Geschrieben am 23. August 2014 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Alf Mayer: Wenn der Krieg nach Hause kommt

Outrage In Missouri Town After Police Shooting Of 18-Yr-Old ManFerguson/Missouri: Wenn der Krieg nach Hause kommt

Zur Militarisierung der amerikanischen Polizei. Eine Analyse von Alf Mayer.

Amerika reibt sich die Augen. Das nicht nur wegen der Tränengasschwaden, die durch das nächtliche Ferguson/Missouri wehen. „Baghdad USA“ titelten Medien, „Der Krieg kommt heim“ andere. Eine bis an die Zähne bewaffnete, mit ihren normalen Aufgaben aber überforderte Polizei liefert der Welt Bilder wie von einem Kriegsschauplatz. Natürlich gehört dazu, dass da auch Journalisten behindert und verhaftet werden.

Nur einzelne Rufer in der Wüste wie der investigative Journalist und Blogger Radley Balko haben schon länger gewarnt. Sein Blogtitel „The Agitator“ mag der Sache nicht geholfen haben, noch im letzten Sommer wurde er mit seinem Buch „The Rise of the Warrior Cop. The Militarization of America’s Police Forces“ milde bestaunt. Jetzt aber ist die Diskussion endlich da. Auch wir brauchen sie. Die Rufe nach der „Bundeswehr im Inneren“ gibt es immer wieder. Der ehemalige Verteidigungs- und derzeitige Innenminister Thomas de Maizière ist da unter dem Mantel des Technokraten ein schlimmer Finger, Schäuble sowieso. Die deutsche Öffentlichkeit fasst es gelassen, dass NSA und BND, „um die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan zu gewährleisten“, massenhaft Daten abschöpfen. „Gefahrenabwehr“, das ist ein weites Feld. Unter diesem Schutzschild läuft die Aufrüstung der amerikanischen Polizei. Das hat Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft, gewiss bald auch auf den Kriminalroman.

Radley_Balko_rise of warrior copsWie zu schlimmsten Apartheid-Zeiten

Polizisten im „Commando Chic“. Tarnanzüge im Wüstenlook. Full Battle Gear. Patronengurte, Kingsize-Magazine, alle Mann für ein langes Feuergefecht aufmunitioniert. Sonnenbrillen, Helme mit Sprechfunkmikros. Mattschwarze, nicht reflektierende Sturmgewehre, einsatzbereit vor der Brust oder gleich auf Passanten gerichtet. Dahinter Scharfschützen im Anschlag. Kevlarwesten. Körperpanzerung. RoboCops. Natürlich keine Namensschilder. Dazu Panzerfahrzeuge, wie sie sonst auf den verminten Straßen des Irak oder in Afghanistan im Einsatz sind. Blendgranaten, Tränengas, Schallkanonen, anderes Kriegsgerät mehr – so trat und tritt die Polizei der Kleinstadt Ferguson einer Bevölkerung gegenüber, die in den ersten Tagen einfach ihrem Schock über einen von Polizeikugeln getöteten achtzehnjährigen schwarzen Jungen Ausdruck geben will. Fünf Stunden lag der Leichnam von Mike Brown mitten in einem Wohngebiet auf der Straße, schon die acht Minuten eines YouTube-Videos sind schwer erträglich.

Wie zu schlimmsten Apartheidszeiten rückt die lokale Polizei – nix Freund und Helfer – mit Panzerwagen und riot gear an, verhaftet Reporter im McDonald’s, die gerade ihre Laptops laden, feuert Tränengas und Gummigeschosse in die Menge. Blendgranaten, Gefechtsfeldbengalos und Leuchtraketen erhellen eine zur Kampfzone gewordene Kleinstadt. Auf den Straßen von Ferguson wird sichtbar, was aus den Milliarden von Steuergeldern wurde, die in den letzten Jahrzehnten an die „Sicherheitskräfte“ geflossen sind. Der bloße Anschein von Dissens, ein Protestschrei reicht jetzt, um eine amerikanische Kleinstadt zum Kriegsgebiet zu machen. Die Luftaufsicht erteilt wegen eines angeblichen Schusses auf einen Polizeihelikopter Flugverbot für den Zivilluftverkehr – Missouri ein Kriegsgebiet wie die Ostukraine?

Von Anfang an ging es der Polizei von Ferguson nicht um Deeskalation, sondern um Einschüchterung. Ein Musterbeispiel dafür, wie man eben nicht „befriedet“, sondern Spannungen noch verschärft. Ein Phänomen übrigens, das sich weltweit bei zusehends aufgerüsteten „Ordnungskräften“ beobachten lässt. Das Public Viewing während der Fußball-WM in meinem beschaulichen Bad Soden vor den Toren Frankfurt verwandelte sich dieses Jahr – unter scharfen behördlichen Auflagen – zu einem abgeschirmten, streng kontrollierten Hochsicherheitstrakt. Die grimmig schauenden, martialisch aufmarschierten Polizisten wunderten sich dann, dass nach dem Abpfiff einige Jugendliche aus der sich zerstreuenden Menge auf der Straße Dampf abließen.

ferguson75526_0Die eigenen Veteranen als Terrorgefahr?

Das hat System. Seit Kain und Abel begründet Gewalt deren Spirale. Amerika ist gerade dabei, zu begreifen, WIE SEHR die Kriege in fernen Ländern nun nach Hause kommen. Der Rückzug aus Irak und Afghanistan lässt nicht nur viel Kriegsgerät zur freien Verwendung, er lässt eine Polizeiarmee zutage treten, die inzwischen in beinahe jeder amerikanischen Kleinstadt auf ihren Einsatz wartet. Rund 16.000 eigenständige Polizeibehörden gibt es in den USA. Sie haben in den letzten 20 Jahren aufgerüstet, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, unterstützt von Regierungsprogrammen, angefeuert von amtlichen Ideologien, dem „Krieg gegen die Drogen“ und dem „Krieg gegen den Terror“. Jetzt sind es gar – allen Ernstes, es gibt diese Stimmen tatsächlich – auch mögliche Bedrohungen durch die eigenen Kriegsveteranen, die ja allerlei unsaubere Kampfformen erlernt und mitbekommen haben. David Morells „Rambo“ von 1972 (Originaltitel „First Blood“), ein viel besseres Buch als der gar nicht so schlechte Film von Ted Kotcheff, lässt grüßen. Der frustrierte, ausrastende Kriegsveteran als heimgekehrte Zeitbombe beschäftigt die US-Fiktion (und allmählich auch die englische) schon länger.

„You have a lot of people who are coming out of the military that have the ability and knowledge to build I.E.D.’s and to defeat law enforcement techniques”, sagte etwa Sgt. Dan Downing vom Morgan County Sheriff’s Department unlängst einem Fox-Reporter und bezog sich auf die hausgemachten Bomben (improvised explosive devices) im Irak und in Afghanistan. In den Vorstädten von Indianapolis forderten Polizeioffiziere MRAP-Fahrzeuge, um auf mögliche Angriffe von Kriegsheimkehrern reagieren zu können. An die 1000 amerikanischen Polizeistationen verfügen mittlerweile über solche MRAP-Vehikel. Im deutschen Sprachgebrauch als „Geschützte Fahrzeuge“ bezeichnet, wurden die „Mine Resistant Ambush Protected-Vehicles“ (Minen widerstehende und Hinterhalt-geschützte Fahrzeuge) eigentlich für das US Marine Corps entwickelt. Sie dienen als Gefechtsfahrzeuge, widerstehen Sprengfallen und Beschuss. Kostenpunkt eines Fahrzeugs: Grundausstattung ab 500.000 Dollar.

police_Ferg2.jpg.CROP.original-originalAusrüstung wie für die Special Forces

Seit 2006 verfügen Polizeikräfte auch über M-16-Magazine mit 100 Schuss, damit lässt sich drei Mal länger feuern, als uns das aus den Straßenkampfszenen zwischen Polizei und Bankräubern in „Heat“ (1995) bekannt ist. 22 Bundesstaaten schafften für ihre Polizei Ausrüstung an, mit der sich vergrabene Landminen aufspüren lassen. Weitergegeben wird das Material manchmal für kleines Geld, schließlich gibt es großzügige Zuschüsse. Insgesamt dient die Aufrüstung im eigenen Land als gigantisches Konjunkturprogramm für den militärisch-industriellen Komplex. Auf 3,2 bis 4,3 Milliarden Dollar jährlich werden die Ausgaben der Homeland Security für diese Art der Polizeiunterstützung geschätzt. Die Polizei von Watertown, Connecticut, zum Beispiel (Einwohnerzahl: 22.514) erwarb kürzlich ein MRAP-Fahrzeug mit Preisschild 733.000 Dollar für schlappe 2800 Dollar. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass in Watertown, Connecticut, noch niemals eine Landmine gesichtet wurde. Offen bleibt vorerst auch noch, wofür die Polizei von Bloomington, Georgia, (2713 Einwohner) die vier neuen Granatwerfer braucht. In der Kleinstadt Neenah, Wisconsin, fährt die Polizei jetzt einen Panzerwagen mit drei Meter hohen Rädern. Den letzten Mord gab es dort vor fünf Jahren. In 38 amerikanischen Bundesstaaten verfügt die Polizei über Schalldämpfer, wie militärische Spezialeinheiten sie bei Nachtangriffen verwenden.

Einige Zeit nach 9/11 und dem Aufstieg der Heimatschutzbehörde (Department of Homeland Security) gab es immer wieder seltsame Berichte, wie kleine Polizeireviere in den Genuss von allerlei Hightech-Gerät kamen. Ein berühmtes Beispiel war 2006 das Dörfchen Dillingham in Alaska. Mit einem 200.000 Dollar-Zuschuss von der Homeland Security „zur Abwendung terroristischer Gefahren“ wurden mehr als 60 Überwachungskameras installiert. Dillingham hat 2500 Einwohner und ist nur per Boot oder Wasserflugzeug erreichbar.

Humvees, Nachtsichtgeräte, Laserzielerfassungsgeräte, Tarnanzüge, Scharfschützen-Ghillies, automatische Schnellfeuerwaffen, gepanzerte Truppentransporter, Hubschrauber … Kein Wunder, dass Polizeieinsätze immer mehr militärischen Sonderkommandoeinsätzen gleichen, wie uns das in Michael Manns „Miami Vice“ (2006) noch als typische Übertreibung Hollywoods erschien. Auch in der crime fiction ist die Militarisierung längst angelangt. Nicht nur bei Ace Atkins ist der neue Sheriff ein heimgekehrter Ranger mit Einzelkampferfahrung. Gut lässt sich das etwa an den Elvis-Cole-Romanen von Robert Crais beobachten, in denen sein sidekick Joe Pike, ein Ex-Special-OPs-Soldat mit Blitz-Tattoo am Oberarm, im Lauf der Jahre immer mehr Raum einnimmt. Siehe dazu auch die CrimeMag-Besprechung „Going South“ (mehr hier) und den neu erschienen Crais-Roman „Gesetz des Todes“ (und hier).

Eine Lärmkanone wie gegen Schiffspiraten

In Ferguson/Missouri setzte das St. Charles County SWAT Team auch eine Schallkanone ein. Solch eine Waffe wurde nach dem Bombenanschlag auf das Kriegsschiff USS Cole vom Oktober 2000 entwickelt – um Piraten auf See zu vertreiben. Die LRAD 500 X-Re Sound Cannon (für Long Range Acoustic Device) in Ferguson, die auf das SWAT-Fahrzeug montiert war, kann auf über 2000 Meter bis zu 149 Dezibel entwickeln. Schon „Occupy-Wallstreet“-Demonstranten wurden mit solch peinvollen Lärmattacken in die Flucht geschlagen. Bei 130 Dezibel übrigens kann es zur Ertaubung kommen. Das Missouri Department of Transportation schaffte sich im April 2014 zwei solcher Schallkanonen an, eine kam nun in Ferguson zum Einsatz.

… und die Rassenan Empire Wildernesskarte, samt Schäferhund

Natürlich gibt es zudem die Rassenkarte. In Ferguson war die Polizei sofort mit „K-9 Units“ zur Stelle, die Hundestaffeln spielen auf dem rassistischen Imageklavier. In den 1960er ließ Bull Conner, der Public Safety Commissioner von Birmingham/Alabama, die Polizeihunde auf gewaltfrei demonstrierende schwarze Bürgerrechtler los. Die Ansage dabei: „Ihr seid der Feind!“ Übrigens sammelt der Klu-Klux-Klan unverhohlen für den Polizeioffizier, der die sechs Schüsse auf Mike Brown abgegeben hat. Polizisten bezeichneten die Demonstranten in Ferguson als „Animals“.

Norman Stamper, der 34 Jahre als Polizist diente und nach dem Fiasko der Polizeiexzesse bei den WTO-Demos 1999 in Seattle als Polizeichef zurücktrat, sagt heute: „Hunde haben ihren wichtigen Platz in der Polizeiarbeit, aber ganz sicher nicht bei friedlichem Protest. Man muss klar sagen, Hunde bei der crowd control einzusetzen ist so ziemlich das Schlimmste, was man tun kann. Unter Imagegesichtspunkten sowieso.“

St. Louis war immer schon ein Zwischenstopp für die Nordmigration der Schwarzen aus dem Süden, die in Detroit und Chicago Fabrikjobs suchten. Je mehr Schwarze in die Stadt drängten, desto mehr achteten Makler und Stadtpolitiker darauf, die Vorstädte weiß zu halten. Ferguson gehört schon lange nicht mehr zu den weißen Städten des Inneren Rings. Die weiße Bevölkerung ist längst noch weiter nach draußen gerückt, aber die Machtstrukturen sind weiß geblieben. Zwei Drittel der Bewohner Fergusons sind schwarz, der Bürgermeister und fünf der sechs Stadträte sind weiß. Nur drei der 53 Polizisten der Stadt sind schwarz.

Schwarze in Ferguson, das zeigen Zahlen des Generalstaatsanwalts von Missouri von 2013, geraten zwei Mal häufiger als Weiße in Polizeikontrollen, obwohl die Polizei in 34 Prozent der Fälle bei Weißen mit verbotenen Substanzen oder Diebesware fündig wird, verglichen mit 22 Prozent bei den Schwarzen. Mit 65 Prozent Bevölkerungsanteil machen Schwarze 93 Prozent der Arreste in Ferguson aus, 92 Prozent der Durchsuchungen und 80 Prozent der Verkehrskontrollen. Das St. Louis County Police Department ist für seinen Rassismus berüchtigt. Ein Whistleblower lieferte dazu aktuelles Material, Anfang 2014 wurde deswegen eine Untersuchung gestartet.

Robert D. Kaplan, der in den 1990ern aus Afghanistan, vom Balkan und aus vielen Krisengebieten berichtete, reiste nach 20 Jahren Auslandsaufenthalt quer durch die USA und fand ein tief in Arm und Reich gespaltenes, der Anarchie harrendes Land vor, schrieb 1999 darüber das erhellend-bewegende Buch „An Empire Wilderness. Travels into America’s Future“. George Scialabba nannte die Schilderung „terrifying“.

Auch St. Louis kommt darin vor und die scharf in Weiß und Schwarz geschiedenen Vorstädte. Im Herzen von Amerika, so erlebte er das vor 15 Jahren, schwele hier eine Wunde, herrsche ein erbarmungsloses Nebeneinander der reichen Communities, die von jenseits der Straße erbarmungslos und egoistisch zusähen, wie Menschen und Gemeinschaftsgeist vor die Hunde gingen.

Mike Davis_ökologie der angstZwei Jahrzehnte Aufrüstung gegen einen Feind, der nie kam

Die Aufrüstung der amerikanischen Polizei erwuchs aus den Studentendemos der 1960er Jahre und aus den Rassenunruhen in den Innenstädten, diese nicht zuletzt der Polizeigewalt und Fällen wie Rodney King geschuldet, aus Ronald Reagans „Krieg gegen die Drogen“ und aus Buschs Paranoia nach 9/11, aus dem „Krieg gegen den Terror“. Das US-Verteidigungsministerium legte dafür 1990 das „1033 Programm“ auf, bis heute werden damit die Polizeikräfte mit Kriegsmaterial versorgt. Ursprünglich gehörte das „1033 Programm“ zum National Defense Authorization Act von 1990, mit dem das Pentagon autorisiert wurde, Militärequipment an lokale Polizei zu transferieren, wenn es zum Einsatz im Drogenkrieg geeignet war („suitable for use in counter-drug activities“). Nach 9/11 wurde das auf Maßnahmen des Konterterrorismus ausgeweitet. Kevin Drum von „Mother Jones“ sagt dazu: „We’ve spent the past two decades militarizing our police forces to respond to problems that never materialized.“ Amerikas eigene Tartarenwüste sozusagen, Dino Buzzatis absurder Roman über einen Feind, der nie erscheint, 1976 hervorragend verfilmt von Valeri Zurlini, ein leider verschollenes Juwel.

Auf weniger philosophischer Ebene konditionierten und konditionieren eigene Erzeugnisse der Populärkultur unentwegt Amerikas Angst vor dem Fremden und der Katastrophe, der Kulturwissenschaftler Mike Davis spricht von einer „Ökologie der Angst“ (1999). Erinnert sei hier nur an „Die Invasion der Körperfresser“ (1956), an John Milius und seine „Rote Flut“ (Red Dawn, 1970), an John Carpenters „The Fog – Nebel des Grauens“ (1980) und an zahllose Tage, an denen die Erde stillstand oder sonst wie das Kapitol und/oder das Weiße Haus von fremden Mächten erobert werden.

Das Militär hat die Lösung: Die SWAT-Teams

90 Prozent der amerikanischen Polizeibehörden mit einem Einzugsgebiet von über 50.000 Einwohnern verfügen heute über ein eigenes SWAT-Team. Bei den kleineren Gemeinden sind es 70 Prozent. SWAT, das kommt von „Special Weapons and Tactics“ und bezeichnet Spezialeinheiten, die für polizeiliche Sonderlagen ausgebildet und ausgerüstet sind. Das englische Verb „swat“ bedeutet peitschen oder patschen, wie mit einer Fliegenklatsche.

Die SWAT-Taktik entstand als militärisch inspirierte Antwort auf den sechstägigen Aufruhr von Watts im August 1965, einem Stadtviertel in Los Angeles. Die Rassenunruhen forderten 34 Tote und mehr als tausend Verletzte, es kam zu mehr als 4000 Verhaftungen, erst die Nationalgarde konnte die Ruhe wiederherstellen. Das LAPD rief die erste SWAT-Einheit der USA im Jahr 1967 ins Leben. Am 4. Dezember 1969 kam es zu einem mehrere Stunden dauernden Schusswechsel mit den Black Panthers, an dem 40 SWAT-Kräfte beteiligt waren und mehrere Tausend Schuss Munition abgefeuert wurden; je drei Mitglieder der Gruppe und des SWAT-Teams wurden verletzt. Die Angst vor dem „Schwarzen Mann“, zumal mit einem Gewehr betrachtet, sitzt tief im waffenfetischistischen Amerika. (Siehe dazu weiter unten eine Fußnote.)

Der polizeilich-industrielle Komplex

Radley Balko belegt in seinem Buch „Rise of the Warrior Cop“ die Spuren der Polizeiaufrüstung bis zurück zu Ronald Reagans „Military Cooperation With Civilian Law Enforcement Act“ aus den frühen 1980ern, der dem Militär erlaubte und es ermunterte, „den Polizeikräften auf lokaler, bundesstaatlicher und regierungsamtlicher Ebene Zugang zu all dem neuen Kriegsgerät zu verschaffen“. Balko spricht von einem polizeilich-industriellen Komplex, der sich längst neben dem militärisch-industriellen etabliert hat. Mag es einmal Intention gewesen sein, Spezialeinheiten für extreme und gefährliche Situationen auszurüsten, so wurden daraus die „SWAT-style“ Einsätze in der normale Polizeiarbeit. Hollywood-Filme bilden das schon längere Jahre völlig ungebrochen ab. (Auch unsere Fernsehkommissare huschen immer dreister durch fremde Häuser.) Dazu kommen seit Wolfgang Petersens „Troja“ (2004), einem damals noch etwas abwegig erscheinendes Unternehmen, eine zunehmende Zahl archaischer Kriegsfilme, von „300“ und anderen griechischen Titanenkämpfen bis zu demnächst einem völlig entfesselten „Herkules“ und zur Rückkehr der bewaffneten Affen, ganz unverhohlen „Captain America“ und dem Schüren paranoider Ängste mit TV-Serien wie „Homeland“, in der jeder eigene Kriegsheld ein Feind und Attentäter sein kann. Da hilft nur Aufrüstung, klar. „Preparedness“, wie der militärische Euphemismus dafür lautet.

ferguson5CAAA7cCKDer SEK-Wahnsinn und die Folgen

Wir kennen das auch bei uns. Und kennen es auch aus immer mehr „Tatort“-Filmen, in denen vermummte und niemals zur Rechenschaft gezogene Spezialkräfte gegen Filmende herumhuschen und oft genug den Verdächtigen per finalem Hinrichtungsschuss aus dem Weg schaffen. (Siehe dazu auch bei CrimeMag den Offenen Brief „Stoppt den SEK-Wahnsinn“ an die ARD-Programmkonferenz.)

Dass Vermummte und Gepanzerte in den USA immer öfter ausrücken, auch wenn es nur um eine Hausdurchsuchung oder die Zustellung eines Gerichtsbeschlusses geht, hat seine Ursache auch im „1033 Programm“, denn es verlangt, dass alles ausgelieferte Equipment binnen eines Jahres eingesetzt wird. Wenn ein Police Department die neue Ausrüstung behalten will, kann man nicht auf einen verschanzten Scharfschützen, eine Geiselnahme oder einen Al-Quaida-Schläfer warten. Training für das martialische Gerät gibt es so gut wie keines.

Das schockartige Eindringen der Polizei in eine Wohnung, ohne anzuklopfen, die sogenannten „no-knock-warrants“, wurde einst damit begründet, dass es das schnelle Hinunterspülen von Drogen in der Toilette zu verhindern galt. Mittlerweile braucht es solche Begründungen nicht mehr und solche Polizeiaktionen – bei der Menschen sterben, auch in der Bundesrepublik übrigens, gern in Bayern – richten sich auch gegen Bagatelldelikte. Ein Fehler im Antrag für einen Studienzuschuss, eine vermutete Betrugsabsicht, reicht aus, um die Haustür aufgesprengt zu kommen und nackt an die Wand geklatscht zu werden. In Atlanta landete bei einer Razzia eine Blendgranate in einer Wiege und brannte dem Baby ein Loch in den Bauch. In Louisiana wurde ein Nachtclub von schwerbewaffneten, maskierten Polizisten gestürmt, der Anlass war eine Getränke-Inspektion. In Florida ging ein Friseurladen zu Bruch, weil dort angeblich ohne Lizenz rasiert wurde. Die in den Waffenkammern der Polizei lagernde Ausrüstung führt dazu, dass die Polizei SWAT-Teams nicht nur wie militärische Einheiten wirken, sondern auch so vorgehen. Häuserkampf mitten in Amerika. Gegen die eigene Bevölkerung.

Dabei geht die Kriminalität zurück. 1980 wurden 23.000 Morde in den USA gezählt, 2012 waren es bei einem Bevölkerungszuwachs von über 80 Millionen insgesamt 14.827 Tote.

policeARMS-web-Artboard_1Jährlich 50.000 Razzien

Mehr als 100.000 Beschäftigte der US-Bundesbehörden haben die Berechtigung, Schusswaffen offen zu tragen und Verdächtige festzunehmen. Das Department of Homeland Security, das State Department, das Department of Energy, das Department of Education, der U.S. Fish and Wildlife Service and der National Park Service haben alle ihre eigenen Vollzugsorgane. All dies jenseits der Polizeibehörden. Der National Defense Authorization Act von 2012 (NDAA) erlaubt es, dass jeder, der des Terrorismus gegen die Vereinigten Staaten verdächtig scheint, auf unbefristete Zeit und ohne Gerichtsverfahren in militärischen Gewahrsam genommen werden kann. Auch der Ermittler Harry Bosch des politisch eher braven Michael Connelly hat das schon erlebt. Connelly ist mit der TV-Serie „Bosch“ ein Flagschiff von Amazons Filmimperiums-Bemühungen (siehe auch „Hol schon mal die Drohne, Harry“ (AM dazu bei CrimeMag). Die Drohnen, mit denen Amazon seine Zustellungen plant, dürften freilich bald den regierungsamtlichen Fluggeräten in die Quere kommen. An die 30.000 Drohnen, so vorsichtige Schätzungen, werden bald den Himmel über amerikanischen Klein- und Großstädten patrouillieren. Nahe der Wüstenstadt Bluffdale – wie so oft, könnte keine Fiktion jenseits von Ross Thomas sich solche Details ausdenken – entsteht das zwei Milliarden Dollar teure UDC (Utah Data Centre), wo in einem fünfmal größeren Gebäudekomplex als der Kongress in Washington die NSA in Echtzeit schon bald unvorstellbare Datenmengen filtern will. David Wise, der 1976 über „The American Police State: The Government Against the People“ schrieb, müsste inzwischen deutlich nachlegen.

Heute lässt der Verfassungsrechtler John W. Whitehead die Sirenen heulen. Sein aktuelles Buch heißt: „A Government of Wolves: The Emerging American Police State“. Ein Zitat daraus:

„Fear, and its perpetuation by the government, is the greatest weapon against freedom, and propaganda is the most effective tool for keeping the populace in check. Propaganda, an expertise of politicians, is in reality a fiction. But it is an effective fiction. And in an age of amusements and entertainment, the so-called masses of Americans, who often take what television’s talking heads say as the gospel truth, have difficulty distinguishing between fiction and reality.“

Doraville_Swat-Team_freiesBildPolizeichefs, heute nostalgische Figuren

Kara Dansky vom ACLU Center for Justice, der Rechtsabteilung der American Civil Liberties Union (Motto: Because Freedom Can’t Defend Itself), veröffentlichte im April 2014 die Studie „War Comes Home: The Excessive Militarization of American Policing“. Daraus geht hervor, dass es in den USA jährlich etwa 50.000 paramilitärische Razzien und Durchsuchungen gibt, durchschnittlich 135 jeden Tag. Viele dieser Aktionen sind oft erfolglose Wohnungsdurchsuchungen, meist nach Drogen, die dann nicht gefunden werden. Dansky sagt: „We found a shocking number of incidents where the police would raid a home, traumatize people within the home and not find the weapons or drugs they claimed would be there.“Überproportional finden solche Übergriffe in „communities of color“ statt.

Von 800 SWAT-Einsätzen (raids), die vom ACLU näher untersucht wurden, erwiesen sich 80 Prozent als eigentlich normal zu handhabende Rechtsvorgänge, nur sieben Prozent waren wirkliche Noteinsätze wie Geiselnahme oder eine Verschanzung. Aus Joseph Wambaughs „New Centurions“ sind blindwütige Prätorianer geworden, ohne jeden Chorknaben-Charme. Ein Ritter wie WambaughsBlue Knight“ oder ein Kleinstadt-Polizeichef wie Robert B. Parkers Jesse Stone (dennoch lesen, auf Deutsch bei Pendragon) sind nostalgische Figuren. Balko zeigt auf, wie die beständigen Kriegserklärungen der Politik und Medien gegen vage Feinde wie Kriminalität, Drogen oder Terror die Unterscheidungen zwischen Cop und Krieger verwischt haben. Schon eine ganze Generation lang hat eine schleichende Gefechtsfeldmentalität die Polizisten von den Bürgern entfremdet. Nun sind sie auf Kollisionskurs mit den Werten einer freien Gesellschaft – dies ist der Konflikt von Ferguson/ Missouri.

Ob die Polizeichefs von Watertown, Bloomington, Neenah. Dillingham oder Ferguson (siehe die Aufrüstungsbeispiele weiter oben) zu literarischen Figuren taugen, muss uns erst noch bewiesen werden. Die Zeit des police procedurals mit Polizeichefs wie K.C. Constantines Mario Balzic oder Steve Carrera von Ed McBains 87. Revier jedenfalls verglüht gerade mit den Gefechtsfeldfackeln von Ferguson.

violent-springLiterarisch ist da eher Hoffnung auf der anderen, auf der subversiven Seite, von neuen, jungen, zornigen Frauen und Männern. Vielleicht braucht es wieder einen Blick auf Chester Himes und sein Harlem, auf seinen erst posthum erschienenen, apokalyptischen „Plan B“ (1993), auf Peter Blauners Debütroman „Slow Motion Riot“ (1991), auf Douglas E. Winters „Run“ (2000) und auf Gary Phillips, dessen schwarzer Ermittler Ivan Monk eine direkte Reaktion auf die Unruhen des Jahres 1992 in South Central, L.A., war. „Violent Spring“ (1994) hieß der entsprechende Roman. Ein programmatischer Titel.

Norman Mailer schrieb 1968 in seinem furiosen Buch „Heere aus der Nacht. Geschichte als Roman. Der Roman als Geschichte“, für das er sich bei der Anti-Vietnam-Demonstration im Oktober 1967 in Washington verhaften ließ: „Und Mailer kam schließlich zur traurigsten aller seiner Schlussfolgerungen, sie ging weit über den Krieg in Vietnam hinaus: Es war ihm im Lauf der Zeit die Erkenntnis gedämmert, dass möglicherweise Amerika, ganz Amerika, in seinem innersten Kern geisteskrank sein könnte. Das Land lebte in einer mühsamen, ja teilweise nur mit wilder Verbissenheit beherrschten Schizophrenie, die sich von Jahr zu Jahr verschlimmert hatte und aus der es nun vielleicht keinen Weg mehr zurück gab … Also braucht Amerika den Krieg.“

PS: Vom 4. bis 8. September 2014 kann man der militarisierten Polizei bei einem 48-Stunden-Training und bei einer großen Messe zusehen. In Alamada County, Kalifornien, ruft die Veranstaltung „Urban Shield“ zu „Critical Training 4 Critical Times“. Dutzende von Sponsoren von der Homeland Security bis zu Waffen- und Ausrüstungsherstellern werben dort bei Polizeikräften aus dem ganzen Land um Aufträge. So zum Beispiel die Armored Mobility Inc.: „The Worldwide Leader in Dynamic Mobile Armor and Shields: Today’s threat is rifle rounds and they are coming in bunches, through doors, walls and ceilings! Our Dynamic Armor and Mobile Armored Shields will save lives.“

PPS: Zwei Zitate aus „The Wire“: „This drug thing, this ain’t police work. Soldiering and police, they ain’t the same thing.“
Und: „You call something a war and pretty soon everyone’s gonna’ be running around acting like warriors. They’re gonna’ be running around on a damn crusade, storming corners, slapping on cuffs and racking up body counts. And when you’re at war you need an enemy. And pretty soon damn near everybody on every corner’s your enemy. And soon the neighborhood you’re supposed to be policing, that’s just occupied territory.“

PPPS: Im Februar 1967 waren Huey Newton, Bobby Seale und einige andere Black Panther von einem Polizisten beobachtet worden, wie sie in Oakland Waffen in einen Kofferraum luden. Der Polizist rief Verstärkung; als die Polizisten das Auto umstellten, saß Huey auf dem Fahrersitz, im Schoß hielt er eben jenes M1-Gewehr, mit dem er für das berühmte Foto posiert hatte. Seinen Führerschein zeigte Huey her, die Waffen ließ er nicht kontrollieren. Er müsse nur seinen Ausweis zeigen und seine Adresse nennen, zu mehr sei er nicht verpflichtet. „Who in the hell do you think you are?“, antwortete der Cop. „Who in the hell do YOU think you are?“, schoss Huey zurück und betonte, sie alle hätten ein Recht, diese Waffen zu tragen.

Die Polizisten befahlen Huey, auszusteigen. Das tat er, aber er schob dabei ein Magazin in sein Gewehr, hielt den Lauf nach oben, vermied das Zielen auf die Cops. Was er mit der Waffe tun wolle, wurde er gefragt. Was sie denn mit ihren Knarren tun wollten, fragte er zurück. Eine ganze Gruppe Zuschauer hatte sich gebildet, die Polizisten befahlen ihnen, weiterzugehen. Huey rief ihnen zu, zu bleiben. Das kalifornische Recht erlaube den Bürgern, der Polizei bei Verhaftungen zuzusehen, auch das hatte er im Jurastudium gelernt. Mit lauter Stimme, fürs Publikum, rief er dann: „Wenn ihr versucht, auf mich zu schießen oder wenn ihr mir die Waffe abnehmen wollt, schieße ich zurück, ihr Schweine.“ Den Polizisten war klar, dass Huey in jedem Punkt Recht hatte, sie zogen sich zurück. Für seine Leute war Huey Newton ab sofort „the baddest motherfucker in the world“. Noch kein Jahr alt als Organisation, sahen sich die Panther „mit Waffen in der Hand nicht länger als Objekte, sondern als Gleichberechtigte“.

FBI-Chef J. Edgar Hoover bezeichnete die Black Panther als „die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit“, sein FBI schreckte auch vor Falschaussagen mit unterschobenen Beweisen und Drogen nicht zurück, um einzelne Mitglieder zu verhaften und vor Gericht zu bringen. Ortsgruppen wurden infiltriert und unterwandert, von Provokateuren sabotiert, ein richtiggehender Desinformations- und Gegenterrorkrieg geführt – das sogenannte „COINTELPRO-Programm“. (Auszug aus der CrimeMag Reihe zur Kulturgeschichte des Scharfschützen, hier zum bewaffneten schwarzen Mann.)

Interaktive Karte der Militärausrüstung der Polizei

Alf Mayer

Alf Mayers Beiträge bei CulturMag, zu seinem Blog.

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