Geschrieben am 31. Mai 2014 von für Bücher, Crimemag

Dominique Manotti: Ausbruch

Dominique_Manotti_AusbruchRomane schreiben!

Klassenkampf, das Lieblingsthema von Dominique Manotti, kann oft eine sehr ernsthafte Angelegengheit sein, obwohl ihre einschlägigen Politthriller einen manchmal sehr eisigen Witz haben. In ihrem neuen Roman „Ausbruch“ macht sich Dominique Manotti offen lustig – auch über eine gewisse Art des Schreibens. Joachim Feldmann stellt eine neue Facette der großen französischen Schriftstellerin vor.

Italien im Februar 1987. Seit einem halben Jahr teilt der junge Kleinkriminelle Filippo Zuliani mit Carlo Fedeli, einem ehemaligen Angehörigen der Roten Brigaden, die Zelle. Carlo ist ein großer Erzähler. Jeden Abend lauscht Filippo gebannt den Geschichten des Politaktivisten, fiebert mit, wenn dieser in grellen Farben die Kämpfe der 60er und 70er Jahre schildert. Und erfährt, ohne es zu ahnen, bereits seine Initiation als Schriftsteller. Denn der hoffnungsvoll begonnene antikapitalistische Aufstand scheiterte, glaubt man Carlo, nicht in erster Linie an den politischen Machtverhältnissen, sondern an der unzureichenden Sprache seiner Protagonisten:

„Die alte Welt geriet durch unsere Aktionen aus den Fugen, wir erlebten den Ausbruch einer neuen Zeit, aber wir fanden nicht die richtigen Wort und Sätze, um die Welt, die wir erdachten, zu beschreiben und ein ganzes Volk in dieses Abenteuer mitzureißen […] Hätte es in unseren Fabriken einen Victor Hugo gegeben, um von unseren Heldentaten zu erzählen, stell dir das nur mal vor … unser Schicksal wäre vielleicht ein anderes gewesen.“

Filippo ist schwer beeindruckt. Als Carlo aus dem Gefängnis flieht, schließt er sich spontan an, obwohl er gar keine lange Strafe mehr hätte absitzen müssen. Dann trennen sich die Weg der beiden. Carlo überfällt in Mailand eine Bank und kommt dabei ums Leben. Filippo aber macht sich auf den Weg nach Paris, wo italienische Revolutionäre im Exil von den großzügigen Asylbestimmungen des französischen Staates profitieren. Dem unpolitischen Flüchtling begegnen sie eher misstrauisch, dennoch wird ihm Arbeit als Wachmann vermittelt. Nun sitzt Filippo Nacht für Nacht in einem Büroturm und langweilt sich. Um seine Französischkenntnisse zu verbessern, beginnt er zu schreiben. Dann ist plötzlich diese Geschichte da. Filippo beginnt, seinen Ausbruch aus dem Gefängnis zu beschreiben. Aber weil die Fakten so dürftig sind, erfindet er Dinge dazu. Schließlich hat er schon ein Lesepublikum vor Augen, nämlich die beiden skeptischen Genossinnen, denen er seinen neuen Job verdankt. Die will er beeindrucken und dafür braucht es Heldentaten.

Dominique Manotti (2006) (Quelle: wikimedia commons) http://de.wikipedia.org/wiki/Dominique_Manotti

Dominique Manotti (2006) (Quelle: wikimedia commons)

Satire …

Dominique Manotti, bislang als engagierte Autorin erstklassiger Politthriller bekannt, verlässt für ihren neuen Roman „Ausbruch“ das angestammte Genre nicht ganz, fügt aber auf elegante Weise ein neues Element hinzu, und zwar die literarische Satire. Filippos Werk beeindruckt nämlich nicht nur eine der beiden Damen, wie er es sich während der langen Nächte im Büroturm vorgestellt hat. Flugs wird aus dem Erzählungsmanuskript ein Buch, das schon vor Erscheinen Aufmerksamkeit erregt. „Unbedingt lesen“, schließt die erste Rezension in der „Welt der Bücher“, weitere enthusiastische Besprechungen folgen. Der junge Mann, den manche bei der ersten Begegnung für einen „sprachgestörten Analphabeten“ gehalten haben, entpuppt sich als schriftstellerisches Naturtalent. Der ehemalige Handtaschendieb wird zum Darling des Literaturbetriebs. Dass seine Erzählung in weiten Teilen reine Fiktion ist, stört niemanden, lieber mutmaßt man über den Grad ihres Wahrheitsgehaltes. Das gilt allerdings auch für die Polizei, die noch immer auf der Suche nach Carlos Komplizen bei dem Bankraub ist.

Tatsächlich ist auch hier wenig, wie es scheint. Des Rätsels Lösung liegt in den frühen 70er Jahren, als sich Teile der extremen Linken Italiens zum bewaffneten Kampf für ihre Ziele entschlossen, während auf der anderen Seite rechtsradikale Terroristen und Geheimdienste ebenfalls wenig Skrupel in der Wahl ihrer Mittel bewiesen, Bombenattentate eingeschlossen. Manotti versteht es, die Aufklärung dieser Zusammenhänge auf gewohnt packende Weise in die fiktive Handlung zu integrieren. Und wer sich für die historischen Fakten interessiert, findet im Anhang zum Roman ein entsprechendes Dossier.

Ironie

Im Zentrum des Buches allerdings steht die Erzählung vom märchenhaften Aufstieg und jähen Ende des autodidaktischen Schriftstellers Filippo Zuliani. Auch hierzulande sind Phänomene dieser Art ja nicht unbekannt. Gelegentlich giert der Betrieb nach Authentizität, und dann ist schnell ein unverbildetes Naturtalent zur Stelle, das dieses Bedürfnis erfüllt. Dominique Manotti ironisiert diesen Mechanismus, ohne ihren Protagonisten lächerlich zu machen, so wie sie überhaupt, trotz aller satirischen Übertreibung, nie den Respekt vor ihren Figuren verliert. Deshalb sollte man über die Schlussworte des Romans, gesprochen von einer Politaktivistin im Ruhestand, durchaus ernsthaft nachdenken: „Dieser Kampf ist verloren. Wenn ich versuchen will, unsere Vergangenheit zu retten, bleibt mir nur eins. Romane schreiben.“

Joachim Feldmann

Dominique Manotti: Ausbruch. Kriminalroman (L’évasion. 2013). Aus dem Französischen von Andrea Stephani. 254 Seiten. Hamburg: Argument Verlag 2014 (Ariadne Krimi 1218). 17,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Dominique Manotti hier. Joachim Feldmann bei Am Erker.

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