Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2017, Kolumnen und Themen

Essay: Tobias Gohlis über die Charles-Manson-Geschichte

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Der Wahn aus Devil’s Hole – ein Besuch in Charlie Mansons kalifornischen Schlupfwinkeln

Am 19. November 2017 ist Charles Manson, einer der berüchtigsten Mörder des 20. Jahrhunderts, im Alter von 83 nach mehr als 45 Jahren im Gefängnis gestorben.
Im Oktober 1991 war ich auf Spurensuche in Los Angeles und im Death Valley. Das ist mein Bericht aus der ZEIT vom 8. November 1991.  – Von Tobias Gohlis.

Hinter Death Valley Junction, an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada, verbirgt ein namenloser Felshügel den Lebensraum von Cyprinodon diabolis. Seit zehn- bis zwanzigtausend Jahren lebt der 2,5 Zentimeter kleine Wüsten-pupfish in seinem unterirdischen Höhlensystem. Die 800 Fischlein existieren im vermutlich engsten Lebensraum, über den eine einzelne Tierart verfügt. Drei Löcher in der Felskruste führen hinab in die dunkle Welt des pupfish. Der Zugang ist mit Stacheldraht, Schlössern und Stahltür gesichert. In sieben Meter Tiefe glänzt schwarz die Wasseroberfläche. Das ist Devil’s Hole.

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Vor dem Teufelsloch hockte im Herbst 1968 ein Mann, der sich für Jesus Christus hielt. Nach drei Tagen Wüste hatte er kraft seines Geistes hier den verborgenen Zugang zu der unterirdischen goldenen Stadt aus dem Mythos der Hopi und damit  das Schlußglied einer Kette paranoider Folgerungen gefunden.
In der goldenen Stadt würden er und seine Anhänger die bevorstehende Weltherrschaft der schwarzen Rasse nicht nur überstehen, sondern als wahre weiße Herrenmenschen siegreich beenden. Nach einem Song aus dem berühmten „Weißen Album“ der Beatles nannte der Mann den kommenden Rassenkrieg Helter Skelter, Durcheinander.

Knapp ein Jahr später, am Morgen des 11. August 1969, fanden die Beamten des Los Angeles Police Department neben den Leichen von Leno und Rosemarie LaBianca eine blutige Schrift an der Wand: „Helter Skelter“.

Charles Manson 1971

Charles Manson 1971

Sieben Morde

Es dauerte Monate, bis der Zusammenhang zwischen dem Mann vom Devil’s Hole und den Morden offenbar wurde, die Hollywood in Panik versetzten. Am Vortag waren Sharon Tate, die hochschwangere Ehefrau Roman Polanskis, und vier andere Menschen bestialisch umgebracht worden. Der Mann, der noch im Gefängnis mit „Jesus Christ“ unterschrieb, hieß Charles Milles Manson. Kaum ein Tourist, der das Farbenspiel bei Artist’s Palette, die Schattenfiguren der Lößfalten am  Zabriskie Point oder das Gleißen der Salzplatten von Devil’s Golf Course als Höhepunkte einer Reise durch den Death-Valley-Nationalpark erlebt, weiß, daß er sich im Rückzugsgebiet von Charles Manson aufhält.
„Ich bin nur das, was in jedem von euch lebt. Ich bin nur das, was ihr aus mir gemacht habt. Ich bin nur ein Spiegelbild von euch“, sagte er in seiner Verteidigungsrede. Als er 1971 im Alter von 36 Jahren wegen siebenfachen Mordes zum  Tode verurteilt wurde, hatte er mehr als die Hälfte seines Lebens im Knast verbracht. Er war Dieb, Zuhälter und Straßenmusikant gewesen, bevor er sich zum Führer eines Haufens sehr viel  jüngerer, ausgeflippter Mädchen und Jungen aufschwang.

Die family

Äußerlich unterschied sich seine family nicht von anderen Hippiegruppen. Sie schluckten LSD und andere Chemikalien, musizierten, klauten Kreditkarten und himmelten Charlie an. Das Innenleben der Horde beherrschte Manson durch  bewußtseinserweiternde Erfahrungen besonderer Art. Um ihr Ego zu verlieren, schliefen alle mit allen, Hunde eingeschlossen. Die Kinder, die nach und nach zur Welt kamen, wurden von ihren Müttern getrennt, um ihr Ich ungeprägt zu bewahren.  Wer aufgenommen wurde, bekam von Charlie einen neuen Namen: Sadie Mae Glutz, Ouisch, Little Patty oder Squeaky sind in den USA bekannt wie Comicfiguren.
In den Büchern über die Manson-family ist vereinfachend von ihren Aufenthalten im Death Valley die Rede. Doch mit ihren aus zusammengeklauten Autoteilen montierten Strandbuggies als Geländewagen sauste die family durch die ganze, riesige Wüste am Ostrand Kaliforniens, nicht nur durch das Gebiet des Nationalparks.

 

Barker und Myers Ranch

Auch die beiden Ranches, die die family 1968 und 1969 benutzte, liegen außerhalb des Death Valley, am Westhang der bis zu 3300 Meter hohen angrenzenden Panamint Mountains. Für Ed Sanders waren die Barker und die Myers Ranch „so abgelegen wie Xtul in Mexiko“. Seinerzeit war der Zugang nur über einen von Geröll und Steinschlag fast zerstörten Weg durch den Goler Wash Canyon oder vom Death Valley her über die Panamint Mountains möglich. Der Weg zum Goler Wash führt auf einer Asphaltstraße zwischen Salzlaken und Kreosotbüschen durch das Panamint Valley bis zur Abzweigung einer Schotterstraße nach Ballarat. Diese „Geisterstadt“ ist heute Goldgräbercamp. Im Schatten einiger Mauerreste sind mobile homes zu einer Wagenburg zusammengeschoben. „Keep out!“ warnt ein handgemaltes Schild. Der Anblick der muskelbepackten, bärtigen Kerle dahinter ist ebensowenig einladend. Zwölf staubige Meilen südwärts biegt die Straße auf einen Einschnitt in den Bergen zu. In Haarnadelkurven steigt der Weg durch den tief in die Berge geschnittenen Canyon des Goler Wash nach oben. Aber im Unterschied zu 1969 ist er, mühselig, mit dem Pkw befahrbar. Damals mußten die Polizisten zu Fuß vorrücken.

Eine Bande von Autodieben

„Als wir im Morgengrauen durch das Geröll aufstiegen, fanden wir zwei junge Männer, die auf den Felsen schliefen. Einer war mit einer abgesägten Schrotflinte bewaffnet. Wir überwältigten sie ohne Probleme.“ Ben Anderson, der heute im „Best Western Frontier Motel“ in Lone Pine arbeitet, war einer der Polizisten der Highway Patrol, die an der Festnahme der Manson-family beteiligt waren. „Wir wußten ja gar nicht, daß wir es mit Massenmördern zu tun hatten. Wir suchten eine Bande von Autodieben, die im Verdacht standen, einen Schaufellader verbrannt zu haben“, erinnert er sich.

Barker Ranch, Mansons Zuflucht 1969 (c) Tobias Gohlis

Barker Ranch, Mansons Zuflucht 1969 (c) Tobias Gohlis

Keep out!

Heute wird der Weg für die Golderz-Transporter der Keystone Mining Company am oberen Ausgang der Schlucht instand gehalten. „Danger! Do not enter! Mining operations!“ Das goldhaltige Erz wird aus dem Berg gesprengt und im Tal gemahlen. Oberhalb der Keystone-Mine wird das Gelände flacher und steppenähnlich. Der Weg, als „Trail p 152″ gekennzeichnet, ist nur noch mit Motorrädern oder Geländewagen befahrbar. Die Bäume einer Wasserstelle verdecken den Abzweig zur Barker Ranch. Ein paar hundert Meter weiter taucht zwischen den mit Macchia bewachsenen Hügeln ein Häuschen auf. Ein Cottonwood-Baum wirft Schatten auf das Wellblechdach, einen Werkzeugschuppen und ein zementiertes Becken, den  legendären „Swimmingpool Mansons“ von eineinhalb Meter Durchmesser, das ist alles. Maschendrahtzaun trennt die Wildnis draußen vom Gestrüpp im Innern des tennisplatzkleinen Grundstücks. Das ist Barker Ranch. Kein Mensch zu sehen.

dev8Vern Burandt, Rentner in Lone Pine, war damals Jagdaufseher. Er führte die Polizei hierher. „Kaum zu glauben“, staunt er noch zwanzig Jahre später, „wie viele Frauen aus dieser Hütte quollen. Insgesamt lebten 27 Personen in zwei kleinen Häusern.“ Manson selbst wurde erst zwei Tage später geschnappt. „Der gefährlichste Mann der Welt“ hatte sich in einem Wandschrank unter dem Spülstein verborgen. „Er war sehr klein, nur einssiebzig“, staunt Anderson.
Teufel müssen Übergröße haben.

Myers Ranch, einige hundert Meter talaufwärts, trägt deutlichere Spuren von Besiedlung. Lebenszeichen in der unter der Frühsommersonne dösenden Hügellandschaft sind Motorradspuren und einige Haufen Mulikot. In einem Seitental hinter der Barker Ranch versteckt verrotten etliche Autowracks. Die Karosserien sind von Schüssen durchlöchert. Auf den Hängen ringsum sind die ausgebauten Sitze postiert. Daneben liegen leere Bierflaschen und Patronenhülsen.

Die schwatzhafte Sadie

Der Verhaftung vom 9. Oktober waren im Jahr 1969 andere vorausgegangen. Und auch diesmal wäre der vermeintliche Autodieb Manson nach ein paar Tagen freigelassen worden, wenn Susan Atkins alias Sadie Mae Glutz den Mund gehalten hätte. Doch die damals Zwanzigjährige brüstete sich vor einer mit ihr einsitzenden Prostituierten, sie habe die im achten Monat schwangere Sharon Tate erstochen. Als das Gerücht von der plaudernden Mörderin im Gefängnis der Wüstenkleinstadt Independence zur Polizei von Los Angeles durchdrang, schloß sich der Kreis.

dev5aSpahn’s Movie Ranch

Devil’s Hole war der spirituelle Ausgangspunkt für die Morde an Sharon Tate, ihren Gästen und dem Ehepaar LaBianca. Der geographische befindet sich rund 500 Kilometer entfernt in der Nordwestecke des Los Angeles County, am Rande des  kleinbürgerlichen Vororts Chatsworth.
Am Teufelsloch entstand der Helter Skelter-Wahn, von der Spahn Movie Ranch aus wurde er praktiziert. Die heruntergekommene Film-Ranch, die in den fünfziger Jahren Drehort für unzählige Westernknallereien war, bot – mit Wasserfällen, Gebüsch und steilen Felsen – der family einen citynahen Abenteuerspielplatz. Unbemerkt von den Wochenendausflüglern, die zum Ponyreiten kamen, siedelte sie im hinteren Teil des Phantasia-Landes. Die Mädchen versorgten den achtzigjährigen blinden Ranchbesitzer George Spahn und die sechzig Pferde. Lebensmittel besorgten sie aus den Mülltonnen der Supermärkte. Manson widmete sich dem Drogenhandel und einer Karriere als Popmusiker.
Mit LSD und Gruppensex, Kreuzigungen und Scheinerschießungen trainierten sie, die „andere Seite der Dinge“ zu sehen.
Ein Devil Canyon war auch da. Von dort führte eine ausgeklügelte Fluchtroute auf Nebenstrecken bis zum Devil’s Hole und in die Hopi-Unterwelt. Die Spahn Movie Ranch mitsamt allen Ställen, Westernsaloons, Sargmacherwerkstätten und Manson-Müll wurde 1971 bei einem Waldbrand zu Asche.

Heute fährt man dorthin über den neu gebauten Freeway 118. Im Schatten seiner hoch aufgeschütteten Trasse fristen die Oak Valley Farms – Tennisplatz, unbebaute planierte Flächen, zwei  Wohnhäuser, ein Schuppen, ein Stall, insgesamt zehn acres stehen zum Verkauf – ihr Dasein. Das wohlhabende Ehepaar im 350er Daimler, das hier wohnt, hat angeblich von der Spahn Movie Ranch nie etwas gehört, von Manson noch weniger. „Unsere deutschen Schäferhunde sind sehr bissig, verlassen Sie lieber das Gelände.“ Auf Drängen behaupten sie, die Spahn Ranch liege weiter abwärts an der Straße.

Zorro gegen Zwerg

Weiter die Susanna Pass Road runter hat Frank Retz seine Farm, ein kleiner, zäher Deutscher, 78 Jahre alt. Er ist stolz darauf, aus einer Augsburger  Kavalleristenfamilie zu stammen, wurde 1933 beinahe Weltmeister im Dressurreiten und  arbeitete ab 1951 auf seiner Farm als Stunt-Reiter. „Ich bin der Zorro mit den kurzen Beinen.“
Für ihn war Manson ein Spinner, um den zuviel Wirbel gemacht wurde. Als es ihm und Nachbar Spahn zuviel wurde, habe er mit seinen Freunden vom Fußballclub die Manson-family verjagt. „Was konnte der Zwerg mit seinem Haufen Mädchen ausrichten? Wir waren starke Kerle mit Ketten.“ Im Grunde aber schienen sie harmlos. Satanisches Treiben will er nicht bemerkt haben.
Er möchte dort immer noch in einen Club für Deutsche investieren und kann Sensationsgerüchte nicht brauchen. „Die Kinder haben die Pferde gefüttert und versorgt. Dafür bekamen sie von Spahn und mir was zu essen. Die waren doch nur drei Monate hier, was konnten die schon anstellen?“

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Rassenkrieg

Und doch steigerte Manson hier in den Sommermonaten 1969 seine paranoide Gewalttätigkeit, der zunächst ein schwarzer Hasch-Dealer und ein befreundeter Musiklehrer zum Opfer fielen. Nachdem zwei family-Mitglieder als Tatverdächtige verhaftet worden waren, brach Helter Skelter los.
Durch sinnlose, scheinbar von Schwarzen begangene Morde an reichen Weißen wollte Manson, so  die Konstruktion der Anklage, den unvermeidlichen, aber leider ausgebliebenen Rassenkrieg auslösen.
Er schickte Charles „Tex“ Watson (22), Linda Kasabian (20), Susan Atkins („Sadie Mae Glutz“, 20),  Patricia Krenwinkel („Katie“, 20) und Leslie van Houten („Lulu“, 19) von der Spahn Ranch auf die Metzeltour.
Sieben Menschen wurden in den heißen Nächten des 8. und 9. August 1969 auf grausige  Weise zu Tode gequält, und die Einzelheiten danach über mehrere Jahre in allen Medien breitgetreten; die Motive dieser Morde begreifen hieße, die menschliche Seele zu verstehen.

Sharon Tate

Sharon Tate

Tatort Cielo Drive

Die beiden Tatorte sind einfach zu finden: eine Adresse in Bel Air, eine in Los Feliz am Griffith Park. Wenn man nicht wie die Mörder von Norden, sondern von Süden her zum Cielo Drive 10050 fährt, stößt man am Sunset-Boulevard auf ein protziges Portal mit der Aufschrift „Bel Air“. Dahinter liegen die Villen der Film- und Rockstars, deren Adressen in einem Spezial-Stadtplan für 2,95 Dollar erhältlich sind. Die Polanski-Villa, die eigentlich dem Sohn von Doris Day, dem Produzenten Terry Melcher, gehörte, ist darin allerdings nicht aufgeführt.
Wer auf dem immer schmaler werdenden Benedict Canyon zwischen den dicht mit subtropischen Pflanzen bewachsenen steilen Schluchtwänden vordringt, kann die nervöse Wachsamkeit der Reichen beinahe physisch spüren. Jede Bewegung wird von Überwachungsanlagen registriert. Das Haus, in dem Sharon Tate ermordet wurde, liegt am Ende einer abgelegenen Sackgasse. Im vorderen Teil des steil ansteigenden Weges sind neue Häuser gebaut worden. Das Maschendrahttor an der Grundstücksgrenze ist ersetzt durch eine übermannshohe Holzwand. Keine Hausnummer. Nur das Telephon einer Gegensprechanlage. Wo die Holzwand an den Steilhang stößt, haben Neugierige Stufen ausgetreten, um über den Zaun blicken zu können. Ein gutgekleidetes Mittelstands-Ehepaar kommt herunter. „There it is.“ Sie haben sich überzeugt. Es gibt nur einen Grund hierherzukommen, nur ein Gesprächsthema: Hier ist es geschehen.
Sie kommen von weit her, aus Iowa. Die Frau hat Bugliosis Wegbeschreibung im Kopf: „a cul-de-sac directly opposite Bella Drive“.
Weiß sie noch aus einem anderen Grund so genau Bescheid?

Tatort Waverly Drive

Der Straßenbeton hat Risse, aber die Bordsteine mit den Hausnummern sind frisch geweißelt. Los Feliz ist eine gutbürgerliche Gegend. Das Haus der LaBiancas am Waverly Drive 3301 hat nach dem Krieg einmal Walt Disney gehört. Irgendwann nach den Morden wurde die Nummer in 3311 geändert. Ein paar Meter Privatweg führen hinauf zum Eingang. Zwei Hausangestellte unterhalten sich in der Tür mit einem Lieferanten. Die Frage, ob dies das LaBianca-Haus sei, wollen sie nicht beantworten. „Doch, das ist es“, sagt der Lieferant. Ein Photo darf nur von der Straße aus gemacht werden. Unten am Waverly Drive schnipseln zwei junge Latino-Gärtner an der Hecke des Nachbarn. Sonst ist kein Mensch zu sehen. Auch sie wissen Bescheid. „Manson killed many people here.“
Dabei hat er weder hier noch am Cielo Drive mit eigener Hand getötet. „Tex“ Watson und die jungen Frauen, die zustachen und schossen, handelten auf sein Geheiß. Manson war vorher mit dem Wagen weggefahren, sie trampten im Morgengrauen wie nach einer Party zur Spahn Ranch zurück. In den folgenden Tagen genossen sie die Schlagzeilen, die sie weltweit gemacht hatten. Manson prahlte, er habe in zwei Tagen 35 Leute umgebracht. Gleichzeitig betrieb er den Umzug des Familienunternehmens Richtung Death Valley. Doch bevor es dazu kam, schlug die Polizei von Los Angeles zu – in einem Luftlandeunternehmen nach Vietnam-Vorbild. Die Spahn Ranch kam zu letzten Filmehren.

Sich fü unangreifbar gehalten

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Shorty Shea

In einem konzentrischen Angriff mit Hubschraubern, Pferden und jeder Menge Streifenwagen fielen 102 Beamte in der Frühe des 16. August über Mansons Reich her. Vor den Augen der Filmkameras – es wurde der erste Schulungsfilm für die Zerschlagung von Hippiekommunen –  trieben die Sondereinsatzbeamten einen Haufen halbbekleideter, singender Frauen und Kinder und einige Männer unter dem Vordach des Westernsaloons zusammen. Manson wurde unter den Bodendielen des Hauses hervorgezogen. 25 Personen wurden unter der Anklage des Autodiebstahls festgenommen. 72 Stunden später waren alle wieder frei. Der Durchsuchungsbefehl hatte im Verlauf der militärischen und cineastischen Vorbereitungen seine Gültigkeit verloren. Einige Tage später wurde Manson erneut festgenommen und wiederum freigelassen. Er mußte sich für unangreifbar halten.
Bevor sich die family zur Barker Ranch absetzte, beging sie ihren scheußlichsten Mord. Sie folterte, zerstückelte und verbrannte den Rancharbeiter Shorty Shea. Shorty wußte zuviel und hatte im Auftrag von Kavallerist Retz versucht, die Manson- Truppe vom Ranchgelände zu vertreiben.

Der Mythos

Nach der Verurteilung Mansons und seiner Jüngerinnen fraß sich der Satans- und Killermythos in der amerikanischen Gesellschaft fest. Den way of  death schlugen auch andere ein, doch Manson blieb, durch Dokumentar- und Spielfilme sowie regelmäßige Fernsehinterviews im öffentlichen Bewußtsein gehalten, der Supergruselstar. Aktionen ehemaliger Anhänger wie der dilettantische Attentatsversuch „Squeaky“ Frommes gegen Präsident Ford 1975 erregten überdimensionales Aufsehen. Überdimensional waren auch die Strafen, die andere Jüngerinnen trafen. So wurde Sandra Good zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Drohbriefe an Manager versandt hatte, die umweltverschmutzende Unternehmen leiteten.

C. Manson starb am 19.11.2017 83jährig im Gefängnis

C. Manson starb am 19.11.2017 83jährig im Gefängnis

Die Geschichte ist nicht zu Ende. Manson und die anderen zum Tode verurteilten Mörder leben noch. 1972 wurde in Kalifornien die Todesstrafe abgeschafft.
Manson, inzwischen 56 und zahnlos, sitzt im Corcoran State Prison in der Nähe von Fresno.
Sandra Good, 46, ist im Juni 91 von Vermont dorthin umgezogen. Sie wollte ihm nahe sein.
Und jedes Jahr ist Familientreffen aller, die dem Knast entgangen sind. Am 12. November,  wenn Charlie Geburtstag hat, bei der Barker Ranch.

(Dieser Text erschien zu erst auf am dem Blog von Tobias Gohlis. Wir danken für die freundliche Genehmigung.)

Literatur:

Vincent Bugliosi und  Curt Gentry: „Helter Skelter“,  The true story of the Manson  Murders, Bantam Books, 1984;

(Bugliosi war anklagender Staatsanwalt, das Buch ist eine Selbstrechtfertigung im Stil eines Justiz-Krimis). Deutsch: Helter Skelter – Die wahre Geschichte des Serienmörders Charles Manson, Riva.
(Charles Manson ist nach keiner forensischen Definition „Serienmörder“, wohl aber ein Massen- oder Mehrfachmörder, wobei die Zahl der Personen, die er von eigener Hand getötet hat, bis heute nicht zweifelsfrei geklärt ist.)

Ed Sanders: „The Family“- Die Geschichte von Charles Manson und seiner  Strand-Buggy-Streitmacht,  1972 bei Rowohlt erschienen, ist leider vergriffen.

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