Erdöl im postkolonialen Jahrzehnt
– Ein neuer Roman von Dominique Manotti ist immer ein Ereignis. Und Erdöl ein Thema von globaler Bedeutung. Klar, dass wir nicht auf die deutsche Übersetzung warten wollen. Elfriede Müller hat „Or Noir“ praktisch aus der Druckpresse gezogen und sofort gelesen.
Dominique Manotti hat sich einige Jahre Zeit genommen, um die Geschichte des Erdöls zu erforschen und daraus einen Noir zu stricken. In dieser Zeit sind gleichwohl zwei Bücher von ihr erschienen, die kurze Erzählung „Madoffs Traum“ und „Ausbruch“ (zu den CM-Rezensionen hier und hier), eine Geschichte über die Roten Brigaden, die, wie sie schreibt, aus ihrem Fundus entstanden ist.
Im März 2015 wurde „Or Noir“ veröffentlicht, begleitet von drei Videos, die auf Manottis Homepage professionell in die Materie und den Roman einführen. „Or Noir“ spielt im Frühjahr 1973 in Marseille, der Drehscheibe der French Connection, die nach zwanzig erfolgreichen Geschäftsjahren den Bach runter geht, nachdem der eine Bruder Guerini tot und der andere im Gefängnis ist. Nun machen sich die zwei Gangster Francis, le Belge, und Zampa das Erbe streitig und liefern sich einen blutigen Bandenkrieg. Auch die verschiedenen Polizeidienste in Marseille sind in einen Bandenkrieg verstrickt, nicht zuletzt wegen der French Connection. Diese gut strukturierte Organisation hat seit Anfang der Fünfzigerjahre bis zu Beginn der Siebzigerjahre aus Opium Heroin hergestellt. Opium wurde aus dem Fernen Osten nach Marseille gebracht, dort in Küchen von Landhäusern raffiniert und verließ als Heroin den Hafen in Richtung USA mit dem Einverständnis der betreffenden Geheimdienste.

Dominique Manotti (2006) (Quelle: wikimedia commons)
The French Connection, cont. – Öl!
Inmitten dieser Bandenkriege kommt der junge Daquin – bekannt aus drei anderen Romanen Manottis – nach Marseille, um seine erste Stelle anzutreten. Er kommt aus Paris und ist dazu noch homosexuell – zwei Eigenschaften, die im damaligen Marseille nicht gern gesehen werden. Daquin wird von seiner Hierarchie nicht boykottiert, bekommt sogar den Auftrag, den Mord an einem Ehemaligen der French Connection, Maxime Pieri, der sich als Reeder recycelt hat, aufzuklären. Dabei stößt er auch auf eine Reihe von Geheimorganisationen wie den in Marseille damals sehr aktiven SAC (Service d’action civique), eine gaullistische antikommunistische Schlägertruppe, und diverse Freimaurerlogen. Aus dem Gangster und Widerständler Pieri war anscheinend ein untadeliger und erfolgreicher Unternehmer geworden. Daquin wird suggeriert, den Fall nicht aufzubauschen, sondern unspektakulär unter Bandenkriegen abzuhacken und schnell zu den Akten zu legen.
Doch handelt der Roman nicht vom Drogenhandel, sondern von Erdöl und einer sich 1973 verändernden Weltlage, nicht nur diesen Rohstoff betreffend. Der bis zu diesem Zeitpunkt kolonial geprägte Erdölhandel mit dem Monopol der sieben wichtigsten Firmen, auch die sieben Schwestern genannt, ist vorbei. Die erdölproduzierenden Länder haben sich gerade vom kolonialen Joch befreit – Algerien hat den Unabhängigkeitskrieg gewonnen und die Erdölproduktion verstaatlicht, in Ägypten kam Nasser an die Macht, Assad und Sadam Hussein in Syrien und im Irak werden folgen. Diese Länder organisieren sich und wollen am Erdölverkauf beteiligt werden. Im Zuge der Umstellung wird im Mittelmeer wie wild geschmuggelt. Maxime Pieri war an diesem Schmuggel beteiligt und hat darin investiert, um nach der Neustrukturierung des Marktes einen Teil vom Kuchen ab zu bekommen. Der Makler Frickx aus den USA war Pieris Partner, was Daquin mit vielen Umwegen und Schwierigkeiten herausbekommt.
Daquin taucht mehr und mehr in den ungewöhnlichen Werdegang Pieris ein, der zusammen mit den French-Connection-Brüdern Guérini und den Sozialisten des langjährigen Bürgermeisters Defferre bei der Befreiung gegen Nazis und Vichy-Schergen kämpfte. Die Guérini Brüder stellten in der Nachkriegszeit auch gern mal das ein oder andere antikommunistische Kommando wie 1947 und 1950 bei den großen Hafenarbeiterstreiks in Marseille. Die Guérinis und ihre Soldaten waren die Avantgarde des antikommunistischen Kampfes vor Ort, sehr zum Gefallen der CIA, die deshalb auch gerne bei ihren Geschäften beide Augen zudrückte.
Postkolonialer Wind
In diesem Roman wird nicht wie so häufig Polizei und Milieu gleichgesetzt, sondern – Manotti ist schließlich Wirtschaftshistorikerin – die Industrie, ihre Methoden und das Milieu. Sie stellt die Hypothese auf, dass jede neue Industrie mit ihrer Form der ursprünglichen Akkumulation sich krimineller Methoden bedient, um ins Geschäft zu kommen. So verwischen sich die politischen Fronten auch ganz und gar, Israel kauft Erdöl beim Schah von Persien. Wie bereits in anderen Manotti- Romanen spielt ein eleganter, so geheimnisvoller wie skrupelloser iranischer Geschäftsmann die Rolle des entscheidenden Vermittlers. Der Iran, damals noch in Konflikt mit den arabischen Mächten, suchte einen „dritten Weg“, um seine Geschäfte zu machen, ohne die pro Amerikaner und die Nasserunterstützer, d. h. die neuen selbstbewussten postkolonialen Politiker.
Trotz der bei Manotti garantierten Spannung scheint die Autorin sich zwischendurch gefragt zu haben, ob sie nicht doch lieber ein Sachbuch zur Entwicklung des Erdölhandels schreiben soll. Die Figuren sind bis auf den toten Pieri eher blass und blutleer geraten und im Vergleich zu anderen Romanen spielen Frauen eine untergeordnete Rolle, auch wenn die zarte Maklerbraut am Ende noch ihren Ehemann überrascht. Was Manotti meisterhaft gelingt, ist die Schilderung eines Jahrzehnts, in dem noch viel möglich schien und durch das ein postkolonialer Wind wehte.
Elfriede Müller
Dominique Manotti: Or noir (Schwarzes Gold). Roman. Paris: Gallimard Série Noire 2015. 332 Seiten. 17,50 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Dominique Manottis Homepage. Elfriede Müller bei Europolar.