Geschrieben am 15. Mai 2017 von für Bücher, Crimemag, News

Bloody Chops Mai 2017

bloody chops

Bücher, kurz serviert

Kurzbesprechungen von fiction und non fiction. Zerteilt und serviert von: Joachim Feldmann (JF), Alf Mayer (AM), Frank Rumpel (rum), Thomas Wörtche (TW).

Über: Christian Bommarius, Lee Child, Stephen Dobyn, John Grisham, Reginald Hill, Susanne Kliem, Christiane Kovacs, Litt Leweir, Claudia Mocek, James Rayburn, Rainer Wittkamp.


 

41VIV1qC0gL._SX346_BO1,204,203,200_Handlung albtraumhafter Qualität

(JF) „Ich finde, Geschlecht wird total überbewertet“, sagt Brook. Und es ist, als ob die Detektivin, der es weniger um die Aufklärung als um die Verschleierung von Sachverhalten zu tun ist, damit nicht nur Auskunft, über die geheimnisvolle Figur Charon gibt, die hinter all den seltsamen Begebenheiten in Litt Leweirs somnambulen Thriller „Mersand“ zu stecken scheint. Virtuos spielt die Autorin mit wechselnden Identitäten, so dass nicht nur die Ich-Erzählerin, sondern auch der Leser, und bewusst steht hier die maskuline Form, nachhaltig verunsichert wird.

Aber gehen wir zurück zum Anfang. Noch befinden wir uns auf vertrautem literarischem Terrain. Klassische Genre-Ingredienzien – ein geheimnisvoller Auftrag, eine schicksalhafte Verwechslung, ein Koffer voller Geld – sorgen für einen hohen Wiedererkennungswert. Dann ist Jojo – so heißt die Hauptfigur zu diesem Zeitpunkt noch, später nennt sie sich Mersand – auf der Flucht. Zunächst landet sie auf einer Insel, deren Namen wir nicht erfahren, dann geht es weiter nach London und später nach Tunesien. Und es gibt Tote. Ist Mersand eine Mörderin? Sie weiß es selbst nicht. Handelt es sich überhaupt um eine Frau? Auch das lässt sich nicht eindeutig klären. Warum redet sie der Stricher Alf, den sie in London kennenlernt, als „Meister“ an und offeriert sexuelle Dienstleistungen, die sich definitiv an eine männliche Kundschaft richten? Zumal alle anderen Liebesbeziehungen in diesem Roman rein weiblich sind.

Sicher ist, dass Mersand mit Begeisterung die Bücher Patricia Highsmiths liest. Also dürfte es kein Zufall sein, wenn dieser Thriller mit einer Handlung von alptraumhafter Qualität aufwartet, als ob die Heldin über der Lektüre des „Talentierten Mr. Ripley“ – wir erinnern uns, es geht um eine gestohlene Identität – eingeschlafen wäre. Eine befriedigende Erklärung sieht anders aus. Aber diesem Roman ist schließlich nicht daran gelegen, sein Publikum zu unterfordern.

Litt Leweir: Mersand. Thriller.  Konkursbuch Verlag, Tübingen 2017. 317 Seiten, 12 Euro.

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(AM) Solche Bücher braucht das Land, nur sollte es nicht immer gut hundert Jahre dauern, bis den Mächtigen an die Wäsche gerückt wird. Parallel mit John Grishams Anti-Korruptionsthriller „Bestechung“ gelesen (siehe weiter unten), war mir „Der Fürstentrust“ eine erbaulich vergnügliche Lektüre, sogar einem echten historischen Vorläufer des Eisenbahnbaron-Salonwagen aus Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ bin ich dabei begegnet. Aber ehrlich gesagt, braucht es die Fiktion nicht als Beigabe. Der Stoff, den uns der Journalist Christian Bommarius ausbreitet, ist „Hollywood“ genug. UFA, sollten wir vielleicht in diesem Falle sagen, denn die abstrus absurde, wahre Geschichte vom größten Finanzskandal im Kaiserreich ist Deutsch bis tief auf die blamierten Knochen.

Bommarius, der uns 2015 mit „Der gute Deutsche“ auf 150 Seiten in die finsteren Kolonialgewölbe führte, braucht auch dieses Mal nicht übermäßig Platz. Er erzählt schnell und ökonomisch vom Versuch der Chefs der Fürstenhäuser Hohenlohe und Fürstenberg, die Insel Madeira zum deutschen Monte Carlo und zum Spekulationsobjekt für dumme Kleinanleger zu machen, man merkt den Zeitungsmann. Vor allem, wenn er dann die Vertuschungsaktionen beschreibt. Ein klein wenig mehr hätte ich mir gewünscht, dass er sich die heutigen Vertreter der sich damals so ungeniert bereichernden Adelsgeschlechter vornimmt. Sie ließen ihn nicht in ihre Archive, er ließ sie dann eher außen vor, wird die Sache abgewogen haben. Vielleicht kribbelt es mich ja nur, dass da damals ganz offenkundig Spitzbuben ungestraft davon gekommen sind und Adelstitel – siehe den Freiherrn zu Copy, Paste und Guttenberg – immer noch viel zu viel Vertrauen erwecken.

Wenn Adel und Bankiersvergangenheit, dann doch eher der Name Berenberg. Im Verlag dieses Namens weiß man, wie man Bücher macht, sie mit Substanz füllt und ordentlich bindet, was gutes Papier und idealer Satzspiegel sind (Gestaltung hier: Antje Haack von der Hamburger Kommunikationsagentur Lichten) und uns einfach rundum freudig an die Zukunft das Haptischen glauben lässt.

Gottfried Benn übrigens schrieb einem der Fürstentrust-Ganoven, nämlich Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, einen Nachruf im „Simplicissimus“. Auszug, auf den feudalen Salonwagen bezogen, mit dem „Fürst Kraft“ beständig unterwegs war:
Und niemals müde zu reisen!
Genug ist nicht genug!
Oft hörte man ihn preisen
Den Rast-ich-so-Rost-ich-Zug,
er stieg mit festen Schritten
in seinen sleeping-car
und schon war er inmitten
von Rom und Sansibar.

Christian Bommarius: Der Fürstentrust. Kaiser, Adel, Spekulanten. Berenberg Verlag, Berlin 2017. Gebunden, fadengeheftet. 160 Seiten, 22 Euro.

51bQJV343YL._SX313_BO1,204,203,200_Atmosphäre in unbedarfter Prosa

(TW) Ganz explizit politisch will Christina Kovacs Stadt der Intrigen sein – ein Porträt des politischen und massenmedialen Washington, D.C. Kovac kennt dieses Pflaster bestens, weil sie lange für NBC und andere Sender gearbeitet hat. Insofern ist viel atmosphärischer und ablauftechnischer Beifang bei ihr zu holen, viel Info über die Mechanismen von Medien und Macht, aber genau das ist Problem: Das, was wir schon wissen (falls wir uns damit beschäftigen) oder zu wissen glauben, wird hier mit einer eher dürftigen Handlung, gekleidet in eher unbedarfte Prosa, sozusagen noch einmal fiktional beglaubigt. Ja, so isses, bleibt als Fazit und Erkenntnis. Das aber ist nicht der Job von Literatur.

Christiane Kovacs: Stadt der Intrigen. Deutsch von  Andrea Brandl. Roman. Penguin Verlag, München 2017. , 416 Seiten, 10 Euro.

51scs56dyGL._SX312_BO1,204,203,200_Großkalibrig!

(TW) Da ist Stephen Dobyns´ Ist Fat Bob schon tot? schon ein anderes Kaliber. Lassen Sie sich nicht vom Cover beirren, wir freuen uns, dass auch Buchhersteller öffentlich dazu stehen, Substanzen zu konsumieren. Der Roman um einen betrüblicherweise und auf betrübliche Weise zu Tode gekommenen Freizeit-Biker, einen reinen Tor, eine wunderliche Spendenabzocke-Bande, zwei vertrottelte Cops, robuste Frauen, einen mordlustigen Gangster und seine Gehülfen, einen Typ mit tourettehaftem Asperger und einen so was von reinlichen Bump in einem Kaff in Neuengland ist irgendwie schon ein Meta-Roman, aber ein durchaus witziger: Dobyns Orgie an auktorialem Erzählen, an Abschweifungen und Mäandern, an Leseanrede und allerlei anderer erzähltechnischer Strategien zwischen Laurence Sterne und Italo Calvino ist wahrlich nicht innovativ oder originell, seziert aber sehr schön die Formeln und Standardsituationen des Small-Town-Noir und macht sich dabei herzlich darüber lustig: Situationskomik, Sprachkomik, fahle Scherze, gute Scherze, Slapstick, tongue-in-cheek, alles da. Und immer klarer zeichnet sich der Pappmaché-Charakter ernstgemeinter Noirs ab, wenn sie ungebrochen daher kommen und „knallhart realistisch und tabulos“ sein wollen. Ein charmanter Schlag gegen einen zeitgeistigen Hype. Sowas geht so alle zwanzig Jahre einmal, vor Nachahmung sollte man allerdings bitte absehen, denn auch „anti“ wird schnell zur nervtötenden Masche.

Stephen Dobyn. Ist Fat Bob schon tot? Roman. C. Bertelsmann 2017, Übers.: Rainer Schmidt, 464 Seiten, 19,99 Euro

41dcXllPaZL._SX333_BO1,204,203,200_Eine Geschichte mit vielen Schleiern

(AM) Alle kennen Mata Hari, aber jeder kennt eine andere. Sie soll die gefährlichste Spionin des Ersten Weltkriegs gewesen sein, die schönste sowieso. Am 15. Oktober 2017 ist ihre Hinrichtung einhundert Jahre her. Mehr als ein Dutzend Filme und über 250 Bücher wurden ihr bisher gewidmet, ihre Lebensgeschichte war und ist der Stoff für Mythen und Legenden, vieles davon schlichte Projektion. Auch Hurenversteher Paolo Coelho hat sich die „Barfußtänzerin“ schon angeeignet. Das älteste und keineswegs verlässliche Quellenwerk stammt von ihrem Vater, dem Hutmacher Adam Zelle aus Leeuwarden in der niederländischen Provinz Friesland („Mata-Hari – Mevr. M.G. Mac Leod-Zelle. De levensgeschiedenis mijner dochter en mijne grieven tegen haar vroegeren echtgenoot. Met portretten, documenten, fac-simile’s en bijlagen“). Das dortige Fries Museum will ab Oktober 2017 die endgültige Mata-Hari-Ausstellung präsentieren. Im Lauf dieses Jahres sollen zudem die Gerichtsakten zugänglich und damit die Frage beantwortet werden, ob Margaretha Geertruida Zelle wirklich eine Doppelagentin für Frankreich und für Deutschland gewesen ist.

„Groß, dunkel und nicht besonders hübsch, dennoch aber extrem attraktiv, eine elektrisierende Persönlichkeit mit hervorragendem Spürsinn für Öffentlichkeitswirksamkeit“, so beschreibt das Fries Museum die berühmteste und verruchteste Tochter der Stadt. Bis heute gilt Mata Hari als Symbol für Erotik, Sexualität, Exhibitionismus und lockeren Lebenswandel. Die Bond-Parodie „Casino Royale“ von 1967 zum Beispiel wartete mit einer Mata Bond auf, Tochter des britischen Agenten und der berühmten Tänzerin. Real verbrachte Mata Hari zwar einige Jahre als Ehefrau in Indonesien, mit indischen Tempeltänzen kam sie indes dort nicht in Berührung, ihre Interpretation und den berühmten „Tanz der sieben Schleier“ eignete sie sich auf anderen Wegen an.
Etwas abweichend vom bisherigen Konzept der Reclam-Reihe „100 Seiten“ nähert sich die Historikerin Claudia Mocek ihrer Protagonistin recht linear, erzählt der Reihe nach, bietet so eine schlanke, aber pralle Biografie auf 100 Seiten. Angesichts der ausgebreiteten Sumpf- und Phantasieblüten lernt man diese Nüchternheit im Lauf der Lektüre immer mehr zu schätzen.

Claudia Mocek: Mata Hari. Reclam 100 Seiten. Reclam Verlag, Stuttgart 2017. 102 Seiten, 12 Abbildungen, 10 Euro.

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(TW) Manchmal ist das Politisch auch gar nicht politisch oder tut nur so. So wie James Rayburn in Sie werden Dich finden das ganz clever macht. Hinter dem Pseudonym Rayburn verbirgt sich Roger Smith, dessen Südafrika-Romane zuletzt ein bisschen arg die Angst vor´m schwarzen Mann kultivierten und der sich seit einiger Zeit unter anderen Namen mit anderen Genres (Horror als Max Wilde) beschäftigt. Jetzt also mit dem „internationalen Thriller“. Kate Swift hat für eine zwischen Staat und Privatwirtschaft angesiedelte Supersupergeheimorganisation gearbeitet, die die Schmutzarbeit für gewisse Regierungskreise macht. Als ihr Gatte von eben diesem Verein mittels Drohne pulverisiert wird, gibt sie die Whistleblowerin und macht Ärger. Mit ihrer Tochter taucht sie ab, fliegt aber auf und wird gejagt. Also flieht sie rund um den Globus nach Thailand, wo sich ihr Vater (der aber nix davon weiß), ein ehemaliges Masterbrain der Spionagezunft, abgehalftert verkrochen hat. Und von dort aus schlagen sie zurück, Zug um Zug. Das ist alles gekonnt gemacht, präzise kalkuliert, mit netten Twists und cooler Action und einem locker-zynischen Erzählton. Das funktioniert prächtig, würde aber genau prächtig funktionieren, wenn die Bösen zum Beispiel Mafia-Bosse wären oder so. „Politik“ steht hier einfach für „böse“, eine schlichte Zeichenoperation, damit das Plot-Maschinen allerliebst schnurrt.

James Rayburn. Sie werden Dich finden (The Truth Itself, 2016). Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und  Klaus Timmermann. Tropen Verlag, Stuttgart 2017.  400 Seiten, 14,95 Euro

Bestechung von John GrishamErmunterung zum Widerstand

(AM) Ja, es ist „formula“, und so wie man keine Burger essen sollte und es trotzdem tut, so ist John Grishams „Bestechung“ ein durchaus achtbares Vergnügen. Es ist sein 30. Roman, wenn ich richtig gezählt habe. So gut wie alle juristischen Begrifflichkeiten hat er seit 1998 und „Die Jury“ durchdekliniert. Akte, Klient, Anwalt, Kammer, Richter, Anklage, Zeugen der Anklage, Bruderschaft, Verteidigung, Schuld, Geständnis, Urteil, Berufung, Komplott, Begnadigung, all das waren schon Grisham-Titel.

Ein Goldschmied der Sprache war er dabei noch nie, meist aber guter Handwerker. Dass er nach einer Reihe männlicher Helden nun eine Protagonistin wählt, tut seiner Sache hier gut. Die ist, unmissverständlich, der Mut vor Königsthronen. Der Originaltitel „The Whistler“ macht das klar und deutet auf einen Helden/ eine Heldin. Der deutsche Titel benennt die Sache und deutet auf das System. „Bestechung“ zeigt Amerika als tief korruptes System. Mit Grisham dürfen wir daran glauben, dass es Unerschrockene gibt, die das nicht hinnehmen wollen – und nicht hinnehmen werden.

Die Ära der Kriminalromane im „Age of Trump“ hat noch nicht richtig begonnen. Das hauptsächlich in Florida spielende „The Whistler“ kam im Oktober 2016 auf dem amerikanischen Markt. Ein Donald Trump wirklich als Präsident, Korruption und Selbstbereicherung tatsächlich schamlos vor aller Augen, das war nicht abzusehen, als Grisham an seinem Buch schrieb. Das Personal von Grishams Buch geht heute in Mar-a-Lago und anderswo in den Tempeln der Macht ganz offen und (noch) unbehelligt aus und ein. Dem „Whistleblowing“ setzt Grisham hier ein kleines Denkmal. Der Kriminalroman als Ermunterung zum Widerstand, es gibt schlechtere Motive.

John Grisham: Bestechung (The Whistler, 2016). Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag, München 2016.  Hardcover. 448 Seiten, 22,99 Euro.

51VLx947H1L._SX324_BO1,204,203,200_Konsens

(TW) Politik ist auch das Movens von Reginald Hills Die letzte Stunde naht, beklagenswerterweise der letzte Dalziel & Pascoe-Roman des 2012 gestorbenen Autors. Weil sein Sohn für´s Parlament kandidiert, räumt ein alter Gangster seine Vergangenheit auf, mit aller Gründlichkeit. Und so hat Dalziel im fernen Yorkshire ein Mordrätsel zu bearbeiten, dessen Grund in London wurzelt. Wie immer bei Hill ist das old school auf Niveau: Elegante, barock geschnörkelte, hin und wieder manieristische Erzählbögen und –linien. Bizarres Personal, Exzentriker ohne Ende, Rätsel über Rätsel – und am Ende verdreht sich das Politische doch wieder ins Private. Für einen klassischen britischen Polizeiroman bietet dieses Ende in der Tat einen sehr gekonnten Clou, der auch sehr geschickt und gekonnt verschleiert angeteasert ist. Auch hier ist „Politik“ nur ein (im Grunde austauschbares) Element der Zeichenoperation, semantisch leer, aber das tut natürlich dem Vergnügen der Lektüre des Romans keinen Abbruch. (Abbruch allerdings tut diesem Vergnügen die deutsche Fassung, in der sich „SEKs“ in Yorkshire tummeln, wo sich die Leute gegenseitig mit „Bursche“ oder „Mädel“ anreden.) Aber vielleicht rückt ja „Politik“ inzwischen in die Funktion, die lange „der Serialkiller“ hatte – eine Motivationsmotiv wie jedes andere, mit dem man das Schema Fall – Aufklärung füllen kann. Das ist dann aber nicht politisch oder auf sehr vermittelte Weise aber doch: Es stiftet konsensualen Sinn.

Reginald Hill: Die letzte Stunde naht (Midnight Fugue, 2009). Roman. Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet. Droemer 2017. 448 Seiten, 22  Euro

chop lee child 9780399593574Kein Koffer, kein Ziel

(AM) In Deutschland liegt Jack Reacher immer noch hoffnunglos zurück. Die Übersetzungen der Thriller von Lee Child zuckeln mit drei Büchern Abstand den USA und Großbritannien hinterher. Vier sind es nun wieder, denn gerade ist „No Middle Name“ erschienen. Nein, kein neuer Roman, der heißt „The Midnight Line“ und kommt als Nr. 22 der Reacher-Saga am 7. November. Der Band jetzt versammelt alle bisher verstreut erschienenen Kurzgeschichten mit Jack Reacher, elf an der Zahl, und eine nagelneue Novelle des Titels „Too Much Time“, in der unser Held in einem Kaff in Maine einen Handtaschenraub beobachtet und aktiv wird. „Second Son“ spielt 1974 auf Okinawa, wo die Reacher-Militärfamilie gerade stationiert wurde, der 13-jährige Jack mit Bullies auf dem Schulhof fertig werden und sich als Ermittler bewähren muss. „High Heat“ führt ins New York während des Blackouts 1977, wo Teenager Jack dem FBI gegen einen Mob-Boss und der Identität des Serienmörders „Son of Sam“ näherkommen hilft. In „Small Wars“ ist er 1989 ein Militärpolizist in Georgia, wo ein Killer sich direkt unter seiner Nase versteckt hält. In „Not a Drill“ macht er einen Ausflug in Maine, in „Deep Down“ überführt er einen Spion, indem er sich mit vier Frauen misst. Dazu kommen Stories mit Titeln wie „Guy Walks into a Bar”, „James Penney’s New Identity“, „Everyone Talks“, „The Picture of the Lonely Diner“, „Maybe They Have a Tradition“ und „No Room at the Motel.”

Kein Koffer, kein Ziel, kein zweiter Vorname, damit ist Jack Reacher jetzt seit 1997 und „Größenwahn“ (Killing Floor) unterwegs. Eigentlich wollte Lee Child nicht mehr als 21 Romane in der Serie schreiben, schließlich habe auch der von ihm sehr verehrte John D. MacDonald nur 21 Bücher mit Travis McGee vorgelegt, meinte er 2012 in einem Interview mit dem „Playboy“. Im Sommer 2016 wechselte er den Verlag und schloss mit Delecorte einen neuen Kontrakt über vier Bücher, wir können also nach November noch auf mindestens drei weitere Reachers hoffen. Pro Buch verdient er schätzungsweise 30 bis 40 Millionen Dollar. „Es braucht Nerven aus Stahl“, sagt er, „solch ein Angebot abzulehnen.“ Zu allem oben drauf sind seine Bücher ja auch noch richtig gut. Bei uns auf CrimeMag können Sie exklusiv direkt von Lee Child erfahren, wie es war, als er Jack Reacher erfunden hat.

Lee Child: No Middle Name: The Complete Collected Jack Reacher Short Stories. Delacorte Press, New York 2017. 414 p., $ 27.

51VS8IVlILL._SX301_BO1,204,203,200_Immer dem Geld nach

(rum.) Ausgefallene Figurenkonstellationen sind Rainer Wittkamps Spezialität. In „Hyänengesang“, dem fünften Roman um seinen LKA-Kommissar Martin Nettelbeck sind das unter anderem ein abgehalfterter Schlagersänger, der zurück auf die Erfolgsspur will, ein verschlagen lächelnder Wurstfabrikant, ein authistischer Investor und ein geldgeiles diplomatisches Korps aus dem Oman. Und die führt er in einer rasanten Geschichte zusammen.
Im Zimmer eines Luxushotels wird eine tote Prostituierte gefunden. Die Spur führt zur osmanischen Botschaft und dort zum Militärataché. Doch wegen dessen diplomatischen Status sind der Polizei die Hände gebunden. Die Ermittlungen verlaufen im Sand, was Rainer Wittkamps Serienkommissar nicht ungelegen kommt, wollte er doch eigentlich mit seiner ghanaischen Frau und den Kindern Urlaub in Ghana machen. Doch seinen Flug muss er noch einmal verschieben, als ein Geschäftsmann vor der Botschaft ermordet wird. Dahinter steckt, das lässt sich in einem zweiten Erzählstrang verfolgen, ein Schlagersänger, der sich an seinem früheren Manager rächen will, während er mit einer Ode an die Currywurst an seinem Comeback feilt.
Es gibt etliche weitere erzählerische Verästelungen, Vertiefungen und Verwicklungen, die der Drehbuchschreiber Wittkamp hier versiert zusammen zwirbelt. Die Geschichte büßt mit der Zeit zwar etwas von ihrer anfänglichen Wendigkeit ein, wird ziemlich absehbar, allerdings hat Wittkamp genügend wilden Humor und böse Ideen, dazu ein Händchen für griffige Szenen und maliziös gezeichnete Figuren, um aus „Hyänengesang“ einen immer noch sehr unterhaltsamen Kriminalroman zu machen.

Rainer Wittkamp: Hyänengesang. Roman. Dortmund, 2017. Grafit-Verlag, 223 Seiten. 11 Euro.

51A2gzPMcUL._SX312_BO1,204,203,200_Das Böse lauert überall

(JF) Stalkingopfer Clara flieht aus der norddeutschen Provinz nach Berlin, um dort ihrem Peiniger in die Arme zu laufen. Das weiß sie natürlich noch nicht. Kundige Leserinnen hingegen können sich darauf verlassen, dass Susanne Kliems Psychothriller „Das Scherbenhaus“ die ehernen Gesetze des Genres brav befolgen wird. Und eins davon besagt, dass sich der Unhold gewöhnlich hinter der Maske eines besonders freundlichen Nachbarn verbirgt. Das Böse nämlich lauert, wie man weiß, immer und überall. Dennoch ist eine gewisse Plausibilität der Handlung unerlässlich, auch wenn sie von einer gewagten Plotkonstruktion abhängt.
Vielleicht werden wir deshalb so häufig Zeuge von Alltagsverrichtungen, die, wie das gesamte Geschehen, aus Claras Perspektive geschildert werden. Da wird gekocht („Sie pustete Luft auf eine heiße Pflaume und kostete. Wunderbar.“), gebadet („Es duftete nach Wald- und Wildkräutern.“) und geliebt („Als sie seine Lippen auf ihren spürte, schloss Carla die Augen.“). Wer seinen Thrill gerne verpackt in gediegene Entspannungsprosa genießt, kommt also sicherlich auf seine Kosten.

Susanne Kliem: Das Scherbenhaus. Psychothriller. 332 Seiten. München: Carl’s Books 2017. € 14,99.

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