Geschrieben am 15. März 2016 von für Crimemag, Kolumnen und Themen, News

Bloody Questions: Lawrence Block

lawrenceBlock_eigeneWebsiterThe Crime Questionnaire (Vol. 13). Lawrence Block

von Marcus Müntefering

Autoren, die nicht nur alle paar Jahre etwas veröffentlichen, werden gern abwertend als Vielschreiber diskreditiert. Vor allem wahrscheinlich von Menschen, die froh sind, dass, sagen wir mal, Gernegroßliteraten wie John Irving oder Donna Tartt nur alle Jubeljahre einen neuen Wälzer raustun, weil sie mehr als ein Buch im Jahr sowieso kaum lesen könnten. Nun muss man ja gar nichts gegen Mühlsteine haben; James Ellroy braucht Zeit und Raum, ebenso wie das New-York-Panorama „City on Fire“ von Garth Risk Hallberg, das zu den interessantesten Neuveröffentlichungen des Literaturfrühjahrs 2016 gehört.

Apropos NY-Panorama: Auch Lawrence Block, ein Vielschreiber im besten Sinne (also im Sinne von Ed McBain) hat einmal ein solches geschrieben, leider wurde das wirklich grandiose „Small Town“ aus dem Jahr 2003 niemals übersetzt (ist aber zumindest noch lieferbar). Vielleicht haben wir ja Glück, und dieses Versäumnis wird im Zuge des aktuellen Block-Mini-Revivals korrigiert…

block_ruhet0_xxlNachdem im vergangenen Jahr mit „Ruhet in Frieden – A Walk among the Tombstones“ zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wieder ein Roman von Block auf Deutsch greifbar war (als Buch zum Film mit Liam Neeson, der im übrigen ziemlich gelungen ist), beginnt inzwischen eine Privat-Initiative mit der Wiederentdeckung des 77-jährigen Autors, der bislang mehr als 50 Romane geschrieben hat. Bereits erschienen ist mit „Die Sünden der Väter“ der erste Roman um Matthew Scudder, den Ex-Cop und Alkoholiker, der in New York als unlizensierter Privatdetektiv arbeitet; außerdem als eBook die Kurzgeschichte „Aus dem Fenster“.

Auch in den USA läuft es in Sachen Back-Katalog wohl nicht mehr so goldig für den Krimi-Veteranen, sodass Block die Vermarktung seiner diversen Reihen selbst übernommen hat und so dafür sorgt, dass die Reihen um Scudder, Evan Tanner und Bernie Rhodenbarr zumindest elektronisch wieder erhältlich sind. Mehr darüber hat Joachim Feldmann im Februar-CrimeMag zu erzählen, jetzt aber wünschen wir Ihnen erst einmal viel Spaß mit der 13. Ausgabe des Krimi-Fragebogens „Bloody Questions“, den dieses Mal netterweise Judy Born für unseren überarbeiteten Autor Marcus Müntefering übersetzt hat.

  • Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?

Ich habe durchaus mal darüber nachgedacht, allerdings ist es schwer zu sagen, wie ernst es mir damals war. Mitte der 70er-Jahre hatte ich eine schwierige Phase, sowohl beruflich als auch privat, und wusste nicht so recht, was tun. Ich schrieb einige Bücher, die mein Agent nicht verkauft bekam und schrieb an anderen, die ich nicht zu Ende bekam. Ich dachte, es ist wohl an der Zeit für einen richtigen Job, doch als College-Abbrecher konnte ich nichts vorweisen – ich konnte nur schreiben.
Da fragte eine innere Stimme: Schon mal über eine kriminelle Karriere nachgedacht?
block_diebe_Nur: Welche Straftat könnte ich begehen? Bloß nichts Gewalttätiges und am besten ohne jeglichen menschlichen Kontakt. Vielleicht Einbruchsdiebstahl? Mein erster Versuch bestand darin, die Tür meines Hotelzimmers mit der Kreditkarte zu öffnen. Das war das Einzige, für das die Karte damals noch zu gebrauchen war.
Super, dachte ich mir, ich werde Einbrecher. Ich könnte nachts arbeiten, mir die Zeit selbst einteilen, ich wäre mein eigener Herr – genauso wie beim Schreiben. Doch was, wenn ich erwischt würde? Nun, ich würde keinen Aufstand machen, denn realistisch betrachtet bekäme ich als Ersttäter höchstens eine Bewährungsstrafe.
Aber gesetzt den Fall, man würde mich in einem Haus festnehmen und im Nachbarzimmer eine Leiche finden? Das wäre ein Problem, dachte ich. Oder ein Plot. Und so wurde daraus mein erstes Buch der Bernie-Rhodenbarr-Serie, „Burglars Can’t Be Choosers“ (dt. „Diebe nehmen, was sie kriegen“).
Ob ich meinen Weg als Einbrecher weiterverfolgt hätte, wenn das Buch kein Erfolg gewesen wäre? Wer weiß… Mir hingegen gefällt der Gedanke, dass mich Bernie vor einer kriminellen Karriere bewahrt hat.

  • Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der (Krimi)-Literaturgeschichte?

Du meine Güte, keine Ahnung. Thomas Harris hat mit Hannibal Lecter eine grandiose Kreatur geschaffen, doch es gibt viele andere die ebenso furchteinflößend, wenn auch weniger anschaulich sind. John D. MacDonald beschreibt herrlich geistesgestörte Frauenfiguren, etwa eine, die mit einem Stoß und höchstem Vergnügen Menschen einen Eispickel ins Herz rammt, um dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben aushauchen. Ich glaube der Titel lautet „One Monday We Killed Them All“ (dt. „Am Montag kam der Tod“). Die Suche danach lohnt sich!

  • Erinnern Sie sich an die erste Leiche in Ihren Romanen?

Eines möchte ich klarstellen, mein Freund: Ich habe niemals jemanden in meinen Büchern umgebracht. Sollte eine Figur mal eine andere töten, so ist das deren Angelegenheit. Ich bin nur ein Beobachter.
Allerdings, da ich seit 1957 als Schriftsteller tätig bin und sich ein Großteil meiner zahlreichen Werke zur Krimis sind, ist die Zahl der Todesopfer sicher recht hoch. Die erste Kurzgeschichte, die ich je verkauft habe („You Can’t Loose“) endet damit, das der übermütige junge Erzähler auf dem Weg zu seinem ersten Auftragsmord ist. Es wird niemand umgebracht, jedoch nur, weil die Geschichte aufhört, als er aus der Tür geht.
„Die Sünden der Väter“ beginnt mit dem Mord an Wendy Hanniford, und Matthew Scudder soll ihn aufklären. Weder er noch ich haben sie getötet. Sie müssen das Buch lesen, um es zu erfahren.

  • Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?

Beide haben die Kriminalliteratur entscheidend geprägt, bis heute. Und beiden ist dies mit einem erstaunlich übersichtlichen Oeuvre gelungen, mit nur einer Handvoll Romane. Ich habe beide mit Vergnügen und Bewunderung gelesen und habe größten Respekt vor ihnen. Dennoch, wenn ich mich entscheiden muss zwischen Realismus oder Romantik, findet man mich ganz klar auf Seiten des Realismus.
Das heißt also Dashiell Hammett. Vielleicht darf ich hier meinen Kollegen James Ellroy zitieren. Zu einer seiner schlauen Beobachtungen zählt die Bemerkung, dass Chandler Figuren erfand, die er wünschte zu sein, während Hammett Charaktere beschrieb, die er fürchtete zu sein.
Raymond Chandler ist der Liebling der Intellektuellen und Akademiker. Sie erfreuen sich so sehr an seinem Stil, dass sie darüber hinwegsehen, dass seine Bücher unterhaltsam sind.

  • Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?

Nicht, wenn Sie so wollen, in der freien Wildbahn. Nur bei Beerdigungen, in einem offen Sarg.
Jedes Mal handelte es sich um jemanden, der mir nahe stand. Ich gehe nicht auf Beerdigungen von Fremden. Ich denke, es machte mir bewusster, dass die Person wahrlich und wahrhaftig nicht mehr da ist. Manche finden Zeremonien am offenen Sarg grausam oder unanständig. Meiner Meinung nach sind sie in diesem Zusammenhang sehr hilfreich.

  • Waren Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?

Hhmm, als ich von 1957 bis 1958 bei der Literaturagentur Scott Meredith angestellt war, habe ich jeden Tag Postbetrug beobachtet. Ehrlich gesagt war ich ebenfalls ein Teil davon. Eine ehrenrührige Geschichte. Einiges war definitiv strafbar, doch niemand hat je Anzeige erstattet.

  • Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?

Oh ja, vielen. Aber niemanden, mit dem ich persönlich bekannt wäre.

  • Mit welchen Jobs haben Sie Ihr Geld verdient, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?

Mit gar keinen. Ich erinnere mich nicht mehr, wann sich der so genannte Erfolg einstellte, da ihn jeder anders definiert. Ich konnte mich von Anfang an mit dem Schreiben über Wasser halten und – mit einer Ausnahme ganz zu Beginn – habe ich nie etwas anderes gemacht. Es war allerdings auch kein Bravourstück Schriftsteller zu werden, denn meine Alternativen wären gewesen im Supermarkt Gemüse einzutüten oder in der Bowlingbahn die Kegel wieder aufzustellen.

  • Wenn Sie keine Krimis schreiben würden, was würden Sie stattdessen tun (wollen)?

Ich glaube, ich wäre ein guter Werbetexter geworden. Ich denke durchaus unternehmerisch, sodass ich sicher eine eigene Firma gegründet hätte.

  • Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja, welche?

Nein, niemals. Vor fünfzig Jahren habe ich zum Arbeitsbeginn manchmal einen Stapel Platten abgespielt, doch das hat schnell aufgehört. Heute möchte ich nur Ruhe haben. Musik lenkt ab, beim Schreiben, beim Lesen, bei fast allen Dingen.
Obwohl ich klassische Musik mag, auch Jazz und Sänger wie Anita O’Day, Billie Holiday, Dave Van Ronk, Chet Baker, Waylon Jennings, Dolly Parton – diese Richtung halt.

  • Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?

Wenn ich an einem Buch arbeite, was ich so selten wie möglich tue, ziehe ich mich irgendwohin zurück: in eine Luxuskabine auf einem Kreuzfahrtschiff, ein möbliertes Apartment in einer fremden Stadt, eine Künstlerkolonie. Ich schreibe von früh bis spät, halte mich von anderen fern, und wenn ich fertig bin, fahre ich nach Hause.

  • Gibt es Tage an denen Sie nichts Vernünftiges zu Papier bringen?

Ja, an den meisten.

  • Und was machen Sie in so einem Fall?

Dann mache ich etwas anderes.

  • Was passiert nach dem Tod?

Man verwest und wird vergessen.

  • Was sollte nach dem Tod passieren?

block1Man verwest und wird vergessen.

  • Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie von der Todesstrafe?

Es ist auf jeden Fall ein tödlicher Einfall. Ach, ich weiß auch nicht. Ich ändere ständig meine Meinung darüber. Es gibt sicher Menschen, die man lieber tot sehen würde, was aber nicht heißt, sie umzubringen wäre richtig.

  • Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…

Er hatte gut reden, nicht wahr?

  • Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Nur das Wesentliche, Name und Datum: Geboren 1938. Gestorben 2117.

Die bisherigen „Bloody Questions“ von Marcus Münterfering sind auf seinem Blog „Krimi-Welt“ zu finden.
Geantwortet haben bisher:

Karin Slaughter (12)
Val McDermid (11)
Joe R. Lansdale (10)
Bill Moody (9)
Wallace Stroby (8)
Lauren Beukes (7, Teil 1) und
Lauren Beukes (6, Teil 2)
Richard Lange (5)
Zoë Beck (4)
Sam Millar (3)
Declan Burke (2)
James Lee Burke (1)

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