Geschrieben am 11. Januar 2014 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Ein offener Brief an die ARD-Programmkonferenz von Alf Mayer

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Crime Fiction – das (multiple) Leit-Medium unserer Tage übt mit seiner Bilderflut und seinen Ikonographierungen die Wahrnehmung von Realitäten ein. Wie vermittelt auch immer. Besonders problematisch wird das, wenn Fiktionen unterstellt wird, sie bildeten Realitäten einfach ab. Man kann so was Ideologiebildung nennen. Alf Mayer hat in diesem Sinn recherchiert und dann einen Brief geschrieben:

Stoppt den SEK-Wahnsinn im Fernsehen!

Ein offener Brief an die ARD-Programmkonferenz (Durchschlag ans ZDF)

Sonntag, 5. Januar 2014, zwei Tatorte hintereinander, Nummer 894 und 895, zweimal satte Quote. 9,3 Millionen Zuschauer bei „Der Eskimo“ und 7,3 Millionen, ein Marktanteil von 27 Prozent, ab 22 Uhr bei „Franziska“. Der grausame Tod der Assistentin der Kölner der Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) war hierfür vorab angekündigt. Gleich zweimal an diesem Abend auch das, was mir schon länger und zunehmend gehäuft im Tatort aufstößt: der SEK-Wahnsinn.

Erst dachte ich, bei der in ARD und ZDF zu beobachtenden sprunghaften Zunahme vermummt aufmarschierender, schwerbewaffneter Gestalten (neben denen, oh wie realistisch, dann der Kommissar im Regenmantel voranstürmt) handle es sich um eine konzertierte Imageaktion der Innenministerkonferenz der Länder. Dem aber ist nicht so, wie ich jetzt anhand einer Telefonrecherche bei den Innenministerien von Bayern bis Bremen lernen musste. Sie in den Fernsehanstalten sind höchst selbst für das verantwortlich, was Sie uns Zuschauern als Polizeirealität vorsetzen. Weder sind das allermeist echte Polizisten in den Nebenrollen oder bei der Statisterie noch zur Verfügung gestelltes Polizeigerät – „Wir brauchen unsere Sachen selbst“, sagt dazu PHK Guido Busch von der Berliner Polizeipressestelle.

Seit die Ordnungshüter mit Gebührensätzen operieren (müssen), sind derartige „Ausleihen“ bundesweit drastisch gesunken, private Anbieter, sprich Filmausstatter, beherrschen den Markt. Nachgelassen hat auch die fachliche Beratung durch die echte Polizei, nicht dass es das gar nicht mehr gäbe, aber eben eher als Ausnahme. In Berlin war dafür sogar eine Kommissarin hauptamtlich abgestellt, seit deren Beratung aber Geld kostete, gingen die Anfragen stark zurück und die Stelle wurde gestrichen. Vorbei auch die Zeiten, als Polizeibeamte 1964 quer durch Deutschland Werbung für das „Polizeirevier Davidswache“ machten, vor den Kinos Spalier standen und begeistert zum 3,2-Millionen-Besuchererfolg beitrugen. Fragen Sie heute einen Polizeibeamten nach dem Tatort, wird er die Augen verdrehen und sich allenfalls um Höflichkeit beim Formulieren seiner Geringschätzung bemühen.

Gottesdienste mit Todesfolge

Klar können Sie sich hinter all dem föderalen und natürlich nicht vernetzten Wahnsinn verstecken, niemand bei Ihnen hat einen Überblick, was die alles machen und vorhaben in den Programmredaktionen. (Oder wissen Sie es doch? Können Sie mir die nächsten fünf SEK-Einsätze im Tatort vorab nennen?) Mittlerweile stinkt hier etwas konzertiert zum Himmel. Dass der Tatort ein profanisierter Gottesdienst ist, in dem man am Sonntagabend statt früher am Sonntagmorgen lernt oder sich bestätigt, was falsch ist oder richtig – Allgemeingut. Dass das Blaulicht nicht auf einem Porschedach hält und die lange Nase des von Richie Müller gespielten Stuttgarter Kommissars ein sanft ironischer Verweis auf vielerlei Pinocchio-Gebaren im Umgang mit der Realität ist – geschenkt. Dass sich die Beziehungskisten des jungen deutschen Films, wie der mal tatsächlich hieß, aus den Fernsehspielen zum Tatort verlagert haben, dass sein Personal gar nicht mehr exzentrisch genug sein kann – der Fluch von „Dr. House“ und „Monk“.

Natürlich hat jeder Mediennutzer seine höchsteigenen Puffer zwischen sich und dem, was ihm die Medien vorspielen. Dennoch sind dies kommunizierende Kanäle, wie unterirdisch, sublim und affektgesteuert immer. Seit einiger Zeit fällt mir auf, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen ‒ und hier besonders der Tatort ‒ immer öfter ein Volksempfinden bedient, das auf „Kopf ab“ hinausläuft und ganz ordinär die Sehnsucht nach der Todesstrafe für Kinderschänder, Vergewaltiger und Entführer bedient. Das Instrument dafür: der Einsatz eines vermummten Spezialeinsatzkommandos (SEK), das den Täter ohne zu fackeln zur Strecke bringt, sprich mit dem finalen Rettungsschuss hinrichtet. So geschehen am 5. Januar abends, gleich zweimal hintereinander. Kein Schuss ins Bein, kein Kampfunfähigmachen, nein, Aus-die-Maus, weg mit dem unerträglich gewordenen Schwein. In den 39 Tatorten des Jahres 2013 geschah dies an die zehn Mal, gefühlt in einem von vier Tatorten. DAS MUSS DOCH JEMANDEM AUFFALLEN bei Ihnen in der ARD. Bei Ihnen mit dem gebührenfinanzierten Auftrag: „Dass die Kraft von Bild und Wort das Gute wirke“, wie es sich der NWDR-Generaldirektor Dr. h.c. Adolf Grimme am 23. Oktober 1953 bei der Schlüsselübergabe für das erste „Haus des Fernsehens“ in Hamburg-Lokstedt von seinem Medium erhoffte.

Mehr Blei als Vernunft …

Bundesweit wird jeder aus einer Polizeiwaffe abgegebene Schuss erfasst, auf Personen gezielt wird dabei im Jahr etwa hundert Mal (2012: 104, 2011: 115, 2010: 106). In der Tatort-Folge mit Til Schweiger als (sic!) Ex-SEK-Kommissar wurde 2013 mehr Blei verballert als all die rund 260.00 echten Polizisten in Deutschland in einem Jahr bundesweit an solchem Schusswaffengebrauch vorzuweisen haben. Es gab sieben Tote, in Schweigers nächstem Tatort soll es noch mehr Leichen geben, wurde gerade stolz angekündigt. Die Anzahl der in der Bundesrepublik insgesamt zwischen 1988 und 1997 auf Personen abgegebenen Polizeischüsse betrug 2105. Von 1998 bis Ende 2012 wurden 656 Ernstfälle gezählt, in denen Polizisten auf Menschen zielten und auch abdrückten. Dabei starben in diesen 15 Jahren insgesamt 109 Menschen, statistisch also 7,3 pro Jahr (2013: 8, 2012: 6, 2011: 8, 2010: 8, siehe auch die von Prof. Clemens Lorei geführte Statistik im Anhang.)

… von der Kunst des Erzählens zu schweigen

Neben all dem ethisch Besorgniserregenden solcher Schießwütigkeit im angeblich so realitätstüchtigen deutschen Fernsehen leidet darunter auch die Kunst die Erzählens. Das anonymisierte Wegpusten des Bösewichts durch maskierte Pseudo-Ninjas ist ein primitivierter und stereotyper Deus-ex-machina-Effekt. Düpiert werden damit im Übrigen all die Habhaftsbegehren der Kommissare nach Täter und Wahrheit, all die vorangegangen Spannungsbögen und Ambivalenzen. Als atavistisch-moderne „Gerechtigkeit“ wird uns die Todesstrafe serviert. Das sei ein „Triumph des Fernsehens“, wie jetzt jüngst bei „Franziska“? Ich bitte Sie. Was Sie hier bedienen mit solch einem Programm, sind niedere Instinkte und sonst nichts.

Nachdem wir in den beiden letzten genannten Tatorten, beide übrigens baugleich erzählt, in den Konflikt geführt wurden, einen Missetäter teilweise sympathisch und vielleicht ja doch gar nicht so schlimm zu finden, ja sogar FÜR ihn und seine Besserung zu optieren, wird uns klar gemacht, wie böse er wirklich ist. Früher genügte das als ein starkes Ende. Heute lässt die Dramaturgie das SEK-Kommando anrücken, in beiden Fällen hanebüchen schnell und grotesk, dann setzt es den roten Laserpunkt, und wir haben sie, die gebührenfinanzierte Todesstrafe. Am letzten Sonntag zweimal vollstreckt.

Die Wiedereinführung der Todesstrafe

13 der 15 meistgesehenen Filme im deutschen Fernsehen sind Tatorte. Wie meinte doch der bekennende Tatort-Fan Ralf Stegner, Chef der schleswig-holsteinischen SPD, der Kopien aller 895 seit 1970 gezeigten Tatort-Filme sein eigen nennt, dem Magazin „Cicero“: „Was an wichtigen Themen in der Gesellschaft verhandelt wird, kommt im Tatort vor. Er ist ein Stück Bundesrepublik Deutschland.“

Der Fernsehforscher Knut Hickethier attestierte Ihnen einmal:

„Fernsehserien stellen ‚kulturelle Foren‘ dar, auf denen in lebensnahen Situationen gesellschaftliche Probleme erörtert und verhandelt werden. Dass es sich hier um fiktionale Formen handelt, die eben keinen Anspruch erheben, unmittelbar identifizierbare Personen darzustellen, erlaubt es, Sachverhalte und Verhaltensweisen anzusprechen, die im dokumentarischen Bereich so nicht möglich wären und sich nicht in gleicher Weise idealtypisch zuspitzen ließen. In komprimierter und gleichzeitig überdeutlicher Form führen die Serienfiguren die Probleme vor, die im gesellschaftlichen Leben virulent sind. Aufgrund ihrer Überspitzung lassen sich die hier angesprochenen Konflikte und Lösungen besonders gut diskutieren. An ihnen entzünden sich Streitgespräche der Zuschauer, die wiederum zur Festigung von Maßstäben und zur Neuorientierung von Handlungsmaximen im realen Leben dienen können.“

Was Sie betreiben, mit Ihrem SEK-Wahnsinn als Handlungsmaxime, das ist die Wiedereinführung der Todesstrafe per Fernsehquote.

Mit freundlichen Grüßen

Alf Mayer
PS. Ach ja, vielleicht überarbeiten Sie ja bei Gelegenheit die FAQs auf der Tatort-Seite der ARD Zuschauerredaktion. Dort heißt es: „Der Tatort ist erfolgreich, weil er realistisch ist. Seine Kommissarinnen und Kommissare sind ein Abbild unserer gesellschaftlichen Verhältnisse“. Zur Frage: Warum wird der Tatort immer gewalttätiger?, behaupten Sie dort:
„Jeder Tatort, den Sie im Ersten sehen, wird vor der Ausstrahlung nach den Kriterien der „ARD-Grundsätze gegen Verharmlosung und Verherrlichung von Gewalt im Fernsehen und des Jugendschutzes geprüft. Auch wenn die Krimis Gewaltszenen enthalten, sehen Sie in keinem Tatort Gewalthandlungen, die zum Selbstzweck und ohne dramaturgische Begründungszusammenhänge in Szene gesetzt werden. Gewalt wird nicht als Mittel zur Konfliktlösung angepriesen. Außerdem werden die Auswirkungen von Gewalt auf ihre Opfer nicht ausgeblendet. Es trifft daher nicht zu, dass der Tatort immer gewalttätiger wird.
Da lachen, mit Verlaub, die Hühner. Und Til Schweiger feixt sich einen.

PPS. Das juristische Konzept des finalen Rettungsschusses stammt aus dem Jahr 1973, seitdem haben es 13 der 16 Länder es in ihre Polizeigesetze aufgenommen und schränken damit das Grundrecht auf Leben ein (Artikel 2, Satz 1 Grundgesetz), dies mit der Maßgabe: „Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“

Sie wollen uns Fernsehzuschauern alle Nas lang tatsächlich weismachen, dass Ihren Drehbuchautoren, Regisseuren und Redakteuren keine anderen Mittel mehr einfallen oder zur Verfügung stehen, um einen Tatort zu Ende bringen? Gute Nacht.

Anlage: PDF Statistiken zum polizeilichen Schusswaffengebrauch in Deutschland, Stand 2. Januar 2014, von Prof. Clemens Lorei.
Foto: © Nadja Israel

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