Geschrieben am 1. April 2021 von für Crimemag, CrimeMag April 2021

Briefe an Anton Čechov

„Ich drücke Deine talentierte Pranke“

Hazel Rosenstrauch über eine bibliophile und editorische Kostbarkeit

Sie lebt noch, die Friedenauer Presse, berühmt geworden durch liebevoll gestaltete Preziosen, Romane oder kleine Broschuren mit Texten von hier wenig bekannten (oder zuvor schlecht übersetzten) russischen Autoren.

Der kleine Verlag hat bei Matthes & Seitz Unterschlupf gefunden, und die „gestreifte Hyäne“ fügt sich aufs Schönste in diese Tradition. Briefe des Malers Isaak Levitan an Anton Čechov steht auf dem Titel, aber das gibt den Inhalt nur grob wieder. Der hübsche Band enthält außerdem eine kleine Geschichte von Čechov: „Das Glück“ (von Brigitte van Kann neu übersetzt), ein Nachwort, das die Geschichte der Freundschaft zwischen dem Maler und dem Dichter erläutert und – meines Erachtens die wertvollsten Perlen in diesem Kleinod – Abbildungen von Landschaften, die Levitan gemalt hat und kurze Texte, in denen Čechov diese oder ähnliche Landschaften mit Worten gemalt hat. Es sind keine Kommentare zur Arbeit des Malers, sondern eigenständige Ausschnitte aus Čechovs Werk oder aus Briefen, die zusammen mit den Erklärungen teils im Nachwort, teils in einem üppigen Anmerkungsapparat die Freundschaft „embedden“ würde man neudeutsch sagen, zu einem Bild der Freundschaft und auch der Zeit fügen. Die kurzen Textstücke neben den erstaunlich gut reproduzierten Bildern entschädigen für die fehlenden Antwortbriefe des Schriftstellers, aber sie erklären auch besser als alle Kommentare, wie sehr der depressive Maler und der erfolgreiche Dichter durch ihre Liebe zu der unspektakulären nördlichen russischen Landschaft verbunden waren. „Russland ist nicht die Schweiz, was sind das schon für Landschaften hier“ klagt Levitan, der Stimmungen, nicht Gegenstände einfangen wollte und dessen Bilder nicht mit dem damals herrschenden Kunstgeschmack übereinstimmten. Es dauerte lange, bis er anerkannt wurde, er war seiner Zeit voraus, impressionistisch und verwandt mit den sprachlichen Bildern in Čechovs Erzählung „Steppe“, in der Empfindungen, Einsamkeit und Verlorenheit eingefangen sind. Levitan „liebt die flüchtigen Übergänge in der Natur der mittelrussischen Landschaft […] die Stimmung des Augenblicks in unspektakulären Motiven. Es sind auch diese Gemälde Levitans, die Anton Čechov zu anschaulichen Naturdarstellungen inspirieren, die nicht durch pathetische Adjektive, sondern durch Farbräume und Metaphern entstehen und die besondere Stimmungen in seinen Erzählungen schaffen“ schreibt Jutta Hercher in ihrem Nachwort.   

Isaak Levitan ist im Juli 1900 schon mit 40 Jahren gestorben, Čechov hatte den Sterbenskranken noch kurz davor besucht. Nach seinem Tod haben gleich mehrere politische Richtungen versucht, ihn zu deuten, er wurde vereinnahmt und im Sinne der jeweiligen – westlichen, sowjetischen, antisemitischen Ideologie interpretiert, sowohl gefeiert wie verunglimpft.

Ach Du gestreifte Hyäne. Briefe des Malers Isaak Levitan an Anton  Čechov, übersetzt von Peter Urban, Herausgegeben und kommentiert von Jutta Hercher und Brigitte van Kann. Friedenauer Presse, Berlin 2021. 174 Seiten, Broschur mit Schutzumschlag, 18 Euro.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

Tags : , ,