Geschrieben am 1. März 2022 von für Crimemag, CrimeMag März 2022

Sonja Hartl über Valerie Wilson Wesley

Im Zuge der Wiederauflagen-Welle in der Kriminalliteratur ist Ende Oktober 2021 im Diogenes Verlag auch der erste Band von Valerie Wilson Wesleys Tamara-Hayle-Reihe erschienen. Erstmals in den USA 1994 veröffentlicht, gab es bereits 1996 eine erste Ausgabe von „Ein Engel über deinem Grab“ im Diogenes Verlag, auch die weiteren Teile wurden bis 2009 dort veröffentlicht. Sonja Hartl hat den ersten Band mit der Schwarzen Privatdektivin gelesen.

Tamara Hayle ist eine ehemalige Polizistin, die mittlerweile als Privatdetektivin arbeitet und mit ihrem 14-jährigen Sohn Jamal in Newark, New Jersey lebt. Am Anfang von „Ein Engel über deinem Grab“ taucht Jamals Vater wieder auf: Zwei seiner Söhne sind innerhalb eines Jahres gestorben und er bittet Tamara, sich diese Mordfälle anzugucken. Eigentlich will sie den Kontakt zu ihm auf das Nötigste beschränken, aber sie braucht das Geld und nimmt den Auftrag deshalb an. Regelmäßige Krimileser*innen dürfte es nicht allzu schwerfallen, schon bald zwei klare Hauptverdächtige auszumachen – aber das mindert das Lesevergnügen nur wenig.

Ein Grund dafür ist Tamara Hayle: sie ist eine mehr oder weniger alleinerziehende Mutter eines Teenagersohns, die sich in erster Linie um ihren Sohn sorgt – und vor allem Kummer so weit wie möglich von ihm entfernt halten will. Aber sie sind zwei Schwarze Menschen in den USA. Als Jamal neun Jahre alt war, war er mit einem älteren Freund unterwegs und wurde von Polizisten angehalten, weil sie Schwarze Jungs in einem Auto in einem überwiegend von Weißen bewohnten Viertel waren. Sie wurden von ihnen misshandelt – und als die Polizisten feststellten, dass einer der Jungs erst neun Jahre ist, redeten sie sich mit „er ist groß für sein Alter“ heraus. Es war „seine Initiation als Schwarzer und als Mann“ und der Anlass für Tamaras Kündigung. Nach diesem Vorfall konnte Tamara nicht länger bei der Polizei bleiben. Wenig überraschend stell sie nun stellt fest, dass in dem Tod von Jamals Halbbruder kaum ermittelt wurde. Bei einem Schwarzen Ex-Junkie ist eine Überdosis als Todesgrund glaubwürdig genug.

Cover der US-Ausgabe

Diese rassistischen Zwischenfälle stehen nicht im Zentrum dieses Kriminalromans, sondern sind in den Alltag von Tamara Hayle eingebunden, mit dem Valerie Wilson auch auf die Situation vieler Schwarzer Frauen in den USA verweist. Ihre Ermittlungen führen sie indes tiefer in die Vergangenheit ihres Ex-Mannes. Ganz im Sinne der PI-Novel aus der Ich-Perspektive erzählt, begleitet man Tamara bei den Ermittlungen – und stellt fest, dass eine Schwarze Privatdetektivin in Bereiche kommt und hat Möglichkeiten hat, die die Polizei nicht hat: aus rechtlichen Gründen, aber auch aufgrund des Misstrauens der Schwarzen Bevölkerung gegenüber der Polizei. dass es eine kluge Entscheidung war, eine Privatdektivin als Hauptfigur zu nehmen: sie kommt in Bereiche und hat Möglichkeiten, die die Polizei nicht hatte. Zugleich kann das Misstrauen gegenüber der Polizei sowie deren Übergriffe einfließen.

Der zweite Grund ist der Handlungsort – die Stadt Newark. Stets im Schatten von New York steht dieser Ort auf der anderen Seite des Hudson River und ist weit weniger glamourös und bekannt als die anderen PI-Novel-Handlungsorte. Aber Tamara Hayes‘ Leben ist eng mit der Geschichte von Newark verbunden, die an viele Großstädte in den USA erinnert. Die wachsende Industrie zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr Schwarze aus den Südstaaten auf der Suche nach Arbeit in die Stadt. Sie wohnten in der Innenstadt, während Weiße zunehmend in die Vororte zogen. Im Jahr 1967 kam es dann zu der Rebellion der Schwarzen Bewohner*innen gegen rassistische Polizeiarbeit und diese „riots“ (hierzu unbedingt „America on Fire“ von Elizabeth Hinton lesen) veränderten die Stadt für immer. Tamara war damals zehn Jahre alt – teilt aber wie alle andere Bewohner*innen ihr Leben in eine Zeit davor und danach. Dadurch erfährt man viel über das Leben und die Gegenwart in dieser Stadt.

„Ein Engel über deinem Grab“ hat nicht den großartigen Irrsinn von Chester Himes oder die kontrollierte Wut von Walter Mosley. Es ist vielmehr gepflegte Privatdetektivinnenunterhaltung, deren Ende heutzutage nicht mehr möglich wäre, weil Handys es ruinierten. Aber wer Sue Graftons Kinsey Milhone oder Eleanor Taylor Blands Marti MacAlister mag, wird auch Tamara Hayle mögen.

Valerie Wilson Wesley: Ein Engel über deinem Grab (Wenn Death Comes Stealing, 1994). Übersetzt von Gertraude Krueger. Diogenes Verlag, Zürich 2021 (1996). 288 Seiten, 16 Euro.

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