Geschrieben am 1. November 2023 von für Crimemag, CrimeMag November 2023

HP Eggenberger zum neuen Roman von Regina Nössler

Deutsche Meisterin des subtilen Schreckens

In den letzten dreißig Jahren hat die deutsche Autorin Regina Nössler, geboren 1964, durchschnittlich alle knapp zwei Jahre einen Roman veröffentlicht. Ich bin – leider – erst 2019 durch den Roman „Die Putzhilfe“ auf sie aufmerksam geworden. Und ich war beeindruckt. „Das ist ganz große Erzählkunst, wie man ihr – zumal im deutschen Sprachraum – leider nicht oft begegnet“, schrieb ich im Zürcher „Tages-Anzeiger“. Und ich kann das heute zu Nösslers neuem Thriller „Kellerassel“ nur bestätigend wiederholen.

Wobei die meisten unter einem Thriller etwas anderes verstehen als das, was Regina Nössler liefert. Da gibt es keine hektische Action. Und keine Superhelden. Die Protagonisten sind, oder wirken zumindest am Anfang so, ganz normale Menschen. Menschen, in denen man immer mal wieder auch Züge von sich selbst entdecken kann. 

Im neuen Roman ist Isabel die Titelfigur, die „Kellerassel“. Sie lebt in einer Kellerwohnung, euphemistisch Souterrain genannt, in Berlin. Dass in dieser Wohnung jemand getötet wurde, was Isabel zu ihrem Glück zur Hauptmieterin machte, wird mehrmals beiläufig erwähnt. Was genau da geschehen ist, erfahren wir jedoch nicht; das überlässt die Autorin unseren Vorstellungen und Vermutungen. Wie sie auch sonst nicht zu übertriebenem Erklären von allem und jedem neigt, was ich sehr schätze.

Es ist der heiße Corona-Sommer, und Isabel, die mal da, mal dort jobbt, arbeitet zurzeit in der Arena, dem großen Impfzentrum. Bis zu deren Tod hat sie zuvor eine alte Dame aus der besseren Gesellschaft gepflegt. Aus dem Tagebuch der Dame, das sie nach ihrem Ableben mitlaufen ließ, erfuhr Isabel von einem dunklen Geheimnis des Sohnes, der sie eingestellt hatte. Der erfolgreiche Unternehmer ließ sich von Isabel deswegen erpressen. Seither bedroht er sie immer wieder.

Isabel ist eine, die sich immer wieder in Schwierigkeiten bringt, findet ihre beste Freundin. „Wobei Isabel es nicht darauf anlegte. Im Gegenteil, sie wollte vor allem eins – ihre Ruhe haben.“ Ab und zu trifft sie einen gepflegten älteren Mann, den sie an einer Vernissage kennengelernt hat, zum Essen. Der erzählt ihr von seiner erwachsenen Tochter Antonia, die er seit sie ein Kind war nicht mehr gesehen hat. Zufällig trifft Isabel im Impfzentrum Antonia, und die beiden Frauen freunden sich an. Doch Antonia lässt sich auch auf einen etwas seltsamen Mitarbeiter des Impfzentrums ein, der Isabel nachstellt. Und es bleibt unklar, was sie eigentlich tut und wovon sie lebt.

Nach und nach spinnt Regina Nössler ein Netz von Beziehungen. Sie beschreibt die Personen in diesem Netz nüchtern, sachlich und mit Sinn für feinen Humor. Doch schon von den ersten Sätzen an schwingt dabei ein leiser Schrecken mit. Man spürt, dass hinter dem Bild, dass die Menschen von sich zeigen, etwas brodelt. Und das bricht zuweilen aus. Auch mit bösen Folgen. Ganz sachte lässt Nössler die Geschichte eskalieren. Es kommt jedoch nicht zum großen Showdown, der alles klärt. Manches wird zwar klarer, vieles bleibt jedoch in der Schwebe. Das ist subtiler Noir vom Feinsten.

Regina Nössler: Kellerassel. Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2023. 344 Seiten, 12.90 Euro.

Hanspeter Eggenberger porträtiert auf seiner hiermit freundlich emfohlenen Website Krimikritik.com alle sieben Tage einen „Krimi der Woche“.

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