Geschrieben am 1. Juni 2023 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2023

Architektur: Norman Foster, Julius Shulman, Marmor, Small Houses

Alf Mayer bespricht hier:

Norman Foster: Complete Works 1965–Today
Philip Jodidio: Small Houses
Jan Christian Sepp: The Book of Marble
Julius Shulman: Modernism Rediscovered

Architektur und Schönheit

(AM) „Ungestraft darf man Sir Norman Foster als den derzeit führenden Architekten der Welt bezeichnen, und das nicht nur, weil er eine Architekturfirma von rund 450 Mitarbeitern führt – der Londoner Stammsitz ‚Riverside three’ hat unter jungen Architekten magischen Klang. Man braucht lange, um ihm einen in Dimension und Bedeutung ähnlichen Architekten an die Seite zu stellen“, heißt es im offiziellen Porträt des Deutschen Bundestags. Im Verlag Benedikt Taschen ist jetzt seine offizielle Monografie erschienen – zweibändig und erst einmal in einer auf 300 Exemplare limitierten XXL-Luxusausgabe. Herausgegeben und kommentiert wird sie vom Architekturkenner Philip Jodidio, der in diesem Verlag schon eine ganze Reihe beeindruckender Bücher verantwortet hat. 

Lord Foster of Thames Bank, wie er seit dem Ritterschlag durch die Queen offiziell heißt, hat jede Seite der zwei Bände mitgestaltet und mitbestimmt. Er hat jede Doppelseite skizziert und mehrfach gezeichnet, die Abbildungs-Proportionen festgelegt, zusammen mit dem Graphic Designer Fernando Gutiérrez den Rhythmus der Buchseiten bestimmt.  Drei Jahre Arbeit stecken in dem Werk. Es ist weit mehr als ein Architekturbuch. Es ist eine visuelle Erkundungsreise. Ein Gesamtkunstwerk, illustriert mit mehr als 2000 Fotos und Skizzen aus seinen Archiven.
Norman Foster legt darin seine Inspirationsquellen offen und den Kontext, in dem seine jeweiligen Werke entstanden sind.  Band I „Works“ ist sozusagen sein Werkverzeichnis. Band II „Networks“ enthält acht seiner Essays, betitelt mit: Roots/ Flight/ Alpine/ Nature/ Art/ Making/ Place/ Cities.

Es gibt ein Youtube-Video, in dem Foster sich mit seinem Herausgeber Philip Jodidio über das Buchprojekt unterhält, ein Breitwandbild der von ihm gestalteten Berliner Reichstagskuppel hinter seinem Schreibtisch. Für das Buch war es für ihn selbst interessant und überraschend, so sagt er, die Verbindungslinien von Projekten in verschiedenen Stadien, Zeichnungen und Ideen zu entdecken. Seine Karriere erstreckt sich bereits über sechs Jahrzehnte und über alle Kontinente. Der Apple-Park-Campus in Cupertino, Kalifornien, gehört dazu, die Millenium Bridge in London, das Millau-Viadukt für die A 75 in Südfrankreich, die längste Schrägseilbrücke der Welt und mit einer maximalen Pfeilerhöhe von 343 Metern der höchste Bau in Frankreich. Die sicher politischste Aufgabe war der Umbau des Reichstags in Berlin zum Parlament des wiedervereinigten Deutschland. Er fand dafür eine ebenso geniale wie schöne Lösung. Er vermag es, der Architektur die Schönheit zurückzugeben.

Norman Foster: Complete Works 1965–Today. Herausgegeben von Philip Jodidio. Englische Ausgabe. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2023. Famous First Edition: Nummerierte Erstauflage von 6.000 Exemplaren. Hardcover, 2 Bände im Schuber, 30.8 x 39 cm, 9.74 kg, 1064 Seiten, 350 Euro.  – Auch erhältlich als Art Edition, limitiert auf 300 Exemplare. – Verlagsinformationen.

Prachtvoller Marmor

(AM) Es waren prachtvoll illustrierte Bücher, eckstein-dick und vorwiegend naturkundlicher oder naturwissenschaftlicher Art, die im 16., 17. und 18. Jahrhundert wissenschaftliche und publizistische Meilensteine setzen. Der Verlag Benedikt Taschen hat sich dieser Geschichte der Wissenschaftsvermittlung schon vielfach angenommen – darunter in drei Anthologien und mit über einem Dutzend Neuausgaben schwer zugänglicher Prachtfolianten. Daraus ist längst ein kulturwissenschaftlich bedeutsames Segment der Verlagsarbeit entstanden – Besprechungen bei uns hier, hier, hier, hier und hier – es kann nun buchstäblich mit einem neuen Edelstein aufwarten.

„The Book of Marble/ Marmor Soorten/ Abbildungen der Marmor-Arten“ katalogisiert auf 100 Farbtafeln 570 Marmorsorten aus zwölf Gebieten – darunter bayreuthischer, württembergischer, Neresheimer, Durlacher, Salzburger, Badener, Schweizer, Tiroler und französischer Provenienz. Die Erläuterungen sind fünfsprachig: Holländisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Lateinisch. Herausgegeben und gedruckt wurde das in winziger Auflage erschienene Werk vom Amsterdamer Kupferstecher, Maler und Buchhändler Jan Christiaan Sepp (1778 –1853). Der war auch Entomologe (Insektenforscher) und Herausgeber bedeutender Werke wie „Over de insecten“ oder einem über 865 Holzarten. 1776 auf dem Höhepunkt der Aufklärung veröffentlicht, gilt sein Marmor-Buch als eines der am besten illustrierten wissenschaftlichen Bücher seiner Zeit. Sepp überarbeitete und ergänzte dafür das ein Jahr zuvor in Nürnberg in lateinisch/ deutscher Sprache erschienene Werk „Marmora et adfines aliquos lapides coloribus svis exprimi / curavit et edidit Adamus Ludovicus Wirsing = Abbildungen der Marmor-Arten und einiger verwandten Steine nach der Natur auf das sorgfältigste mit Farben erleuchtet / gestochen und herausgegeben durch Adam Ludwig Wirsing“. Die Texte dafür hatte der Arzt und Naturwissenschaftler Casimir Christoph Schmidel besorgt. In Amsterdam wurden sie um französische, niederländische und englische Angaben ergänzt. Die lesen sich zum Beispiel so:
Weißer schuppichter gleichsam als von Salztheilen schimmernder Marmor aus dem Stadtbruch bey Wonsiedel.
– Hellerfarbener einfarbiger Marmor mit wenigen Adern vom Fichtelberg.
– Dunkelrother Marmor mit rothbraunen Wolken und ins helle spielende Flecken von Gattendorf.
– Ganz schwarzer, mit weißen deutlichen und zarten sich kreuzenden Adern schön durchzogener Marmor vom Inntal.
– Korallenrother Marmor mit wasserblauen großen Flecken und safrangelben Wolken aus der Branche Comté.

Die Ausgabe basiert auf zwei herausragend erhaltenen Exemplaren der „Marmer Soorten“, hauptsächlich auf einem in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) verwahrten Exemplar, und – typisch für die penible Reproduktionsarbeit bei Taschen – für einige Seiten auf einem im Getty Research Institute in Los Angeles befindlichen Vorlage. Ein kundiger Text des Kunsthistorikers und Archäologen Geert-Jan Koot, ehemaliger Leiter der Forschungsbibliothek des Rijksmuseums, ordnet die Publikation in ihrer Bedeutung ein. Wenn Marmor ein Material für  die Ewigkeit ist, so ist auch dieses Buch eines, das lange bleiben wird. Rundum perfekt reproduziert, stabiler Einband und ebenso stabiler Schuber, breites Samt-Leseband und schimmernder Buchrücken inklusive, ist „The Book of Marble“ nun erstmals einem breiteren Publikum zugänglich – und nicht nur für Fliesenleger und Architekten ein bibliophiler Schatz.

Jan Christiaan Sepp: The Book of Marble/ Abbildungen der Marmor-Arten. Mit einem Nachwort von Geert-Jan Koot. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2023. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Famous First Edition: Nummerierte Erstauflage von 10.000 Exemplaren. Hardcover im Schuber, Format 24,3 x 3,.4 cm, Gewicht 1,85 kg. 312 Seiten, 100 Euro.Verlagsinformationen.

Beitrag zum architektonischen Gedächtnis

(AM) Um im Architekturdiskurs eine Rolle zu spielen muss ein Bau fotografiert und mehrfach in vielgelesenen Design- oder Architekturzeitschriften veröffentlicht worden sein, weiß Pierluigi Serraino. „Denn sonst wird er vergessen und taucht nie wieder im Bewusstsein der Leser auf.“ Der aus San Francisco stammende Architekt und Designaktivist Serraino halste sich für seine Doktorarbeit die ungeheure Aufgabe auf, das gewaltige Archiv des wohl größten aller Architekturfotografen nach solchen vergessenen Bauwerken zu durchzusuchen. 

164 Regalmeter seiner Arbeiten hat der als „Mr. One Shot“ berühmte Julius Shulman (1910-2009) hinterlassen. Sein Nachlass im Getty Research Centre umfasst über 260.000 Negative, Fotoabzüge und Unterlagen, die das Baugeschehen des kalifornischen Modernismus von den 1930er bis ins neue Jahrtausend dokumentieren. Shulman soll jedes Motiv nur ein einziges Mal abgelichtet haben. Dafür bereitete er sich gründlich vor, entwickelte eine genaue Vorstellung, wie er das jeweilige Haus und seine Umgebung inszenieren wollte, führte Gespräche mit dem Auftraggeber – meist dem Architekten – und wartete auf das richtige Licht, den richtigen Schatten und die richtige Ausleuchtung bestimmter Winkel. 

Pierluigi Serraino machte für das mit 30 Euro jetzt fast verboten günstig erhältliche Buch – es gibt auch eine doppelt so umfängliche dreibändige XL-Luxusausgabe für 150 Euro – rund 300 beinahe vergessene Meisterwerke ausfindig. Er glich dafür die Aufträge Shulmans mit den drei größten Veröffentlichungs-Indices ab, recherchierte die jeweilige Publikationsgeschichte. Sieben Zeitschriften waren in dieser Zeit der hauptsächliche Resonanzboden für architektonische Ereignisse in Nordamerika. Die ausgewählten Beispiele zeigen öffentliche und private Bauwerke, die zwischen 1939 und 1977 entstanden und nur wenig Anerkennung durch Preise oder Resonanz in den Medien fanden. Dennoch blättert man hier in einer selten schönen Architekturwelt. Die Häuser und Gebäude haben je einen doppelseitigen Auftritt. In die meisten von ihnen möchte man sofort einziehen.

Julius Shulman: Modernism Rediscovered 1939–1977. Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Verlag Taschen, Köln 2023. Hardcover, Format 19,6 x 25,5 cm, Gewicht 1,81 kg, 576 Seiten, 30 Euro. – Verlagsinformationen. – Siehe auch die dreibändige XXL-Ausgabe im Schuber: Format 24,9 x 31,6 cm, Gewicht 7,83 kg, 1008 Seiten, 150 Euro.

Talent hat nichts mit Größe zu tun

(AM) Architekturbücher können ein Vermögen kosten, dieses hier nicht. Es ist ein Ausflug in die Zukunft des Bauens und zugleich „eine Rückkehr zum menschlichen Maß“, so lautete 1973 der Untertitel von E.F. Schumachers großem Buch „Small is beautiful“. Der Architekturkenner Philip Jodidio, Herausgeber unter anderem der Reihe „Architecture Now!“ (Band 10 hier besprochen) sowie von Monografien über zahlreiche bedeutende Architekten (darunter jüngst Norman Foster, siehe hier nebenan), zeigt hier, dass die notwendigen Talente eines echten Architekten nichts mit der Größe eines Projekts zu tun haben. 

Im Jahr 2020 hatte ein Einfamilienhaus in den USA eine Wohnfläche von durchschnittlich 210 Quadratmetern, in Tokyo von 66 und in England von 68 Quadratmetern. Für Small Houses wählte Jodidio rund um den Globus kleine Häuser mit einer Wohnfläche von höchstens 100 Quadratmetern aus. Diese „Tiny Houses“ stehen in 25 Ländern wie Brasilien, Ungarn, Südkorea, Niederlande, USA, Japan und Australien und wurden von 57 Architekten entworfen. Für Jodidio sind sie die „Stars von morgen“. Jedes Haus wird auf sechs bis acht Seiten vorgestellt und ist Beleg und Ermunterung für eine nachhaltigere Welt.

Philip Jodidio: Small Houses. Homes for our Time. Ausgabe: Deutsch, Englisch und Französisch. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2023. Hardcover, Format 24,6 x 37,2 cm, Gewicht 3,41 kg, 424 Seiten, 60 Euro.

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