Geschrieben am 3. Oktober 2019 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2019

Sonja Hartl zu „She Said“

Die Unbestechlichen

Nach monatelangen Recherchen veröffentlichte am 5. Oktober 2017 die New York Times einen Artikel, in dem die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey darlegen, dass der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein seit Jahrzehnten Frauen belästigt und mindestens acht Vergleiche geschlossen hat, damit Schauspielerinnen, Produktionsassistentinnen und Mitarbeiterinnen der Weinstein Company über die Vorfälle zu schweigen. In ihrem Buch „She Said“ erzählen Jodi Kantor und Megan Twohey nun von ihren Recherchen, die zu dem Artikel geführt haben. Dabei geht es ihnen weniger um die Person Harvey Weinstein als vielmehr das System, das seine Taten jahrzehntelang ermöglichte. 

Dazu gehören AnwältInnen, die ihre Mandatinnen überzeugen, lieber eine Geheimhaltungsvereinbarung zu unterzeichnen, statt vor Gericht zu gehen – und davon selbst finanzielle Vorteile hatten. Dazu gehören Vorstandsmitglieder der Weinstein Company, die lediglich das wirtschaftliche Wohl der Firma im Auge hatten. Aber eben auch eine Gesellschaft, in der Frauen selten geglaubt wird, und die Auffassung, eine Schauspielerin würde nun einmal alles für eine Rolle tun, so weit verbreitet ist, dass dieser Satz noch in dem Buch mehrfach als Entschuldigung angeführt wird. Über Jahrzehnte hat sich niemand die Anschuldigungen gegen Weinstein genauer angesehen. Niemand wollte die wiederkehrenden Elemente sehen, die Hotelzimmer, Bademantel, Massagen, niemand wollte sich mit Harvey Weinstein anlegen. Es ist erschütternd zu lesen, wie viele Menschen bereit sind zu schweigen, wenn sie sich davon persönliche Vorteile versprechen. 

Kantor und Twohey haben dieses System aufgedeckt – dank Recherchen, die sie durchführen konnten, weil die New York Times Zeit und Geld investierte und sich hinter die Journalistinnen stellte. Ihre monatelang Arbeit liest sich wie ein ungemein packender Journalismusthriller mit allen wichtigen Elementen: eine mühsame Suche nach Quellen, die schweigen oder höchstens „off the record“ mit ihnen sprechen, und nach Belegen für die Behauptungen, bei denen die bekannte Weisheit „follow the money“ zum Tragen kommt. Eine Begegnung in einem Café, bei der kurz vor der Publikation ein entscheidendes Dokument zugespielt wird. Gegenspieler, die Druck auf Quellen und die Zeitung ausüben, die sogar einen privaten Sicherheitsdienst namens Black Cube anheuern, deren Mitarbeiter sich Menschenrechtsaktivisten ausgeben, um die Journalistinnen auszuspionieren und Quellen einzuschüchtern. Doch das alles ist eben keine fiktive Geschichte, sie ist wahr und belegt. 

In dem zweiten, kürzeren Teil von „She Said“ geht es dann um Christine Blasey Ford, die vor dem Justizausschuss im Rahmen der Anhörung für Brett Kavanaughs Berufung in den Obersten Gerichtshof der USA ausgesagt hat, er haben ihr im Sommer 1982 sexualisierte Gewalt angetan. Es ist ebenfalls eine sehr genaue Wiedergabe der Ereignisse, aber hier ist die Distanz zu spüren, die die Journalistinnen zu diesem Fall haben. Dafür verdeutlicht er einen weiteren Aspekt: Weinstein wird zwar vor Gericht gestellt, aber weiterhin kommen reiche und einflussreiche Männer in der Regel davon. 

Am Ende versammeln Kantor und Twohey einige ihrer Quellen in dem Weinstein- und anderen Fällen. Mutige Frauen, die laut geworden sind, die nicht bereuen, dass sie offiziell über Missstände gesprochen haben, die aber nicht immer erfolgreich damit waren. Diese Frauen verdienen eine Stimme, aber leider steht dieses Treffen anstelle eines Fazits der Autorinnen – und das kann es nicht ersetzen.

„She Said“ ist kein perfektes Buch, aber ein wichtiges Buch über Journalismus und Machtmissbrauch. Denn die Übergriffe, die Harvey Weinstein und Brett Kavanaugh zu Last gelegt werden, passieren weiterhin jeden Tag überall auf der Welt. 

Sonja Hartl

  • Jodi Kantor, Megan Twohey: She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement. Penguin Press, New York 2019. 320 Seiten. 

Sonja Hartls Texte bei uns hier. Ihr Blog Zeilenkino hier.

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