Geschrieben am 1. Juni 2022 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2022

Albrecht Götz von Olenhusen zum Gladitz-Symposium in Freiburg

Allein gegen Leni Riefenstahl

Ein Symposium in Freiburg am 26. April 2022 

Ist es legitim, um der Kunst willen
die Schlachthäuser eines barbarischen
Systems zu künstlerischen Zwecken zu benutzten?
 Ist es legitim, das Kino so zu lieben, daß man 
um seiner Kunst willen Menschenrecht verletzt?   
Nina Gladitz, 1982                    

Das Freiburger Symposium „Allein gegen Leni Riefenstahl“ fand exakt und bewusst am Jahresstag des überraschenden frühen Todes der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz an der Universität Freiburg statt. Eine Gruppe von Freundinnen und Freunden von Nina Gladitz, die als junge Filmerin lange Jahre in Freiburg und Kirchzarten ansässig gewesen war, hatte sich zusammengefunden, ihr zum Gedenken an den jahrzehntelangen Kampf gegen die auch nach dem Zweiten Weltkrieg als angeblich unpolitische innovative Filmästhetin und Regisseurin im NS-Staat gefeierte Filmproduzentin zu erinnern.

Zugleich wollte man sich eigens mit dem Film„Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ (1982, WDR),  mit der filmischen Arbeit von Riefenstahl einerseits, der Filmdokumentaristin Nina Gladitz auseinandersetzen und obendrein den fast 40 Jahre lang vom WDR sekretierten Film von Gladitz erstmals wieder vorführen. Eingerahmt war  diese als sensationell zu wertende Filmvorführung durch Vorträge zum Werkschaffen von Nina Gladitz und Leni Riefenstahl, moderiert von der hoch anerkannten, vielfach ausgezeichnete Spezialistin für historisch-politische Filmdokumentation Prof. Dr. Sabine Rollberg (früher WDR und ARTE sowie Hochschullehrerin in Köln, jetzt Freiburg), sowie verbunden mit einem von ihr geführten Interview zum Film und den damit zusammenhängenden medialen und  juristischen  Konflikten, vor allem mit dem Prozess von 1984, den Riefenstahl gegen die Filmemacherin angestrengt und bis auf einen Punkt verloren hatte.

Persilscheine und Profession

Viele Ereignisse, biografische, berufliche, filmhistorische und zeitgeschichtliche verknüpfen sich  hier in der Lebensgeschichte von Beteiligten. Auch in Freiburg musste sich die Riefenstahl nach 1945 in der Zeit der französischen Besetzung den Gremien der Entnazifizierung stellen. Sie kam ungewöhnlich glimpflich davon. Mit allerlei günstigen  Persilscheinen versehen und für sie höchst wohlmeinenden Zeugenaussagen trefflich ausgestattet, gelangte sie alsbald wieder an ihr während der Jahre zwischen 1933 und 1945 dank allerhöchster Hilfe Adolf Hitlers und seiner Satrapen angesammelte Vermögen und bereitete ihre Nachkriegskarriere von München aus vor. Sie  sollte bis zum Beginn der 1980er Jahre – mancher kritischer Stimmen ungeachtet – weitgehend ungestört verlaufen. 

Filmwissenschaft und Filmhistorie im In- und Ausland, Biografen und Zeithistoriker widmeten dem Star von Bergfilmen der Weimarer Zeit, der NS-Filmerin der dreißiger Jahre im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda und der vor allem nach 1945 in Afrika als Photographin Wirkenden immer wieder oft geradezu verherrlichende Beiträge. „Eine schillernde Persönlichkeit mit dunklem Hintergrund. Sie war eine geniale Künstlerin, aber auch eine hemmungslose Karrieristin, der es ausschließlich um ihre künstlerischen Obsessionen, um Ruhm und Anerkennung und die Konstruktion und Kontrolle des Riefenstahl-Mythos ging.“ (Ina Brockmann, 2012) 

Mit einem solchen  ambivalenten Diktum wurde auch noch Jahre nach Lena Riefenstahls Tod (2003) aus Anlass von Ausstellungen ein angebliches Genie der Filmkunst in den inzwischen sogar feministisch grundierten Olymp erhoben – eine höchst dubiose, extrem positive Tendenz, in der sich etwa Helma Sanders-Brahms und Alice Schwarzer  besonders unrühmlich positionierten: die erstere, indem sie Riefenstahl als Widerstandskämpferin gegen Adolf Hitler, die letztere, die sie als Opfer einer „Hexenjagd bis heute“ stilisierte. Was für eine groteske Verkennung historischer Fakten, was für eine absurde Umkehrung  wahrer Relationen und ein Ausmaß von Ignoranz aller aus Archiven und historischen Darstellungen immerhin mehr als nur  in Ansätzen schon sichtbaren Erkenntnissen über die weit über die üblichen Dimensionen hinaus scheinbar ganz  unwillentlich, weitgehend naive, ganz und gar unpolitisch in eine faschistische Diktatur lediglich  „verstrickte“ Protagonistin eines von ihr zu keinem Zeitpunkt durchschauten oder daran selbst in irgendeiner Weise beteiligten Regimes. Die starke Frau, Opfer quasi in einer nationalsozialistischen Männerwelt – und jetzt nach WW II wiederum Opfer ungerechter Verfolgung. 

Es gehörte seit jeher zu den Signaturen dieser in zunächst  romantisierenden  „blauen Licht“, dann im tiefbraunen Halbdunkel oder im grellem Scheinwerfer-Lichtsäulen der NS-Propaganda  sich produzierenden bis prostituierenden Protagonistin der Filmindustrie von Hitlers und Goebbels Gnaden, dass sie jede und jeden zu Lebzeiten mit allen juristischen und medienwirksamen Mitteln bekämpfte, welche  sie mit diesen Aspekten ihrer an Wendungen, Windungen und skandalösen Verfälschungen wahrlich nicht armen, ja skandalösen  Biografie konfrontierten.

Nina Gladitz hatte seit Ende der 1970er Jahre über die Entstehung von Riefenstahls Film „Tiefland“ (1944/45, Erstaufführung in veränderter Fassung 1954) und vor allem über die Schicksale der von der Regisseurin für den Film aus zwei Konzentrationslagern als Komparsen zwangsverpflichteten Sinti und Roma recherchiert. Diese sich lange hinziehenden Nachforschungen manifestierten sich dann in der Filmdokumentation „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ (1982), produziert von der Freiburger Gladitz-Film-Produktion mit Channel 4 und dann ausgestrahlt auch vom WDR 1982.

Gladitz begibt sich mit dem Sinto Josef Reinhardt, als Zwölfjähriger aus dem KZ Maxglan bei Salzburg für „Tiefland“ von Riefenstahl persönlich rekrutiert, auf Spurensuche. Für die Filmarbeiten in Krün bei Mittenwald und in Berlin von 1940 bis 1942 beschaffte sich Riefenstahl aus Maxglan bei Salzburg  und dem KZ Marzahn bei Berlin insgesamt etwa 116 Zwangs-Statisten. Die meisten von ihnen, nach den Dreharbeiten wieder in die Lager zurückgebracht und von dort u.a. nach Auschwitz deportiert, wurden umgebracht.

Riefenstahl verliert vor Gericht – und triumphiert

Zeitlebens sollte Riefenstahl diese und andere Fakten der Umstände ihrer Produktion von „Tiefland“ auf heftigste in Abrede stellen. Sie hatten in einem von ihr gegen den Verleger Kindler angestrengten Prozess bereits eine wichtige Rolle gespielt. Seit 1984 rollte nun ein neuer Prozess in Freiburg ab. Riefenstahl setzte alles daran, die im Film von 1982 aufgedeckten Fakten und den Film insgesamt verbieten zu lassen. Und obwohl sie nur in einem allerdings gewichtigen Punkte vor dem Landgericht Freiburg und dem Oberlandesgericht Karlsruhe obsiegte, konnte sie dennoch zu Lebzeiten und noch nach ihrem Tode  eben damit triumphieren: Der WDR-Film blieb für nahezu vier Jahrzehnte unzugänglich. Der WDR hatte ihn nach dem Ausgang des Rechtsstreits (1984-1989) mit einem Sperrvermerk belastet. „So verschwand ein wichtiges Dokument zur Geschichte und Erinnerungskultur der Sinti und Roma für fast vierzig Jahre aus der Öffentlichkeit“. 

Es war ein bewegender Moment für das im Medienzentrum der Universität Freiburg versammelte Publikum, dass der 90-Minuten-Film erstmals nach vielen Jahren wieder gezeigt wurde. Dem Filmwissenschaftler Prof..Dr. Franz Leithold, Institut für Medien- und Kulturwissenschaft, Leiter des Medienzentrums und stellvertretender Direktor der UB Freiburg, war es wenn auch nicht ohne Mühen gelungen, für das Symposium eine Kopie des so lange in den „Giftschrank“ verbannten Films zu erlangen. In Anwesenheit von Vertretern von Sinti- und Roma-Gruppen konnte er zum ersten Mal wieder diskutiert werden. Der WDR hatte auch nach einigem Hin und Her erlaubt, dass der Film bei einer Veranstaltung zwei Tage später in Kirchzarten, dem früheren Wohnort von Nina Gladitz, gezeigt werden durfte. Beide Veranstaltungen wurden von der Filmdokumentaristin Astrid Bischofsberger begleitet. Die lange beim SWR wirkende Reporterin und Filmkünstlerin bereitet eine Filmbiografie über Nina Gladitz vor. Von Gruppen der Sinti und Roma und anderen Institutionen zeigt sich nachhaltiges Interesse, den Film öffentlich vorzuführen – ein Vorschlag geht dahin, ihn freizugeben oder, wenn dem WDR tatsächlich ausschließliche Rechte zukommen sollten, ihn gegen eine geringe Gebühr allen zugänglich zumachen, die Einnahmen aber der Vereinigung der Sinti und Roma zu spenden. Wenn es zutreffen sollte, dass der WDR, wie Nina Gladitz einmal vernahm,  vor Jahren selbst daran dachte, den Film ausgerechnet dem Museum Oberalzberg, dem nicht gegen kultartige Manifestationen gefeiten Ort, wo Hitler sein privat-politisches Refugium hatte, zu überlassen, dann wäre der neue Vorschlag gewiss die weitaus bessere Wahl!

Eine Initialzündung  in Culturmag

Die Fairness gegenüber den Lesern dieses Mediums und Berichts gebietet es, offen zu legen, dass Culturmag auf wesentliche Weise zur Entstehung des Symposiums beigetragen hat. In einer Besprechung des Werkes von Nina Gladitz über Leni Riefenstahl (Zürich: Orellfüssli 2021) als Täterin war das Thema des Missbrauchs von Sinti  und Roma zur Sprache gekommen. Zudem hatte sich  Gerhard Beckmann, Kenner der Geschichte, der Filmgeschichte, der Geschichte der Sinti und Roma, in einem offenen Brief an den Intendanten des WDR, Tom Buhrow, gewandt, die Unterdrückung von Gladitz“ Filmdokumentation  scharf gegeißelt und die sofortige  Freigabe gefordert. 

„Ich wurde vom Herrn Intendanten leider nicht irgendeiner Antwort gewürdigt, obwohl doch die Verbannung eines wichtigen  historischen Dokuments, namentlich zur Geschichte der Sinti und Roma, auch mit der Zeitzeugenschaft ihrer so lange verschwiegenen Vertreibung, Verfolgung und Ermordung zu den Pflichten vor allem in Deutschland zählt. Oder zählen sollte!“ Für Beckmann, renommierter Verleger, Literaturkritiker und Autor vor allem auch in Großbritannien, Österreich und Italien, lange Kolumnist von „Buchmarkt“, war es völlig unerfindlich, dass ein öffentlichen Aufträgen verpflichteter Sender sich ohne offen gelegte Gründe sich weiterhin mit so  feinsinniger Zurückhaltung in leises Schweigen hüllte.

Allerdings hatte schon die Journalistin  Petra Sorge in einem minutiösen Bericht in der Zeitschrift CICERO „Die Sklavenhalterin“ 2014 über ähnlich absurd bis skandalös empfundene, ablehnende Entscheidungen des WDR gegenüber Filmhistorikern, Ausstellungsmachern und Filmmuseen berichtet, die sich auch mit vergeblichen Bemühungen von Nina Gladitz selbst deckten.

In ihren Einführungen zu den Vorträgen und in der Moderation stellte Sabine Rollberg, selbst schon seit ihrer Zeit als Redakteurin beim Kölner WDR mit Nina Gladitz lebenslang befreundet,  die Motivation zum Film in den zeitgenössischen Kontext. Die Initialzündung war demnach die Information, dass die Sinti und Roma für ihre Zwangsarbeit für den Film und die Zeit in den KZ niemals eine Entschädigung erhalten hatten.  In der Tat zählte das angesprochene Thema, das sich zu einer fundamentalen

Kritik an der Nazi-Filmerin ausweitete, in den Kreis der wichtigen, ja historisch, menschlich und filmisch unersetzlichen Filmdokumentationen mit ihrem Engagement für unterdrückte, verfolgte, ungehörte Minderheiten, gegen Rassismus und Kolonialisierung, für an den Rand vertriebenen Indigene in Lateinamerika oder Australien. In Freiburg hatte sich in den 1970er/0er Jahren eine filmische Tradition entwickelt. Nina Gladitz zählte mit ihrem Bruder Wilhelm Gladitz, der sich Peter Krieg nannte, und seiner Ehefrau Heidi Knott zu den Gründern des Freiburger Filmfestivals Ökomedia. Politische, ökologische

Filmarbeit gerade auch durch aktuelle Begleitung sozialer Bewegungen standen damals – auch und nicht zuletzt durch die Freiburger Medienwerkstatt – auf der Tagesordnung und gewannen zunehmend nationale und internationale Reputation. Auch Peter Kriegs Filmdokumentationen sollten dabei ihre Strahlkraft entfalten – „Vaters Land“ fand weder beim damaligen Ministerpräsidenten Filbinger noch dem Bundesinnenminister Beifall. Auch er sah sich in schwerwiegende, die Existenz bedrohenden Prozesse verstrickt. Doch das nur am Rande. 

„Fall ins Jetzt“

Mit dem Wort „Fall ins Jetzt“ prägte einst Ernst Bloch einen Begriff, der einen zeithistorischen, aktualisierenden Schock bewirkt oder zum Ausdruck bringt. Mit Joma Patricia Benos, einer Freiburger Sängerin und Sintezza, verwandt mit Josef Reinhardt, dem Protagonisten im Film von Gladitz, brachte eine Angehörige einer Familie, die nicht erst seit der NS-Zeit sozialer und politischer Verfolgung ausgesetzt war, die Bedeutung solcher Filmdokumentationen für die Anerkennung  einer noch heute in Deutschland partiell verfolgten Minderheit auf den Begriff. Aber sie merkte auch an: Groll helfe keinem, hier und heute sehe sie Wandel, auch wenn der Film von Nina Gladitz schon fast vergessen scheine, jetzt sei die Zeit reif für einen Film, der den erschütternden Erlebnissen der Sinti und Roma eine Stimme verliehen habe. 

Wie stark das Interesse an solchen gesellschaftlichen Problemen angesichts der Vielfalt und Virulenz  rassistischer, antisemitischer und extrem fremdenfeindlicher und  rechtsextremer Tendenzen ist, zeigt der Umstand, dass das Symposium mit mehr als 170 Teilnehmern einen völlig unerwarteten Besucher-Ansturm erlebte, der die Direktorin der Universitätsbibliothek Dr. Antje Kellersohn wie alle anderen Organisatoren ebenso überraschte wie erfreute. Die Moderatorin Sabine Rollberg hatte im Publikum überdies  die eigens aus den USA angereiste Nicola Giesecke, Tochter von Peter Krieg, Nichte von Nina Gladitz, und zahlreiche Freunde und Bewunderer der Filmerin begrüßen können.

Eingefunden hatte sich selbstverständlich auch ihre frühere Aufnahmeleiterin Erika Filius. Für die krankheitshalber verhinderte, in Freiburg lehrende Anglistin Dr. Nicole Falkenheyner trug sie deren Vortrag vor. Die subtile biografische Skizze zu Nina Gladitz stellte ihre filmdokumentarische Arbeit im Zusammenhang vor. Es gehörte zur eindrucksvollen, zur subjektivierenden, damit jedoch umso authentischer wirkenden Methode, Protagonisten wie im Film von 1982 fast zu Mitautoren oder Autorinnen werden zu lasen. Josef  „Seppl“ Reinhardt wird damit als eigene Stimme, als sensibler Chronist, als ganz unaufdringlicher, doch dadurch umso glaubwürdiger Zeitzeuge einer grauenvollen Vergangenheit präsent. Gladitz, so Falkenheyner, folgte Joris Ivens, dem niederländischen Dokumentarfilmer als ihrem  Vorbild. Mit der Kritik an Leni Riefensstahls Engagement für den Faschismus verknüpfte sie ihre Ablehnung von Werner Herzogs Verhalten gegenüber peruanischen Indigenen bei den Dreharbeiten zu „Fizzcarraldo“. Herzog ging gegen die auch hier von Gladitz mit einem von ethischen Rigorismus geprägten Filmpassagen niemals, auch nicht mit juristischen Mitteln vor.

In ihren letzten Lebensjahren konzentrierte sich Nina Gladitz, die den Prozess mit Riefenstahl innerhalb der ARD  beruflich nicht schadlos überstand, auf die Arbeit an dem Buch über Leni Riefenstahl als Täterin während der NS-Zeit. Damit und mit dem Film von Michael Kloft (SPIEGEL-tv/ARTE 2021) wurde der fast mit Ewigkeitswert imprägnierte Mythos der unbelehrbaren Nazi-Diva wenn schon nicht beendet, so doch auf ein historischer Wahrheit angemesseneres Maß so weit zurück geschraubt, dass auch eine künftige Filmforschung an diesen Ergebnissen investigativer cineastischer Arbeit nicht mehr vorübergehen kann. Das inzwischen vergriffene Werk, das von der Kritik überaus positiv angenommen worden war, wird alsbald in einem anderen Verlag, voraussichtlich als Taschenbuch, wieder erscheinen. 

Aus der Filmanalyse von Prof. Franz Leithold

Ästethik und Rezeption: eine fundamentale Kritik am Filmschaffen der Riefenstahl

So wie Gladitz und Kloft rechnete Prof. Franz Leithold mit Riefenstahl ab: hier allerdings in erster Linie mit ihrer zeitlebens so unentwegt und selten widersprochenen, stattdessen allenthalben hoch gerühmten Filmarbeit. Zu Recht entlarvte er die frühen Filme der Weimarer Zeit als fast plagiatorische Anlehnungen an die schon lange bekannten innovativen Ingredienzen des deutschen expressionistischen Films. In einer meisterhaften filigranen Analyse der heute noch von vielen ernst zu nehmenden Filmkennern oder Historikern  hochgelobten Filme der Jahre nach 1933, die  mit enormem Aufwand und künstlerischem Anspruch produzierte „Dokumentationen“ entpuppen sich als pure Propagandafilme. Sie waren besonders überall dort, wo sie sich als neuartige Kreationen gerierten, an schon längst von anderen Vorgängern entwickelten ästhetischen Vorbildern orientiert.

Aus der Filmanalyse von Prof. Franz Leithold

Die scheinbar unpolitische Produktion der Riefenstahl war, wie man das heute jedenfalls nach einer so fulminanten, fachlich überzeugenden und luzide präsentierten Analyse  des Filmwerks der Nazi-Zeit konstatieren muss, weitgehend eine krude propagandistisch eingefärbt Inszenierung von Realität im Interesse der faschistischen Auftraggeber. Mit deren politischen Motiven, abgründigen  Intentionen und mörderischen Zukunftsvisionen vermochte sich eine aggressiv-ehrgeizige Filmproduzentin, mittelmäßige Schauspielerin  und Tänzerin in solcher völliger Übereinstimmung dauerhaft, ohne Vorbehalte rücksichts- und erbarmungslos zu identifizieren. Franz Leithold räumte mit seinem Beitrag, der mit charakteristischen Filmstills und schlagenden  Beispielen überaus eindrücklich belegt wurde, aus filmhistorischer und filmästhetischer Hinsicht mit vielen bisherigen Annahmen, hochtrabenden Glorifizierungen und bis zur Banalität reichenden Verherrlichung faschistischer Filmästhetik gründlich auf.

In dem Interview, das Sabine Rollberg mit dem Berichterstatter führte, ging es um die Entstehung und die Umstände, in denen dieser, d.h. ich selbst, in die Arbeit von Nina Gladitz und Peter Krieg zwischen den Jahren 1979 und 1991 und dann wieder nach der Rückkehr aus Spanien und der Niederlassung in Berlin in ihre filmhistorische Aufarbeitung von Riefenstahls Vergangenheit, der Verfälschungen ihrer Biografie und ihrer Machenschaften bei der Ausbeutung und dem Missbrauch Dritter involviert war.

Wie verhielt sich Leni Riefenstahl während ihrer Auftritte im Freiburger Prozess, der 1984 begann ? Wie war die Reaktion der Richterbank, der Zuhörer, der Medien? Wie ging das Gericht mit den von uns als Zeugen aufgebotenen Sinti und Roma um? Nur wenige hatten, wie  sich zeigte, den Holocaust überlebt. Aber wie der im Gericht vorgeführte Film erkennen ließ, waren ihnen die Umstände der KZ-Haft, der Filmproduktion in Krün bei Mittenwald und viele Details der demütigenden, erniedrigenden Behandlungen noch allgegenwärtig. Und ebenso, wie sich herausstellen sollte, die leeren Versprechungen der Leni Riefenstahl, sie vor ihrem Schicksal zu bewahren, sie aus den Lagern, vor der Deportation und Vernichtung zu retten. Dass es damals  nicht gelang, Riefenstahl ihre Kenntnis vom todbringenden Schicksal der Sinti und Roma in Auschwitz  nachzuweisen, blieb auch in vielen Medienberichten und späteren Darstellungen ein Faktum, das sich Riefenstahl, ein Genie als hysterische und drogensüchtige Pseudologin, lange zugute zu halten vermochte. Allerdings konnte die ganz überwiegende Mehrzahl der im Film herausgestellten Produktionsbedingungen von „Tiefland“, vehement von Riefenstahl geleugnet, während des Prozessverlaufs  recherchiert und bewiesen werden. Das war auch der Grund, dass sich Riefenstahl in der Berufungsinstanz nur noch gegen Josef Reinhardts Votum zur Wehr gesetzt hatte: Sie habe versprochen, die Statisten vor der Deportation und Vernichtung zu retten, ohne das einzuhalten. Gleichwohl hielt Riefenstahl sowohl in ihren Memoiren wie in den Folgejahren an ihren lügenreichen Versionen zu „Tiefland“ fest und sollte noch bis zum Ende fast wie manisch sich an die geradezu maß- wie schamlose Mär öffentlich klammern: „Ich habe fast alle meine Zigeuner nach 1945 wohlbehalten wiedergesehen.“  

Aus der Filmanalyse von Prof. Franz Leithold

Erstmals wiedergesehen seit der Aufführung im Jahre 1984 im Landgericht Freiburg sahen das Publikum und  der Berichterstatter Gladitz‘ Film am 26.April 2022. An Nina Gladitz‘ Mühen, den Film  aus den Katakomben des WDR wieder ans Licht der Öffentlichkeit hervorzuholen, war ich damals, wenn auch erfolglos, beteiligt. Gründe für solch geheimnisvolle Zurückhaltung des eigentlich einer kritischen Öffentlichkeit verpflichteten Senders sind jedenfalls mir niemals sichtbar oder einsichtig geworden. Die juristisch denkmöglichen erschienen mir, der ich natürlich als Beteiligter offensichtlich befangen sein muss, stets als fragwürdig bis dubios. Ehrenschutz, Ehrenrettung, diskrete Rücksichtnahmen, bürokratische Hemmungen oder womöglich irgendwelche  Hindernisse ganz anderer, nicht offengelegter Art? Bis heute wuchern, völlig unverständlich aber auch unnötig noch immer seltsamste Spekulationen. Sie entfalten ihre unheilvolle Kraft, selbst wenn die Rechts-Kraft von Urteilen nach Bürgerlichem Recht nach 30 Jahren doch zweifellos endgültig endet. Aber gegen öffentlich-rechtliche Sperrvermerke kämpfen offenbar zu Zeiten selbst cineastische Göttinnen oder Götter der interessierten Kulturfelder vergebens. Gerne hätte man – was eigentlich vom WDR angekündigt war – beim Symposium von einem vom Sender angekündigten Vertreter dazu etwas Substanzielles erfahren und  darüber diskutiert. Selbst wenn das Ergebnis sich darauf beschränkt hätte, dass ein Sender der ARD von Aufklärung und öffentlich-rechtlichem Auftrag womöglich intern einen ganz anders gewandeten Begriff haben könnte als eine interessierte Öffentlichkeit. Der für den Abgesandten des WDR reservierte Platz blieb leer.

Vergangenheit die nicht vergeht

Das Symposium hat – auch durch  Berichterstattung und Resonanz, durch die zweite Veranstaltung und Filmvorführung am 28.4. 2022 in Kirchzarten – strittige relevante Themen aufgegriffen, die Diskussion neu belebt. Es hat allen Anschein, dass viele der angesprochenen Fragestellungen weiterwirken und  manche offenen Fragen noch einer schlüssigen  Antwort harren. Die Zeit des Schweigens sollte nach so vielen Jahrzehnten eigentlich der Vergangenheit angehören – einer Vergangenheit, die nach einem bekannten Wort aber dennoch nie vergeht…. 

Das Zivilverfahren vor dem Landgericht Freiburg begann 1984. Vorangegangen waren Versuche von Leni  Riefenstahl, Nina Gladitz durch ein Strafverfahren  bei der Staatsanwaltschaft in München als Verleumderin blitzartig zum Schweigen zu  zwingen. Das gelang nicht. Es folgte ein Antrag auf einstweilige Verfügung beim Landgericht. Aber auch der hatte keinen Erfolg. Es mag jedoch nicht nur für Zeit- und Filmhistoriker von Interesse sein, wenn an dieser Stelle ein denkwürdiges, unbekanntes Dokument zu Wort kommt, aus welchem ich hier erstmals zitiere. Es ist ein Schreiben, das Leni Riefenstahl am 5. Juni 1963 an ihren Rechtsanwalt Dr. Otto Gritschneder, einen erfahrenenen, ausgefuchsten und ihr seit Jahrzehnten verbundenen Medien-Profi,  gerichtet hatte. Gritschneder hatte ihr Ende Mai 1963 zwei Kassetten des Film von Gladitz übermittelt. Sie konnte sich den Film am 4.6.1963 ansehen: Der renommierte Jurist hatte Riefenstahl schon 1949 mit Erfolg gegen Kindlers „Revue“ vertreten, als Riefenstahls filmische totalitäre  Sklavenherrschaft gerichtsnotorisch zu werden drohte.  Der Verleger wurde mit einer Geldstrafe bedacht. Riefenstahl, angeblich die Taschen voller Filmverträge, verließ den Gerichtssaal als strahlende Siegerin. In der Folgezeit erwies sich dieses Verfahren für manche Medien und Kritiker der treuen Anhängerin des geliebten Führers als abschreckend.

 1963 Riefenstahl an Gritschneder: „Ich muss Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Gritschneder sagen, dass ich einen schweren Schock erlitten habe. Ich bin fassungslos, dass solche ungeheuren Verleumdungen 40 Jahre nach dem Geschehenen überhaupt noch möglich sind. Dieses von der „Filmemacherin“ Nina Gladitz produzierten, üble verleumderische Machwerk läßt auch das Minimum journalistischer Sorgfalt vermissen.“ 

Gritschneder wurde sofort energisch mit allen erdenklichen juristischen Schritten beauftragt, auch „alle Anstalten, insbesondere den WDR, Kinos, Schulen etc…“ zu benachrichtigen  und „sie über den wahren Sachverhalt zu informieren“.  Wie das beim WDR und anderen Sendern einschlug, weiß man nicht. Nina Gladitz sollte in den Folgejahren beruflich einen schweren Stand haben. Als freie Mitarbeiterin galt sie wegen der juristischen Komplikationen als problematische Figur. Aufträge blieben Mangelware. Der Sender bot Nina Gladitz weder Rückhalt noch finanzielle oder irgendeine andere  Unterstützung im Prozess. 

Riefenstahl erklärte Gritschneder, sie habe weder vor noch während der Filmaufnahmen und auch nicht nach den Filmaufnahmen das Lager Maxglan jemals betreten. Als Kronzeuge diente ihr wie schon 1949 im Prozess gegen den Verleger Kindler ihr allzeit treu ergebener Regieassistent Dr. Harald Reinl. Sie bestritt alle Angaben zur miesen Unterkunft und Ernährung der Komparsen, zum Ausbleiben jeglicher Entlohnung und nannte ausdrücklich Gehaltslisten, wonach jeder erwachsene Zigeuner 50 Pfennige Taschengeld, jedes Kind 25 Pfennig erhalten habe. Deren Wert sei im Zweiten Weltkrieg ja  weit höher gewesen als in der Gegenwart.

Ein KZ-Leiter und SS-Mann als Gerichtsgutachter pro Riefenstahl

Alles was Josef Reinhardt im Film erzähle, sei sowieso erlogen. Als bewährter Entlastungszeuge sollte auch hier wiederum Dr. jur. Anton Böhmer, Kriminaldirektor i.W., dienen. Jedenfalls dessen „Sachverständigengutachten“ von 1949. Er hatte im Prozess gegen Kindler sogar als als Gerichtsgutachter (!) für Riefenstahl und das Amtsgericht seines Amtes walten dürfen,. Einen günstigeren Gutachter hätte sich Riefenstahl schwerlich ausdenken können. 1949 hatte Anton Böhmer, ehedem SS-Sturmbannführer, Kripoleiter in Salzburg, das von ihm selbst eingerichtete und geführte KZ Maxglan als „Wohlfahrt-Fürsorgelager“ mit „Fürsorgeverwaltung“ der inhaftierten Zigeuner  bezeichnet. 1949 war es schon relativ  umstandslos möglich, dass sich Leni Riefenstahl nicht nur Persilscheine, sondern sogar von einem NS-Täter ein amtlich eingeholtes und akzeptiertes Gerichtsgutachten zu verschaffen vermochte, in welchen weder von Zwangsarbeit und anderen „Wohltaten“ eines KZ und auch nicht von einer brachialen  Lagerordnung die Rede war, in welcher den Häftlingen  die Überstellung in Konzentrations- und Vernichtungslagern angedroht wurde. Ein NS-Täter, der die Täterin entlastet – besser ging’s nicht!

Ausführliche Recherchen in Archiven und durch Ermittlung und Befragung von Zeugen, durch Fotos und Dokumente konnten im Verlauf des mehrjährigen Prozesses die seit 1949, 1954 und 1983 wiederholten falschen Angeben von Riefenstahl und ihre offensichtlichen Schönfärbereien, bewussten Lügen und  krassen Geschichtsklitterungen widerlegen. Der öffentliche Widerhall war zwar enorm, aber doch ephemer – und so werden bis heute in manchen Publikationen Riefenstahl’sche Versionen kolportiert, sei es als „Fakten“ garniert, manches mal als Thema mit Variationen… so als seien Fragen offen geblieben…

Die ursprüngliche Version von „Tiefland“ aus dem Jahre 1944/5, als der Endschnitt erfolgte ist anscheinend heute  nicht überliefert. Dass Riefenstahl sie 1945 vernichtet hätte, dürfte kaum wahrscheinlich sein. Nach Angaben der Cutterin für die Fassung der Uraufführung von 1954 wurden fast alle malerischen und von der Regisseurin als unabdingbar notwendigen Sinti-und Roma-Komparsen der Jahre 1939 bis 1942 aus den Lagern Maxglan und Marzahn aus der Ur-Fassung für die Endfassung von 1954 auf Weisung von Riefenstahl 1953 wohlweislich herausgeschnitten!

Wer Ausschwitz und andere KZ nicht überlebt hatte, überlebte 1953 die neue Version von „Tiefland“ nicht. Und wer von ihnen die Todeslager überlebt hätte, sollte, so kann man wohl annehmen, jetzt nicht als lästige Zeugen im Film oder an anderer Stelle fungieren.

Es wird der alle sie betreffenden  Prozessberichte von 1949 sorgfältig archivierenden Regisseurin nicht entgangen sein, dass der bekannte Schriftsteller Alfred Polgar, Emigrant, als Jude von den Nazis verfolgt, Prozessbeobachter in München im Verfahren gegen Kindler und die „Revue“, geschrieben hatte: Es blieb im Verfahren vor dem Amtsgericht München ein „bedeutungsloses Detail, dass jene Statisten, Frauen und Kinder unter ihnen, nicht lange, nachdem sie noch der Riefenstahl’schen Filmkunst dienten, in den Gasofen verfrachtet wurden“.

Die so hochgerühmte Filmemacherin, die weltweit gepriesene Filmdokumentaristin bei der für die Uraufführung eigens feinsäuberlich umgeschnittenen Filmversion von „Tiefland“ in bewährter Aktion – im ausgepichten, gerissenen Wandel vom Triumph des Willens hin zum Triumph des Vergessens.

Albrecht Götz von Olenhusen

Coda

Zeitliche Zufälle haben es mit sich gebracht, dass der weithin diskutierte Konflikt zwischen Leni Riefenstahl und Nina Gladitz um den WDR-Film von 1982 zwischen 1982 und 1988 ausgerechnet  in eine ohnehin für diesen Sender peinliche Debatten-Zeit fiel, in der beim WDR der berühmte Journalist, ehemalige Fernsehdirektor und Moderator des Internationalen Frühschoppens Werner Höfer (1913-1997) im Jahre 1987 von seiner Vergangenheit in der NS-Zeit  erneut eingeholt, die beliebte Sendung  abgeben und den Sender verlassen musste.

Die Fälle Riefenstahl und Höfer konnten sicherlich schon damals nicht umstandslos mit einander verglichen oder auf eine Stufe gestellt werden. Die Affaire Werner Höfer war  dennoch ein dramatisches Skandalon, das die Rundfunk-und Medienlandschaft der Bundesrepublik bewegte und erschütterte, nachdem nicht nur Höfers  NS-getränkter Artikel anlässlich der Hinrichtung des genialen Pianisten Karlrobert Kreitens (1916-1943, er wurde wegen „wehrkraft-zersetzender“ Äußerungen denunziert und von Freisler  verurteilt) und weitere völkisch-faschistische Höfer-Artikel in anderen NS-Zeitungen bekannt geworden waren. Werner Höfer verlor schlagartig seine WDR-ARD-Sendung und sein Fall schlug enorm hohe Wellen. 

Dass  ihm der WDR vehement  binnen einer Woche den Stuhl vor die Tür setzte, provozierte zu der spitzen Frage, ob man zwischen „entsetzlichem Alptraum“ und „Opportunismus aus dem Bilderbuch“ 40 Jahre später damit  im Sender eine lästige Diskussion  über die „Hinrichtungshymne“, über  Schreibtischtäter und Mitläufer loszuwerden trachtete.

*Der Autor Prof. Dr.jur. Albrecht Götz von Olenhusen, lebt nach langjährigerTätigkeit als Medienanwalt als Publizist und Hochschullehrer in Düsseldorf.
Mail: goetzal(at)uni-duesseldorf.de

Heinrich Heine Universität Düsseldorf

Siehe auch bei uns:
Gerhard Beckmann: Offener Brief in Sachen Nina Gladitz
Gerhard Beckmann: Nazi-Propagandistin, Plagiatorin, Menschenrechts-Verbrecherin. Über die Ermittlungen der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz
Albrecht Götz von Olenhusen: Schonungslose Recherchen zur NS-Vergangenheit einer legendären Regisseurin    
Sabine Rollberg: Die Filme der Nina Gladitz

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