
Verwirrspiel mit Sarg
Jose Dalisay ist einer der produktivsten, renommiertesten und gewichtigsten Autoren der Philippinen. Schon allein deshalb ist es begrüßenswert, dass der Berliner :transit-Verlag ihn mit seinem Roman „Last Call Manila“ bei uns endlich vorstellt.
Es geht um einen Sarg, der aus Jeddah in Saudi-Arabien per Luftfracht auf dem Flughafen in Manila landet. Im Sarg die sterblichen Überreste einer Frau namens Aurora V. Cabahug, so sagen wenigstens die Begleitpapiere. Aber Aurora V. Cabahug ist unter dem Namen Rory als Nachtclubsängerin in der philippinischen Provinz quicklebendig. Allerdings ist ihre Schwester Soledad, die zu den unzähligen Philippinos und Philippinas gehört, die in rund um den Globus meist prekäre Arbeitsverhältnisse akzeptieren müssen, seit geraumer Zeit nicht mehr auffindbar. Rory, die ihrer Schwester Soledad ihren Namen geliehen hatte, und ein Polizist namens Walter machen sich auf die Reise nach Manila, um den Sarg nachhause zu bringen. Kaum haben sie die Kiste auf ihren kleinen Van geladen, wird der gestohlen …
Das liest sich ziemlich makaber. Und damit ist auch die Grundstimmung des Romans ganz gut charakterisiert. Entlang der kriminalliterarisch konventionellen Frage, „was ist mit Soledad passiert, wie ist sie in Saudi-Arabien ums Leben gekommen?“ erzählt Dalisay oft grimmig, lakonisch und mit viel Gespür für schwarzen Humor aus dem philippinischen Alltag, in dem das Ungeheuerliche dauernd passiert, aber kaum beachtet wird. Von absurden Todesfällen, unfasslich inkompetenter und korrupter Polizei, von schlimmster Umweltverschmutzung, der Kluft zwischen arm und reich, vom Überleben und der Moral des Überlebens und von Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen, die vom vorherrschenden Katholizismus auch noch gestützt wird. Einem Katholizismus, der ähnlich wie die politischen Strukturen ein Erbe der Kolonialgeschichte der Philippinen ist. Soledads Geschichte hingegen steht stellvertretend für die vieler philippinischer Hausmädchen, Seeleute und Dienstboten aller Art, die, fast unsichtbar, überall auf der Welt schuften, mehr oder weniger als Arbeitssklaven, als Sexsklavinnen, mehr oder weniger rechtelos. Soledad hatte schon in Hongkong schlechte Erfahrungen gemacht, in Saudi-Arabien verliert sich ihre Spur. „Einfach so“, lautet der letzte Satz des Romans.
Dalisay erzählt strikt auktorial, manchmal abschweifend und mäandernd, um die komplizierten sozialen Verhältnisse und die Würde der menschlichen Existenzen nicht zu verkürzen, aber auch dieser auktoriale Erzähler muss passen, wenn es um Soledads Tod geht. Denn alle Institutionen, die eigentlich für Aufklärung zuständig wären, versagen. Das heißt: Sie interessieren sich nicht für eine philippinische Haushaltshilfe. Und der Erzähler des Romans hat keine Möglichkeit, dieses Desinteresse fiktional zu unterlaufen. Er kann die Makrostrukturen beschreiben, ein Einzelschicksal jedoch ehrlicherweise nicht. Was bleibt ist die Erkenntnis des Makabren, Bizarren und Grotesken dieser Welt – nicht als ästhetisches Spiel, sondern als hammerharte Realität. Und so gefriert uns das Lachen.
Jose Dalisay: Last Call Manila (Soledad’s Sister, 2008). Aus dem Englischen von Niko Fröba. Transit Buchverlag, Berlin 2023. Hardcover, 208 Seiten, 22 Euro.