Geschrieben am 9. August 2014 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Klassiker-Check: „I, the Jury“ von Mickey Spillane

Spillane_ich der richter1 Buch, 3 Kritiker

– 1947 erschienen, galt und gilt „Ich, der Richter“, so der deutsche Titel, als „Skandalbuch“, hauptsächlich weil der Held Mike Hammer am Ende der bösen, blonden, schönen und intellektuellen Mörderin seines Freundes mit dem Kommentar „Es war leicht“ („It was easy,“ I said) eine 45er Kugel in den Unterleib schießt. Aber ist eine Stelle genug, um daraus ein verfemtes, gehasstes und also hochgradig provozierendes Buch zu konstruieren? Rotbuch hatte es 1996 noch einmal versucht, den Roman als Opfer der Zensur darzustellen – ohne großen Erfolg. Seitdem geistert es mehr oder weniger als „Legende“ durch die Gegend. Um uns ja nicht zu irren, haben wir unseren Klassiker-Check abgesichert – statt einer gleich drei Positionen zum Werk, drei verschiedene Perspektiven, drei Lektüreerfahrungen auf drei verschiedenen Hintergründen. Von Joachim Feldmann (JF), Marcus Müntefering (MM) und Thomas Wörtche (TW).

Joachim Feldmann

Joachim Feldmann

Vollkommen bescheuert?

(JF) „Bei Gott, dass Weib ist schön. Hinreißend in seiner Angst. Es scheint Warttenberg merkwürdig vertraut – aber dann erinnert er sich: Bilder gaukeln ihm vor – die alten Holzschnitte in der großen Familienbibel der Warttenbergs oben in Großmutters Stube –. so sehen sie aus, diese schönen alttestamentarischen Frauen – die Ruth, die Esther und die, die den Kopf des Johannes forderte: Salome, so steht das junge Weib oben im Fensterrahmen mit über den Kopf erhobenen nackten Armen, ein schmales glitzerndes Band um Stirn und Haar. „Vorsicht, Hans“, brüllt Warttenberg hinüber. Angst würgt ihm in der Kehle. Weiß selber nicht warum. Ihm ist’s, als sähe er alles, was da kommt und was dann abrollt: düsteres, unabwendbares Verhängnis.“

Ja, dem Weib ist nicht zu trauen, das wusste der nationalsozialistische Schriftsteller Friedrich Ekkehard (Pseudonym von Friedrich Barthel,1881 – 1960) gut. Schützen kann man sich vor seiner Tücke nur durch strengste Selbstdisziplin. Und indem man zuerst schießt. „Blitzschnell griffen ihre Hände nach hinten. Dort auf dem Tischchen lag ihr Revolver, entsichert und mit Schalldämpfer versehen. Aber bevor sie noch richtig auf mich zielen konnte, erschütterte das Donnern meiner Waffe den Raum.“ Hier kommt die Rettung noch rechtzeitig. Jedoch befinden wir uns nicht mehr in Ekkehards 1933 erstmals erschienenem, politisch einschlägigem Roman „Sturmgeschlecht“ über die Novemberrevolution von 1919, sondern in Mickey Spillanes Debüt als Krimiautor: „Ich, der Richter“. Hinlänglich bekannt ist die Schlussszene, in der Mike Hammer die Drogenhändlerin und Psychotherapeutin (!) Charlotte Manning exekutiert (und dabei „Notwehr“ für sich reklamieren kann).

Es fehlt hier der Raum, den noch immer berüchtigten Kriminalroman aus dem Jahre 1947 einer Analyse zu unterziehen, wie sie Klaus Theweleit in seinen „Männerfantasien“ (1977) einschlägigen faschistischen Texten gewidmet hat, doch der Ansatz ist verführerisch. Während sich Mike Hammer bei der Suche nach dem Mörder seines Freundes und Kriegskameraden Jack Williams immer weiter in einen Abgrund von Prostitution und Drogenhandel begibt, ahnt er nicht, dass die schöne Charlotte, die ihm beim ersten gemeinsamen Abendessen in rotumrandeter Schürze Brathähnchen mit Pommes serviert, ein gefährliches Doppelspiel treibt. Der harte Bursche verfällt dieser Femme fatale, die aussieht „wie ein gemeinsames Meisterwerk der größten Künstler der Welt“ und deren „pralle Brüste“ ein Eigenleben zu führen scheinen. Und so sieht auch Mike Hammer zunächst nicht, welches „Verhängnis“ auf ihn zurollt. Stattdessen schmiedet er Heiratspläne und ergibt sich den Avancen einer anderen Dame, die vorsichtshalber zur ausgewiesenen Nymphomanin erklärt wird, nur widerwillig, während er Charlotte auf die Zeit nach der Hochzeit vertröstet. Dazu kommt es natürlich nicht. Noch rechtzeitig gelingt es dem prinzipienfesten Ermittler, seine Geliebte als kaltblütige Mehrfachmörderin zu entlarven. Mit dem bekannten Ergebnis. Ist das nun faschistisch? Oder einfach nur bescheuert?

Wer heute „Ich, der Richter“ wieder zu Hand nimmt, kann nur staunen ob des nachhaltigen Erfolgs dieses doch leicht ranzig anmutenden Schund-Klassikers. Als Jörg Fauser vor 30 Jahren Mickey Spillane gegen seine Kritiker verteidigte, tat er dies in dem Bewusstsein, auf der ursprünglichen Rohheit des Genres als beständiger Provokation des bürgerlichen Literaturgeschmacks bestehen zu müssen. Während Chandler und Hammett längst durch Diogenes-Werkausgaben nobilitiert waren und linke Krimifans ihre Weltsicht bei Sjöwall/Wahlöö bestätigt fanden, erschienen die Mike-Hammer-Abenteuer noch immer in den einschlägigen Reihen bei Ullstein und Heyne als schnelles Lesefutter für Berufspendler. Inzwischen hat Spillane solche Verteidigung nicht mehr nötig. Selbst zum Klassiker geworden, widmete ihm der Rotbuch-Verlag sogar eine Werkausgabe mit Neuübersetzungen. Allein, die Nachfrage scheint gering. So schmerzlich es ist: Mickey Spillane ist zu einem Fall für die Literaturgeschichte geworden.

Joachim Feldmann

Zu Am Erker

Marcus.Müntefering

Marcus Müntefering

Zum Henker mit dem Richter!

„Wir können, was gut war, sowieso nicht wiederholen“ („Magnificent Obsession“, Fehlfarben)

(MM) Meine erste Reaktion auf TWs Vorschlag, Spillane wiederzulesen, war: Na klar, wird ja auch höchste Zeit, ist schließlich bald 30 Jahre her, und in meiner Erinnerung ist Spillanes Held Mike Hammer unscharf geworden, verblasst, und vor allem: nicht mehr zu unterscheiden von seinen Inkarnationen. Von Ralph Meeker, der ihn in Robert Aldrichs herrlich krudem Über-Noir „Kiss Me Deadly“ („Rattennest“) gespielt hat, und vor allem von Armand Assante, der mich eines Tages, Anfang der Achtziger aus der „Cinema“ anstarrte, ganz und gar Macho, und in mir den sofortigen Wunsch weckte, den Film „Ich, der Richter“ zu sehen, um mich dann vom Vorort-Punk zum coolen Detektiv/Killer zu mausern. Der Film war dann ziemlich doof, aber daraufhin begann ich, Spillane zu lesen. Nicht obsessiv, denn dass hier der Satz „Kennste einen, kennste alle“ gilt, war mir damals schon klar. Aber eben auch nicht folgenlos: Für eine Handvoll Jahre stritt sich Mike Hammer mit Philip Marlowe um den Part als role model No. 1 in meinem Leben. Was ein bisschen schizophren ist, denn außer dass beide Detektive und einem guten Tropfen nicht abgeneigt sind, haben sie wenig gemeinsam: Hammer teilt aus, Marlowe steckt ein, Marlowe folgt seinem Verstand und seinen Gefühlen, Hammer seinen Trieben, Marlowe ist ein Mensch, Hammer eine Maschine.

Auch wenn Marlowe mein Leben begleitet und ich Hammer mit den Problemen der Postpubertät abgelegt hatte, er war prägend für mich gewesen. Auch wenn ich nur selten an ihn gedacht habe in den vergangenen 25 Jahren, so ist er doch ein treuer Wegbegleiter in wirren Jahren gewesen. Deshalb war der erste Gedanke, nachdem ich es mir in meinem Sessel mit der Rotbuch-Ausgabe von „Ich, der Richter“ (und dem US-Original), Rye aus Utah und einer Packung Kippen gemütlich gemacht hatte: Oh fuck, du begehst einen Fehler. Denn die Wiederbegegnung mit einem Roman, einem Film, einer Schallplatte, mit Kulturprodukten also, die früher einmal große Bedeutung hatten, ist vor allem eins: riskant. Man läuft Gefahr, seine Erinnerungen zu torpedieren und somit vermeintliche Sicherheiten zu gefährden, die für das Selbstwertgefühl entscheidend sein können.

Spillane_i the juryJetzt aber zum Untersuchungsgegenstand: „Ich, der Richter“, im Original 1947 erschienen, Erstlingswerk des damals 29-Jährigen Mickey Spillane. Der Auftakt einer Reihe von zunächst elf Krimis mit dem Privatdetektiv Mike Hammer als Held (später sollten noch weitere, teilweise mit einem Co-Autor geschriebene Bücher folgen). Krimis, die nicht nur das Gemüt eines Hamburger Teenagers erhitzten, sondern weltweit für Entsetzen und Empörung bei den Kritikern sorgten und sich (zum Teil gerade deshalb) millionenfach verkauften. Hier soll nur kurz aus einem herrlichen Hassartikel zitiert werden, der von Joachim im Online-Archiv des „Spiegel“ entdeckt wurde (und Auslöser für diese Nostalgie-Trilogie war); 1953 (damals wurden „Spiegel“-Artikel, glaube ich, noch nicht namentlich gekennzeichnet) hieß es dort über Mike Hammer: „Er hat ein Gesicht, das eine Sonnenuhr zum Stillstand bringen würde, den Körper eines polnischen Hochofen-Stokers und das ethische Bewußtsein eines betrunkenen Kopfjägers. Er rast in einem hochgekitzelten Mercury-Wagen herum, ein selbsternannter Asphalt-Erzengel mit zwei Pistolen und dem sexuellen Appetit eines Eisenbahnwaggons voll griechischer Satyrn.“

Klingt aufregend? Mag sein, aber in Wahrheit, stellte sich bald, nachdem ich mit der Lektüre von „Ich, der Richter“ begonnen hatte, heraus, dass es 2014 deutlich mehr Spaß macht, der Rezeptionsgeschichte Mike Hammers zu folgen als seinen Abenteuern. Zum Beispiel die etwas unbeholfen betitelte Huldigung „Mein ist die Rache, spricht Mike“, die Jörg Fauser dreißig Jahre später verfassen durfte – im Auftrag des „Spiegel“: „Man mag von Spillane halten, was man will – diese Wirklichkeit hat er zwar vereinfacht, aber keinesfalls geschönt. In ihrer Art bringen seine Bücher es fertig, private Obsessionen so zu schildern, dass wir ihre Ursachen – die soziale Verrohung – deutlich erkennen, ein Verdienst, das doch angeblich nur Schriftstellern vorbehalten ist, mit denen sogar die Großwesire der Literaturkritik essen würden.“

Klingt für mich wie eine Rechtfertigung, die man vielleicht unbewusst sucht, wenn man diesen Schund gern mag. Ich kann nicht für Spillanes gesamtes Werk sprechen, aber „Ich, der Richter“ ist nichts anderes als die idiotische Verherrlichung eines ignoranten Daseins, eines unreflektierten, triebhaften Lebens, dumpf, banal und brutal. Dazu homophob, frauenfeindlich, verklemmt, spießig, kitschig und vor allem – unbeschreiblich langweilig. Mickey Spillane hat geschrieben wie eine schwanzgesteuerte Version von Ayn Rand. Und tatsächlich, eine schnelle Googlelei ergab, dass die Apologetin des radikalen Egoismus, die allen Neokonservativen und Wirtschaftsliberalen auch mehr als 30 Jahre nach ihrem Tod noch feuchte Träume beschert, nicht nur Hammer-Fan war, sondern auch seinen Schöpfer ziemlich attraktiv fand. Man darf froh sein, dass die beiden kein Kind gezeugt haben…

Marcus Müntefering

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WoertcheThomas

Thomas Wörtche

Old Lady Mickey

Nur der verkrüppelte Geist braucht den Selbsthaß, um sein geistiges Wesen, das die Unwahrheit ist, mit Brachialgewalt zu demonstrieren. (Theodor W. Adorno, Minima Moralia, 87)

(TW) Vielleicht, dachte ich, komme ich mit Sentimentalitäten weiter, nachdem ich mich durch die ersten Seiten von „I, the Jury“ gequält hatte – im Original und in der Rotbuchfassung von 1996 (Ü: Daisy Remus). Ich verfluchte meine Schnapsidee mit dem Klassiker-Check, hörte mir nach Jahrzehnten erstmals wieder John Zorns „Spillane“ an und schaute ein paar Folgen von „Mike Hammer“ (1984-1987) mit Stacey Keach in der Titelrolle. Geholfen hat der transmediale Ausflug nicht, John Zorn ist großartig und Stacey Keach auch. Mickey Spillane und Mike Hammer sind es nicht.

Nix Neues daran festzustellen. Mike Hammer ist weiterhin die „Stimme der Inhumanität“, wie Ernest Mandel es formuliert hat, und Jörg Fausers Rettungsversuch im Nachwort irgendeiner Heyne-Ausgabe wird noch peinlicher als er eh schon ist, wenn er zusammen mit Hammer/Spillane gegen „liberale und humanistische“ Gesinnungen zu Felde ziehen zu müssen meinte – eine drollige Provo-Geste, Ernst Jünger im Heftchengewand, die eigenen narzisstischen Kränkungen vom deutschen Literaturbetrieb auf Spillane projizierend. Auch sonst ist alles so, wie ich es in Erinnerung hatte: Rassistisch, homophob, intellektuellenfeindlich, frauenfeindlich, Rübe-ab-positioniert und vor allem masturbatorisch, wie Woody Haut richtig anmerkt und was einen gewissen Typus des Spillane-Fans erklärt. Nichts, was nicht dem amerikanischen Mainstream des Jahres 1947 entsprochen hätte. Spillane im festen Schulterschluss mit der damals so genannten moral majority – borniert, weiß, angelsächsisch, engstirnig, brutal, mit spießigsten family values und fundamentalchristlich – dass Spillane Zeuge Jehovas war, ist nicht etwa eine schrullige Paraphernalie, sondern essentiell. Seine Millionenverkäufe sind so wenig verwunderlich wie die aller „Kunst-Werke“ die auf den breitesten Massenkonsens zielen. Da ist nichts Subversives, nichts Riskantes, nichts, was irgendwem wehtun könnte. Dass er nach eigener Einschätzung der Kaugummi der amerikanischen Literatur war, war sein einzig lustiges Bonmot, in einem witz- und komik-freien Gesamtwerk, was meistens ein Zeichen hoher Ideologiedichte ist.

Mickey Spillane

Mickey Spillane

Aber eine neue Erkenntnis hat das Re-Reading dann doch gebracht: „I, the Jury“ ist ein klassischer Whodunnit, mit allen dessen Zopfigkeiten, comme il faut. Am Anfang ist Kumpel Jack Williams tot, am Ende ist die Mörderin gefasst und hingerichtet, alles gut also. Dazwischen dekliniert Spillane die üblichen Verdächtigen durch, die es dann doch nicht waren. Soviel Genrewissen hatten auch die Leser 1947 schon, dass sie bei 204 Seiten wussten, dass der Verdächtige von S. 160 nicht der Mörder war. Und damit möglichst vollständige intellektuelle Barrierefreiheit herrscht, rekapituliert Hammer in gnadenloser Redundanz immer wieder den Stand der Ermittlungen für den als völlig debil eingeschätzten Leser, der anscheinend auch der schlichtesten Handlung nicht folgen kann. Mit anderen Worten: „I, the Jury“ ist nichts anderes als ein seiner Zeit gemäßer Agatha-Christie-Roman, wozu auch der unfassbare „Rauschgiftring“ mit Briefversand gehört, den sich so ähnlich albern tatsächlich Old Lady Agatha hätte ausdenken können. Gut, dass wir nicht wissen, was Dashiell Hammett dazu zu sagen hatte.

Jean-Patrick Manchette nannte Spillane einen „Ersatzhändler“, der Pseudo-Noirs vertickt, nach dem der amerikanische Noir (Manchette sagt: Polar) aufgehört hat, „große moralische Literatur“ zu sein. „Das einzige gute Verbrechen ist das organisierte Verbrechen. So beginnt die Epoche des Polars à l´américaine“, notiert Manchette – im Gegensatz zum Rätselkrimi, der die Form der „bürgerlichen Beunruhigung“ ist. „I, the Jury“ ist ein Rätselkrimi und Spillane damit der Romancier der bürgerlichen Beunruhigung par excellence, Old Lady Mickey, eben.

Thomas Wörtche

Mickey Spillane: Ich, der Richter (I, The Jury, 1947). Übersetzt von Daisy Remus. Rotbuch Verlag 1996. 2014 Seiten. Foto Spillane: Wikimedia Commons, NBC.

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