Geschrieben am 15. Juni 2018 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2018

Fotografie & Reallife: Street Scenes – Street Crimes (2)

Liebes CrimeMag-Publikum,

Kriminalliteratur wurde früher gerne als „Asphalt-Literatur“ abgetan. Wir finden, dass das ein Adelstitel ist. Wir mögen Asphalt, wir mögen Großstadt, wir mögen Realität. Deswegen präsentieren wir Ihnen heute zum zweiten Mal eine neue Rubrik, die jeden Monat Bilder des Fotografen Carsten Klindt und Texte der Polizistin Nadja Burkhardt kombinieren: Street Scenes und Street Crimes. Aus Realität wird Kunst in Bild und Wort, fragmentarisch und  kaleidoskopisch. Freuen Sie sich mit uns! (Hier Auftritt Nr. 1)                           

STREET SCENES

„Street Scenes“ ist eine Serie des Berliner Fotografen Carsten Klindt, aus der wir jeden Monat ein Foto präsentieren. Auf der Website von Carsten Klindt können Sie einzelne Bilder auch käuflich erwerben.

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© Carsten Klindt: „Prisoner“

Vor 20 Jahren war Hotte auf den Straßen und in den Bars Kreuzbergs präsent. Er war immer sehr stolz auf sein amerikanisches Knast-Hemd. Viel später, erst nach seinem Tod, erfuhr ich, dass er tatsächlich wegen Todschlags im Gefängnis war.

Alltag ist Wahnsinn. Erst recht Polizeialltag. Wahnsinn ist nicht sensationell. Er entsteht aus einem unendlichen Strom kleiner, irrer Situationen. Street Cops sind damit konfrontiert, 24/7.

Nadja Burkhardt ist aus Überzeugung Street Cop in Berlin. Und sie hat ein Auge für den alltäglichen Wahnsinn. Denn der ist zwar manchmal kleinteilig und unspektakulär, bildet aber den Zustand unserer Gesellschaft präzise ab. Und Nadja Burkhardt weiß auch, dass vieles sehr, sehr komisch ist. Deswegen ab jetzt bei uns jeden Monat  STREET CRIMES – Miniaturen aus dem Irrsinn ohne Ende, komisch, tragisch, real life …

STREET CRIMES

Einsatz im Morgengrauen: Personen auf dem Dach.

Was wir vorfinden: Ein kopulierendes Pärchen auf dem Flachdach eines 6stöckigen Wohngebäudes.

Ich versuche, möglichst ernst zu bleiben:
„Wir wollen Sie hier nicht noch einmal sehen! Wir haben uns Ihre Gesichter eingeprägt …und … äh … auch einige Körperteile!“

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In der Soldiner Straße, Einsatzanlass: Streitigkeiten.

Polizei: „Guten Abend, was können wir für Sie tun?“
Mann: „Ich habe hier im 3. Stock gerade Heroin gekauft. Ich glaube aber, das ist total gestreckt! Das ist doch Betrug! Bitte klären Sie das!“
Polizei: „Äh … ääähm …“

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Lieber Mitbürger,

Sie haben tatsächlich mein vollstes Verständnis, was die Sache an sich angeht. Der böse Mann hat seinen Pkw einfach vor Ihrem Wohnhaus geparkt. Gut, er steht zwar so, dass Sie locker aus Ihrer Tiefgarage herausfahren können, und auch die Feuerwehrzufahrt nebenan ist nicht im mindesten beeinträchtigt, aber ich verstehe, dass es für Sie durch das Falschparken des Anderen eben schwieriger ist, den Fließverkehr einzusehen. Und da Sie sich das jetzt schon ein paar Wochen lang mit wechselnden Fahrzeugen angucken, verstehe ich auch Ihre Verärgerung. Sie kritisieren sogar argumentativ, dass der Falschparker die Befriedigung seines eigenen Bedürfnisses über die Rechte und Bedürfnisse der Allgemeinheit stellt.

Hier! Halten Sie bitte mal! Der Spiegel ist nicht besonders schön, schauen Sie aber bitte trotzdem mal rein!

SIE alarmieren um 23.30 Uhr (!!!) die Polizei zum Ort, damit wir ein Knöllchen schreiben. Ein Knöllchen!
Sie rufen auch nicht erstmal auf Ihrem zuständigen Revier an und bitten darum, dass der Falschparker, wenn es denn die Auftragslage erlaubt, ein Knöllchen erhält. SIE alarmieren die Polizei über die 110!!!! Das ist ein NOTRUF!!!!! Sie lösen einen Einsatz aus, den 2 von 8 Beamten dieses Reviers erledigen.

Sie sagen uns, dass Sie wüssten, dass die Polizei in der Nacht sicherlich Besseres zu tun hat. Das stimmt. In der Nacht passieren regelmäßig die schlimmeren Dinge. Und wieso? Weil es dunkel ist. Gut, diese Nacht war für uns alle sehr ruhig, aber das haben Sie nicht wissen können. Das hier ist Berlin, die ruhigen Nächte sind hier die Ausnahme. Warum hat dieses Wissen in Ihrem Kopf nicht als Schranke funktioniert und dazu geführt, dass Sie tagsüber einfach mal das Ordnungsamt über die Parksituation in Ihrer Umgebung informieren, von mir aus aber auch einfach nur die Polizei, aber wenigstens tagsüber?

Unstrittig haben Sie die sofortige Befriedigung ihres Bedürfnisses, einen anderen zu denunzieren, über das Allgemeinwohl gestellt.
Merken Sie was?

Herzlichst, Sie a-soziales Stück Mensch,
Ihre Nadja

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Einbruch in Wohnung.
Während der Anzeigenaufnahme, der Mitbewohner des Geschädigten:

„Also, wenn ich den erwischt hätte, dann hätt der richtig von mir auf die Fresse gekriegt! Oder … öhm … naja … ich hätt von dem ordentlich auf die Fresse gekriegt …“

Sehr niedlich.

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Bin geneigt, die diesjährigen Weihnachtsgeschenke von zwei meiner Kollegen verpacken zu lassen. Sie haben zusammen gleichzeitig drei Kriminelle umgeworfen, am Boden fixiert und ihnen Handschellen angelegt. Ging schnell, war akkurat geschnürt und sah auch verdammt gut aus

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Carsten Klindt wuchs an der Nordsee auf und ist ausgebildeter Werbefotograf. Er wohnt seit über 20 Jahren in Berlin, betrieb elf Jahre lang eine Bar in Kreuzberg und arbeitet als freischaffender Fotograf. Der Werbung hat er schon lange den Rücken gekehrt. Neben Fotografie sind Noirs der Filmgeschichte eine Leidenschaft.

 

 

NadjaBurkhardt

Nadja Burkhardt: „Jahrgang 1978, seit 1996 bei der Berliner Polizei. Nach der Ausbildung 4,5 Jahre Hundertschaftsdienst, seither im Schichtdienst als Zweier-Streife aufm Funkwagen.

Mittlerweile Polizeikommissarin, nicht in Berlin geboren und aufgewachsen, aber definitiv ein Kind dieser Stadt. Mein Job ist gefährlich, nervenaufreibend und stressig. Und ich liebe ihn.“

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