Geschrieben am 15. Januar 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Tana French: Gefrorener Schrei

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Von Joachim Feldmann

Antoniette Conway hat einen Blick für die hässlichen Dinge im Leben. Das kommt ihr als Ermittlerin bei der Dubliner Mordkommission gut zu pass. Aber auch Nebensächliches fällt ihr ins Auge. Während der Mittagspause in einem Park, der eigentlich „richtig schön“ aussieht, entdeckt sie nicht nur ein gebrauchtes Kondom, sondern auch einen blauen Plastiksack, der über einem Geländer hängt und aus dem „irgendetwas Beunruhigendes“ herausguckt. Acht Seiten später weiß sie, um was es sich handelt: „eine tote Katze, das Fell glatt an den Schädel gekleistert, die Lippen hochgezogen, so dass spitze Zähne zu sehen sind, das Maul aufgerissen zu einem gefrorenen Schrei“.

Als Tana French ihre Hauptfigur und Erzählerin diese Beobachtung machen ließ, wird sie nicht geahnt haben, dass sie damit ihrem deutschen Verlag die Vorlage für einen der hierzulande so beliebten Psychothriller-Quatschtitel liefern würde. Nun heißt das Buch also reißerisch „Gefrorener Schrei“. Es wäre allerdings auch nicht ganz leicht gewesen, eine Entsprechung für den schlichteren und passenderen Originaltitel „The Trespasser“ zu finden. „Der Unbefugte“ klingt nicht sehr gut, und “Der Eindringling“ wäre nicht präzise genug. Denn es geht eben nicht nur um jene Person, die für den gewaltsamen Tod einer jungen Frau in ihrer eigenen Wohnung verantwortlich ist.

Aber das können Antoniette Conway und ihr Kollege Stephen Moran noch nicht wissen, als sie den Fall übernehmen. Zunächst sind sie mehr damit befasst, sich Breslin vom Hals zu halten, einen ebenso erfahrenen wie arroganten Ermittler, der ihnen als Unterstützung zugeteilt wird. Sehr kollegial geht es in der Mordkommission nämlich nicht zu. Und Conway ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade beliebt. Dokumente verschwinden von ihrem Schreibtisch, und ihr Kaffeebecher wird auch schon mal als Spucknapf benutzt.

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– Tana French –

Breslin will den Fall rasch abschließen. Trotz dürftiger Beweislage setzt er auf den erstbesten Verdächtigen als Täter. Dass dieser bei seinen Aussagen nicht die ganze Wahrheit sagt, wirkt wie eine Bestätigung. Conway und Moran ermitteln hartnäckig weiter, haben aber zunehmend das Gefühl, dass jemand ihre Arbeit sabotiert. Ironischerweise sorgen ausgerechnet diese Behinderungsmanöver für die Aufklärung des Falles. Und die ist ebenso überraschend wie enttäuschend. Was zum Problem werden könnte, findet eine pragmatische Lösung. Conway und Moran sind Cops, die ihren Job machen in einer Welt, die nicht in Ordnung zu bringen ist.

Doch damit ist längst nicht die ganze Geschichte erzählt. Hinter der Gewalttat, die eine junge Frau das Leben kostete, steckt ein komplexer Subplot, der wiederum mit der Biografie der Ermittlerin korrespondiert. Was oberflächlich wie kruder Alltagsrealismus wirkt, erweist sich bei genauem Hinsehen als ein virtuoses narratives Arrangement. Das flapsige Präsens der Erzählpassagen ist ebenso kalkuliert wie die Umgangssprache in den Dialogen. Aufmerksame Leser werden belohnt. Auch wenn es manchmal nur der gefrorene Schrei einer toten Katze ist.

Tana French: Gefrorener Schrei (The Trespasser, 2016). Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 652 Seiten. Frankfurt am Main: Scherz 2016. € 16,99.

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