Geschrieben am 28. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Giancarlo de Cataldo: Schmutzige Hände

Italien, keine Pizza, keine Pasta

– Erfreulicherweise finden sich inmitten des ganzen Grimmigedöns immer mehr Romane, die sich mit den diversen Wirklichkeiten ins Handgemenge begeben. Man kann sie „politisch“ nennen, weil sie Politik zum Thema haben. Giancarlo de Cataldo gehört in die erste Reihe. Thomas Wörtche ist begeistert.

Giancarlo de Cataldo gehört zu den Namen der zeitgenössischen Kriminalliteratur, die die allmählich verblassende Reputation eines zunehmend verdödelten Genres wieder restituieren können. Ähnlich wie seine italienischen Kollegen Gianrico Carofiglio, Bruno Morchio, Angelo Petrella und Francesco de Filippo, ähnlich wie seine internationalen Kollegen Andrew Brown, Malla Nunn, Peter Temple, Don Winslow, Friedrich Ani, Leonardo Padura, Jenny Siler, Olen Steinhauer & Co.  schreibt de Cataldo „politische Kriminalromane“. Das sind Kriminalromane, in denen es um Politik geht und nicht um Albernheiten wie Gurken, Schweindetektive oder Dampfnudeln.

Die Feinmechanik von „Verbrechen“

De Cataldos kapitaler Roman „Romanzo Criminale“ erzählte von der Feinmechanik der Beziehung zwischen ganz „normaler“ Straßenkriminalität und „normalem“ Drogenhandel in Rom und von deren allmählicher Verflechtung mit der Lokalpolitik und den verschiedenen Branchen des Organisierten Verbrechens. Außerdem drehte sich das Buch um die Konfigurationen im Hintergrund, die die spezifisch italienische Mixtur aus Politik, Verbrechen und Industrie ausmachen. Inszeniert hatte de Cataldo, der als Richter genau weiß, wovon er redet, ein Panorama der römischen Gesellschaft von den 1960er bis 1980er Jahren mit einem  riesigen Figurenensemble, mit Dutzenden von Plots, Subplots, Leitmotiven und einem sehr düsteren Basso continuo, der aus der Irreversibilität dieser Verflechtungen keinen Hehl macht.

Der Leichnam von Michele Cavataio nach dem "Massaker in der Viale Lazio"

Massaker

„Schmutzige Hände“ geht da weiter, wo „Romanzo Criminale“ geendet hatte. Ein paar Figuren sind übriggeblieben, neue Spieler treten auf den Plan. De Cataldo zieht den Blickwinkel noch weiter auf. In den 1980er/90er Jahren geraten Teile des Staates und die Mafia (Provenzano, Riina) hart aneinander – Staatsanwälte und Richter (Falcone, Borsellino) werden in die Luft gesprengt. Innerhalb der gar nicht so einigen Cosa Nostra heißt die Parole „Massaker“. Die großen Prozesse laufen an, im Hintergrund formiert sich die Lega Nord, Berlusconi positioniert sich, auch wenn noch Gestalten wie Andreotti ihr Unwesen treiben, Gladio und P2 für Terror sorgen (Bologna), die Roten Brigaden für alles als Sündenbock herhalten müssen und selbst blutige Hände haben. Die Lage wird zunehmend undurchschaubar. Die convenienza, die Balance der Kosten-Nutzen-Rechnung die allen profit- und machtorientierten Handlungen zugrunde liegt – egal, ob die mafioser, wirtschaftlicher oder politischer Natur sind -, gerät in Gefahr. Eine geheime Instanz innerhalb des Staates (wir kennen sie aus „Romanzo Criminale“, damals wurde sie von einem coolen Supermacchiavellisten und Großzyniker, genannt Vecchio, geleitet; in „Schmutzige Hände“ ist der Ex-Polizist Scialoja der Kopf dieser ominösen Abteilung) möchte die Beute – das ist selbstredend der ganze Staat Italien – neu verteilen.

Deal

Mitspieler – tragische, gescheiterte, groteske und eisige – bei diesem Megadeal sind alle handelnden Figuren – Industrielle, die sich weigern, mit den richtigen Leuten Geschäfte zu machen und deswegen eine eher kurze Handlungsspanne des Buches miterleben, Jet-Set-Gattinnen, Luxushuren, Killer, verschiedene Mafia-Gruppierungen, korrupte, karrieristische Journalisten, Politiker, die denken, sie würden die Dinge kontrollieren, Geheimdienste, Dealer, Dolce-Vita-Typen.  Auch hier arbeitet de Cataldo wieder mit einem Riesenensemble. Auch hier inszeniert er mit einer ausgekochten Mischung aus personalem und auktorialem Erzählen seine Ungeheuerlichkeiten. Immer eher beiläufig, immer leicht süffisant, immer auf dem Punkt. Schnelle Dialoge, schnelle Schnitte. Zeigen, statt erklären, damit bekommt er die Komplexität der verschiedenen Handlungen bestens an das pp Publikum. Das pp Publikum aber sollte, auch das ein Merkmal gelungener Kriminalliteratur, schon politisch einigermaßen informiert sein und von albernen Vorstellungen, was ein „Krimi“ sei, Abstand genommen haben.

De Cataldo erzählt radikal die Geschichte eines Staates, der im Grunde schon ein failing state ist, weil seine demokratischen Institutionen längst unterminiert und zerrüttet sind. Nicht, dass wir das nicht wüssten, aber „Schmutzige Hände“ entwirft uns ein Szenario, das auf narrative Art plausibel macht, wie so etwas geht. Die Fakten sind bekannt, die Fiktion liefert die schrägen Gedankengänge, die Rituale, die Kalküle, den Zynismus, die zwischenmenschlichen Verhältnisse, den Hass und die Wut und alle Emotionen. Der Roman bettet die Zeitgeschichte in Geschichten von Menschen, die die Strukturen beleben. Menschen, die auch unkalkulierbar sind, ein Eigenleben haben wollen, von Autonomie träumen und doch böse Spiele mitspielen. De Cataldos Figuren, der zunehmend verzweifelnde Scialoja, die um ihre Autonomie kämpfende Luxushure Valentina, Stalin, der Exekutor und Strippenzieher, Ilio, der jetsettende Großindustrielle, der idealistische Bulle Camporesi, der manipulierte Killer Pino Marino und seine Junkie-Braut Valeria, der grüblerische Mafioso Angelino lo Mastro oder der finstere Killer Yanez, sie alle sind typisch und individuell zugleich. Sie stehen für Positionen im Ränkespiel der Macht und sie stehen gleichzeitig für den human factor, ohne den es diese  Spiele nicht geben würde.

Balance

Gleichzeitig ist der Roman grimmig realitätstüchtig. Er erzählt, warum es kaum einen archimedischen Punkt geben kann, von dem aus die bösen Verhältnisse bekämpft werden könnten. Wer die eine Mafia bekämpft, stärkt die andere Mafia, egal, wie die jeweils heißen mag. Die convenienza muss gewahrt bleiben, das Gleichgewicht des Schreckens. Am Ende haben sich die traditionellen Kräfte zerfleischt und verschlossen, Berlusconi und seine Camarilla ziehen auf. Medienmacht statt physischer Gewalt. Die Beute – wie gehabt: Der ganze Staat.

Das ist großartige Kriminalliteratur, kompositorisch, intellektuell, ästhetisch und politisch. Und wem all dieses ein wenig too much erscheint – keine Panik! Der Roman liest sich wie Champagner, leicht, belebend, mit esprit und wollüstig. So kann man angemessen literarisch mit dem Thema umgehen.

Thomas Wörtche

Giancarlo de Cataldo: Schmutzige Hände (Nelle mani giuste, 2007). Roman. Deutsch von Karin Fleischanderl. Wien/Bozen: Folio 2011. 376 Seiten. 22,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

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