Geschrieben am 3. Oktober 2019 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2019

Monika Geier: Arbeite dran!

Gedanken, während oder nach KM4

Die drei Keynotes: Helden, Langeweile und Donald Trump. Symptomatische Themen, finde ich, für die momentan dringlichste Frage, obwohl die gar nicht formuliert wurde: Wie können wir, auch in der Literatur, eine gemeinsame Idee für die Zukunft entwickeln, die uns einigermaßen heil über den großen Umbruch bringt, der bevorsteht? Inzwischen ist, glaube ich, allen klar, dass wir das System ändern müssen, wenn wir nicht wollen, dass es uns unkontrolliert um die Ohren fliegt. Das Ende des Wachstums ist erreicht. Unser ökonomisches Denken rechnet Expansion und einen ausbeutbaren, zumüllbaren Außenbereich mit ein. Aber dieser Außenbereich fällt neuerdings aus der Rechnung heraus. Er ist längst unsere Lebensgrundlage. Das ist total evident, und auch Ignoranten und Leugner sind von der Unruhe erfasst, die dieser Zustand auslöst, wenn vielleicht auch nur widerwillig oder unbewusst.

Helden. Held*innen sind wie Almosen. Ein Symptom für Krisen. Sie gleichen systemische Ungerechtigkeiten und Schwachstellen aus und zementieren die Verhältnisse. Wer Sehnsucht nach Held*innen hat, möchte das System erhalten, auch wenn es ihm selbst schadet, er hofft auf individuelle Rettung. Folglich behindert das Heldentum die erforderliche Neuentwicklung, denn es steht für die Hoffnung, die alten Strukturen (und Privilegien!) erhalten zu können. Aus diesem Grund stilisieren sich neuerdings Staatsführer (womit wir bei Trump wären) als Helden, wie wenn sich zum Beispiel Boris Johnson als Hulk bezeichnet. Das ist irrsinnig, weil Held*innen ambivalente Figuren sind, die nur funktionieren, wenn sie das System zu seinem Erhalt unterlaufen. Die Intention der Held*innen ist nicht ans System gebunden und richtet sich im heldenhaften Moment dagegen. Darum dürfen regierende Politiker*innen keine Held*innen sein wollen. Regierende müssen für das System stehen. Wenn sie sich dagegen der Rebellion anschließen, geben sie damit eine Bankrotterklärung ab und werden zur Gefahr und lächerlichen Figuren – aber sie entsprechen auch dem Zeitgeist. Denn wir müssen leider alle stark bezweifeln, dass die erforderlichen Weltrettungsänderungen, egal von wem, durchsetzbar sind – zumal wir eigentlich gar nicht so genau wissen, was denn zu ändern wäre. An so einer Stelle wird der Bedarf nach Held*innen sehr stark, eben weil die eine individuelle Moral haben und spontan anfangen zu handeln, ohne das Systemische abschließend durchdacht zu haben. Und, wie Tobias Gohlis gezeigt hat, besitzt das Heldentum auch eine Eigendynamik. Held*in sein ist oft selbstzerstörerisch, aber auch sinnstiftend und macht im Erfolgsfall attraktiv und mächtig. Darum ist das Heldentum gerade jetzt so gefährlich. Wir Autor*innen sollten davon abraten.

Langeweile. Auch so ein Symptom. Langeweile ist ein frustrierender, aber schöpferischer Zustand, der dann eintritt, wenn eine Veränderung bevorsteht bzw. nötig wäre. In der bildenden Kunst, wo der schöpferische Prozess sichtbarer und direkter abläuft als beim Schreiben, kann man das wunderbar beobachten. In den vielen Zeichenkursen, die ich begleitet habe, haben wir Leuten, die sich in einer Stagnation gelangweilt haben und deswegen frustriert waren, immer gesagt: Halt aus! Das ist gut! Arbeite daran! Was wir nicht gesagt haben: Langeweile bringt nicht zwingend weiter. Dazu ist auch Glück, ein Schock oder Ausdauer nötig. Das hat nicht jeder. Leider kann aber, wer die Langeweile erreicht hat, nicht mehr zurück. Sie macht das Alte wertlos, ohne automatisch einen neuen Weg aufzuzeigen. Es ist ein Befinden, in dem mal eine unserer Zeichenschülerinnen ein Tuschefass an die Wand geworfen hat, ein Zustand, in dem man Verzweiflungstaten begeht, in dem man sich exzessiv entschädigt, in dem man alle Vernunft in den Wind schießt und einen Trump wählt. Weil der, wie Susanne Saygin so treffend gesagt hat, den Punk gibt, weil er das ist, was man in unbewältigter Langeweile unwiderstehlich findet: Er ist unberechenbar. Gelangweilte fangen an zu zocken. Und Zocker*innen (hab lange in einer Spielhalle gejobbt) sind süchtig nach dem Würfel, dem Zufall, weil alles andere für sie so gleichförmig ist, dass sie es nicht mehr wahrnehmen. Jetzt fragt man sich, wie sich beim gegenwärtigen Zustand der Welt so viele Leute langweilen können, dass ihre Zahl die kritische Masse erreicht und ein Trump demokratisch zum Regierungsschef gewählt wird: Langeweile tritt nicht nur dann ein, wenn man nicht weiter will, sondern auch, wenn man nicht weiter kann. Langeweile ist nicht nur ein Luxusproblem. Niemand kann momentan sagen, was geschehen wird, wenn das letzte Öl und der letzte Sand etc. aufgebraucht sind, aber mit „Machet euch die Erde untertan“ in seinen Millionen Varianten werden wir nicht weiterkommen. Das wissen alle. Leider sind keine einfachen Alternativen in Sicht. Noch nicht mal komplexe. Eigentlich gar keine. Das Problem ist zu groß und die Zukunft ist ungewiss. Dieser Zustand höhlt die Werte aus.

Was ist also zu tun? Bei den Held*innen ist es einfacher, denen sollten wir rundheraus misstrauen. Die Langeweile dagegen ist zwar gefährlich, aber, glaube ich, nötig. Wir müssen sie aushalten. Sie ist gut. Lasst uns daran arbeiten.

Monika Geier

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