Geschrieben am 1. November 2021 von für Crimemag, CrimeMag November 2021

Bloody Chops November 2021

Kurzbesprechungen – fiction

Kurzbesprechungen von fiction – Joachim Feldmann (JF), Alf Mayer (AM), Frank Rumpel (rum) und Thomas Wörtche (TW) über:

Am Erker Heft 81: Mit verbundenen Augen. Geschichten vom Film
Angelika Felenda: Aufmarsch
Mattis Ferber: Mörderische Auslese
Jake Hinkson: Verdorrtes Land
Katja Kleiber: Das Kind mit der Knarre
Regina Nössler: Katzbach
Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Vierter Teil: Die Corona-Zyklen VII-XII
Heinrich Steinfest: Amsterdamer Novelle
Stuart Turton: Der Tod und das dunkle Meer

Eine Leiche im Wohnzimmer – was tun?

(TW) Regina Nössler gehört zu den spannendsten deutschsprachigen Autorinnen, was beileibe nicht auf das Genre beschränkt gemeint ist. Sie ist vor allem eines nicht: ausrechenbar. Das gilt auch für ihren neuen Roman, Katzbach.  Nicht ausrechenbar ist auch ihre Protagonistin, Isabel Keppler, die in einer Souterrain-Wohnung in der Kreuzberger Katzbachstraße haust. Isabel ist 39 Jahre alt, finanziert sich durch prekäre Jobs, klaut und betrügt hin und wieder ohne mit der Wimper zu zucken, mag eigentlich keine Menschen und ihren Hamster Godzilla auch nicht. Und dann hat sie das Problem, wie sie eine männliche Leiche aus ihrer Wohnung schaffen und entsorgen soll. Was ist passiert? Was hat diese Leiche mit ihrem Job als Gesellschafterin einer älteren, leicht dementen Dame zu tun? Wird sie von einem gutsituierten Herrn, den sie hin und wieder bei Vernissagen trifft, gestalkt? Hat ihr Vermieter, für den sie mit unklarem Auftrag ein Schreibseminar besucht, finstere Absichten? Zumal sie im Park gegenüber überfallen und zusammengeschlagen wird und Zettel mit seltsamen Nachrichten auftauchen. Und welche Rolle spielt der Sohn der dementen Dame, der Isabels Lohn bezahlt? Peu à peu werden die Puzzlesteinchen zusammengebaut, wobei Kontingenz eine große Rolle spielt und am Ende ein Mord aus uralten Zeiten aufgeklärt ist. Und dabei entsteht das Porträt eines autonomen Frauenlebens im Hier und Jetzt. Und in Kreuzberg. Das ist ziemlich großartig gemacht, denn kein Genre-Wissen hilft, ausgekochter zu sein als die Autorin.

Regina Nössler: Katzbach. Konkursbuch Verlag, Tübingen 2021. 348 Seiten, 12,90 Euro.

Fabulöses Leseabenteuer

(JF) Val McDermid dachte bei der Lektüre an William Goldings Inselklassiker „Der Herr der Fliegen“, andere an Stevensons „Schatzinsel“ oder die Seefahrerromane Patrick O’Briens. Und natürlich Sherlock Holmes und seinen Gefährten Dr. Watson. Dem Autor ist das alles recht, denn letztendlich gleiche keine Lesart der anderen. Das zumindest behauptet Stuart Turton in einer liebevoll-ironischen Nachbemerkung zu seinem fabulösen Leseabenteuer Der Tod und das dunkle Meer. Natürlich ist das ein wenig geflunkert. Denn Turton weiß sehr genau, wie man sein Lesepublikum auf spannende Art und Weise an der Nase herumführt. Bewiesen hat er das bereits mit seinem ersten Roman, dem Hyper-Whodunit „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“. Und nun geht es aufs offene Meer.

Im Jahre 1634 befindet sich der Segler Saardam auf dem Weg vom indonesischen Batavia (heute Djakarta) nach Amsterdam, an Bord eine wertvolle Fracht und jede Menge Galgenstricke, unter ihnen manche mit Macht und Einfluss. Es sind finstere Zeiten, das Leben ist grausam und das Böse lauert überall. An Bord treibt der „alte Tom“ sein Unwesen, ein Dämon, der einst ganzen Adelsfamilien zum Verhängnis wurde. Doch der Geist der Aufklärung, verkörpert durch den „Problematador“ Samuel Pipps, liegt in Ketten. Die Herren von der Ostindien-Kompanie, in deren Auftrag die Saardam unterwegs ist, halten den frühneuzeitlichen Sherlock Holmes für einen englischen Spion und wollen ihn nach der Ankunft in Amsterdam hinrichten lassen. Also versucht sein Leibwächter, der vormalige Söldner Arent Hayes, dem Spuk auf den Grund zu gehen, an seiner Seite einige ebenso tatkräftige wie mutige Frauen. Ein modernes Arrangement, möchte man meinen. Tatsächlich geht es Stuart Turton nicht um historische Akkuratesse, sondern um eine fantasievoll erzählte, spannende Geschichte. Und eine solche ist „Der Tod und das dunkle Meer“ zweifellos. 

Auf dem Cover steht übrigens „Kriminalroman“. Das kann man akzeptieren, denn es wird gemordet und ermittelt. Fantasy allerdings, wie mancher meinen könnte, liegt hier allerdings definitiv nicht vor. Von dem übernatürlichen Mummenschanz, der Leser und Figuren über einige hundert Seiten in Atem hält, bleibt am Ende nicht viel übrig. Dafür zeigt sich wieder einmal die perfide Dialektik der Aufklärung von ihrer gruseligsten Seite. Doch das ist natürlich nur die Lesart ihres Rezensenten.

Stuart Turton: Der Tod und das dunkle Meer (The Devil and the Dark Water, 2020). Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. 608 Seiten. Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 25 Euro.

Die seltsame Zeit 

(rum) Ein Spiel mit der Zeit, mit der Wahrnehmung, mit Manipulation, Science Fiction und Martin Heideggers Hauptwerk veranstaltet Heinrich Steinfest in seiner kompakten Amsterdamer Novelle – Form und Umfang ein Novum im Werk des sonst eher dickleibigeren Romanen zugeneigten Stuttgarter Autors. Ein harmloses Foto ist der Ausgangspunkt dieser Novelle. Das Bild zeigt einen  Radfahrer vor einem Gebäude in Amsterdam. Ein junger Mann hat es gemacht und er meint, in dem Radler seinen Vater Roy Paulsen zu sehen. Allein: Paulsen war noch nie in Holland, sagt er. Und auf einem Rad habe er auch noch nie gesessen. Weil ihm das Foto keine Ruhe lässt, reist er nach Amsterdam, irrt tagelang durch die Stadt und macht das schön hergerichtete Kaufmannshaus schließlich ausfindig. Die Tür steht offen. Er tritt ein und gerät mitten hinein in eine gewalttätige Auseinandersetzung, die seinem Leben einen ganz neuen Dreh gibt. Und allmählich wird ihm klar, dass er auf genau den Moment zusteuert, den er bereits kennt.

Ein literarischer Taschenspielertrick ist es, von Steinfest gewieft in Szene gesetzt. Ist das Foto nur eine geschickte Fälschung, täuscht die Wahrnehmung oder ist es tatsächlich ein Blick in die Zukunft, eine Art vorausgreifende Erinnerung? Roy Paulsen will’s wissen und sieht sich selbst als ungläubiger Zeuge inmitten von Ereignissen, die er nur teilweise beeinflussen kann. In Heideggers 1927 veröffentlichtem, sperrigem „Sein und Zeit“ bezeichnet das „Sich-vorweg-sein“ die Zukunft und das hat Steinfest hier wohl einfach mal wörtlich genommen und in eine Geschichte übersetzt, in der das Spiel mit der Zeit zentral ist. Den Verweis auf Heidegger macht der Autor übrigens selbst, steht doch vor dem Amsterdamer Haus ein Bücherschrank, in dem sich ausschließlich Bücher über die Zeit finden. Doch in der Reihe klafft eine Lücke und die füllt Roy Paulsen eben, weil er es so passend findet, mit „Sein und Zeit“ – auch wiederholt, denn das Buch verschwindet immer wieder. 

Virtuos erzählt Steinfest von grotesken Zufällen und einem Protagonisten, der diese geradezu herausfordert, ist er doch entschlossen, den Ungereimtheiten um ihn herum auf den Grund zu gehen, sie einem Realitätstest zu unterziehen. Wie verspielt Steinfest sein Thema angeht, mag eine Szene zeigen, in der ausgerechnet ein Buch Paulsen das Leben rettet. Es ist der nie geschriebene zweite Band von Heideggers Hauptwerk, das eine für Paulsen bestimmte Kugel aufhält. Er spürte, heißt es da, „ihre gehaltvolle Erschöpfung“. Erfrischend! 

Heinrich Steinfest: Amsterdamer Novelle. Piper Verlag, Berlin 2021. Hardcover, 112 Seiten, 15 Euro.

Gesellschaftliche Wirklichkeit, unterhaltsam

(JF) Das Kind mit der Knarre – zu reizvoll schien der Frankfurter Autorin Katja Kleiber wohl dieser alliterierende Titel für ihren vierten Kriminalroman um die Privatermittlerin Sandy Hardenberg, als dass sie aus inhaltlichen Gründen darauf hätte verzichten mögen. Denn wer hier zur Waffe greift, ist längst kein Kind mehr, sondern ein junger Mann. Auch wenn sein genaues Geburtsdatum nicht bekannt ist, dürfte Wahid, der es zusammen mit seinem kleinen Bruder von Afghanistan bis in eine Frankfurter Flüchtlingsunterkunft geschafft hat, mindestens siebzehn Jahre alt sein. Aber sei’s drum. Als Flüchtling in einem fremden Land nimmt man vielleicht automatisch eine kindliche Perspektive ein. Und diese authentisch zu vermitteln, gelingt Katja Kleiber ziemlich gut.

Wahid stößt übrigens erst ziemlich spät durch Zufall auf die Knarre, aber sie kommt ihm sehr gelegen, denn er will seinen Bruder, der bei einem neonazistischen Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim ums Leben gekommen ist, rächen. Ein früherer Versuch, sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe zu besorgen, ist gescheitert. Aber nun ist er ausgerüstet und entschlossen, während Sandy, die eher zufällig in die Sache geraten ist, ihn aufzuhalten versucht. Das klappt nicht ganz, steht aber dem eher märchenhaften Schluss dieses flott erzählten Romans nicht entgegen. Die Autorin versteht es nämlich, gesellschaftliche Wirklichkeit, von der Situation minderjähriger Flüchtlinge bis zur Entdeckung rechtsradikaler Netzwerke bei der Polizei, und genrespezifische Fiktion auf unterhaltsame Weise zu kombinieren. Also wundern wir uns nicht zu sehr über eine in der linksautonomen Szene verwurzelte junge Privatschnüfflerin mit Punkvergangenheit, die mit dem Chef der Mordkommission liiert ist, was sie aber nicht davon abhält, ihre erotischen Interessen auch im eigenen Milieu zu verfolgen. Gemeinsam mit der linken Anwältin Freya von Buckow und dem Hamburger Punk Wombel bildet sie ein schlagkräftiges, aber nicht immer zielsicheres Team, das den dumpfen Naziskins aus dem Kampfsportstudio natürlich überlegen ist. Also wird fast alles gut. Und das lesen wir, angesichts der oft so wenig erfreulichen Realität, ja auch nicht ungern.

Katja Kleiber: Das Kind mit der Knarre. Ein Krimi aus Frankfurt. 295 Seiten. Neopubli, Frankfurt am Main 2021. 12 Euro.

Beten und töten in MAGA-Land

(TW) Im Country Noir ist alles immer ganz furchtbar. Noch furchtbarer ist es allerdings im Van Buren County, irgendwo im Arkansas-Teil der Ozarks, wo Verdorrtes Land von Jake Hinkson spielt. Denn dieses County ist trocken, der Verkauf von Alkohol ist verboten. Das freut natürlich die frommen Menschen der Southern Baptist Convention, auch wenn sie nur fromm tun. So wie Pastor Weatherford, eine besonders bigotte Heuchelbacke, der seine christliche Rechtschaffenheit vor sich herträgt, Frau und Kinder gottgewollt dominiert und Barmherzigkeit vermutlich für eine Ränke des Satans hält. Tja, und dann verführt ihn sein sündiges Fleisch zu einer schwulen Affäre. Damit wird er erpressbar. Und diese Erpressung setzt eine ganze Kette anderer Erpressungen in Gang, und am Ende sind alle tot und der Pastor ist fein raus aus der Nummer. Denn seine Gegenspieler sind typische Rednecks – entsetzlich dumm, gewalttätig, schmutzig und engstirnig.

Nichts Neues also aus MAGA-Land. Der Autor Jake Hinkson stammt selbst aus diesem fundamental-christlichen Milieu und schreibt sich, so dürfen wir vermuten, hier einiges von der Seele. Irre Religiöse gehören seit Jim Thompsons Zeiten zur Standardmöblierung des Country Noir, und dass der „Killer inside me“ (Jim Thompson) am Ende davonkommt, ist Sarkasmus pur. „Verdorrtes Land“ steht in einer inzwischen ewig langen Reihe von Narrativen, die uns die Soziopsychopathologie der Trump-Fans illustrieren sollen.  Und ja, wir haben´s kapiert, alles ist ganz furchtbar. 

Jake Hinkson: Verdorrtes Land (Dry County, 2019). Deutsch von Jürgen Bürger. Polar Verlag, Stuttgart 2021. 374 Seiten, 15 Euro.

Lieblingsbilder aus dem Kopf 

(AM) Unfassbar günstige 10 Euro, das Vierer-Abo sogar nur 35 Euro, kostet die mit jeder Nummer erneut substantiell überzeugende Literatur-Zeitschrift „Am Erker“, die 1977 von Joachim Feldmann und Michael Kofort gegründet wurde, halbjährlich im Münsteraner Daedalus Verlag erscheint und inzwischen wohlbehalten den 44. Jahrgang erreicht hat. Mit verbundenen Augen heißt die gerade erschienene Nummer 81. Das ist wörtlich zu nehmen. Die Einladung dafür verdient es zitiert zu werden:

„Bewegte Bilder werden zu Geschichten. Doch die Erinnerung ist trügerisch. Das erfahren wir ständig, wenn wir einen Film oder eine Fernsehserie nach langer Zeit wiedersehen. Am Erker Nr. 81 widmet sich einem besonderen Kapitel unseres fiktiven Alltags. Um dieses zu erzählen, verlassen Sie sich bitte ausschließlich auf Ihr Gedächtnis. Wir wünschen uns Texte, die von ganzen Filmen oder auch einzelnen Szenen inspiriert sind, ohne dass Sie noch einmal nachgeschaut haben. Erzählen Sie Ihre Lieblingsbilder aus dem Kopf.“
Lieblingsbilder aus dem Kopf also. Das klingt aufregend. Und ist es auch. „Ich finde es wichtig“, wird im Spike Lee im Motto zitiert, „dass Filme Menschen dazu bringen, Dinge zu sehen, die sie vergessen haben.“ Mehr als 40 Autorinnen und Autoren haben ihr Kopfkino besucht und bringen uns ihre Funde in Geschichten, Gedichten und Essays näher. Das kongeniale Titelbild von Aliaa Abou Khaddour zeigt eine zum Labyrinth ausgebreitete Filmrolle. Anna Gawlitta, Frank Jakubzik, Barbara Ostrop, Roland van Oystern, Sabine Peters, Almut Tina Schmidt, Burkhard Spinnen, Gisela Trahms und viele andere haben sich hineingewagt. Dazu gibt es zusätzliche 35 Seiten Bücherschau. Die Redaktion dieser Ausgabe besorgte Joachim Feldmann, dem Sie bei uns hier gleich nebenan als Rezensent begegnen können. Wir schätzen es, dass er neben seiner Zeitschrift auch immer Zeit für uns übrig hat.

Fiktiver Alltag e.V. (Hg.): Am Erker Heft 81. Mit verbundenen Augen. Geschichten vom Film. Daedalus Verlag, Münster 2021. Verantwortlicher Redakteur: Joachim Feldmann. Groß-Oktav broschiert 16 x 24 cm, 156 Seiten, 10 Euro.

Die Stimme Jedermanns 

(AM) „An die Traurigkeit“ lautet die Widmung des zweiten Bandes der Corona-Gedichte von Markus Pohlmeyer, den CulturMag-Leser von seinen bei uns weit über 100 Beiträgen und Essays kennen. (In dieser Ausgabe etwa von ihm: ein sehr schöner Text über den Science Fiction-Film „Dune“ und etwas über eine Graphic Novel nach Cixin Liu.) Viele der Gedichte sind im Verlauf der Pandemie bei uns erschienen, haptisch in einem Buch versammelt, ist freilich Als ich zu den Sternen ging. Vierter Teil: Die Corona-Zyklen VII-XII. Gedichte noch einmal etwas anders – und vermutlich die einem Gedicht angemessenste Veröffentlichungsform. Hatte gerade darüber jüngst bei einer Poesie-Lesung mit CM-Autorin Ingrid Mylo eine Diskussion. Meine Haltung dazu: So wie Gebote eigentlich in Stein gehauen gehören, sollte ein Gedicht auch seine Fassung auf Papier finden.

Das haben sie nun. Das Papier ist angenehm matt gestrichen und nicht zu weiß, der Satzspiegel großzügig. Die Schwarzweißfotos von Anne Kuhlmeyer eröffnen eine weitere Dimension. Die Grafik besorgte Annelie Lamers. Der Dichter und Essayist Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg, während Corona Gedichte zu schreiben war (und ist) ihm eine elementare Ausdrucksform (sein Werkstattbericht bei uns darüber hier). Das kluge und sehr zugängliche Vorwort von Marcello Neri bringt es auf den Punkt: „Pohlmeyers Dichtung strebt in der Tat dahin, die höchst persönliche Stimme des Dichters in die Stimme Jedermanns zu verwandeln.“ 

2020 erschien bereits eine erste Gedichtlieferung Pohlmeyers in Buchform (CM-Besprechung hier). In dieser Ausgabe hier nebenan können Sie exklusiv seine ersten Gedichte nach einer gewissen Phase des Schweigens lesen. Titel der Lieferung: Rückkehr nach Corona.

Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Vierter Teil: Die Corona-Zyklen VII-XII. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Band 24. Igel Verlag, Hamburg 2021. 164 Seiten, 19,50 Euro.

Schauplatz München

(JF) Skrupellose Immobilienspekulation, sexueller Missbrauch und rabiater Antisemitismus – fast könnte man meinen, es mit einem sozialkritischen Gegenwartskrimi zu tun zu haben. Doch Aufmarsch, der vierte Band einer Reihe historischer Kriminalromane der Münchner Autorin Angelika Felenda spielt im Sommer 1923. Hyperinflation, Wohnungsnot und die Umsturzpläne rechtsradikaler Organisationen prägen den Alltag. Auch Kommissär Reitmeyer und sein wackerer Assistent Rattler, die den Mord an einer alleinstehenden Buchhalterin aufzuklären haben, bleiben davon nicht unberührt. Zumal der Fall gefährliche Kreise zu ziehen beginnt. Denn die Tote war für eine Immobilienagentur mit Verbindungen zu illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten der Reichswehr tätig.

Angelika Felenda nutzt diese Ausgangssituation für einen hinreichend komplexen Plot, der sich auf gut recherchierte historische Fakten stützt. Dabei bedient sie sich effektiv der Souveränität einer auktorialen Erzählposition. Für das notwendige Identifikationspotential sorgt ein stabiles Figurenensemble mit klar verteilten Schurken- und Heldenrollen. Und auch der Schauplatz München steht dem fernsehtauglichen babylonischen Berlin an Lasterhaftigkeit wenig nach. Ein wenig feilen lässt sich allerdings noch an der Authentizität der Darstellung. So werden Angestellte von Kreditinstituten in den 1920er Jahren wohl kaum von sich selbst als „Banker“ geredet haben. Doch das sind zu vernachlässigende Mängel in diesem immer populärer werdenden Sub-Genre. Wer sich von den Romanen Volker Kutschers gut unterhalten fühlt, wird von Angelika Felenda nicht enttäuscht sein.

Angelika Felenda: Aufmarsch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 421 Seiten, 15,95 Euro.

Ausgesprochen lehrreich

(JF) Eine Leiche im Weinkeller ist kein Alltagsfund, erfreut sich aber großer Beliebtheit im Spannungsgenre, eignet sie sich doch wunderbar als Auslöser einer Mordserie in gehobenem Ambiente. Der kürzlich erschienene Kriminalroman Mörderische Auslese beschränkt sich zwar auf nur einen weiteren Mord, überzeugt aber durch die realistisch anmutende Schilderung des Wirtschaftsbetriebs in einem Luxushotel. Die zentrale Figur ist der Weinexperte Benjamin Freling, der in dem Familienunternehmen am Kaiserstuhl als Sommelier arbeitet. Die Rolle des Amateurdetektivs allerdings überfordert ihn spürbar, denn souverän agiert er vor allem, wenn es um erlesene Weine und Käsesorten geht. Den Fall der mumifizierten Leiche im Keller aufzuklären, kostet ihn vor allem Nerven und beinahe auch das Leben. 

Das literarische Debüt des Journalisten Hannes Finkbeiner (unter dem Pseudonym Mattis Ferber) ist ein ausgesprochen unterhaltsamer und lehrreicher Kriminalroman, vorausgesetzt man interessiert sich ein bisschen für Vinologie, Kulinarik und die Ökonomie des Gastgewerbes. Erzählt wird angenehm flott, metaphernreich und syntaktisch variabel. Man merkt, dass ein Schreibprofi am Werk war. Der, wenn nicht alles täuscht, schon den nächsten Fall für einen an Erfahrung reicheren Benjamin Freling in Planung hat.

Mattis Ferber: Mörderische Auslese. Lübbe Verlag, Köln 2021. 350 Seiten, 11 Euro.

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