Geschrieben am 16. Dezember 2018 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2018

Donald E. Westlake über Charles Willeford

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„Cockfighter“, 1974, Film von Monte Hellman (rechts), Hauptrolle Warren Oates (links). In der Mitte: Charles Willeford als Wettkampfrichter.

Selbstinduzierte Schizophrenie als Überlebensmittel

von Donald E. Westlake

Charles Willeford schrieb eine sehr lange Zeit sehr gute Bücher, ohne daß es irgend jemandem auffiel. 1974 wurde einer seiner Romane verfilmt, Cockfighter (Hahnenkampf), mit Warren Oates in der Hauptrolle, und es fiel niemandem auf. In diesem Film spielt Willeford selbst den Hahnenkampfrichter und war als Schauspieler genauso lakonisch und unkonventionell wie als Schriftsteller, und immer noch fiel es niemandem auf.

Und dann kam Hoke Moseley vorbei.

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Donald E. Westlake (Wiki Commons)

Woher? Nach all den Jahren, in denen Willeford in der Wüste gute Bücher geschrieben hatte, die niemandem auffielen, warum kam da Hoke Moseley vorbei und änderte alles, zwang Willeford, immer wieder auf ihn zurückzukommen und dafür zu sorgen, daß den Lesern diese schräge, schrullige, erfrischende Stimme plötzlich auffiel, die so lange ungehört in ihrer Mitte verhallt war?

Ich glaube, ich weiß, wo Hoke herkam. Ich kannte Willeford in seinen letzten Lebensjahren ein bißchen und stellte fest, daß er liebenswürdig und kenntnisreich und eine absolut in sich ruhende Persönlichkeit war, was ihn an der Oberfläche deutlich von seiner letzten Schöpfung unterscheidet. Hoke Moseley ist alles andere als in sich ruhend, ist weit davon entfernt, sich zu der Hochebene der Gelassenheit durchzukämpfen, die Willeford erreicht hatte. Woher kam er also?

Aus der Wüste. Ich glaube, Hoke kam aus derselben Wüste, in der Willeford sich so lange abgemüht hatte. Charles Willeford war zu keinem Zeitpunkt ein Versager: Seine Bücher sind sehr gute Bücher, sorgfältig konstruiert. Seine Karriere mochte im Verborgenen vor sich hin dümpeln, aber die Bücher hatten Substanz. Und ich glaube, die einzige Möglichkeit, wie er damit weitermachen konnte, Jahr für Jahr, ohne aufzugeben oder verbittert zu werden, bestand darin, daß er sich zu der Erkenntis durchgerungen hatte, sein Werk sei sehr wichtig, spiele gleichzeitig aber gar keine Rolle. Und die Erweiterung davon war, daß das ganze Leben sehr wichtig war, gleichzeitig aber gar keine Rolle spielte. Ich glaube, diese besondere selbstinduzierte Schizophrenie brachte Willeford durch die mageren Jahre und sorgte dafür, daß er mit dem Schreiben weitermachte, und ich glaube, sie hat schließlich Hoke Moseley hervorgebracht, der diese Weltanschauung nicht so sehr teilt, wie er sie lebt.

Hoke ist ein guter Cop oder versucht wenigstens, einer zu sein, aber in Miami ist ein guter Cop ungefähr so nützlich wie ein gutes Papierhandtuch in einem Wirbelsturm. Hoke wird dauernd von Leuten geschlagen, die härter und gemeiner sind als er, er wird dauernd belogen und betrogen, er wird dauernd mit der Sinnlosigkeit dessen konfrontiert, was er tut, und trotzdem bewegt er sich beharrlich vorwärts, und inmitten der größeren Hoffnungslosigkeit bringt er tatsächlich einige bescheidene – und sehr befriedigende – Erfolge zustande.

charlesWilleford_vonBetsyjpgIch meine nicht, daß Hoke Moseley Charles Willefords Alter ego war. Ich meine, daß Willefords Lebenserfahrung ihn zu einer bestimmten Haltung zur Welt und zu seinem Platz in ihr geführt hat, und diese Haltung, ironisch, ohne gemein zu sein, komisch, aber zutiefst mitfühlend, durchdrang jedes Buch, das er schrieb, von seinen beiden autobiographischen Bänden bis hin zu all den unbeachteten Romanen, und daß schließlich Hoke Moseley diese Haltung vollständiger verkörperte als irgendetwas anderes, das er je gemacht hatte.

Um eine musikalische Analogie zu verwenden: Charles Willeford hatte schließlich die Tonart gefunden, in der er wirklich singen konnte. Diese letzten Lieder von ihm sind wundervoll menschlich, geduldig, lustig, verständnisvoll, cool und nachsichtig. Ich wünschte, er sänge noch. 

(Text von 1996, mit freundlicher Genehmigung des Alexander Verlags.)

Dieser Text von Donald E. Westlake (1933 – 2008) über seinen Freund Charles Willeford, der am 2. Januar 2019 hundert Jahre alt geworden wäre, erschien im Alexander Verlag als Vorwort zum vierten Hoke-Moseley-Fall „Wie wir heute sterben„. Im Alexander Verlag gibt es alle vier Hoke-Moseley-Romane und weitere Bücher von Charles Willeford in neu durchgesehenen Ausgaben, je mit Nachworten versehen. 
Weitere Willeford-Romane bei Pulpmaster.

Siehe auch exklusiv bei CrimeMag, März 2015: James Lee Burke über Willeford: Was für ein Mann!
Charles Willeford bei CrimeMag.
CrimeMag-Klassikercheck für „Miami Blues“: Nele Hoffmann, Jochim Feldmann, Marcus Müntefering, Thomas Wörtche und Alf Mayer.

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