Geschrieben am 3. Oktober 2019 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2019

Thomas Wörtche über Langeweile

Akseli Gallen-Kallela „Symposium“, 1894 – © Wiki Commons

Wenn der Schmutz fehlt, wird’s prekär

 Bei KrimisMachen 4 sollte TW etwas über „Langeweile“ erzählen – der Vortrag wurde in Echtzeit ein wenig eingedampft. Deswegen hier die zu Grunde liegenden Notizen, sogar manchmal in ganzen Sätzen. 

Leseerfahrung: Ich langweile mich öfters als früher, man kann das nach ein paar Jahrzehnten als verständliche professionelle Sättigung bezeichnen oder vermuten, ich läse die falschen Bücher, aber so einfach ist es nicht (schließlich bin ich noch begeisterungsfähig): 

Langeweile & ein der Spannung verschriebenes Genre wie Kriminalliteratur – Paradox.

„Langeweile“, wer kennt sie nicht, manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen:

  • Handlungslangeweile (muss ich nicht ausführen) – das Immergleiche an Belanglosigkeiten
  • Sprachliche Langeweile … (eigentlich auch evident), wenn die Sprache kein Agens des Textes ist.     
  • Konzeptuelle Langeweile – Rätselkrimi und andere Standardnarrative, insofern sie nicht originell variiert oder innoviert werden, was allerdings immer schwerer wird, rein statistisch gesehen, aber genau das könnte ja auch das Signal sein, sich endlich mal was einfallen zu lassen.
  • Intellektuelle Langeweile: Where is the beef? Where is the point? Warum musste das Buch geschrieben werden? Bringt es irgendwie irgendwen weiter?
Eugene Onegin, Illustration von 1908 – © Wiki Commons

„Langeweile“ ist natürlich ein sehr subjektives Konzept – wenn man wollte, könnte sie man sogar ins Positive drehen: Als Entschleunigung, ins Meditative etc. ins Innerliche (falls man daran Gefallen findet, obwohl das auch schon wieder in die Richtung „wellness product“ ginge), ein bisschen wie Komik. Aber wie Komik auch, ist sie eine geistesgeschichtliche Macht:  

Als „ennui“ wird sie seit Baudelaire sogar ein ästhetisches Programm, ein Teilaspekt des épater les bourgeois (Rimbaud, Huysmans, Oscar Wilde) > kontextgebunden, aber ein Kern steckt darin, der brauchbar ist: Der Moment des Schocks … & Die Lust am Unseriösen, konkretisiert im Typus des  poète maudit, die das ennui aufbrechen müssen, wobei da natürlich die nächste Falle lauert: „Den im Feld der Macht als schlecht geltende Geschmack populärer Kulturen, wie Comics, Porno- oder Horrorfilme, zum guten zu erklären, sichert die bestmögliche Distinktion von Intellektuellen gegenüber harmlosem Akademismus“ (Thomas Becker, Kunsttheoretiker) 

Sie sehen, die Paragoné verheddert sich immer wieder in Widersprüche oder hat unbeliebte Implikationen. Nicht, dass ich´s nicht wüsste.

Ferdinand Max Bredt „Muße der Odalisken“ © Wiki Commons

Populäre/Volkskultur: zumindest historisch (und in den Echos noch im Action-Kino vorhanden): Das Lärmende, Vulgäre, Derbe, Krasse, Obszöne, Schrille, Gemeine das „hochkulturell“ zu dämpfen war (Klassik etc.) findet jetzt, in der Kriminalliteratur zumindest, eher in solchen Werken statt, die wir als ARTHOUSE bezeichnen – das Artige – inhaltlich, formal, intellektuell – findet in den bestsellerkompatiblen, massenpublikumstauglichen Werken statt (falls wir den Schenkelklopfhumor der Knödelkrimis und das Geisterbahnblut der einschlägigen Narrative nicht versehentlich für EXZESS oder dergleichen Grenzüberschreitungen halten, was sie nicht sind, weil sie die (klein)bürgerliche Ordnung als Folie affirmieren).  

Heute aber vermeidet aber gerade die massenkompatible Kriminalliteratur diese ursprünglich volkskulturellen Züge peinlich. Sie will „nur unterhalten“ (was eine reine Schimäre ist, reine Unterhaltung gibt es nicht), vor allem nicht anecken, sie will Identifikationen bereitstellen, Emotionen – aber nicht allzu krasse – bedienen, konsensual sein, nicht wehtun. Denn nur so lassen sich Erfolge auf dem Markt erzielen. 

Kriminalliteratur war deswegen Teil der Populären Kultur, weil der Publikumsgeschmack oft deckungsgleich mit den Spitzenwerken war (nicht immer, aber oft). Das ist inzwischen auseinandergedriftet

Heute: U/E-Schere … Zwischen Fitzek/Wolf & Co. und den Texten, die wir, der Diskurs, die veröffentlichte Meinung, relevant finden, liegen Welten – ästhetisch und epistemologisch.  Das ist sicher richtig, aber eben auch unbehaglich.

Dennoch: Man kann sich zuweilen des Eindrucks nicht erwehren, dass die aktuelle Kriminalliteratur manchmal dazu neigt, von ihrem „Kerngeschäft“ abzuweichen, es zugunsten einer wie auch immer gearteten „literarischen Qualität“ beinahe aufzugeben. Bücher wie James Sallis´ „Willnot“, Lisa McInerneys „Glorreiche Ketzereien“ Ivy Pochadas „Wonder Valley“ oder Lawrence Osbornes „ Welch schöne Tiere wir sind“, um nur ein paar Beispiele für diesen Trend zu nennen, sind nicht „mehr als ein Kriminalroman“, wie die an sich ziemlich blöde Formel heißt, sondern eher „weniger als ein Kriminalroman“. Das Problem ist nicht, dass Literatur und Kriminalliteratur sich auf dem Niveau der Prosa in den letzten Jahrzehnten eher angenähert haben, und zur Debatte steht auch nicht, ob diese Titel gute Bücher seien, sondern dass ein bestimmter, aber entscheidender kriminalliterarischer Punch ausbleibt. Die AutorInnen solcher Texte sind deutlich an anderem interessiert als an Verbrechen und Gewalt. Sei es an existentialistischen Reflexionen (Sallis) oder an soziologischer Feinmechanik (Pochada), die Dominanten der Texte sind verrutscht. Das gilt übrigens auch für einen Typus von Roman, der zwar, reduziert man ihn auf sein Sujet, reines Genre zu sein scheint, dann aber etwas ganz anderes macht, wie zum Beispiel der hochgelobte Roman „64“ von Hideo Yokoyama (Atrium), der mit nervtötender, fast Stifter´scher Langsamkeit alle kriminalliterarischen Tugenden suspendiert: Action, Thrill, Suspense. Die aber aufzugeben, heißt ja nicht, das Genre zu renovieren, sondern es auf problematische Weise in Richtung „seriöser Literatur“ zu domestizieren.  

Wobei: Hybride sind very welcome, das war eine zeitlang ein guter Schlachtruf, genre crossing, „unreines“ Genre, Schnittmengen jeder Couleur, aber eben vom genuin Kriminalliterarischen her gedacht, die sich an allen möglichen Techniken und Parametern der „seriösen“ Literatur bedient und diese sozusagen zu sich „herabzieht“.  Und nicht zu ihr aufstreben will.

Ein Problem ist ja auch: ein guter und schlechter Kriminalroman sehen erst mal gleich aus (Fritz Woelcken),  zumindest in einer „Vorherrschaft der begriffslosen Praxis“ (TWA), zumindest was die Rezeption angeht und in der wir uns befinden. Das gerinnt in der anscheinend demokratischen, aber letztendlich rein formalistischen Argumentation: Ein Geschmack ist so viel wert wie der andere. 

ABER: heißt das, das Publikum ist doof? Ist die Vorstellung des „kritischen“ Lesers illusionär? Oder? Aber man muss sich auch nicht einreden lassen: Ein so gedachter „Publikumsgeschmack“ verlangt nicht nach Innovation, sondern nach dem berühmten Immergleichen.

Und dann kommt eben der Eindruck auf: Jetzt erst recht ARTHOUSE – denn, so befürchte ich, die neue Quadratur des Kreises könnte jetzt die Annäherung von ARTHOUSE-Kriminalliteratur ans Seriöse sein, denn wenn’s beim Massenpublikum nicht ankommt, dann wenigstens in den Literaturbeilagen. 

Irgendwo hat das sogar Raison: Ernstgenommen werden wollen, das ist legitim. Aber auch gefährlich: Von wem ernstgenommen werden? Nur von der Kritik, der professionellen? Und die professionelle Kritik ihrerseits will von den „seriösen“ Medien ernstgenommen werden?  Also von denen, die die Kriminalliteratur nie ernstgenommen haben, es nicht tun und auch nicht tun werden. Das riecht für mich schon ein bisschen nach Identifikation mit dem Aggressor und der Schulterschluss von ProduzentInnen und professionellen Rezipienten wird an der Stelle fatal, wenn er auch eines ganz klar erscheinen lässt: Die Kriminalliteratur will weg von den Artes Moyens, den „mittleren“ Künsten, wo sie seit Bourdieus Set Up auf dem literarischen Feld angesiedelt ist – wobei dort die Gesellschaft nicht die schlechteste ist, nämlich Film & Comic etc.  Aber warum sollte sie das?  Und warum sollte sie vor den rein kommerziell erfolgreichen Industrieprodukten ins Hochliterarische ausweichen – statt genau an der Stelle anzugreifen? Selbstbewusst, sich nicht anbiedernd. Mit Mitteln, die alles andere als zartrosa sind, mit Dynamik, Action, Thrill und Chuzpe, und eben nicht im abgesicherten Modus. Kriminalliteratur soll nicht schön sein und nicaht kuschelig, sie ist kein Wellness-Product sein, egal, was uns irgendwelche KrimiMimis einreden wollen. Das alles steht für gepflegte Langweile zu Rotwein und Pfeifchen. Und da ist dann schon fast egal, auf welchem literarischen Niveau wir uns langweilen – mit oder ohne Kunstverdacht. Egal.  

Also gerne und dringend: mehr Schmutz & Schund im besten Sinne – mit mehr Risiko und Innovationsfreude. 


Pierre Auguste Renoir: „La Tasse de chocolat“ © Wiki Commons

Denn eines ist klar: Wenn der KL der Schmutz fehlt, wird’s prekär.  Das ist kein Aufruf zu einem neuen Primitivismus (obwohl ….)   Der Ruf nach „guten“ Krimis aber, dem dann gleich die Forderungen nach Kriterien und Parametern eben für „gute Krimis“ folgt, hat ja schon literaturpolizeiliche Implikationen, als ob es einen archimedischen Punkt gebe, der sich für alle Werke dieser so rubrizierten Gruppe („gute Krimis“) geltend machen ließe. Das gleiche gilt für die Forderung nach „sauberen Plots. Nicht, dass ich was gegen geniale Plots hätte, ganz im Gegenteil, die können auch gerne wahnsinnig sein, halsbrecherisch, verblüffend, aber um Himmels willen nicht „sauber“. Siehe Schock … 

Der „Schmutz“ liegt nicht nur bei den Themen – sondern auch in der Ästhetik. Schlechte Prosa ist kein Schmutz, den ich meine. Es gibt keine „gute“ Sprache, das ist was für Buchhalter und Formatproduzenten, genau so wenig wie die berühmten „Regeln“, die man angeblich lehren kann, alles Ordnungsfantasien für literarische Spießer. Es gibt nur angemessene Sprache und angemessene Baupläne für das, was ein Autor schreiben muss (Bücher, die nicht geschrieben werden müssen, brauchen wir eh nicht) – und wenn sich KL weiterhin im Schmutz unserer Gegenwart wälzen will (irgendwer muss es ja machen), dann ist nichts weniger hilfreich, als das Streben nach Höherem. 

Was wir brauchen, sind Bücher, die das Genre als Genre und nicht als seriösliterarisches Simulacrum neu denken. Und dann entfällt auch die Langeweile

© 09/2019 Thomas Wörtche