
„Und so siehts aus…“
Der Thriller-König Ross Thomas mit einen neu restaurierten Roman – – samt einer Übersetzungs-Nachschau von Alf Mayer
„Womit verdienen Sie Ihr Geld?
Darüber musste ich nachdenken.
„Ich bin in der Vermittlerbranche.“
„Was vermitteln Sie?“
„Bei Streitigkeiten.“
Er überbringt Lösegeld. Er beschafft gestohlene Wertgegenstände wieder. Er ist ein professioneller Mittelsmann und erledigt, wozu anderen die Handhabe fehlt. Er ist ein Mann für unmögliche Fälle. Ein Go-Between, ein Mann zwischen den Stühlen und Welten. Er ist eine Erfindung von Ross Thomas, ein Vetter von Humphrey Bogart aus „Der schwarze Falke“ und Dashiell Hammetts „Dünner Mann“. Fünf Romane mit dem Ex-Zeitungsmann und Gentleman-Gauner Phillip St. Ives schrieb Ross Thomas unter dem Pseudonym Oliver Bleek zwischen 1969 und 1976. „Das Procane-Projekt“ ist der mittlere dieser fünf, und er ist Band 22 der Ross-Thomas-Edition im feinen und kleinen Alexander Verlag aus Berlin, der Ross Thomas in liebevoll edierten, erstmals vollständigen deutschen Ausgaben herausbringt. Auch dieses Mal war dafür genug zu tun.
„Das Procane Projekt“ („The Procane Chronicles“, 1972) spielt zu weiten Teilen in New York. St. Ives’ neuer Klient ist Abner Procane. Ihm, dem wahrscheinlich besten Dieb der Stadt, der nur von anderen Dieben stiehlt, sind alle Tagebücher gestohlen worden, in denen er 25 Jahre lang die Details seiner Diebstähle protokolliert und außerdem seinen letzten Fischzug, einen Millionenraub, präzise vorgeplant hat. Statt dieser Journale findet St. Ives am Übergabeort jedoch nur eine Leiche vor. Der letzte Coup des Meisterdiebs, das Procane-Projekt, lässt sich schwieriger an als gedacht. Und da sind wir erst auf Seite drei… „Intricate puzzlement, tenderhooks suspense … another topper … He is without peer in American suspense“, meinte Dorothy B. Hughes in der „Los Angeles Times“. (Als blurb auf dem Cover des in „St. Ives“ umgetitelten Taschenbuchs von 1976)
Für Kenner von Ross Thomas genügt diese kurze Einführung, um sich sogleich das Buch zu besorgen. Für alle anderen hier ein fixes Proseminar, um einen der wichtigsten Kriminalautoren aller Zeiten wieder in Erinnerungen zu rufen. „Das Procane-Projekt“ erschien 1972, ist also 50 Jahre alt. Wir sprechen von einem Klassiker. Staub hat er keinen angesetzt. Das verdanken wir neben der Redaktionsarbeit von Marilena Savino der erstmals vollständigen und neuen Übersetzung von Katja Karau und Gisbert Haefs, am meisten aber dem Autor selbst.
Der Jane Austen der politischen Spionagegeschichte
So wie es Filme gibt, die nie verjähren, so gibt es auch Bücher und Autoren, derer man nicht müde wird. Alles, wirklich alles von Ross Thomas (1926-1995) zählt dazu. Er ist, wie Stephen King das unnachahmlich anlässlich „Teufelsküche/ Missionary Stew“ (1983) sagte, „die Jane Austen des politischen Spionageromans“. („Ross Thomas is often sharper – he is, if you like, the Jane Austen of the political espionage story.“) Der Schriftsteller und Krimikenner Jörg Fauser meinte: „ Ein Roman von Ross Thomas ist nicht einfach ein Krimi oder ein Polit-Thriller, sondern – wenn wir davon ausgehen, dass der Teufel damals auf den Hügeln des Galiläerlands dem Herrn Jesus die Welt so gezeigt hat, wie sie wirklich ist, und nicht, wie Idealisten sie gern hätten – eine diabolische Analyse unserer politischen Verhältnisse. Nicht umsonst heißt ein anderer seiner Protagonisten Lucifer Clarence Dye, liegt das amerikanische Copyright einiger seiner Bücher bei einer Firma mit dem ominösen Namen Lucifer Inc.“
Schriftsteller wurde der 1926 in Oklahoma geborene Ross Thomas erst mit 40. Gleich für seinen ersten Roman „Kälter als der kalte Krieg/ The Cold War Swap“ erhielt er den Edgar Allan Poe Award, den renommiertesten Krimipreis der Welt. Zwischen 1966 und 1994 entstanden 25 Romane, fünf davon unter dem Pseudonym Oliver Bleek, eben jene St.-Ives-Romane. Die sind, wie auch sein sonstiges Werk, eine literarische Wiedererweckungen der „screwball comedy“, der filmischen Variante der „comedy of manners“, der Gesellschaftsstücke des 19. Jahrhunderts. Moliere gehört hierzu, Oscar Wilde, George Bernhard Shaw, aber auch Shakespeare. Dessen 38 Tragödien stehen zehn Komödien gegenüber, ihre bekannteste: „Viel Lärm um Nichts“. Bei ihm wie bei Ross Thomas kann man sehen, wie sich in der spielerischen Spiegelung menschlicher Beziehungen ein Urbedürfnis nach Transzendierung der unvollkommenen Gegenwart ausdrückt, wie sich im Rollenspiel die Sehnsucht nach Befreiung von den Zwängen der Wirklichkeit äußert. „Kein Tier außer dem Menschen lacht“, wusste Aristoteles. Und wer lacht, macht sich frei.
Ein mit unerhörtem Drall geschlagener Ball
Der große Filmregisseur Howard Hawks soll auf die ihm angebotenen Filmstoffe stets mit der Frage reagiert haben: „Kann man das denn auch als Komödie erzählen?“ Er war ein Meister der „screwball comedy“, oszillierte in seinen Filmen zwischen Farce, Action und Film Noir. Zu seinen Klassikern gehört die Chandler-Verfilmung „Tote schlafen fest“. Er blieb damit ebenso ein Solitär wie sein literarischer Geistesbruder Ross Thomas, dessen Romane getrost als „screwball thriller“ bezeichnet werden könnten. Der Slang-Begriff „Screwball“ tauchte erstmals in den 1930er Jahren auf und bezog sich auf eine exzentrische Person: auch „eine Schraube locker haben“ klingt darin an. Im Baseball meint(e) man damit einen ungewöhnlicher Spieler ebenso wie einen mit unerhörtem Drall geschlagenen Ball, dessen unerwartete Kurven als Überraschung kommen – eine schöne Charakteristik der Romane von Ross Thomas.
Sie sind voller scharfzüngiger Figurenzeichnung und Dialoge, byzantinischer Wendungen, Wortwitz, Sarkasmus und einem Reigen bizarrer Protagonisten. Sie sind gekennzeichnet von Eleganz und einem unbestechlich bösen Blick auf die Verhältnisse. Ironie ist laut Ross Thomas ein anderes Wort für Realismus. So wie er hat kein anderer Kriminalautor die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Und er kannte sie, die Verhältnisse: PR-Arbeit für die Landarbeitergewerkschaft National Farmers Union (Stoff für „Fette Ernte/ The Money Harvest“), später für den Bundesfreiwilligen-Dienst VISTA (hierüber sein einziges Sachbuch „Warriors for the Poor“), dann Wahlkampfmanager in Nigeria (Stoff für „The Seersucker Whipshaw“), politischer Berater in Washington, gleichzeitig Wahlkampf für einen Republikaner und einen Demokraten, diplomatischer Korrespondent in Bonn, Reporter in Louisiana – und Chefstratege für zwei Gewerkschaftsbosse, die zur Wiederwahl standen. Gewerkschaften waren Thema im „Yellow Dog Contract“ und „Porkchoppers“. In meiner Besprechung meinte ich damals dazu: „Man kann nur hoffen, dass der deutschen Arbeiterbewegung kein Ross Thomas zustößt.“
„What Elmore Leonard does for crime in the streets, Ross Thomas does for crime in the suites … The level of inventiveness is always high“, meinte Geoffrey O’Brien in der „Village Voice“. Der „Washingtonian“ brachte es so auf den Punkt: „Ross Thomas is our best Washington novelist… he writes clever, fast-paced, tightly constructed stories about people who misuse power, sex, and high explosives…“
„It began the way that the end of the world will begin, with a telephone call that comes at three in the morning“, lautete 1973 und damit Jahre vor Amblers berühmtestem Roman-Anfang der erste Satz des St. Ives-Romans „If You Can’t Be Good“. Bei Ambler hieß es 1981 in „Mit der Zeit“ (The Care of Time): „Der Brief mit der Warnung traf am Montag ein, die Bombe selber am Mittwoch. Es wurde eine betriebsame Woche.“
Die Komödie gilt zwar als eher untergeordnete Kunstform, ist aber doch schwierig ins Werk zu setzen. Friedrich Schiller, der nie eine schrieb, wusste: „Der Komiker muss sich vor dem Pathos hüten und immer den Verstand unterhalten.“ Diesem Problem begegnete auch die Verfilmung des Romans, 1976 unter dem Titel „St. Ives“ mit Charles Bronson, Jacqueline Bisset und Maximilian Schell in die Kinos gekommen. Regie führte der in England geborene J. Lee Thompson. Es war der Versuch, den schnauzbärtigen Gewalthelden Charles Bronson als Anzug tragenden Gentleman-Gauner und als Nachfolger von Gary Grant zu inszenieren (allen Ernstes, wirklich). Es funktionierte, verhalten gesagt, nicht so ganz.

Ross Thomas besprach den nach seinem Roman entstandenen Film am 10. Oktober 1976 für die „Washington Post“. Die Überschrift lautete: „My Thriller: I Lost it at the Movies”. Nach fünf Minuten habe er gemerkt, dass auf der Leinwand nur das Skelett seines Plots zu sehen sein würde. Aber er habe seinen Frieden damit, habe er doch Charles Bronson am Filmset getroffen und der habe ihm erklärt: „Ihr Buch habe ich nicht gelesen.“ Worauf Ross Thomas entgegnete: „Das ist okay. Ich habe Ihre letzten Filme auch nicht gesehen.“
Meine Lieblings-Anekdote mit Ross Thomas ist die mit Frankfurt, wo sein sardonischer Nachkriegs-Thriller „Der achte Zwerg“ spielt. Er hatte die Stadt Ende der 1940er zerstört erlebt, kam 1984 zu einem Buchmessen-Besuch wieder – und schrieb darüber in der „Post“ folgendes: „Frankfurt was heavily destroyed in the war and looks like rebuilt by the US Army.“
„Ich bin ein spottschlechter Übersetzer – oder so….“
Irgendwie erinnert mich die Besetzungsgeschichte der „Procane“-Verfilmung an die früher bei Ullstein übliche Übersetzungsqualität. Sie hat oft, vornehm gesagt, noch etwas Luft nach oben – und deswegen ist die Neuedition im Alexander Verlag eine feine Sache. Für die Verfilmung von „The Procane Chronicle“ („St. Ives“ wie er dann letztlich hieß) waren eigentlich Steve McQueen oder Marlon Brando vorgesehen, es wurde dann Charles Bronson. Darauf muss man erst einmal kommen. Nun, der Vermittler St. Ives wurde bei Ullstein im ohne Jahreszahl und Impressum erschienen „Schreie im Regen“ (Ullstein Krimi 1789, von 1976) auch schon mal als „professioneller V-Mann“ und als „Laufbursche“ bezeichnet.
Die Übersetzung für „Das Mordpatent Procane“ stammt aus dem Jahr 1972 und von Hansjürgen Wille und Barbara Klau, in der mir vorliegenden Neuauflage des Ullstein Krimis Nr. 1494 im Juni 1985 als Ullstein-Buch Nr 10305 verantwortet von Martin Compart. 138 deutsche Seiten stehen gegen 191 Seiten der US-Ausgabe oder jetzt 256 Seiten der ersten vollständigen deutschen Ausgabe in neuer Übersetzung. Hüstel.
Aus den „Niggern“ von 1972/1985 sind jetzt „die Schwarzen“ geworden. „Ich bin ein mieser Schütze“, sagt Procane anno 2022. „Ich bin ein spottschlechter Schütze“ hieß das bei Ullstein. Das Original meint: „I’m a rotten shot“.
Über die „Schweinekoteletts mit gekrausten weißen Manschetten, so daß die Hände nicht fettig wurden, wenn man den Knochen abknabberte“ bei Ullstein kann man noch verhandeln. In der überarbeiteten Neuausgabe gibt es zum Abendessen jetzt „doppelt dick geschnittene Schweinekoteletts in weißen Kräuselmanschetten, damit man keine fettigen Finger bekam, wenn man sie in die Hand nahm, um den Knochen abzuknabbern, was jeder von uns machte, außer Janet Whistler, die nicht allzu hungrig war.“ – Das Original dazu lautet: There were pork chops for dinner, double-cut ones with ruffled white pants so that you wouldn’t get your hands greasy when you picked them up and gnawed at the meat close to the bone, which everyone did except Janet Whistler who didn’t seem to be too hungry.

Etwas tiefer in die Ullstein-Übersetzungswelt führt der dritte Absatz von Kapitel 19. Nach dem Essen hatte niemand richtig Lust auf eine Unterhaltung, also holte der Gastgeber „ein kleines tragbares Fernsehgerät… Er stöpselte es ein, und wir hörten die Nachrichten. Als der Sprecher sagte: „Es ist heute Mittwoch, der 3. November“, stellte Miles Wiedstein den Apparat ab. „Nun“, sagte Procane und erhob sich. „Die Welt scheint nicht schlimmer zu sein als sonst, aber auch nicht besser.“ – Die Neuübersetzung informiert uns, dass es sich um einen kleinen tragbaren Sony-Fernseher handelt und dass die Abendgesellschaft Walter Cronkite zuhört, der wie immer mit seinem rituellen „And that’s the way it is“ und dem jeweiligen Tag schließt – „Und so sieht’s aus, am Mittwoch, den 3. November.“
Weiß noch jemand, was Chilipfeffer ist? So etwas wie Hasenpfeffer? Und wo gab es ihn? St. Ives‘ Bettgefährtin verrät ihm das in der Ullstein-Übersetzung quasi als Betthupferl, direkt nach dem Sex („weil du so gut fickst“). Hier die Passage:
Nach einer Weile setzte sie sich auf und streifte sich das Kleid über den Kopf, wobei sie ein wenig schauderte, wahrscheinlich vor Kälte; aus Scham bestimmt nicht.
„Was hältst du von Chili?“ fragte sie.
„Ich habe einen gewissen Respekt davor; zumindest mein Magen hat ihn.“
„Ich kenne ein kleines, kaum bekanntes Lokal, in dem man den besten Chilipfeffer der Stadt bekommt. Ich verrate es dir, weil du so gut fickst.“
„Du bist auch nicht schlecht.“
„Ich weiß“, sagte sie, während sie ihr Höschen anzog.
Nun, im Original geht es einfach um Chili. Und sie kennt „an almost secret place that serves the best in town. I’ll let you in on it because you’re such a good fuck.“

Wohl kein Oscar-Kandidat, dieser „Daisy Chaine“
Und da wir schon vom Sex reden, nun auf ins Autokino, Kapitel 20. Bei Ullstein klingt es ganz harmlos und sogar nach Art House:
Das Autokino lag links von der Straße. Auf einem roten Neonschild stand der Name: The Big Ben Drive-in. Darunter kündigte ein erleuchtetes Plakat drei Filme an.
Ich sah auf meine Uhr: zehn Minuten vor neun.
„Wir sind etwas zu früh“, sagte Procane.
„Ich würde den Anfang nur ungern versäumen“, sagte ich…
(Sie zahlen drei Dollar pro Kopf.)
Die Kassiererin sagt: „Wenn Sie sich beeilen, kommen Sie gerade noch rechtzeitig zum Anfang von ‚Daisy Chaine’.“
Da musste ich mich dann echt auf den Hintern setzen, und das nicht nur wegen der Plakaterleuchtung. Was bei Ullsteins Compart so klemmig ausgelassen wird, ist, dass es sich um ein Porno-Drive-in-Kino handelt. „Unterhalb des Neonschilds prahlte eine beleuchtete Anzeige mit XXX-Hardcore-Filmen. Die Titel der Streifen lauteten: Nimm mich nackt, Ringelrudel und Unbefriedigt.“
Kein Wunder, dass Procane nichts versäumen will.
Im Original gibt es nämlich ein „Tripple XXX Feature! The names of the films were Take Me Naked, The Daisy Chain, and Unsatisfied.“
Schon lange nicht mehr so gelacht, dass die Filmkenner bei Ullstein uns weiland 1972/1985 davon nur den berühmten ‚Daisy Chaine’ bescherten – vermutlich einen Verwandten von ‚Citizen Kane’.
Alf Mayer
Ross Thomas: Das Procane-Projekt. Ein Philip-St. Ives-Fall (The Procane Chronicle, 1971; bei Ullstein 1972 und 1985). Aus dem Amerikanischen von Katja Karau und Gisbert Haefs. Alexander Verlag, Berlin 2022. 256 Seiten, Broschur, 16 Euro.
Die bisher vorliegenden Bände der Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag: Dann sei wenigstens vorsichtig/ Der Messingdeal/ Protokoll für eine Entführung/ Umweg zur Hölle/ Am Rand der Welt/ Voodoo, Ltd./ Kälter als der Kalte Krieg/ Gelbe Schatten/ Die Backup-Männer/ Dämmerung in Mac’s Place/ Gottes vergessene Stadt/ Teufels Küche/ Die im Dunkeln/ Fette Ernte/ Der Yellow-Dog-Kontrakt/ Der achte Zwerg/ Dornbusch/ Porkchoppers/ Der Mordida-Mann.
Und hier noch ein Klassiker-Check http://culturmag.de/crimemag/klassiker-check-ross-thomas/3229
Mehr von und über Ross Thomas im CrimeMag: http://culturmag.de/?s=Ross+Thomas