Geschrieben am 15. Februar 2014 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Alf Mayers Moving Targets: Bosch

Bosch Pilotfilm nach Michael Connellys RomanenMichael Connellys „Bosch“ als Amazon-Torpedo

Neues von Alf Mayer über Connelly und Amazon, diesmal ohne Drohne, aber mit ein wenig Kulturpessimismus.

Seit Tagen will Amazon, dass ich endlich „Bosch“(Pilotfilm nach Michael Connellys Romanen von Amazon Studios) bewerte. Sie werden nicht lockerlassen und meine kostenlose Stunde Filmegucken auf „amazon prime“ wird gewiss weitere Konsequenzen haben. So ist sie, die Krake Amazon, die mir gerade am US-Erscheinungstag den nach zehn Jahren ersten neuen Roman von Ken Nunn („Chance“) für schlanke 14,95 Euro ins Haus brachte – nachdem meine Lieblingsbuchhandlung, der New Yorker Strand Book Store, nach einem Generationswechsel mit Relaunch und neuen Versand-Mondpreisen als zuverlässig günstiger Beschaffer von amerikanischer Neuware ein Ausfall geworden ist. Fast jedes neue Buch gab es dort einmal als „Rezensionsexemplar“ druckfrisch zum halben Preis, mit freundlichen 3 Dollar Versandkosten. Aber sie ändern sich, die Zeiten – und „Bosch“ dreht mit am Rad.Moving Targets_Strand Book Store
Ausgerechnet der Bestsellerautor Michael Connelly, der es finanziell gewiss nicht nötig hat, vertraut seine langjährige Romanfigur Harry (Hieronymus) Bosch den neuen „Amazon Studios“ an. Ich habe mich darüber hier schon einmal befremdet geäußert. (Siehe „Harry hol schon mal die Drohne!“)

Ein Gewitter im Monument Valley …

Nein, ein Friedrich Forssmann bin ich nicht, kein Maschinenstürmer, aber aus einer Generation, die noch weiß, was KINO ist, was Bilder und Geschichten auf einer das eigene Blickfeld überdehnenden breiten Leinwand an Kraft und Macht, Zauber und Poesie zu entfalten vermögen, die mit Cinemascope-Filmen groß wurde, „Lawrence of Arabia“ im 70-mm-Format sah, „Die sieben Samurai“ oder Ciminos „Heavens Gate“. Wagenrad groß waren dessen Filmrollen, bis zu meiner Schulterhöhe gestapelt, damals im Delphi-Filmpalast während der Berlinale 1980. Lange vorbei, mein & dein & aller Palast ist heute bestenfalls eines der größeren handelsüblichen Tablets, Kino im Taschenbuchformat. Und liebe pixelige Boys & Girls, lasst OLYMPUS DIGITAL CAMERAeuch gesagt sein, kein noch so Ultra-HD oder Retina Display, keine angeblichen 50 Millionen Farben, werden je erreichen, was photochemische Prozesse auf Zelluloid bewirken konnten. Da war Seele, jetzt ist klinische Sterilität, eine nur technische, kalte räumliche Tiefe. „Mehr Licht!“, solch einen Ausruf, den wird bald niemand mehr verstehen mögen.

Wer die Plattenaufnahmen von Ansel Adams kennt oder je die restaurierte 35er-Fassung von John Fords „She Wore a Yellow Ribbon“ (1949) im Kino sah, wird wissen, was ich meine – das Monument Valley bei Nacht und aufziehendem Gewitter, eine Reiterkolone unterwegs in Richtung Vordergrund, und hinten, weit hinten, zucken die Blitze, machen ein ziseliertes Lichtspektakel ohnegleichen. Kameramann Bruce Surtees wollte wegen der Lichtverhältnisse damals nicht drehen, Ford zwang ihn angeblich mit vorgehaltenem Revolver dazu, Surtees gewann einen Oscar. Das ist Film. Wenn ihr das letzte Pixel gelöffelt, alle kleinen Kinos gekillt, jeden Schmutz und jedes Korn aus den Filmen getrieben, jeden banalen Werbespot mit CGI-Effekten aufgebläht und 500 mal 500 Milliarden Farben auf die Monitore der Welt gekippt habt, werdet ihr merken, dass man digitale Bilder nicht küssen kann, dass kein Herz der Welt sie in sich als Glücksmoment auf immerdar brennen mag.

und Pixel auf einem Tablet

Nun also „Bosch“. Die ersten zehn Minuten na ja, mittlere Serienware. Der Moment, in dem Harry im Regen, bei Nacht (siehe oben), einen am Boden knienden Verdächtigen erschießt so ungelenk, dass es fast schmerzt, die Szene aber uneindeutig genug, um im Gedächtnis zu bleiben. Harry wird deshalb zwei Jahre später, da setzt der Film dann richtig ein, ein Verfahren am Hals haben, das zum Ende des Pilotfilms hin als Cliffhanger funktioniert. Bosch also unter Beschuss, neben der Spur, und er krallt sich einen neuen alten Fall. Ab da wird „Bosch“ richtig gut, findet der Film buchstäblich die richtige Einstellung zu seinen Figuren, geht auf Abstand, lässt Raum zu um die Personen. Sozusagen ein inneres 35-Millimeter-Format, ein – und auch das gelingt „Bosch“ – beim richtigen Erzähltempo mächtiger Resonanzboden im Zuschauer. (Viel zu viele Filme gehen heute zu nahe heran, was angeblich dem alles bestimmenden TV-Format geschuldet ist, ganz übel hier derzeit Kenneth Branaghs auch ansonsten verunglückte Tom-Clancy-Verfilmung „Jack Ryan: Shadow Recruit“.)

Anselm Adams, The Tetons and the Snake River, Grand Teton National Park, Wyoming 1942

Anselm Adams, The Tetons and the Snake River, Grand Teton National Park, Wyoming 1942

Jedenfalls, meine inhaltlichen Vorbehalte gegen eine Tabletformat-Aufbereitung erwiesen sich bei „Bosch“ als unbegründet. Ich war gefangen und bewegt. Wie die Knochen eines Kindes an einem Steilhang im Wald gefunden werden, wie sich da ein Drama enthüllt, das ist wunderbar erzählt. Boschs wachsende Obsession mit diesem alten Fall, der außer ihm niemanden mehr interessiert, wird glaubwürdig. Poetisch schön, wie er nachts noch einmal an den Tatort streicht, der kleine Strahl einer Taschenlampe irrlichternd in all dem kalifornischen Wald. John Ford lässt – immerhin – von sehr weit her grüßen.

Harry Bosch, auf Click-and-Vote-Format gebracht

Dass „Bosch“ funktioniert, hat auch mit dem Hauptdarsteller Titus Welliver zu tun. Groß und hager, die Augen von alten Geschichten melancholisch, der Mund eine Narbe alter Schmerzen, das verhaltene Lachen dann umso schöner, gibt Welliver der Figur eine Persönlichkeit. Ich kann verstehen, dass Michael Connelly mit Harry Boschs Darsteller zufrieden ist:

„I am very proud of, have no regrets about, and that I think accurately portrays the character and story of Harry Bosch as well as the city of Los Angeles. There are some things that are new but so much that comes directly out of the books and what we know about Harry. And its got Titus Welliver as the man himself. I can’t think of another actor who could so tightly and perfectly bring Harry Bosch to life.“

Der Pilotfilm (und die noch zu drehenden Folgen, falls ich und andere sich zustimmend äußern) ist aus zwei Connelly-Romanen gebaut: „City of Bones“ und „The Concrete Blonde“, sowie der Kurzgeschichte „Cielo Azul“. Die ursprüngliche Vita Harry Boschs, der danach heute über 60 wäre, wurde verändert. In „Bosch“ ist er 47 und ein Veteran des ersten Golfkrieges von 1991, wo er als Special Forces-Soldat Tunnels vom Feind säuberte. Im allerersten Harry-Bosch-Roman „The Black Moving Targets_Black EchoEcho“ (1992) waren das noch Vietkong-Tunnels gewesen, Harry war ein davon traumatisierter Kriegsveteran. Connelly, ein Zivilist ohne Wehrdienst, soweit ich weiß, kam darauf nie wieder so richtig zurück. Heute ist eine militärische Vergangenheit wohl notwendig zielgruppenorientiertes Beiwerk. (Ich warte auf eine Abstimmung über weitere Biografie-Accessoirs.) 20 Dienstjahre auf dem Buckel, nahm sich der upgedatete Bosch eine Auszeit beim Police Department und diente nach 9/11 in Afghanistan, wo es wieder Tunnelarbeit für ihn gab.

Werde ich „Bosch“ ein gutes Rating geben? Als Film hat er es auf jeden Fall verdient. Aber geht es hier überhaupt um Fragen der Ästhetik? Ich fürchte, nein. Film- und medienpolitisch ist „Bosch“ ganz klar ein Torpedo, ein Panzerbrecher. Es geht um Verdrängungswettbewerb. Amazon macht kein Hehl daraus, ist auch in Sachen Film eben Amazon. Ein Bestsellerautor kommt da gelegen. Und Connelly macht freudig mit. Noch ist „Bosch“ kostenlos zu sehen, aber „Amazon streaming“ ist ein knallharter Abo-Service wie HBO, Netflix, Maxdome und all die anderen Kabeldienste. Wenn „Bosch“ in Serie geht, wird es eine Mitgliedschaft bei „Amazon prime“ brauchen, um sie weiter sehen zu können. Connelly weiß das, all das steht auf seiner Webpage. Hier sein Text vom letzten Herbst:

„Sometime early next year – probably in March – this pilot will be available for free viewing and comment. However, like HBO or Netflix or any cable provider, Amazon streaming is a subscription service provided under Amazon Prime. If Bosch goes to series a membership in Amazon Prime will be needed to watch it at some point.“

Brot und Spiele, heute

Dass Amazon mich also nun nervt, „Bosch“ zu bewerten, ist Quote in neuer Form. Reichweitenmessung in neuer Qualität, mit sofortigen Verknüpfungen für Folgegeschäfte. Kunden-Direktanbindung in ziemlich ultimativer Form. So wie die Amazon Studios nun weltweit das kreative Potential abschöpfen – man schaue sich auf der Webseite um, mit all den Piloten und Beteiligungsstufen mit Fessel-Honorierung –, so werden auch wir Zuschauer abgemolken und in Klingendes umgemünzt. Klar ist Streaming schön, sich nicht mehr vorschreiben lassen zu müssen, wann und wo man fernsehen will. Video-on-Demand Moving Targets_House of Cards(VoD) wird immer beliebter. Kevin Spacey, der in der Netflix-Serie „House of Cards“ glänzte und als Produzent daran prächtig verdiente, fasst es populistisch und bar jeder Ironie so zusammen: „Gebt den Leuten, was sie wollen, wann sie es wollen, in der Form, wie sie es wollen, und das zu einem vernünftigen Preis. Dann werden sie es lieber kaufen wollen, als es zu stehlen.“ Kai Hennings, der Gründer des Schweizer VoD-Portals Viewster, sieht es kommen, dass „2020 VoD das klassische Fernsehen überholt haben wird“.

Mag ja sein. Mich fröstelt, wenn nicht mehr ein paar verrückte Kreative sich irgendwie Geld besorgen, um ihre Projekte durchzuziehen, und sie alle zusammen sagen, „Ok, das riskieren wir“, sondern dass da Analysten und Algorithmiker die Vorgaben machen. Dieter Bohlen, der „Bergdoktor“ und andere Surrogate lassen vom Quotengipfel grüßen. „Bosch“, was tust du uns da an?

Alf Mayer

Bosch – Pilotfilm nach Michael Connellys Romanen von Amazon Studios, 2014. 55 Minuten. Sprache: Englisch. Buch: Eric Overmyer und Michael Connelly. Regie: Jim McKay. Produzent: Henrik Bastin, Fabrik Entertainment. Mit Titus Welliver, Annie Wersching, Amy Price-Francis, Jamie Hector. Mehr Informationen von Amazon, zu Bosch TV und demAutor.

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