Geschrieben am 5. Juli 2016 von für Bücher, Litmag

Prosa: Saša Stanišić: Fallensteller

Stanisic_FallenstellerImmens schöne tragische blöde glückselige Geschichten

Von Frank Schorneck

Die Uckermark lässt Saša Stanišić nicht los: Die titelgebende und mit fast 90 Seiten auch längste Geschichte seines aktuellen Erzählungsbandes „Fallensteller“ führt zurück in das Dorf Fürstenfelde, dem Handlungsort seines mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten zweiten Romans „Vor dem Fest“. Hier sitzen und trinken sie wieder in Ullis Garage: Lada, Ditzsche und der stumme Suzi. Der alte Schramm taucht wieder auf und Frau Kranz bearbeitet die Staffelei. Vor allem aber ist da wieder das erzählende „wir“, der kollektive Erzähler, der bereits in „Vor dem Fest“ für eine eigentümliche – zugleich intime wie auch verschworene – Erzählatmosphäre sorgte.

Stanišić nimmt sich selbst und seine rund vierjährige Recherche im realen Fürstenwerder aufs Korn, denn der „Jugo-Schrifsteller“ ist nun weg und auch die auf seinen Spuren folgenden Literatur-Touristen hat man überstanden. Schlichtweg genial ist hier das Spiel mit der Wechselwirkung von Realität und Fiktion: „Auch die Heimatstube war beliebt, weil da im Buch im Keller irgendwas passiert. Es gibt aber gar keinen Keller unter der Heimatstube. Und Ulli heißt auch nicht Ulli. Aber seit Meerettich-Micha, der im Buch Meerrettich-Micha heißt, so was kannst du dir nicht ausdenken, uns das erzählt hat, dass also Torsten in dem Buch Ulli heißt, heißt Torsten auch bei uns Ulli. Findet er bescheuert, haben wir also beibehalten.“ Und wieder schleichen sich unter diesen plaudernden, von Beobachtung zum Hörensagen schwankenden Tonfall Elemente des Surrealen, zerfließen die Grenzen zwischen Realität und Phantasterei: Ein seltsamer Fremder steht eines Tages vor der Garage, ein Fallensteller, der sich zunächst des Rattenproblems (das der Schriftsteller in seinem Roman verschwiegen hatte) annehmen will und die Lösung vieler weiterer Probleme verspricht. Wie eine Mischung aus dem Rattenfänger von Hameln und Leland Gaunt, dem unheimlichen Ladenbesitzer aus Stephen Kings Roman „Needful Things“, lässt der Fallensteller die Abgründe hinter der dörflichen Kulisse hervortreten.

Verspielt, mit tiefen Gefühlen

Neben diesem Spin-off seines erfolgreichen Romans entwickelt Stanišić in seinem Erzählband zwei weitere Erzählstränge, die er wie Fortsetzungsgeschichten auf jeweils drei Texte verteilt. Zwar können diese jeweils für sich stehen, fügen sich aber jeweils zu einem größeren Ganzen: Da sind Mo und ein namenloser Ich-Erzähler, zwei junge Männer mit Migrationshintergrund, die je nach Situation mit ihren Identitäten spielen und ihre Mitmenschen so manipulieren. In einer Erzählung mischen sie sich unter Menschenrechtsaktivisten auf einem Rheinfloß, in einer anderen unter das Vernissagenpublikum in einer Stockholmer Galerie. Sie sind stets auf der Suche nach kostenlosen Häppchen, aber auch nach Liebe und Abenteuer. Ein Running Gag ist Mos Frage nach dem Viertel, das man meiden solle – was dann zum nächsten Ziel erklärt wird. Während die erste dieser Erzählungen, „Die immens schönen tragischen blöden glückseligen deutschen Flüsse“, sich recht unverhohlen über in ihrem kleinen Kosmos gefangene Menschenrechtsaktivisten lustig macht, fügen sich die beiden anderen Erzählungen zu einer Geschichte über Kunstraub und Erpressung, wie sie stoischer und pointierter auch von den Coen-Brüdern nicht hätte erzählt werden können.

Drei andere aufeinanderfolgende Erzählungen begleiten Georg Horvath auf einer ungewöhnlichen Reise. Im Auftrag einer Brauerei fliegt er nach Brasilien, wo es aber zu einer folgenschweren Verwechslung kommt und er sich mit dem falschen Fahrer auf eine absurde Reise zu einem unbekannten Ziel aufmacht. Auch als er den Irrtum erkennt, macht er keine Anstalten, die Route zu ändern. Als wäre die Fahrt nicht bereits irrwitzig genug, erzählt er dem lediglich mit „Si“ und „No“ reagierenden Chauffeur von einem Erlebnis auf einem Kongress in Bukarest, das kafkaeske Züge aufweist. Kaum hat der Leser für sich gedacht, an welchen Prager Autor ihn die Szenerie erinnert, vernimmt auch Horvath auf dem Kongress die Worte „kafkaeskul“ und „groteskul“ in einem auf Rumänisch gehaltenen Vortrag.

In Stanišićs Geschichten wird gezaubert und getrickst, Illusionen werden erzeugt und wieder zerstört – und der doppelte Boden steckt in der Sprache, die der Autor mit viel Fingerspitzengefühl und großer Sorgfalt zu beherrschen weiß. Am beeindruckendsten jedoch ist die abschließende Story, die zunächst wie eine flirrend sommerliche Urlaubsgeschichte beginnt, sich aber zu einer Geschichte der Flucht und vor allem einer poetischen Liebeserklärung eines Enkels an seinen Großvater entwickelt – mit tiefen Gefühlen, aber gänzlich ohne Kitsch.

Frank Schorneck

Saša Stanišić: Fallensteller. Geschichten. Luchterhand 2016. 288 Seiten. 19,99 Euro.

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