Geschrieben am 24. Januar 2015 von für Bücher, Crimemag

Michael Behrendt: Steinefresser

Behrendt_Michael_Cover_SteinefresserOrwells harte Männer jetzt auch in Berlin?

– Michael Behrendts SEK-Roman „Steinefresser“. Ein Verriss von Alf Mayer.

„Um den Frieden in unserer Gesellschaft und Ihre Nachtruhe nicht zu beeinträchtigen, sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die handelnden Personen in diesem Roman womöglich frei erfunden sind und Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig sein könnten“, steht dem Buch voran, ergänzt von einem Goethe-Zitat: „Drei sind es, die da herrschen auf Erden: die Weisheit, der Schein und die Gewalt.“ Die Widmung gilt „Meinen Verrückten. Besonders einem.“ Ein ausdrücklicher Dank geht an Christiane-F.-Biografin Sonja Vukovic, „eine der wenigen jungen Journalistinnen, die sich in unserer mehr und mehr verkommenen Branche treugeblieben sind. Ohne sie würde es dieses Buch nicht geben.“ Olli C. sei das „Cover und so mancher harte Haken“ zu verdanken.

Ganz schön muskulöser Anfang also, ehe die Karten gemischt sind. Auf der ersten gibt es einen dieser „Rauch und dichter Nebel lagen über den Spargelfeldern“-Prologe. Es ist Herbst im Beelitzer Land, der Vater eines kleinen Jungen wird abgeholt. Der habe sich das selbst zuzuschreiben, sagen „die Männer“. Irgendeine DDR-Vergangenheit wird also dräuend überm Buch hängen, sie bleibt aber dann über viele Seiten vage. Auch im ersten Kapitel – sie alle haben Überschriften, das hier heißt „Promenade“ – wird noch an Erzählschärfe und -tiefe hantiert. Es beginnt mit dem „unverwechselbar dumpfen“ Sound einer 9-Millimeter-Handfeuerwaffe, wenn sie in einem geschlossenen 7er BMW abgefeuert wird. „Dabei ist nichts dem Zufall überlassen“, steht da allen Ernstes, „schließlich tüfteln die Mathematiker und Maschinenbauer in den Entwicklungsabteilungen der Bayerischen Motoren Werke jahrelang an Rezepturen für den Klang, bevor ein neues Modell vom Stapel läuft. Ihre Erkenntnisse sind die einer geheimen Wissenschaft, die sich Psychoakustik nennt.“ Die kümmern sich auch, wie dann so ein Schuss im Wageninnern klingt – falls ein Journalist aus Berlin mal einen Krimi schreiben will? Die Psychoakustik womöglich auf verschiedene Kaliber abgestimmt? Bei den Tüftlern – ich habe einen Schwager in der Entwicklungsabteilung eines großen Kfz-Zulieferers – handelt es sich weniger um Maschinenbauer denn um Akustikingenieure, aber sei es drum. „Der Schuss war außerhalb des Wagens deshalb nur sehr gedämpft zu hören. Wer die Ohren spitzte, konnte seine Richtung orten. Aber es hörte niemand hin.“

orwell_tommyDackelgrimmi mit Enten und Schallelementen?

Warum dann dieser recht sinnfreie Einstiegsabsatz? Eine jener Freiheiten, die man sich als sonst vom Zeilenkorsett eingeschnürter Journalist beim Krimischreiben nehmen will? Ein Schuss also, in einem fetten BMW abgefeuert, und niemand hört hin. „Nur ein paar Enten wurden an diesem Abend aus dem Schlaf gerissen … Sie stellten bald fest, dass ihre Sorge unbegründet war. Sie kehren an ihre Schlafplätze zurück, landeten wie Wasserflugzeuge mit schräg gestellten Füßen … Der fußlahme Dackel, der sich wenig später in Begleitung einer ebenso gebrechlichen Gestalt dem Wasser näherte, war für sie keine Gefahr.“ Nachdem wir noch von Hedwig Gramkos gestorbenem Mann und seiner zerfressenen Lunge erfuhren, dann eine Stelle, bei dem ich beinahe ausgestiegen wäre: „Von einem pflichtbewussten Dackel hätte man erwarten können, dass er in diesem Fall (toter Fahrer überm Lenkrad, AM) Alarm schlug und versuchte, sein Frauchen vom Tatort wegzuziehen. Aber dem armen Kerl war auch das nun schon zu viel. Je früher es vorbei ist, desto besser, schien auch der Dackel sich zu denken.“

Das steht da so. Ich schwör’s. Ein Dackelgrimmi mit Enten und Schallelementen?

Ich brauchte Mut und guten Willen, um Kapitel 2 aufzuschlagen. „Schacht“ betitelt. Da war er dann endlich, ab Seite 16, SEK-Veteran Wolf Schacht, „der härteste Ermittler, den Berlin je hatte“, so das Klappentext-Versprechen. Es sind die Tage vor dem 6. April, vor dem Uli-Tag, seitdem nichts mehr so wie früher ist. Ulis Kollegen geht es schlecht an diesen Tagen, jeder reagiert darauf auf seine Art, wird uns gesagt. Die Erzählkonvention lässt erwarten, dass wir das noch ausführlicher erfahren werden. Was immer an jenem 6. April geschah, es war sicher spannender als so ein Dackel- oder Enten-Innenleben. Wir lesen vom Schacht-Kollegen Quiquek (tatsächlich nach einer Figur aus Melvilles „Moby Dick“ benannt; später wissen wir, warum), der vor einem Jahr „einen russischen Zuhälter, der eine seiner Botox-Nutte ausführte“, böse aufgemischt hat. Schacht wälzt sich im Bett, stöhnt unter seinen Erinnerungen, denkt an Quiquek, mit dem sie damals dann in eine andere Bar weitergezogen waren. „Sie suchten keine Opfer, sie suchten Gleichgesuchte. Gladiatoren, wie sie selbst.“

Schacht ist „ein Gefahrensucher, sonst hätte er sich nicht für diesen Beruf entschieden“. Aber er will nicht mehr, sucht einen Ausstieg. Davor war er Bereitschaftspolizist gewesen. „An der Front, wann immer in Berlin Demonstrationen eskalierten. Steine fressen, nannte man das in ihrer Sprache – allerdings waren es auch manchmal Molotowcocktails und Flaschen, seltener Stahlkugeln, von Handzwillen abgeschossen.“ Schacht stöhnt und geht zur Stereoanlage, legt eine CD von Johnny Cash ein. Ain’t no grave hold this body down. Hymne aller Totgeweihten. Marschlied der Gladiatoren. Schacht beschloss, nur einfach dazusitzen und den kommenden Morgen zu erwarten.“

BREAKERMORANT1SHW„Genauer gesagt, im Schritt …“

Inzwischen sind wir auf Seite 19, angekommen in einer Mike-Hammer-Welt, in der der Autor sich erkennbar wohlfühlt. Kerle sind hier Kerle und Frauen wie Kommissarin Beate landen mit Schacht so heftig im Bett, dass es aussieht, als hätten sogar „die Waffen versucht zu kopulieren“. Eine Edelnutte sagt: „Ich bin in meinem Gewerbe sozusagen ein Porsche. Wer mich fahren will, muss den Sprit zahlen.“ Damit sich die heiße Holly im Kapitel „Schaum“ im Bade fingern und dabei fragen kann, ob man sich und seiner Klitoris selbst einen Orgasmus vorzutäuschen vermag, wird für diese Nebenfigur extra die Erzählperspektive gewechselt. Eine andere Komparsin begegnet Schacht so:

„Die Brustwarzen drängen gen Himmel, aber das war egal. Die Frau hatte kurze, schwarze Haare, war dezent und trug eine Sekretärinnenbrille, die ihr etwas Kesses, Respektloses verlieh. Zwischen ihren Schenkeln, genauer gesagt im Schritt, konnte Schacht genau jene fünf Zentimeter Platz erspähen, für die bei einer Frau zwei Dinge nötig sind: Veranlagung und unermüdliches Training. Schacht spürte dass sein Blut in Wallung geriet.“

Er wird ihr das später heimzahlen, sie hatte mit dem Toten aus dem 7er BMW ein Fickverhältnis, indem er sie äußerst ruppig darüber informiert, dass der Tote HIV positiv war. Dieser Tote, ein ehemaliger Kollege von Schacht, der als Personenschützer den Innenstaatssekretär fährt, ist der MacGuffin des Plots. Brettschneider hieß er, sein Chef Tiedge ist der neue heiße Shit und als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgesehen. Als BKA-Bulle hat er „gegen die Organisierte Kriminalität gekämpft, auch gegen die fortbestehenden Strukturen der DDR-Staatssicherheit im wiedervereinigten Deutschland. SED-Vermögen, Finanzkriminalität. Schacht könne sich gar nicht vorstellen, dass diese alte Genossen noch Jahre nach der Wende aktiv seien. Vielleicht sogar auch folgende Generationen.“

Breaker_Morant dvdDer MacGuffin: Rosebud, Koffer und die Stasi

Puh. Achtung Spoiler! 25 Jahre nach der Wende wehen einen solcherlei Enthüllungen natürlich um. Sen-sa-tio-nell! Später wird noch von der „Akte Rosenstolz“ geraunt und dem ach so unbekannt gebliebenen tüchtigen Auslandsdienst der Stasi. Alte Herren ziehen Strippen und erpressen mit kinderschänderischem Altmaterial der Stasi. Sen-sa-tio-nell! Gut, dass uns die Vorworte gewarnt haben. Unterwanderte Republik. Oh weh und gähn. „Es gibt immer noch sehr viele West-Agenten der Stasi, die von den Obersten aus der Hosentasche geführt wurden“… und vielleicht dazu erpresst werden, Minister zu werden. Ah ja? Jetzt soll ich als Leser zittern? Nur weil das da steht? Vorsichtig geraunt natürlich. Und dann, Achtung Hauptspoiler, ist der Auftraggeber der Schacht-Sonderermittlungen natürlich selbst der Oberböse. Wie raffiniert. Und abgründig. Schauder. Wuuuh.

Dem Suspense des Buches zuträglich fand ich den MacGuffin von „Steinefresser“ nicht sonderlich. Olle Kamellen und ein Toter, der ein Arschloch war. Der Titel selbst versucht auch die MacGuffin-Masche – die steinefressenden Bereitschaftspolizisten kommen nur am Rande vor, die Hauptfigur Schacht will eben jener Vergangenheit entkommen, hospitiert in der Mordkommission und denkt (prompt) in jeder Kritik zitierbare Sätze wie: „Dass Berlin arm war, sah Schacht jeden Tag, auch wenn sein Team schon so manchem Millionär die Türen eingetreten hatte. Dass Berlin sexy war, fand er nicht. Womöglich trieb er sich in den falschen Gegenden herum.“ (Wäre ein schöner Anfang gewesen, steht aber erst auf Seite 81.)

Wie bei Hitchcock haben wir es eben mit mehr oder weniger beliebigen Erzählelementen zu tun, die schlicht die Handlung antreiben sollen, ohne selbst von besonderem Interesse zu sein. In seinem berühmten „Wie haben Sie das gemacht?“-Interview mit François Truffaut erklärte Hitchcock das 1966 so:

„Es könnte ein schottischer Name sein aus einer Geschichte über zwei Männer, die Zug fahren. Der eine Mann fragt: ‚Was ist das für ein Päckchen in der Gepäckablage? Nun, sagt der andere Mann, das ist ein MacGuffin. – Was ist ein MacGuffin? – Ein MacGuffin ist ein Apparat, um im schottischen Hochland Löwen zu fangen. – Aber im schottischen Hochland gibt es doch gar keine Löwen. – Nun, dann ist es eben auch kein MacGuffin.‘ Sehen Sie, ein MacGuffin ist gar nichts.“

Der Tote aus dem Schallingenieurs-BMW befindet sich hier in Gesellschaft der Falken-Statue in „Die Spur des Falken“, all der Koffer in „Pulp Fiction“, „Ronin“, „No Country for Old Men“ und dessen Vorläufer in Robert Aldrichs „Rattennest“, des Wortes „Rosebud“ in „Citizen Kane“, des Teppichs aus „The Big Lebowski“, der „Hasenpfote“ aus „Mission: Impossible III“, des Kästchens aus „Belle de Jour – Schöne des Tages“ und des Rings in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, den Slavoj Žižek einmal als den „größten MacGuffin aller Zeiten“ bezeichnete. Am Ende von „Ronin“, wo sich um den Koffer verschiedene bleireiche Verwicklungen von Verrat und Gegenverrat herausgebildet hatten, wird der Protagonist gefragt: „Und, was ist nun in dem Koffer?“ Er antwortet: „Habe ich vergessen.“

orwell 1984_cover„Wie ein entfesselter Pitbull …“

So viel zum Plot von „Steinefresser“. Was diesen Roman interessant macht, ist in der Tat die Hauptfigur, auch wenn der Autor den Einfall hatte, sie ihrem Milieu entkommen lassen zu wollen: „Wolf Schacht, Führer des 3. SEK-Teams und Praktikant bei der 5. Mordkommission“, wie es auf Seite 294 heißt. Behrendt ist Chefreporter der Berliner Morgenpost, leitet dort auch die Polizeiredaktion, verfügt „als Investigativer über Insiderwissen der Berliner Polizeiszene“, verkündet der Buchumschlag. Er weiß nicht nur, dass auch ein kräftiger Mann wie Schacht die doppelte Schwingtür zum Berliner LKA mit beiden Händen aufschieben muss oder dass die Sig Sauer 2/26 die Einheitswaffe der Berliner Polizei ist. Behrendt zeichnet eine Polizeirealität, die der „Tatort“ nur äußerst selten zu zeigen wagt und das mit allerlei anderen dummen polizeilichen „Alleingängen“ übertüncht. Bei Behrendt bekommen „die Richtigen“ es durchaus auf die Nuss, einfach so nebenbei, wie etwa jener Fadi Brahim, „Akte bei der Staatsanwaltschaft, Dezernat ‚Arabische Großfamilien‘“, dem Schacht im Fitness-Studio gegen die Kniescheibe tritt und sagt: „Pass auf du Penner …“ Oder wie etwa jene Rocker, die von den SEK-Männern mitten in der Vergewaltigung einer jungen Rumänin gestellt wurden (S. 122 ff.) und gefesselt auf dem Boden liegen:

„Schacht hatte zuerst den Helm abgenommen und durch den Stoff seiner Maske einen Funkspruch abgesetzt: man brauche nach „massiven Widerstandshandlungen“ mindestens drei Krankenwagen und einen weiteren Rettungsarzt. Ein Blick in die Runde. Keine Worte, die brauchten sie nicht… Schacht nahm Anlauf und trat einem der Kinderschänder den Stiefel in die Niere. Der Mann krümmte sich vor Schmerzen. Schacht riss ihn mit beiden Händen hoch und rammte ihm den rechten Ellenbogen ins Gesicht. Der Rocker stöhnte leise, lauter hörte man Zähne splittern … Schachts linke Hand raste auf das linke Schlüsselbein nieder. Es brach wie ein gefrorener Birkenzweig … Quiquek ging los wie ein entfesselter Pitbull …“

Ein faules Gebiss wird zertrümmert, Schultergelenke ausgekugelt, Knochen gesplittert. „Heute gab es keine Gnade, das Mädchen, entführt aus Rumänien und zu Tode vergewaltigt in Berlin, forderte ein Sühneopfer.“ Behrendt lässt seine Rambos und Mike Hammers noch weiter gehen. Einem arabischen Dealeranführer steckt er die Sig Sauer tief in den Rachen und sagt: „Sehe ich einen von euch Arschfickern hier jemals wieder, werde ich euch töten. Einen nach dem anderen. Ich stecke euch die Knarre in den Arsch und drücke ab. Ihr werdet innerlich verbluten, und das dauert lange.“ Der Anführer nickt beteuernd, bewegt aber kaum mehr als seine Augenlider (Nicken mit den Augenlidern?). Und wisst ihr was, fährt Schacht fort: „Wir Bullen halten zusammen, wenn ich einen von euch Pennern umniete, wird mir keiner ans Bein pissen. Also geht. Kommt nie wieder. Oder sterbt.“

breakermorantposter„Weil harte Männer bereitstehen …“

Der Frau, der Schacht nachtrauert, der australischen Botschafterstochter Alice (mit natürlich „Haaren bis fast zum Arsch“), wird in den Mund gelegt, dass es ihm und seinen Männern nur um das Spiel ginge, „das Männer spielen, seitdem sie aufgehört haben, gemeinsam Mammuts zu jagen. Gut gegen Böse. Mann gegen Mann. Ihr hättet Soldaten werden sollen. Ihr hättet in echte Kriege ziehen sollen.“ (S. 150) 82 Seiten später taucht sie dann auf, jene Episode – an der nach heutigen Fiktional-Schätzungen als Eckstein jedes vernünftigen deutschen Männerkrimis wohl an die 250 Krimi-Polizisten beteiligt gewesen sein müssen: das „Special Team 6“, eine Einheit aus Angehörigen der Spezialeinheiten des Bundeswehr, die „in Bosnien Kriegsverbrecher jagten … Notfalls würden sie auch töten, aber das wurde in den Vorschriften nicht erwähnt. Er hatte an den Massengräbern gestanden und die Pestilenz des Todes eingeatmet.“

Schacht, so will es sein Schöpfer Behrendt, „war einer von sechs Deutschen gewesen, die in dieser Dienstperiode im Einsatz waren. Es gab auch drei GSG9-Beamte und einen Fernspäher der Bundeswehr. Und Quiquek.“ Das UN-Abzeichen auf die Uniformschulter genäht, hatte der eine Pistole auf das Knie eines serbischen Offiziers gehalten, dann abgedrückt. Schacht, die Frage wiederholend, seine Pistole an der Schulter des Mannes. (Lassen wir es dabei, ich bemühe nicht den Mann meiner Lieblingscousine, der als Zeugmeister solche Bosnien-Spezialkräfte ausrüstete und mehr als eine Geschichte hörte.) Alice ist es wieder, die Idealfrau, die solch Männerzeugs auf den Punkt bringt. Mit einem Orwell-Zitat, soweit Schacht sich vorgeblich vage erinnert: „Die Menschen schlafen nachts nur deshalb friedlich in ihren Betten, weil harte Männer bereitstehen, um für sie Gewalt auszuüben.“

kipling poems_… und woher das wirklich stammt

Dieses auf allerlei Soldatenseiten populäre Zitat wird auch nicht dadurch wahrer, dass Tom Clancy es 2003 seinem Jack-Ryan-Roman „Im Augen des Tigers“ voranstellte. Schacht hätte, was er als angehender Polizeiermittler gerne tut, ruhig mehr googeln sollen. Dort würde ihn der „Quote Investigator“ aufklären, dass Orwell dafür bestenfalls als Kipling-Rezipient in Haft zu nehmen wäre, weil er sich 1942 in einem Essay über Rudyard Kipling auf dessen Gedicht „Tommy“ aus dem Jahr 1890 bezog. Die all die falsche Zuschreibung auslösende Original-(Gedichts-)Stelle lautet:

„O makin’ mock o’ uniforms that guard you while you sleep
Is cheaper than them uniforms, an’ they’re starvation cheap…“

Orwell meinte dazu: „A humanitarian is always a hypocrite, and Kipling’s understanding of this is perhaps the central secret of his power to create telling phrases. It would be difficult to hit off the one-eyed pacifism of the English in fewer words than in the phrase, ‘making mock of uniforms that guard you while you sleep’.

Im gleichen Text ging Orwell noch einmal darauf ein, und zwar mit dem Satz: „He sees clearly that men can only be highly civilized while other men, inevitably less civilized, are there to guard and feed them.“

1945 listete Orwell in seinem Essay „Notes on Nationalism“ fünf Typen von Nationalisten auf, darunter den irischen, den trotzkistischen und den Pazifisten: „PACIFIST. Those who ‚abjure‘ violence can only do so because others are committing violence on their behalf.“

Danach war beinahe 50 Jahre Ruhe, bis 1981 der Filmkritiker Richard Grenier in einer Besprechung des Kriegsverbrecher-Films „Breaker Morant“ im „Commentary Magazine“ den Begriff „rough men“ verwendete, deren Taten von eben jenen, die sie ins Feld schickten, plötzlich abstoßend gefunden werden. Grenier bezog sich dabei auf das Kipling-Gedicht, die Überschrift der Filmbesprechung lautet: „The Uniforms That Guard Us“. Am 6. April 1993 veröffentlichte Grenier einen Zeitungsartikel in der „The Washington Times“, in dem es – ohne Anführungszeichen, die ein direktes Orwell-Zitat kenntlich machen würden – hieß:
„When the country is in danger, the military’s mission is to wreak destruction upon the enemy. It’s a harsh and bloody business, but that’s what the military’s for. As George Orwell pointed out, people sleep peacefully in their beds at night only because rough men stand ready to do violence on their behalf.“

kipling_barrackroomballads_fecd253Auch Churchill soll’s erfunden haben

1999 gelangte diese Zuschreibung nach England, in die „Sunday Times“, wo Andrew Roberts in einem Kommentar vom 17. Januar schrieb: „We have forgotten George Orwell’s chilling truth: „People sleep peacefully in their beds only because rough men stand ready to do violence on their behalf.

Am 5. Dezember 2004 machte Roger Cohen in einer Kolumne in der „New York Times“ daraus eine Orwell „oft zugeschriebene“ Version: „They might care to use a quotation often attributed to George Orwell: „People sleep peaceably in their beds at night only because rough men stand ready to do violence on their behalf.“

In jüngeren Jahren wurde das Zitat dann öfter Winston Churchill zugeordnet – nicht dass es dafür mehr Berechtigung gäbe, als dass auch er ein Kipling-Leser war. So etwa von Peter Kirsanow am 11. September 2006 in der „National Review Online“ unter der Überschrift: „The Real Jack Bauers“: „While it may be apocryphal, Winston Churchill is often quoted as having said (supposedly paraphrasing Orwell): „We sleep soundly in our beds because rough men stand ready in the night to visit violence on those who would do us harm.“

Männer wie Jack Bauer aus „24“ und mehr noch Mickey Spillanes Mike Hammer (siehe dazu den CM-Klassiker-Check), die schweben Michael Behrendt vor. Oder es gibt sie eben tatsächlich, beim Berliner SEK. Band zwei ist schon angekündigt, Titel „Gefahrensucher“, eine Trilogie geplant. Erotiksternchen und Busengröße Micaela Schäfer findet den Ermittler Wolf Schacht knüppelhart und ließ sich bei der Lektüre in der Badewanne fotografieren.

Wer sich beeilt und bis 30.1.2015 eine Kaufquittung vorzuweisen vermag, kann sogar einen Nachmittag oder Abend mit ihr gewinnen beim großen „Steinefresser“-Gewinnspiel. „Erster Preis: Eine 5-Tage-Luxusreise nach Dubai, inklusive Flug, Vollpension und einem Nachmittag mit Micaela Schäfer. 2. bis 5. Preis: Ein echtes SEK-Training mit ehemaligen SEK-Beamten. Für ALLE Teilnehmer gibt es eine exklusive Autogrammkarte von Micaela Schäfer.“

Dagegen verblasst sogar mein Lieblingssatz aus „Steinefresser“: „Nehmt mal Haltung an, ihr Klappstühle!“

Alf Mayer

Michael Behrendt: Steinefresser. Schacht ermittelt. Berlin: Deutscher Levante Verlag 2014. Broschiert. 320 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor. Ermitler Wolf Schacht aus Facebook.

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