Geschrieben am 2. November 2016 von für Bücher, Litmag

Hörbuch: Tilmann Lahme, Holger Pils, Kerstin Klein (Hrsg.): Die Briefe der Manns

lahme_tdie_briefe_der_manns_7cd_173646„Unsere Zeit hat das Böse wiederentdeckt“

– Die Briefe der Familie Thomas Manns liefern nicht nur Einsichten in eine komplexe Gruppendynamik, sie werfen auch ein Licht auf ihre Haltung zum Exil während der Nazi-Zeit und zum Umgang mit existentiellen Konflikten. Ein Hörbuch mit sieben CDs deckt die Jahre von 1924-1997 ab. Von Peter Münder.

„Ich verabscheute die Schule und tat ihren Anforderungen bis ans Ende nicht Genüge – aus einem eingeborenen lähmenden Widerstand gegen von außen kommende Anforderungen, den ich nur mühsam zu korrigieren gelernt habe“, schrieb der Literartur-Nobelpreisträger von 1929 in einem kurzen Lebenslauf von 1930. Sein Fazit lautet: „Was ich an Bildung besitze, vermochte ich mir nur auf freiem und autodidaktischem Wege zu erwerben und nahm vom amtlichen Unterricht fast nichts an als das Elementarste“. Diese Aversion gegen „von außen kommende Anforderungen“, die für Thomas Mann vom Lübecker Katharineum ausgingen, teilten später auch seine Kinder. Nur Golo (1909-1994) und Elisabeth (1918-2002) hatten mit diesen Anforderungen und Zumutungen keine Probleme. Golo wurde Historiker und Elisabeth Mann Borgese als Soziologin Mitbegründerin des Club of Rome eine renommierte Meeresforscherin und Politikwissenschaftlerin in Kanada. Der große „Zauberer“ hatte für die unangepassten Künstlernaturen Erika (1905-1969) und Klaus (1906-1949) jedenfalls großes Verständnis. Wenn Erika und Klaus Mann also in ihren ersten hier im Hörbuch verlesenen Briefen ihre Irrungen & Wirrungen bei der vergeblichen Suche nach einer ansprechenden Anstalt (auch Odenwald behagte ihnen nicht) beschreiben, dann ist dies für die beiden in ihren Jugendjahren ihr gemeinsames Leitmotiv.

Dieses „Familienporträt“ in Briefform haben die drei Herausgeber Tilman Lahme (ehemaliger FAZ-Redakteur, jetzt Kulturwissenschaftler an der Uni Lüneburg), Holger Pils (ehemaliger Leiter des Lübecker Buddenbrook-Hauses) und Kerstin Klein (ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin im Heinrich-und Tomas Mann-Zentrum des Buddenbrook-Hauses) als Buch herausgegeben. Für das hier besprochene Hörbuch hat der HR-Redakteur Ruthard Stäblein die von Corinna Harfouch, Max Volkert Martens, Bettina Hoppe, Stefan Konarske, Birgitta Assheuer, Torben Kessler u.a. gelesenen Briefe betreut. Von den ursprünglich ca. zweitausend erhaltenen Briefen sind ca. zweihundert für das Hörbuch ausgewählt worden.

Den Erzähler, der hier für den historisch-chronologischen Hintergrund der insgesamt acht Stunden Lesezeit den roten Faden spinnen soll, spricht Helge Heynold – anfangs noch ziemlich betulich, wie ein gutmütiger Onkel, der an die naiven Kindchen gleich Bonbons verteilt, dann gleitet er angesichts der diskutierten Probleme zum Glück in eine angemessenere, neutrale Stimmlage. Manches wird im Erzähl-Kommentar zu plump verkürzt, wie etwa die freudig verkündete Meldung von 1929: „Endlich kann ich als Beobachter und Bote die lang ersehnte Nachricht überbringen: Thomas Mann erhält den Literatur-Nobelpreis und kann von den 190 000 Reichsmark Preisgeld seine Schulden abbezahlen“. In der Schweiz konnte der Preisträger nun auch reichlich Geld bunkern, weiß der Erzähler, und die kleine Elisabeth, die Lieblingstochter, durfte das „Papale“ sogar beim Nachmittagsschlaf stören, um diese Nachricht zu verkünden! Phasenweise scheint man hier irgendwie in die Klatschspalte einer bunten Promi-Postille gerutscht zu sein. Andererseits spürt man dann in den starken Passagen aus Katias Davos-Briefen, dass ihre detaillierten Beschreibungen lungenkranker Patienten, die sich röchelnd und hustend ein Sanatoriumskonzert anhören („Man muß… unbedingt an ein Lungenzuchthaus denken“), fast ungefiltert in den „Zauberberg“ eingingen.

Es ist ja eine schwierige Gratwanderung, auf die man sich hier eingelassen hat: Der „Zauberer“, Vortragsredner und Repräsentant des „wahren“, gebildeten Deutschland, der Dichterfürst, der sich wie Tonio Kröger zwischen grundsolidem Bürgertum und künstlerischem Bohemien-Dasein hin- und hergerissen fühlt, genießt es, als Familienvater darüber auch mit der „Pfeffermühlen“-Künstlerin Erika und dem „Mephisto“-und „Vulkan“-Autor Klaus in schwierigsten Exilzeiten zu diskutieren und Ratschläge zu geben. Das Verhalten des Nobelpreisträgers gegenüber dem braunen Nazi-Mob wird kritisch thematisiert: Wie lange will der Vater sich noch mit den unerträglichen, widerlichen, idiotischen Rohheiten des braunen Mobs abfinden, fragt Erika etwa in einem Brief – und droht damit, sich mit dem Zauberer zu überwerfen. „Man muß Geduld mit mir haben“, antwortet Thomas Mann, auch gegenüber Klaus, der vom Vater verlangt, „endlich aus der Deckung“ zu kommen. „Diesmal geht es wirklich um die Lebensfrage“, heißt es an einer Stelle, worauf die souveräne, alle Konflikte genau verfolgende und schlichtende Mutter Katia antwortet: „Auch die Emigration begeht Fehler“. Und Thomas Mann befindet angesichts der Nazi-Gräueltaten und der Mitläufer-Sympathien für brutale Exzesse der „Sieg Heil“-Horden: „Unsere Zeit hat das Böse wiederentdeckt“.

Es ist ein Stationsdrama, das wir in diesen Briefen mitverfolgen: Es führt durch die Schweizer Exilphase nach Frankreich, Princeton, Chicago (mit Thomas Manns Krebsoperation), Pacific Palisades und nach den unerträglichen reaktionären Exzessen der McCarthy-Periode wieder zurück nach Europa. Der lang anhaltende Zwist unter den Geschwistern wird ausgetragen: Wie soll der berühmte Vater nach dem Kriegsende mit deutschen Intellektuellen, selbsternannten „inneren Emigranten“, Mitläufern und Alt-Nazis umgehen? Soll er das zerstörte Deutschland überhaupt besuchen?

Erikas radikaler „Nevermore“-Standpunkt wird von Golo attackiert, er hält die vom „Reise-Marschall“ Erika öffentlich verkündete Ablehnung aller Deutschland-Besuche für „großspurig“ und unangebracht, bezeichnet sie sogar als „Hofnärrin“. Das sind spannende, ergreifende Passagen, die an die Substanz gehen – vor allem auch in Verbindung mit Klaus Manns Impressionen aus dem völlig zerstörten München und seinen Kommentaren zur „beklagenswerten, schrecklichen Nation“ deren vermeintlich verlockenden Avancen sich der Vater absolut widersetzen sollte. Klaus ist nach der Kapitulation als Journalist für die US-Army und deren Zeitung „Stars and Stripes“ im Einsatz und interviewt einige prominente Zeitgenossen, zu denen auch Richard Strauss gehörte. Sein Urteil über diesen „moralisch abgestumpften“ Komponisten, dem man noch nicht einmal seine Senilität zugutehalten könne, ist absolut vernichtend. Zweifellos sah er in diesen düsteren Nachkriegsjahren das moralisch Abgestumpfte als Charakteristikum einer teutonischen Mentalität, die sich in Krisenzeiten dann gern unter Berufung auf die schöngeistige, literarische oder hochmusikalische Sensibilität selbst exkulpieren wollte. „Wie soll es weitergehen, welche Zukunft kann man diesem eben noch so größenwahnsinnigen, nun völlig pulverisierten Land wünschen“? fragt sich die Familie. „Nur für Deutschland ersehnt man die Verwilderung, so weit als sie notwendig ist, damit Bruder Hitler das verdiente Ende findet“, schreibt Thomas Mann an Golo.

Auf dem „Schachbrett des Lebens“ finden wir von den insgesamt acht Figuren – den Eltern mit ihren sechs Kindern – einige sehr imposante, eindrucksvolle und zwei Randfiguren: Neben Katia und Thomas Mann im Zentrum sind die Rollen unter den sechs Kindern klar verteilt: Erika und Klaus als künstlerische Power Player sind die Anreger und Aufreger, oft auch provozierende Vordenker; Golo ist der abwägende Grübler mit dem historischen Weitblick über den Tellerrand hinaus, während Monika als „bequemes Dummchen“ toleriert wird und Elisabeth als sonnige, verständnisvolle Überfliegerin und Lichtgestalt von allen als harmonische Ausnahme-Erscheinung akzeptiert und bewundert wird.

Corinna Harfouch trägt Katia Manns Briefe ebenso souverän-gelassen und überzeugend vor wie Max Volkert Martens als Thomas Mann. Das von Bettina Hoppe und Stefan Konarske gesprochene Künstler-Duo Erika und Klaus als radikales Stürmer- und Dränger-Paar bewegt sich ohne überzogenes Pathos zwischen depressiven und euphorischen Aufbruchsphasen. In diesem ungewöhnlichen Briefwechsel wird die „Amazing German Family“ im eindrucksvollen Familienporträt mit ihren komplexen historisch-moralischen und emotionalen Facetten faszinierend wiederbelebt.

Peter Münder

Tilmann Lahme, Holger Pils, Kerstin Klein (Hrsg.): Die Briefe der Manns. Hörbuch mit 7 CDs/ Gesamtlaufzeit 8 Std. 10 Min. Hörverlag/ Verlagsgruppe Random House, München 2016. Das gleichnamige Buch ist im S. Fischer Verlag Frankfurt erschienen. 750 Seiten. 24,99 Euro.

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