Geschrieben am 1. September 2023 von für Crimemag, CrimeMag September 2023

Interview mit Andreas Pflüger: Wenn der Wahnsinn zweimal klingelt

„Wer fährt?“ – Das ist das Wichtigste

Ein Interview mit Andreas Pflüger zum Buch Die Autos der TV-Kommissare

Alf Mayer: Du warst einer der meistbeschäftigten „Tatort“-Autoren, ehe du im August 2018 deinen Ausstieg aus der Fernsehwelt bekanntgemacht hast, weil du dich seitdem nur noch auf deine Romane konzentrieren willst. Wie viele „Tatorte“ hast du denn auf dem Buckel?

Andreas Pflüger © Archiv P

Andreas Pflüger: Es waren siebenundzwanzig, darunter acht „Weimarer“ zusammen mit Murmel Clausen. Ich glaube, mir fehlten nur drei „Tatorte“, dann hätte ich Felix Huby eingeholt, der die meisten geschrieben hat. Also wird auf meinem Grabstein nicht stehen: Er hat den Tatort-Rekord gehalten. Ich werde es verschmerzen.

Dann hast du also über einen langen Zeitraum mit den Gepflogenheiten bei Fernsehkrimis und mit verschiedenen Redaktionen und Produktionsfirmen zu tun gehabt.

Das waren achtundzwanzig Jahre meines Lebens.

Und achtundzwanzig Jahre Fernsehgeschichte … Mich interessiert das Thema Auto bei den „Tatort“-Kommissaren. Wie wichtig war das denn?

Irgendwie müssen die Ermittler ja von A nach B kommen, und die meisten fahren nicht mit dem Bus wie Franz Markowitz, der mein erster Tatort-Kommissar war. In den Neunzigern war die Wahl des Fahrzeugs für die Sender und Produzenten auch finanziell interessant.

Inwiefern?

Es konnte passieren, dass einen zum Beispiel der Herstellungsleiter anrief, ob man nicht ein bestimmtes Auto – der Typ wurde dann genau spezifiziert – im Drehbuch unterbringen könne. Natürlich hätte es dazu des Autors nicht bedurft. Aber so hat man sich abgesichert. Im Fall der Fälle hätte man später sagen können: Das stand ja so im Drehbuch. Wie gesagt, das war vor der Jahrtausendwende und dem großen Product-Placement-Skandal. Genauso hielt man es auch mit anderen Produkten, das ging meines Wissens von der Kaffeemaschine über Klamotten bis zum Kühlschrank. Wie die Deals mit den Herstellern genau aussahen, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es muss sich für beide Seiten gerechnet haben.

Kannst du ein Auto-Beispiel nennen?

Nein, möchte ich nicht. Wer sich die Mühe macht, könnte dann den Produzenten und den Sender ermitteln, und Leute anschwärzen ist nicht mein Ding. Die Sache ging damals über Wochen durch die Presse, das ist längst Schnee von gestern.

Was ist mit dem Auto als Charakter-Fortsatz der Fernsehkommissare? Ist da etwas dran?

Die wichtigste Frage war immer: Wer darf das Auto fahren? Das ist für Fernsehkommissare ein Hochamt.

Echt?

Ja. Wer nie mit Schauspielern gearbeitet hat, weiß nicht, was Wahnsinn ist.

Bitte mehr!

Okay, wahre Geschichte: Kurz vor Mitternacht ruft mich ein aufgebrachter Kommissar-Darsteller zuhause an: „Der andere darf ja SCHON WIEDER das Auto fahren. Warum nicht ich?“ Er hatte sich schon öfter beschwert, also sage ich ihm um des lieben Friedens willen zu, dass ich die Szene entsprechend umschreibe. Am Tag des Drehs klingelt morgens um halb sechs mein Telefon. Kollege Zwei ist dran: „Ich bin in der Maske und erfahre gerade, dass der XY heute am Steuer sitzen soll! Hallo?! Ich bin Polizeihauptkommissar und der nur Kommissar! Ich habe den höheren Dienstgrad! Ich bestehe darauf, dass ich den Dienstwagen fahre!“ Ich antworte: „Dein Buddy ist befördert worden, der darf jetzt auch.“ Nachdem ich aufgelegt habe, gehe ich wieder ins Bett und sage zu meiner Frau, die natürlich wachgeworden ist: „Die Anstalt hat wieder Ausgang.“

Und was schreibt ein Tatort-Autor nicht in ein Drehbuch?

Als Drehbuchautor verwaltet man auch einen Etat. Wenn man mir für einen Tatort 1,5 Millionen in die Hand gibt, kann ich nicht zwei ausgeben. Dialoge in einem fahrenden Auto sind zum Beispiel teuer, weil dafür ein gewisser technischer Aufwand betrieben werden muss. In einem deutschen Fernsehkrimi kommt es so gut wie nie vor, dass man sich im Auto während der Fahrt unterhält. Du kannst gerne darauf achten: Die Kommissare kommunizieren in der Regel, wenn das Auto steht. Sie steigen aus und telefonieren, oder sie reden über das Dach hinweg, aber selten im Fahren. Solche Bilder schreibt man als Tatort-Autor einfach nicht – und wenn doch, muss es schon extrem gut begründet sein. Das ist Alltag in unserer Fernsehlandschaft; hierzulande sind Filme eben chronisch unterfinanziert. Das hat bei meiner Entscheidung, nur noch Romane zu schreiben, sicher auch eine Rolle gespielt. Literarisch kann ich mich ganz anders austoben. Immer wieder denke ich bei meinen Actionsequenzen: Das könnte ein deutscher Filmproduzent mit dem üblichen Budget unmöglich stemmen.

Und noch ein Geheimnis?

Die sauberen Autos. Lange waren die Autos stets wie geleckt, als seien sie frisch aus der Waschanlage gekommen. Und da kamen sie tatsächlich her. Die Fahrzeughersteller legten größten Wert darauf, dass ihre Modelle blitzten. Das zu ändern und sie auch mal dreckig sein zu lassen, konnte zu einem Kampf ausarten, auch auf Drehbuchebene. Auch ein Kilometerstand wie der hier beim Vorgesetzten der Weimar-Kommissare dürfte im „Tatort“ eher ungewöhnlich sein ( „Der Irre Iwan“):

Gibt es eigentlich in deinen Romanen eine Lieblingsszene, die mit Autos zu hat?

Ja, die Szene in „Endgültig“, wenn Holm im Tunnel in Barcelona bei Tempo 260 Jenny Aaron in den Kopf schießt und ihr das Augenlicht raubt. Das war extrem kompliziert zu bauen und zu schreiben, und als ich durch war, dachte ich: Wow. (lacht) Aaron wäre jetzt sicher anderer Meinung als ich.

Wenn du nicht Auto fährst, bist du gerne zweirädrig unterwegs, oder? Was ist es?

Eine Harley Road King. Um ehrlich zu sein: Obwohl sie 27 Jahre alt ist, blitzt sie immer, als käme sie gerade vom Fließband.

Mir fällt noch ein: Gäbe es denn für uns vielleicht noch eine kleine „Auto-Stelle“ aus deinem neuen Buch?

Voila, mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages direkt aus der Druckvorlage kopiert:

Andreas Pflüger: Wie Sterben geht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. Hardcover, 448 Seiten, 25 Euro.
– Erscheinungstermin: 9. Oktober 2023.

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