast. Sie porträtiert darin 60 Schauspielerinnen und Schauspieler, die es nach Los Angeles gezogen hat: junge und alte, Kinderstars und alte Hasen, weibliche und männliche Stand-Up-Comedians, eine Großmutter, ein Zwillingspaar, eine Horrorfilmqueen, ehemalige und aktive Models, Serien- und Nebendarsteller, die alle auf den großen Durchbruch hoffen – und auch davon erzählen, was es bedeutet, sich in solch einer Stadt und in solch einer Industrie durchschlagen zu müssen. Die Porträts entstanden 2014/15/16 während dreier Fotoaufenthalte in Los Angeles. Insgesamt 15 Wochen hat Isadora Tast vor Ort für ihr Projekt verbracht. Nach den Fotosessions interviewte sie ihre Protagonistinnen und Protagonisten, wählte aus den Tonaufzeichnungen einzelne längere Zitate aus. Sie sind eine zweite Ebene des Fotobuchs und würden auch ohne die Bilder als Kurzreportagen-Buch bestehen.

Alle Fotos © Isadora Tast

Die Fotografin bewundert an ihren Modellen „ihren Kampfgeist, ihre Mischung aus Demut, Kraft und Kreativität“. Tatsächlich kommt man aus diesem Buch mit weit größerer Achtung vor diesen Menschen und vor diesem Gewerbe heraus, als man es vorher hatte. Es zeigt Hollywood heute. Nüchtern und unspektakulär, ohne den alten Glamour, aber voll in Farbe, vielstimmig und divers, bunt und lebendig, und down to earth. Ich wüsste keine zeitgenössisch bessere fotografische Bestandsaufnahme dessen, was das Filmgewerbe heute ist. 

Abgerundet wird das Buch durch einen klugen Essay mit dem Titel „Morgens am Sunset Boulevard“ von Georg Seeßlen. Er beschäftigt sich darin mit dem „Werden und Machen der Stars“, so der Untertitel. Star-Geschichten verlaufen selten geradlinig. Jeder Star, so Seeßlen, ist auch „der Stellvertreter der 1000, die zumindest eine Zeitlang hoffen durften, selber einer zu werden. All der Fleiß, der Ehrgeiz, die Träume, die Enttäuschungen, das Risiko, die Zufälle, die Ernüchterungen, die Bedrohungen und die Blendungen“.

Das Starsystem, bekräftigt Seeßlen, benötigt nicht nur die Scheiternden, es benötigt auch die Geschichten vom Zerbrechen oder wenigstens Beinahe-Zerbrechen. Hinter der Glamour-Oberfläche steckt jeweils ein Mensch, der mit seiner eigenen Entwicklung umzugehen zu hat. Viele Menschen sind bei der Herstellung eines Stars beteiligt, Journalisten und Agenten, Regisseure, Kameraleute, Kostümbildner, Friseure, Visagisten, Beleuchter, Meinungsmacher, Coaches, Kollegen, Feinde, Eltern, Geschwister und Freunde – und ja, auch die Konkurrenz. Wem gehört so ein Star? Und was heißt es, einer zu sein? Was heißt es, einer werden zu wollen?

Da ist Sarah Noah aus Wien, die in Österreich wegen ihrer krausen Haare beim Casting oft nur die Putzfrauen-Rolle angeboten bekam und jetzt in Los Angeles als „multi-ethnic ambigous“ viel mehr Möglichkeiten hat. Da ist Jim Boeven, der alleine schon das Vorsprechen-Dürfen als Glücksmoment und wahnsinnigen Erfolg empfindet. Wenn dann ein Callback kommt, oder gar eine Einladung von Paul Schrader (wie geschehen), ist das der Wahnsinn. 
„Die wenigsten können vom Schauspielen leben“, sagt der aus Paris stammende Eric Monjoin stellvertretend für viele. „Aber du musst Saures schmecken, um dich noch mehr anzutreiben. Vergiss niemals, wo du herkommst. Bleib ehrlich. Du kannst dem Publikum nichts vormachen.“ Und dann sieht man ihn, waagrecht in der Luft wie ein Poledancer an einem Strommasten vor einem Filmtheater.
Stefanie Michova kommt aus einem kleinen Dorf bei Augsburg, mit ihren langen blonden Haaren und dem schwarzen Filzhut sieht sie einfach sympathisch aus. In Deutschland galt sie mit ihren 1,65 fürs Modeln zu klein, Los Angeles erlebt sie als viel flexibler. Aber sie weiß auch: „Viele, vor allem hübsche Mädchen, kommen hierher mit einem großen Traum und wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Und Männer merken sehr schnell, dass man sie ausnutzen kann. Ging mir am Anfang auch so. Wenn einer kommt und sagt; „Hey, ich buch’ dich in der nächsten großen TV-Show“, dann denkst du natürlich erst: „Wow, super!“ und dann merkst du aber, die wollen eigentlich nur ins Bett mit dir. Die nutzen die Träume junger Mädchen aus. Knallhart.“ Auch Arielle Brachfeld, die wir mit einem Samurai-Schwert in einem Bambushain antreffen, bestätigt: „Die Casting-Couch existiert.“

Da ist Florian Fischer, der auf Touristenvisum in L.A. ist, sich 500 Visitenkarten drucken ließ und in einem Van lebt. Da ist Oliviera Markovic, die ihre Zukunft im Action-Film-Bereich sieht. Sie kommt aus Berlin, war dreimal serbische Meisterin im Taekwondo, einmal Dritte in Europa, hat in Spanien Schauspielunterricht genommen, fühlt sich auch darstellerisch für Kampfsportfilme gerüstet und sagt: „Wenn ich irgendwann physisch nicht mehr für Action-Filme tauge, dann mache ich her einen auf Meryl Streep.“ Isadora Tast inszeniert sie lässig vor einer eingerüsteten Statue von Bruce Lee und nachdenklich in ihrem Motel-Bett. Kristopher Waldrip sitzt vor einem Maschendrahtzaun, bläst gerade auf eine Löwenzahnblüte und sagt: „Ich liebe diese Aufregung. Es gibt mir einen Push, und nach dem Spielen habe ich so viel Energie, dass ich es gleich wieder tun will.“ Er weiß: „Anders im Ingenieurswesen oder der Mathematik ist Kunst niemals fertig. Du lernst als Schauspieler nie aus und du wirst immer besser.“
Kristina Klebe wurde gleich am ersten Drehtag nackt erwürgt. „Das war so schlimm! Doch die machen das öfters in Hollywood, dass sie die Nacktszenen zuerst filmen. Schauspieler, die sich plötzlich weigern, kann man nämlich schwerer rausschmeißen, wenn sie schon viel gedreht haben.“ In Horrorfilmen überlebt immer eine Person und sie ist jetzt an einem Punkt „meiner Karriere, an dem ich in einer Rolle nicht mehr sterben will“. Letztes Jahr wurde sie unter die Top-14-Horrorfilm-Schauspieler gelistet. Immerhin.
Sabrina Hill wuchs allmählich in das Gewerbe hinein und sie erlebt jetzt: „Sobald du über 40 bist, sterben die Rollen aus. Die Möglichkeiten werden weniger. Aber ich versuche, mir das nicht so zu Herzen zu nehmen… Jetzt spreche ich halt für das Mutti-Zeug vor.“ Tim Powell spielt Militärtypen, Bürokraten, Polizeichefs. Er ist derjenige, der andere auf eine Mission schickt. „Ich sehe aus, als ob ich dir wehtun könnte, wenn ich es müsste. Doch so bin ich nicht. Es ist der Charakter der Rolle, für die ich gebucht werde. Als mir klar wurde, wie andere mich wahrnehmen, öffnete sich mir die ganze Welt dieses Geschäfts. Denn wie andere dich sehen ist wichtiger, als dich selbst gut zu kennen.“

Zwischen dem Star und seinem Publikum gibt es eine Liebesgeschichte, die durch eine Kamera vermittelt wird. Auf so etwas arbeiten all die Porträtierten dieses Bandes hin, dass man ihr Gesicht und ihren Auftritt nicht mehr vergisst. Jeder und jede von ihnen könnte dieses Buch mit zum Vorsprechen nehmen, denn Isadora Tasts Fotografien haben eine fast unglaubliche, irgendwie ganz selbstverständliche Präsenz. Ihre Kamera rückt uns all diese Gesichter und Personen so nah, dass wir uns beim Betrachten in sie verlieben können. Große Kunst. Ganz unverschnörkelt.

Isadora Tast in L.A.

Isadora Tast ist mir die letzten zwei Jahrzehnte immer mal wieder durch die Frische und Direktheit ihrer Bilder aufgefallen, bei ihr sah ich zum Beispiel Jugendliche in einem völlig neuen Licht. Sie arbeitet seit 2002 arbeitet freischaffend für Magazine und Werbung, hat für Stern, Chrismon, Viva, GEO, Brigitte, Yuno und andere fotografiert und schon ordentlich Preise und Auszeichnungen eingeheimst (ihre Vita hier). Ihre Eltern sind beide Fotografen. Hans-Jürgen Tast macht den Kulleraugen-Verlag, in dem immer wieder kleine Perlen erscheinen, ihre Mutter Brigitte Tast hat gerade den Fotoband „Rot in Schwarz-Weiß“ herausgebracht (Besprechung hier). „Hollywood Calling“ zeigt, dass sich die Tochter längst freigeschwommen hat. Ihren Namen sollte man sich merken.

Alf Mayer

Isadora Tast: Hollywood Calling. Fotoband mit 110 Abbildungen und einem Essay von Georg Seeßlen. Grafische Gestaltung: Susanne Hellmann. Fotohof edition, Salzburg 2020. Hardcover, Deutsch/ Englisch, Format 24 x 28 cm. 176 Seiten, 39 Euro.

Ihre Homepage: www.isadoratast.com

Zur meiner Besprechung des Fotobandes „Rot in Schwarz-Weiß“ von Brigitte Tast geht es hier.

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