Geschrieben am 27. Dezember 2018 von für Allgemein, Crimemag, Highlights 2018

CulturMag Highlights 2018, Teil 5 (Geier – Göhre – Gohlis – Groh)

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Monika Geier
Frank Göhre
Tobias Gohlis
Stephen Greenall
Thomas Groh

monikaMonika Geier

2018 war seltsam.  So unglaublich sonnig und warm, so fröhlich, ein echtes Mastjahr, alle Waldbäume haben überreich Früchte getragen, ich hab soviel Geld verdient wie noch nie, und wir waren endlich mal im Sommer am Meer. Dort schien so sehr die Sonne, dass der Surflehrer sich Gedanken um die réputation seiner sonst stürmischen baye des trépassés machte.  Außerdem haben mich viele wunderbare Menschen besucht, meine Projekte waren interessant und erfolgreich, ich schreibe jetzt eine Giftpflanzenkolumne, für die ich auch zeichnen darf, was herrlich ist,  dazu hatte ich tolle Begegnungen und Lesungen, meine Kinder sind süß und gesund,  ich hab Freunde wiedergefunden.

Es war ein viel zu gutes Jahr dafür, dass mein Vater gestorben ist. Eigentlich hätte es ununterbrochen regnen müssen.  Das dachte ich jeden Tag. Und da war auch ein Moment, der mir echt Angst einjagte. Urlaub, ein Tag an einem gleißenden Strand, der Atlantik sah aus, wie man sich die karibische See vorstellt. Kilometerlang nur Sand und Dünen und vereinzelte bunte Spaziergänger und das kühle Wasser.  Wunderbar. Das müssen die Hasen auch gedacht haben, die aus den Dünen kamen. Zwei junge, struppige Tiere, die genauso wild herumtobten wie meine Kinder. Irgendwann hielten sie inne, blieben sitzen und schauten nebeneinander aufs Meer hinaus. Dann lief einer von ihnen los, ins Wasser hinein. Eine Welle ergriff ihn und er starb. Sofort. Es war eine Sache von einer Minute. Er strampelte, erschlaffte und wurde an Land gespült. Passanten kamen und betrachteten ihn, er wurde von einem Hund beschnüffelt. Sein Freund saß noch lange an der Stelle, von der aus das Meer so tödlich schön ausgesehen hatte. Weder der Hund noch wir konnten ihn in die sichere Düne zurückscheuchen. Er duckte sich nur in den Sand und wartete auf den toten Freund.

Ich glaube, dass mein Vater irgendwo dort oben sitzt und Leute losschickt, die mir volle Weinkisten vor die Tür stellen, das sähe ihm nämlich ähnlich. Ich glaube auch, dass er nicht wollen würde, dass es über mir regnet, es sei denn, es regnete selbstverdiente Euros. Er würde wollen, dass ich zeichne. All das ist eingetreten. Ich hab mich mit dem guten Wetter und dem Glück versöhnt, weil ich glaube, dass mein Vater sich damit von mir verabschiedet hat. Eigentlich war er vorsichtiger als ich, aber er wusste auch genau, wie toll es sich anfühlt, einfach mal loszurennen. Von den beiden Hasen hätte er gut derjenige sein können, der sich voller Begeisterung ins Meer stürzte. Vielleicht hat er mir den Hasen sogar geschickt. Auch das sähe ihm ähnlich. Er hat immer meine Hand genommen, wenn wir gemeinsam über die Straße gegangen sind, immer. Damit ich nicht überfahren werde. Jetzt ist er nicht mehr da, und ich muss selbst auf der Hut sein. Auf der Straße und wenn ich der Schönheit begegne. Nicht gleich losrennen. Es wäre zwar nicht der schlechteste Tod, aber vielleicht sitzen da ja doch welche in der Düne und warten.

Von Monika Geier erschien 2017 „Alles so hell da vorn„.

Frank GöhreFrank Göhre: Meine Tops und Flops 

Januar: Der Flop.
Auf dem SPD-Parteitag stimmen 362 Mitglieder für und 279 gegen die Große Koalition. Martin Schulz bei Anne Will: „Ein für die Partei historischer Tag, wir gehen gestärkt in die Zukunft.“ Bei den Landtagswahlen in Bayern rutscht die SPD von 20,6% (2013) auf 9,7%. In Hessen von 30,7% auf 19,8%. 

Februar: Ein Fernsehabend auf zdf neo.
„Höhere Gewalt“ Ein Familiendrama in den französischen Alpen. Wer reagiert in Gefahr wann und wie? Geschrieben und inszeniert von dem Schweden Ruben Östlund, der seine ersten Filme ausschließlich mit Laiendarstellern realisierte. 

März: Lektüre am Stadtstrand von Gran Canaria. 
Mein Lese-Hit des Jahres: „64“ von Hideo Yokohama. 

April: Deutsches Schauspielhaus, Hamburg. 
„Wolli Indienfahrer. Hubert Fichtes legendäre Puff-Interviews“. Eine Hommage auf den kurz zuvor verstorbenen Bordell-Betreiber und Proust-Leser Wolfgang Köhler, von Rocko Schamoni inszeniert, gelesen von Lina Beckmann, Linda Zervakis und Michael Weber. 

Mai: arte, „Amazing Grace“.
Ein grandioses Porträt der grandiosen (und taffen) Musikerin  Grace Jones mit ihren Auftritten in New York, Paris und auf  Jamaika. 

Juni: Nach dem Polit-Flop der Sport-Flop des Jahres.
Eine schlaffe und uninspirierte deutsche Mannschaft bei der Fußball WM. 

Juli: Lektüre Alan Parks „Blutiger Januar“. 
Atmosphärisch dicht, gut gezeichnete Charaktere. Da könnte eine Fortsetzung folgen. 

August: „Nacht der Medien“ auf dem Süllberg, Hamburg.
Begegnungen mit auch älter gewordenen Kolleginnen und Kollegen aus Presse, Funk und Fernsehen. Erfreulich viele blicken nicht wehmütig zurück auf irgendwelche guten alten Zeiten, wo die Spesengelder reichlich flossen  und in den Redaktionen fröhlich gesoffen wurde. Allein mit dem Rauchen sah es seinerzeit besser aus. 

September: arte, „Krieg der Träume“.
Eine TV-Serie über die Zeit zwischen den beiden  Weltkriegen, konzeptionell endlich einmal einen Schritt weiter  als die bisherigen Dokudramen. Keine „talking heads“ und die Texte von Zeitgenossen aus Politik und Kultur aus dem Off.  Zum Teil abenteuerliche und rasante Schnittfolgen.

leonard cover_rculturbooksgb300Oktober: „Good Cops Bad Cops“.
Start der Filmreihe im Metropolis Kino, Hamburg, konzipiert von Marcus Müntefering  und Volker Hummel mit den Gästen Andreas Pflüger (French Connection), Frank Göhre (Serpico), Robert Brack (Assault – Anschlag bei Nacht) und Alf Mayer (Die Chorknaben). 

November: „It must schwing. Die Blue Note Story“.
Ein Dokumentarfilm von Eric Friedler  über die beiden Berliner Emigranten Alfred Lion und Frank Wolff die 1939  in New York das Jazz-Label „Blue Note Records“ gründeten und Jazzer wie Miles Davis, Herbie Hancock, John Coltrane,  Sonny Rollins, Art Blakey, Thelonious Monk, Quincy Jones und viele anderen zum Teil entdeckten und kontinuierlich  produzierten. Monat für Monat gab es eine neue Platte.  Reich geworden sind die beiden Firmengründer nie. Ihr Lohn waren die Resultate ihren Leidenschaft.

Dezember: „King of Cool. Die Elmore Leonard Story“:
Umbruchkorrektur des gemeinsam mit Alf Mayer geschriebenen Buchs (CulturBooks, Frühjahr 2019). Für mich wieder einmal eine großartige und neu inspirierende Zusammenarbeit. 

Die CrimeMag-Beiträge unseres Kolumnisten Frank Göhre finden Sie hier. Im Dezember 2017 war er Herausgeber eines umfangreichen Klassiker CulturMag Special.

220px-Tobias_Gohlis_Leipziger_Buchmesse_2012Tobias Gohlis: 12 Splitter und eine Liste

Januar: In Japan gewesen: „64“.

Februar: Einen Satz Batterien für das Hörgerät erworben.

März: Im Schneesturm nach Thüringen. Dort Familie entdeckt: Cousin Klaus. Sein Urgroßvater (*1862) und mein Urgroßvater (*1852) waren Brüder.

April: Leider nicht nach Berlin gefahren. Wollte gerne Patrick Wildgust wiedersehen, den Kurator von Shandy Hall, der aus Coxwold gekommen war, um die schöne Sterne-Ausgabe von Galiani zu feiern. Auch Wolfgang vermisst, meinen ältesten Verlegerfreun

Mai: Kampftag der Arbeiterklasse im Bett verbracht. 60% Lungenfunktion, das reicht nur für kleine Demos.

Juni: Wochenende in Zürich. Vom Uetliberg den Drachengleitern in Cockpit gespuckt. Unten der See. Hitze seit sechs Wochen.

Juli: Hitze.

vita-di-Scerbanenco

Scerbanencos Tochter über ihren Vater, den Geschichtenerzähler

August: H… schweißüberströmt in Berlin. Christopherstreet-Parade, Nichtengeburtstag, Familientreffen, alle dick und schweißgebadet. Später auf der Müritz im Ruderboot, Gewittersturm. Beinahe nicht zurück ans Ufer gekommen.

Judas (copyright TG)

Judas erhängt sich @Tobias Gohlis

September: Auf dem Land in der Bourgogne. Um 1000 war das skulpturale Hauptmotiv der Tod des Verräters: Judas erhängt sich. Mailand: Giorgio Scerbanencos Tochter getroffen, Einstieg in Scerbanencos wirre Familienverhältnisse. Endlich mal was Interessantes. (Hierzu bei CrimeMag.)

Oktober:  Kannste vergessen

November: Lungenfunktion 62% – also besser. Ab in die Heide: Dort trägt der Schäfer Gummimantel und die Wacholder warten auf Morgen im Nebel.

Dezember: Mit erster Gattin und Tochter 188 Jahre Geburtstag gefeiert. Magen-Darm, 6 Kilo weg. Lese Simenon: „Als ich alt war.“ (22.12.18) 

Meine zehn besten Kriminalromane 2018:

1.Hideo Yokoyama: 64. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Nikolaus Stingl. Atrium, 768 Seiten, 28 Euro. – „Präfektur D“, 1989, 2002. Vor dreizehn Jahren wurde die siebenjährige Shoko ermordet. Kurz vor der Verjährung soll der Fall noch aufgeklärt werden. Polizeipressechef Mikami kämpft eingeklemmt zwischen Mordermittlern und Bürokraten um Wahrheit und Mitleid. Große Klasse. Nobelpreis für Kriminalliteratur!

chop mina Scale.aspx_2.Denise Mina: Blut Salz Wasser. Aus dem Englischen von Zoë Beck. Ariadne im Argument-Verlag, 368 Seiten, 19 Euro. – Glasgow, Helensburgh. Wer nimmt den Drogenhändlern ihre Millionen ab – Police Scotland Police oder Metropolitan Police? Das ist der Grund, warum DI Alex Morrow die verschwundene Roxanne sucht. Und auf Frauenleichen stößt. Alex lässt sich nicht beirren, nicht von Bossen, nicht von Gangstern.

3.Aidan Truhen: Fuck You Very Much. Aus dem Englischen von Sven Koch und Andrea Stumpf. Suhrkamp, 350 Seiten, 14,95 Euro. – London. Mit Poltergeist navigiert sich‘s prima: Jack Price liefert gänzlich gefahrlos besten Stoff. Bis er auf der Abschussliste der übelsten Killer der Welt landet. Price muss die „Seven Demons“ totquatschen oder umbringen. Irgendwie gelingt ihm beides brillant. Krimi im Wortrausch.

4.Matthias Wittekindt: Die Tankstelle von Courcelles. Edition Nautilus, 252 Seiten, 16,90 Euro. – „Courcelles“. Wie setzt sich Schuldgefühl zusammen? Bilder überlappen sich, Phantasien auch. Eine Gruppe von Jugendlichen wächst heran. Lou wird Zeugin eines Schusswechsels, Philippe stürzt in den Steinbruch. Der junge Gendarm Ohayon bei seinen ersten Ermittlerschritten. Wittekindt wird immer besser.

5.Lisa McInerney: Glorreiche Ketzereien. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro. – Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie überhaupt alles, was den Anschein von Wohlanständigkeit stören konnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.

6.Tom Hillenbrand: Hologrammatica. Kiepenheuer&Witsch, 560 Seiten, 12 Euro. – Horror für Identitätsfetischisten. Die überhitzte Erde ist holographisch geschönt, man uploadet sein Hirn in Klonkörper. Verschwunden: Spitzenprogrammiererin Juliette samt Knowhow. Quästor Singh hinterher. Prima ausgedacht, schlüssig designt, Zukunft durch Detektivbrille, Philosophie light.

7.Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro. – „Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor 25 Jahren, ein Mädchen umgebracht? Constable Silas, einst eine schwarze Baseballhoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.

8.Mike Nicol: Korrupt. Aus dem Englischen von Mechthild Barth.. btb, 510 Seiten, 10 Euro. – Kapstadt, „Bambatha“. Südafrika unterm Regime von Plünderern. Killt den Oberst im Exil, handelt mit Mädchen aus Bangui – Hauptsache, der Präsident macht Reibach. Agentin Vicki Kahn und ihr Lover Fish Pescado unter Geheimdienst-Haien und Attentätern: Überleben Glückssache. Nicol ist eine Klasse für sich.

Die_Verratenen_Scerbanenco9.Adrian McKinty: Dirty Cops. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Suhrkamp, 392 Seiten, 14,95 Euro: Carrickfergus, 1988. – Der Tod lässt ihn leben, weil er ihm so viel Arbeit verschafft. In seinem sechsten Fall wird  DI Sean Duffy, Katholik in britischen Diensten, beinahe von der IRA hingerichtet. Weil er den Mord an einem Drogendealer nicht auf sich beruhen lassen will. Der Roman steht für eine große Serie, historische Kriminalliteratur vom allerfeinsten.

10.Giorgio Scerbanenco: Die Verratenen. Aus dem Italienischen von Christiane Rhein, Nachwort von Tobias Gohlis (bei CrimeMag hier zu lesen). Folio, 256 Seiten, 18 Euro. – Mailand Mitte der 1960er Jahre. Der komplexeste der vier Kriminalromane um den zartfühlenden Arzt und späteren Polizisten Duca Lamberti. Giorgio Scerbanenco ist meine Krimi-Wiederentdeckung des Jahres. Ein Werk der Nachkriegszeit auf der Kippe ins hedonistische 68, voll moralischer Verzweiflung, Sarkasmus und Ambiguität. Klassiker wieder lesbar.

Tobias Gohlis – Sprecher und Begründer der im Deutschlandfunk und in der FAS veröffentlichten Krimibestenliste – bei CrimeMag hier. Zuletzt ein Besuch bei Giorgio Scerbanencos Tochter. Sein Krimiblog recoil.togohlis. Dort ist seine Bestenliste 2018 kommentiert und auch als PDF verfügbar.

StephenGreenall_2017_nocredit2 Text PublishingStephen Greenall: In reading terms …

 Although no great insight into the criminal mind given how appallingly bungled is the heist at its centre, American Animals was a terrifically inventive treatment of an incident that is funny until it’s not. Having been lulled into a sense of safety by the material (and by its deft, postmodern deployment) I realised, like most viewers, that the switch from comic to horrific was upon me before I could properly prepare. The result was a highly singular effect in an age when it sometimes seems that cinema, while always diverting, is merely riffing on established themes.

 51s7CvxUVML._SX319_BO1,204,203,200_ 1019435 American Animals WQyODItMTZjYy00OTVmLWEzMjUtNTlkOTJjMzhiYzAxXkEyXkFqcGdeQXVyODE0MDY3NzY@._V1_In reading terms, my most successful crime acquisition for 2018 was made in that most clichédof settings, the Greyhound bus terminal, where a young woman wondered if we might swap books—her The Girl on the Velvet Swing for my worn but unbowed Black Lamb and Grey Falcon. Naturally, I told her such a transaction was quite impossible, before proffering instead the final Bernie Gunther novel, Greeks Bearing Gifts, which alas I will never now finish. Still, I’m pretty sure I know whodunnit.

The real mystery is why Simon Baatz’s tale of „Sex, Murder and Madness at the turn of the Twentieth Century“ left my fellow traveller so cold, for it is rollickingly good: with the rich and good-looking playing out a love triangle in scandalous bloody public with (golden-age) New York as a luminous pre-Prohibition backdrop, what is not to love? Yes, there’s a dash of human suffering involved, but the distance of 112 years tends to soften that sort of sting.

 Still, a final vote for a piece of writing that was far less entertaining because, by contrast, the visceral reaction to reading it could not be attenuated by anything: not time, not logic, not hope. I stumbled upon Vanessa Veselka’s essay „Highway of Lost Girls“ in The Best American Essays 2013 and it has remained with me, both as an outstanding instance of the form and a disturbing reminder that it’s those tiny and reflexive acts of casual unkindness by everyday people that permits true evil to fester and find a foothold. It felt like the best/worst thing I read all year and the most important. (You can read it here.)

greenall 9781925355628A Tasmanian citizen honoris causa, Stephen Greenall is a world traveller. His unpublished manuscript of Winter Traffic  – nominated in 2014 for the Victorian Premier’s Literary Award, in early 2017  published by Text in Melbourne and in Germany to appear at Suhrkamp – literally blew CrimeMag editors Thomas Wörtche and Alf Mayer away. This innovative and literary crime novel from the True Heir to Peter Temple starts like this: „When it was over, Sharky lay dead and Bison was convulsing on the rug like something beached or epileptic. Sutton was upright but he was breathing like sex, letting adrenaline drain as he had long ago been taught. Bison died and Sutton’s breathing went back to normal …“ — Yes, and that’s only the beginning…

 

herakles 1026951Thomas Groh: “Vampire gegen Herakles”

Wenn es die höchste Kunst des Kinos ist, aus wenig viel zu machen, dann zählt der italienische Regisseur Mario Bava (1914-1980) zu den größten Künstlern dieser Zunft: Als klassischer Quereinsteiger ins Geschäft – angefangen hatte der Sohn des Kameramanns Eugenio Bava selbst als Kameramann und Spezialist für Spezialeffekte – dachte er das Kino vom Handwerk der Licht- und Bildmagie her, gab sich stets bescheiden, was seine Leistungen und Meriten betraf, und erarbeitete sich insbesondere bei den Produzenten einen hervorragenden Ruf, weil er gut vermarktbare Ware fristgemäß ablieferte und dabei die oft knapp bemessenen Budgets nicht nur nicht überzog, sondern oftmals sogar deutlich unterschritt – was seinen Filmen im übrigen nichts von ihrem Glanz nahm. Heute zählen Regisseure wie Martin Scorsese und Tim Burton zu seinen Bewunderern.

 Beispiel “Vampire gegen Herakles”, rein formal gesehen Bavas zweite Regie-Arbeit. Zuvor hatte er von Riccardo Freda liegengelassene Filme übernommen und vollendet (allerdings ohne Erwähnung in den Credits) und mit dem wunderbaren Schwarzweißfilm “Die Stunde, wenn Dracula erwacht” die (vom Erfolg der britischen Hammer Studios inspirierte) Welle des italienischen Gothic-Horrors losgetreten. Unter den Bedingungen des italienischen Kommerzfilms galt es nun, desen Gothic-Horror-Trend im Joint Venture mit dem damals noch populären Peplum-Film rund um Herkules, Maciste und Ursus – im Grunden genommen also das Superheldenkino der 50er und 60er – zu vermählen. Wobei die besondere Herausforderung für Bava darin bestand, bei der naturgemäß kulissenintensiven Ausschmückung des Peplum über weite Strecken lediglich mit einer Handvoll generischer Säulen und einer unterschiedlich konfigurierbaren Hintergrundwand zu haushalten.

02-Tim Lucas

Tim Lucas mit seinem Buch

Der Clou dabei: Bavas (mutmaßlich mit Spiegeleffekten hantierende) Mise-en-Scène geht so geschickt vor, dass einem dieses gestalterische Detail aus der Zauberwelt sparsamer Illusionskunst überhaupt erst nur dann auffällt, wenn man den extrem kenntnisreichen Audiokommentar des US-amerikanischen Filmhistorikers Tim Lucas in Anspruch nimmt. Lucas’ detaillierte Kenntnisse überraschen nicht: Vor geraumer Zeit hat der langjährige Herausgeber des essenziellen Magazins “Video Watchdog” mit dem mehrere Kilo auf die Waage bringenden Buchbrocken “All the Colors of the Dark” das absolute Standardwerk zum Kino Mario Bavas vorgelegt und damit die Regale mehrerer Filmbuch-Bibliotheken einem extremen Stresstest ausgesetzt.

 Bei anderen Filmemachern mündet die Begrenztheit der Mittel rasch zur holzigen Filmverkostung, Bava hingegen dreht einfach einen der schönsten phantastischen Trivialfilme der 60er: Um seine geliebte Prinzessin zu retten, folgt der Titelheld (Bodybuilder Reg Park als knuddelig-bärige Variante der von Steve Reeves ursprünglich etwas unnahbar verkörperten Herkules-Figur) dem Ratschlag eines geheimnisvollen Orakels, sich in den Hades zu begeben, um dort an einen Zauberstein zu gelangen, der den über seiner Prinzessin liegenden Bann aufzuheben vermag. Gemeinsam mit seinen Freunden Theseus und Telemach besteht er so aufregende wie gruselige und heitere Proben – um am Schluss doch zu gewahren, dass hinter all der Unbill der teuflische, von Christopher Lee mit einiger Lust am düsteren Spiel verkörperte Lykos steckt, der zudem noch viel weitreichendere Pläne verfolgt…

1026951_4“Ein Schundfilm”, urteilte reichlich herzlos das Lexikon des Fantasy-Films in den 80ern. Dabei ist die naive Abenteuergeschichte von Schund im Sinne dilettantischen Filmemachens meilenweit entfernt: Bavas Breitwandfilm ist ein Glanzstück wertiger Kino-Handarbeit, das bereits in den frühen 60ern in den Lichtspielhäusern all jene glühend-satten Farben vorwegnahm, für die die Hippies am Ende des Jahrzehnts reihenweise LSD einwerfen: Ist die im öden Sonnenglanz italienischer Landschaften gefilmte Einstiegsszenerie erst einmal zugunsten eines Studio-Settings verlassen, schimmert und schillert das Licht aus allen Winkeln, in allen Farben, mit allen Reglern an den Leuchtern ganz weit nach oben gedreht.

 french_11Daneben ist es der für Bava typische Charme des Puppenhaushaften, der in “Vampire gegen Herakles” ganz besonders besticht: Die Frequenz schöner Setpieces ist hoch, zwischendrin gibt es eine herzige Begegnung mit einem Steinmonster, dessen federnd-graue Verkleidung aus allem, nur nicht aus Stein besteht, und wenn Bava sich – bei einer dramatischen Hangelszene über dem Abgrund der Hölle, aber auch bei einem wunderbar gefilmten Showdown am Ende – in den abstrakten Raum des Composite Images flieht, wird aus Minimalismus barocker Exzess.

lobby_77Bava selbst hatte von seinen Filmen keine allzu hohe Meinung. Er betrieb Dienst am Kunden, als Künstler sah er sich nicht. Dieses Ethos des Handwerks teil er mit vielen besungenen Meistern des Genre-Kinos. Anders als mancher Kunstversuch aus den frühen 60ern – viele davon zweifellos ehrenhaft, manche aber auch schon damals seminaristisch verquast – ist Bavas sinnenfreudig-verspieltes Kino auch heute noch gut ansehbar, ohne verstaubt zu wirken. Und anders als viele Schwerstboliden des heutigen Unterhaltungskinos, die mehr kosten als das gesamte Bruttoinlandsprodukt mancher Schwellenländer und einen Energieverbrauch an den Tag legen, für den man halb Skandinavien ein Jahr lang mit Strom versorgen könnte, sind seine Filme auch noch eben dies: unterhaltsam im besten Sinne des Wortes – Kino-Eskapismus, der zum Träumen einlädt und auch heute noch jeden Sonntagmorgen im Fernsehen versüßen könnte, wenn das Fernsehen sich ums Erbe der Kino-Phantastik denn noch nennenswert kümmern würde.

lobby_11Mit einer wunderbaren, prall mit Bonusmaterialien gefüllten BluRay-Edition – die Nummer 6 aus Koch Medias fortlaufender Bava-Edition – lässt sich dieser Film nun immerhin im Heimkino wieder wertig wiederentdecken: Mit satten Farben und einem angenehmen Rest Filmkorn nähert sich die Bildqualität dem ursprünglichen Kinoerlebnis zumindest an – auch wenn hier und da im Vergleich zu historischen Filmkopien (so war der Film vor kurzem erst in Frankfurt beim Terza-Visione-Festival in einer Archivkopie zu sehen) Konzessionen an heutige Vorstellungen eines Filmbilds gemacht wurden, was allerdings nur Experten ins Auge sticht. Der bereits erwähnte Audiokommentar von Tim Lucas liefert schnell zuschaltbare, wertvolle Informationen zum Geschehen, ohne den Film zu überfrachten. Hinzu kommt ein Essay des Filmkritikers Oliver Nöding, den aufmerksame Beobachter der Filmblogosphäre von seinem so bewundernswert unermüdlichen, wie lesenswerten Online-Filmtagebuch her kennen. Auf weiteren Bonus-DVDs locken neben Interview-Featurettes etwa mit Bavas Sohn, dem Regisseur Lamberto Bava, als Dreingabe noch Mario Soldatis Gaunerkomödie “Quel bandito sono io” aus dem Jahr 1950, eine frühe Kameraarbeit Mario Bavas. Nicht zuletzt die knallig-bunte, edle Ausstattung macht aus dieser Edition eine leckere Angelegenheit, mit der man sich gerne das Regal schmückt.

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt in Berlin und im Internet. Er schreibt über Filme, unter anderem für den Tagesspiegel, den Freitag, die taz und die Kölner Stadtrevue. Da er davon wider Erwarten bislang nicht reich geworden ist, sorgt er außerdem als Redakteur beim Deutschlandfunk Kultur dafür, dass die Radiobeiträge seiner geschätzten Kollegen auch im Netz eine Heimat finden, und durchforstet für das Online-Kulturmagazin Perlentaucher.de tagtäglich die Kulturteile der großen Zeitungen nach lesenswerten Auf- und Anregern. Daselbst sind auch zahlreiche seiner Filmkritikern online zu finden. Mit seinem Filmtagebuch gründete er Anfang des Jahrtausends eines der ersten Filmblogs in deutscher Sprache – auch wenn es seit geraumer Zeit brach liegt. Seine neue Webpräsenz endlich mit Inhalten zu füllen, ist sein guter Vorsatz für das Jahr 2019. Die Links dazu:
Perlentaucher
Filmtagebuch
Neue Webpräsenz
Auf Twitter ist er als @midnightradio bekannt. Für CrimeMag empfiehlt er zusammen mit Katrin Doerksen in unserer monatlichen Rubrik „Schatzsuche“ DVDs/BueRays und Graphic Novels.

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