Wie von ferne her vertraut
Die Kriminalromane von Friedrich Ani, einem unserer besten deutschen Autoren auf diesem Feld, haben einen eigentümlichen, besonderen Reiz. In seinem neuesten, in „Der namenlose Tag“, gibt es Sätze, die an Adalbert Stifter erinnern und dessen „Welch ein Sommer hätte sein können, wenn einer gewesen wäre!“. Bei Ani, mit seiner neuen Figur, dem pensionierten Kriminalhauptkommissar Jakob Franck, liest sich das als: „In seinem Arbeitszimmer, das ein Kinderzimmer hätte werden sollen, brannte das weiße Windlicht im Glas.“ Joachim Feldmann sind weitere Resonanzböden in Anis Werk aufgefallen – eine kleine Skizze. Ein Notat zum Werk.
Lange habe ich darüber nachgedacht, was mir an den Romanen Friedrich Anis, deren neuester, „Der namenlose Tag“, sich gerade anschickt, Kritik und Lesepublikum gleichermaßen zu begeistern, so vertraut vorkommt, dass ich mir die meisten Szenen am besten im Schwarz-Weiß des Fernsehens meiner Kindheit und Jugend vorstellen mag. Da gab es nämlich manche Folge der Krimiserie „Der Kommissar“, die nicht im noblen Grünwalder Villenmilieu spielte, sondern am so genannten Rande der Münchner Gesellschaft, und von denen handelte, die gewöhnlich im Schatten stehen. Von der Putzfrau Anna Bergmann (Käthe Gold) zum Beispiel, die in der Wohnung einer Kollegin auf dem Flur übernachtet. Oder von dem alternden Handelsvertreter Lansky (René Deltgen), der seiner Familie verschweigt, dass man ihm schon vor einem Jahr gekündigt hat.
„Ich bin jetzt vierundsechzig und damals war ich vierundvierzig, also ein gestandener Mann, Angestellter in einem namhaften Bekleidungsgeschäft und Besitzer eines Hauses in Ramersdorf mit einem schönen Garten.“ So beschreibt sich in Anis neuem Roman ein gebrochener Mensch namens Ludwig Winther, Vater eines Mädchens, das sich vor zwei Jahrzehnten umgebracht hat. Aber er glaubt nicht an Selbstmord. Also wendet er sich an den ehemaligen Kriminalpolizisten Jakob Franck, der seinen Gesprächspartnern ganz nahe zu kommen versteht. Dabei wird vieles wiederholt, auch das kennt man aus Herbert Reineckers Serie. Obwohl Franck keine autoritäre Vaterfigur wie Kommissar Keller (Erik Ode) ist, bringt er die Menschen zum Reden. Das lindert kurzfristig den Schmerz, ändert aber nichts an den traurigen Verhältnissen. Dies zu wissen, ohne zu verzweifeln, ist vielleicht das Geheimnis von Friedrich Anis Variante eines mitfühlenden sozialen Realismus.
Friedrich Ani: Der namenlose Tag. Roman. Berlin. Suhrkamp: 2015. 300 Seiten, 19,95 Euro.
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