Geschrieben am 1. Juli 2023 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2023

Hans-Dieter Huber über Friedemann Hahn

Den Bildschirm leer laufen lassen

Marilyn. Die Faszination für ein Gesicht. Eine mediale Oberfläche, hinter die man nicht weiter gelangen kann. Das wussten schon Andy Warhol und Philippe Parreno. Friedemann Hahn ist von Anfang an hingerissen von diesen medialen Oberflächen. Fasziniert von der Fiktion: Was wäre, wenn Lana Turner und Humphrey Bogart sie selbst wären und nicht ihre Rollen. Wären sie dann real? Oder ist das Reale nur eine besonders raffinierte Fiktion? Hahn ist einer der am meisten falsch verstandenen Künstler. Er ist ein Post-Strukturalist, der weiß, dass es keine Welt außerhalb der Zeichen und keine Bezugnahme auf eine Wirklichkeit außerhalb der Bilder gibt. Es gibt kein Entrinnen aus diesem Kreislauf der Referenzen. Sie sind zirkulär und verweisen immer aufeinander. Er versucht, die glatt gebügelten medialen Fassaden ein wenig aufzurauen und ihnen eine expressiv anmutende Authentizität anzufügen. Ein bisschen Würde, ein bisschen Frieden. Man ist geneigt, ihm den van Gogh abzunehmen. Genau hier beginnt aber das Missverständnis seiner Kunst. Er ist nämlich kein Expressionist und er ist auch kein Alter Wilder. Das scheint nur so auf den ersten Blick zu sein. Vielmehr arbeitet er sich konzeptionell an den massenmedialen Oberflächen ab. Hahn ist ein Beobachter zweiter Ordnung, wie Luhmann sagen würde. Er beobachtet nicht die Realität, sondern die Bilder, die von zahllosen Fotografen, Kameramännern oder Regisseurinnen bereits vorformatiert oder errichtet – „instauriert“ – wurden, wie Souriau und Latour sagen würden.  Er beobachtet ihre medialen Narrative.

Es gibt Hunderte von unscharfen Polaroids, die Friedemann ganz nah vor der Glotze aufgenommen hat. Das blaue Glimmen der Kathodenstrahlen mischt sich mit der Unschärfe einer Beobachtung, als ob er mit feuchten Augen vor dem Fernseher gesessen und sich bewusst gewesen wäre, dass man die Wirklichkeit sowieso nicht einfangen kann, auch wenn man sie noch so scharf stellen könnte. Die Unschärfe ist konstitutiv für die ästhetische Erfahrung. Auch in den Polaroids geht es niemals um das Abgebildete, sondern immer um den medialen und performativen Prozess der Abbildung und der Instauration des Bildes. Die Hahnsche Unschärfe entspringt wie die Heisenbergsche dem Dilemma, dass der Vorgang der Beobachtung das Resultat verändert (Heisenberg). Bei ihm ist es jedoch umgekehrt. Das Resultat, das Bild, erzeugt den Vorgang der Beobachtung.

Ähnliches kann man auch von seinen Romanen behaupten. Es sind Texte zweiter Ordnung. Sie beziehen sich ebenfalls auf andere mediale Oberflächen. Es sind Meta-Krimis, die aber so tun, als wären sie voller first hand experiences. Sind sie aber nicht. Sie suggerieren Authentizität und Existenzialität. Sie referieren auf andere Texte, Bilder, Filme oder sogar auf Computerspiele, die in Sprache transformiert wurden. Als Künstler schwebt Hahn zwischen der Generation, der er entstammt, und einer jüngeren Generation, die ihn als Idol, Vorbild oder Kult-Figur rezipiert. Hahn ist ein Meta-Künstler. Ein Maler zweiter Ordnung, der Kunst für die Kunst oder Kunst über Kunst produziert. Er befragt die Bedingung der Möglichkeit, heute noch malen zu können. Was heißt es nach dem Ende der Avantgarden, in dem gefühlt alles gemalt, gezeichnet, geschrieben und fotografiert wurde, was man malen, zeichnen, schreiben und fotografieren kann, immer noch zu malen, zu zeichnen, zu schreiben und zu fotografieren? Welche überzeugende Künstlerrolle kann man heute noch auf authentische Weise einnehmen? Gibt es überhaupt noch eine solche Möglichkeit oder ist alles nur noch eine Form von poststruktureller Selbstinszenierung?

Sie müssen, von den medialen Oberflächen her gesehen, auf sein Werk schauen. Die Dispositive der Massenmedien Film, Fernsehen, Star-Kult oder das romantische Künstlerbild werden von Friedemann in seinen Appropriationen authentifiziert. Sie werden eingerichtet und hergerichtet als das Falsche im Richtigen. Das Fiktive bricht nachts in das Reality-Studio ein und schnipselt am Director’s Cut herum (Burroughs). Pygmalion, der Träumer der medialen Oberflächen, verschmilzt mit seinen eigenen Produkten. Er lebt in ihnen und sie leben in uns. Seine Bilder sind wie Parasiten. Wir sind ihr Host.

Dr. Hans Dieter Huber ist Professor für Kunstgeschichte der Gegenwart, Ästhetik und Kunsttheorie. Er hat zu Karl Schmidt-Rottluff, Edvard Munch, Joseph Beuys, Bruce Nauman, Dan Graham, zur Netzkunst sowie zur Medientheorie und Mediengeschichte veröffentlicht. Siehe auch den Eintrag beim ZKM Karlsruhe und seine eigene Internetseite hdhuber.net.

Anm. d. Red.: Eine aktuelle Ausstellung von Friedemann Hahn „Noir. UND Luna, der Mond über Sehringen. ODER Der Tod des Malers. – Fick in Gotham City. ODER Die gescheiterte Hoffnung. UND Painting & Guns“ – ist noch bis 15. August 2023 im Projektraum Grzegorzki Shows im Berliner Stadtteil Wedding zu sehen. „Der Künstler Gregor Hildebrandt betreibt das ehemalige Pförtnerhäuschen seit mehreren Jahren, ganz gezielt mit der Idee, Dinge sichtbar zu machen, die im breiten Berliner Kunstgeschehen nicht abgebildet werden… Gregor Hildebrandt, längst selbst Professor, hat diesmal seinen eigenen Professor aus der intensiven Anfangszeit seines Studiums an der Kunstakademie in Mainz eingeladen“, schreibt die Kunstzeitschrift „Monopol“.
In der Ausstellung sind Friedemann Hahns Krimis neben seinen Gemälden an die Wand geschraubt. Konsequent. Ein paar Polaroids des Malers gibt es auch zu sehen. – Siehe auch das von Rolf Barkowski geführte Interview in dieser Ausgabe. Und hier den Textauszug „Ein Blutbad und Melancholie“ aus „Matadero“.

© Fotos: gregorskishows/ Friedemann Hahn 2023

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