Geschrieben am 1. Oktober 2023 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2023

Hazel Rosenstrauch über Vincent von Wroblewsky

Deutsch-deutscher Dialektiker

Eine Besprechung seiner Autobiografie „Vermutlich Deutscher“

Allmählich wird der Blick differenzierter, es erscheinen derzeit viele neue Bücher über das kleinere, lange hinter einer Mauer darbende Deutschland, und dies ist eines der interessantesten. Der Autor hatte sehr spezielle Startbedingungen, die ihm erlauben, die Geschichte der DDR, das Davor und Danach gelegentlich mit humorvoller Distanz zu prüfen. Seine Biographie ist mit wesentlichen Zäsuren des vergangenen Jahrhunderts verknüpft, er verbindet die große mit der eigenen Geschichte, reflektierend und augenzwinkernd. Geboren 1939 in Frankreich, wohin seine politisch aktiven Eltern geflohen waren, kam er im Alter von 10 Jahren in die DDR. Der Vater war gestorben, als er knapp fünf Jahre alt war. Die Mutter zog mit den zwei kleinen Kindern nach Berlin, in die Stadt ihrer Herkunft. Den Umständen geschuldet kam Vincent in vier Kinderheime, und lernte früh sehr unterschiedliche Milieus kennen – französische Dorfjugend, jüdische Kinder, „normale“ DDR-Deutsche. Er war, wie er schreibt, kein Held, kein Dissident und auch kein Märtyrer. Eher ein Lebenskünstler, dem Genuss stets wichtiger war als Ruhm – obwohl ihm der nach dem Ende der DDR auch noch zuteil wurde.

Als er nach Berlin kam, konnte er kein Deutsch, sprach fließend Französisch, lernte die neue Sprache schnell und wusste seine Zweisprachigkeit bald klug zu nutzen. Schon als Jugendlicher wurde er als Dolmetscher angeheuert, später führten ihn seine Sprachkenntnisse nach Vietnam, Syrien, Kuba und mehrfach nach Frankreich. Er machte Erfahrungen, die anderen DDR-Bürgern verwehrt waren, mit wachen Sinnen und der Gabe, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven anzuschauen. Sein Leitbild wurde Jean-Paul Sartre, über den er promoviert und den er vielfach übersetzt hat, er hat auch seine philosophischen Reflexionen über Freiheit und “die anderen” geprägt. Im neu geordneten Deutschland wurde er Übersetzer des Werks von Sartre und Präsident der deutschen Sartre-Gesellschaft. 

“Mein Leben ist – wie jedes Leben –  eine Mischform. Weder reiner Zufall […] noch reine Notwendigkeit […]. Das Ergebnis hängt vom Glück und vom Verstand, vom Können, von der Erfahrung und der Kombinationsgabe ab.” Er hatte sowohl Glück wie Verstand, und dank der klugen, starken Mutter auch die Gabe, manch irrwitzige Erlebnisse mit Humor zu betrachten. Die Herkunft, zu der neben dem französischen der kommunistische und ein säkularer jüdischer Hintergrund gehörten, hat seine Wahrnehmung geprägt. Wie er selbstkritisch vermerkt, verstand er es, aus seinem Anderssein Vorteile zu gewinnen, die er auch “schamlos ausnutzte”. Die Distanz des Unzugehörigen förderte die Fähigkeit, mit Widersprüchen und Absurditäten kritisch und bei Bedarf auch spielerisch umzugehen.  

Er kannte noch das Berlin ohne Mauer, reiste als Jugendlicher nach Westberlin, nach Frankreich und Italien. In Italien überraschte ihn der Mauerbau, es war selbstverständlich, dass er in die DDR zurückfuhr. “Die Jahre des unbeschwerten Entspannens, des sorglosen Herumlümmelns auf dem westöstlichen Diwan waren vorbei”, aber wie seine Mutter und viele ehemalige Emigranten war und blieb er gegenüber dem sozialistischen Deutschland loyal und reflektiert über die Lenker dieses Staates, die “eine kleine antifaschistische Minderheit” waren und nur dank der sowjetischen Militäradministration regieren konnte. Sie waren durch ihre Erfahrungen in Konzentrationslagern und im Exil von Misstrauen und unhinterfragter Disziplin geformt, nicht disponiert, um eine demokratische Gesellschaft aufzubauen.

Er hat den Kalten Krieg, die Überwachung in der DDR und den Antikommunismus im Westen aus der Nähe erlebt, stand und steht oft dazwischen, beobachtend und fragend und – was in diesem Genre selten ist – meist gelassen. 1963 wurde er als Dolmetscher im Prozess gegen Hans Globke, Chef des Bundeskanzleramtes der Bundesrepublik, für die Übersetzung von Zeugenaussagen bestellt. “Der Name Globke war […] ein wichtiges Argument, warum der Westen Deutschlands keine Alternative sein konnte. Er war ein Grund für das vereinfachte, zwar manichäische, doch nicht völlig falsche Weltbild, das auch blind und nachsichtig machte, wenn es um die Gebrechen der eigenen DDR-Gesellschaft ging.” Das blieb für den Sohn des kommunistisch-jüdischen Widerstandskämpfers lange ein Grund zur Loyalität.

Seine Überlegungen können viel zum besseren Verständnis der (ost- wie west)deutschen Erbschaft beitragen. Er verknüpft weltgeschichtliche und DDR-spezifische Erfahrungen, hat seine dicke Stasi-Akte durchgearbeitet, in französischen und deutschen Archiven recherchiert und sich mit dem säkularen jüdischen Erbe beschäftigt. Und bewahrt auch die inzwischen gern verdrängten Hoffnungen auf, die nach 1989 diskutiert wurden: Ideen, die im Neuen Forum, dem Demokratischen Aufbruch, der Initiative für Frieden und Menschenrechte auf der Suche nach einem eigenen, wo möglich gar neutralen Weg zu einer demokratischen deutschen Republik entwickelt wurden. “Je mehr mit der DDR die Ereignisse entschwinden, desto mehr sehe ich sie heute als tragikomisch, als misslungenes Stück”. Und denkt an die vielen Menschen, die sich bemüht hatten, “am Aufbau einer besseren, einer freundlicheren Gesellschaft mitzuwirken. […] Wie viele wurden um ihre Hoffnungen, ihre Träume, ihre Mühen betrogen!” 

Der Fall der Mauer war ein freudig begrüßtes Ereignis, aber eben auch ein Kulturschock, denn fortan galten andere Regeln und Werte, wie z.B. Geschäftssinn – der ihm und seinen Freunden fehlte. Der Autor lebt inzwischen zumeist in Frankreich als “migrant permanent” wie es in seinen Papieren heißt. 

Vincent von Wroblewsky: Vermutlich Deutscher. Autobiografie. Merlin Verlag, Gifkendorf-Vastorf 2023. 264 Seiten, fadengeheftete Klappenbroschur, 28 Euro.  

  • Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

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