Geschrieben am 1. August 2021 von für Crimemag, CrimeMag August 2021

Gerhard Beckmann: Plädoyer für „Berlin Heat“ von Johannes Groschupf

Literatur als Realitätsshow von Cybercrime

Über den einzigartigen Thriller „Berlin Heat“ von Johannes Groschupf  

Als „Berlin-Roman“ wurde der Erstling „Berlin Prepper“ von Johannes Groschupf immer wieder propagiert. Sein zweiter Thriller ist nun auf ähnliche Weise etikettiert worden. Das entspricht einer Mode, die heute in der Verlagswelt und im Buchhandel, in Marketing, Medien und Werbung gängig ist. Selbst die Krimi-Bestenliste führt ihre Qualitätstitel inzwischen mit dem Hinweis auf den Schauplatz ihrer Mordsgeschehnisse ein, ganz als ob diese Bücher wie Traum-Regionen für Pauschalreisen der Tourismus-Industrie angepriesen gehörten. Was mich anfangs zu Johannes Groschupf hingezogen hat, den ich mittlerweise für den aufregendsten neuen deutschen Autor auf diesem Feld betrachte, weiß ich nicht mehr. Es hatte jedenfalls nichts mit Berlin zu tun.  Und „Berlin Prepper“ und „Berlin Heat“ waren und sind meines Erachtens viel, und für sehr viele Leser sehr viel interessanter als Berlin an sich, auch als „das hässliche Berlin“ bzw. „die düstere Seite der Metropole“. Überdies sollten wir uns hinsichtlich der Groschupf-Thriller auch nicht von der – in den Medien grassierenden – Pandemie der Rankings anstecken lassen. Sie sind nicht die besten, zweit- oder drittbesten „Berlin-Krimis“. Solche Qualitätsvergleiche sind Gleichschaltungsmechanismen. Wir sollten auch nicht einmal zulassen, wenn „Berlin Heat“ neben Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“  als „der“ große neue Berlin-Roman auf ein musealisierendes Literaturpodest geliftet wird. Es ist etwas Neue. Ein revolutionäres Werk. „Sui generis“. 

Johannes Groschupf hat die üblichen Konfigurationen und Schemata des Genres aufgegeben. Bei ihm gibt es keine zentralen ‚Ermittler‘ mehr, die im Sinne fester gesellschaftlichen Normen bzw. Institutionen kriminelle Abweichungen verfolgen und (zumindest ideell wieder) zur Geltung bringen. Er geht offenbar von einem realen Verlust der Mitte aus und erzählt deshalb auch von keiner Mitte her. Seine Erzähler sind selbst extreme Figuren.  In „Berlin Prepper“ ist es ein quasi religiöser Sektierer, der im Wahn eines nahen Weltzusammenbruchs Überlebensmittel hortet und bei täglichen Joggings natürliche Entspannung für die mentale Belastungen sucht,  die er durch seine hochtechnologische Berufstätigkeit erleidet: Er ist Online-Redakteur in einem Medienkonzern, der die Hass-Reaktionen aus den Social Media auf die Meinungsöffentlichkeit der „Lügenpresse“ aussortiert, um die übelsten auszusortieren und zu unterdrücken. Und so wird er bei einem Jogging Opfer eines tätlichen Angriffs, in dessen Folge er die Wirklichkeit als krasses Abziehbild digitaler Enthemmungen wahrnehmen muss.

In „Berlin Heat“ ist es ein junger Spieler, der die totale Auflösung der etablierten politischen Lagerordnung durch- und mitmacht: dem Anschein nach ein überzeugter Linker  – mit einem nostalgischem Ex-Vopo-Kriminalkommissar als Vater in der Rückhand, der dank korrupter Geschäfte über alte DDR- Seilschaften zu Immobilienreichtümern kam –, aber einer, der für Pinkepinke unbesehen auch mit Rechtsextremen anschafft. So gerät er als Helfershelfet eines AfD-Manns in Teufelsküche, der die demokratisch-kapitalistischen Medien hinters Licht führen will, um über eine vorgetäuschte Entführung öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, damit  er als Bundestagsabgeordneter gewählt wird.  Es wird eine wüste Jagd (nicht nur) durch dunkle braune Untergründe, in der sich immer wieder alles überschlägt. Und Johannes Groschupf stellt das blendend und brillant dar, scharf und in oft satirisch wirkenden  verrückten Nebengeschichten und Übertreibungen. Es handelt sich hier aber nicht um Satire.  Er verwendet Methoden der irrrealen digitalen Welt an, um das Bodenlose und die Irrealität des aktuellen politischen und medialen Betriebs vor Augen zu führen. Dazu gehört auch, dass Berlin als Hauptstadt gar nicht in Erscheinung tritt. In dieser Welt spielt die Regierung keine wirkliche Rolle mehr.       

Man muss den professionellen Hintergrund dieses Autors kennen. Er war journalistisch Reiseschriftsteller (bei der FAZ). Er ist, so wie sein Hauptcharakter in „Berlin Prepper“, ein Online-Redakteur (bei Axel Springer). Er ist also  ein Experte. Und das Besondere an den Thrillern von Johannes Groschupf besteht darin, dass er die Kenntnisse und Erfahrungen des Experten schöpferisch in Literatur verwandelt hat – in eine neue Art von überaus spannender hoher Literatur, in der unsere Gesellschaft politisch und sozial ins Visier genommen wird, wie sie ist. Darin ist er meines Wissens nur mit dem Engländer Aidan Truhen vergleichbar. Dessen Thriller „Fuck you very much“ (auf Deutsch ebenfalls herausgegeben von Thomas Wörtche bei Suhrkamp) deckt den Handel und die Wirtschaft von heute so tiefgründig wie mitreißend literarisch auf  – in und als Form von Cyber-Kriminalität.     

Johannes Groschupf: Berlin Heat. Thriller. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 254 Seiten, 14,95  Euro.

 Gerhard Beckmann, den wir als regelmäßigen Mitarbeiter von CulturMag mit Freude an Bord haben, ist einer der profiliertesten Menschen der deutschen Verlagsszene. Seine Kolumne „Beckmanns Große Bücher“ im Buchmarkt stellt kontinuierlich wirklich wichtige Bücher mit großer Resonanz vor. Seine Texte bei uns hier

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