Geschrieben am 25. Februar 2015 von für Bücher, Litmag

Desmond Morris: Eulen & Die Reihe „Naturkunden“

eulen_htmlEulen aus Berlin

– Eulen nach Athen, zu viel des Guten – wem wäre diese Redensart in den letzten Wochen nicht in den Sinn gekommen? Sie brauchen nichts, dort in Athen, weiß der Volksmund seit ewigen Zeiten? Falsch, ganz falsch, informiert uns amüsiert Desmond Morris in seinem Buch „Eulen“ aus der Reihe „Naturkunden“ im Berliner Verlag Matthes & Seitz. (Weiter unten mehr zu dieser wunderschönen Reihe.) Eulen zu Hauf und in jeder Hinsicht könnten die Athener gerade jetzt gut brauchen, macht er uns klar. Von Alf Mayer

Überfluss. Und dies an Geld und Weisheit. Das war mit den Eulen ursprünglich gemeint. Untrennbar verbunden war das miteinander im Athen der Antike, als Vorder- und Rückseite der Stadtwährung. Vom sechsten bis ins erste Jahrhundert vor Christus war den athenischen Münzen ein Bild ihrer Schutzgöttin Pallas Athene eingeprägt, auf der anderen Seite das Porträt einer Eule. Ein Steinkauz. Der englische Wettruf „heads or tails“ (Köpfe oder Schwänze) geht auf diese Münzen zurück. „Eulen“ wurden sie von den Athenern genannt. 414 vor Christus witzelte Aristophanes in seinem Drama „Die Vögel“, dass die „silbergeprägten“ Eulen die besten seien: „Sie werden euch niemals ausgehen, sondern bei euch wohnen, in euren Geldbeuteln nisten und eine Schar von kleinen Münzen ausbrüten.“

Eulen nach Athen zu tragen, das wäre früher des Guten an Weisheit und an Geld tatsächlich zu viel gewesen. Tempora mutantur…

Tetradrachme_Athen_450_vor ChrDie Eule – dem Menschen nahe

Zugegeben, der Aktualitätsgehalt der alten Redensart kam mir erst beim Schreiben dieser Rezension in den Sinn, sie zeigt, wie wenig angestaubt das kulturgeschichtliche und naturkundliche Porträt der Eulen ist, das uns der britische Zoologe und Verhaltensforscher Desmond Morris so kundig, kurzweilig, witzig und breitgefächert serviert. Zu Eulen hat der vielseitige Autor, der uns einst mit „Der nackte Affe“ (1968) unsere Nähe zu den Primaten nahe brachte, aber auch andere Tiere näher unter die Lupe nahm, ein besonderes Verhältnis, seit er 1942 als Vierzehnjähriger, mitten im Zweiten Weltkrieg, in Wiltshire eine verletzte Eule fand und sie töten musste. Ein verwundeter Fasan, bemerkt er dazu in seinem Vorwort, hätte ihn wohl kaum derart berührt. Eine Eule bekommt man selten zu Gesicht, dennoch erkennt jeder diesen Vogel sofort, sein Abbild gehört zu den uns vertrautesten Vogelarten. Wir alle kennen Eulen, aber längst nicht gut genug, bringt uns das kleine schlaue Buch von Desmond Morris vergnüglich nahe.

30.000 Jahre alt sind die ersten Hinweise, dass der Mensch die Eule kennt, Höhlenzeichnungen in Südfrankreich geben Zeugnis davon. Kein anderer Vogel ist uns Menschen so eigentümlich nahe und vertraut, ist uns – zumindest von der Kopfform her – so ähnlich. Vom menschenköpfigen Vogel sprach die Antike. „Wir nennen uns ‚Homo Sapiens‘, weiser Mensch, die Eule bezeichnen wir gerne als ‚weisen alten Vogel‘“, schreibt Morris. Dabei kommt uns das nur so vor, „Papageien oder Krähen sind weit klüger“.

owl stamp_zSie schaut uns an wie ein Bruder

Der breite Kopf mit dem flächigen Gesicht, die nach vorn gerichteten, weit auseinander liegenden großen Augen, die Eule schaut uns wie ein Bruder an. In ihr sehen wir etwas von uns, erkennen uns wieder. Als weise. Und als böse. Als beides galt sie uns über all die Jahrhunderte unserer Bekanntschaft, in vielen Völkern und Kulturen. Böse oder weise, oft sogar zusammen. Die Ägypter kannten zwar keine Eulengöttin, aber sie mumifizierten die Vögel. Eine hohe Ehre. Den Ägyptern stand das Käuzchen mit der Seele und mit dem Hinübergehen in Verbindung.

Noch größeres Gewicht, wenn wir den Münz-Materialismus hinzunehmen, erlangte die Eule im antiken Griechenland. „Seht dort, eine Eule“, war in Athen die sprichwörtliche Wendung, um zu sagen: „Ein Sieg kündigt sich an.“ Sie war ein Siegesvorbote. In China wurden ihre Statuen den Kaisern beigelegt, im alten Amerika war sie den indigenen Völkern Krieger, Jäger, Mörder. Im alten Rom verwandelten Eulen sich in Hexen und stürzten sich auf schlafende Babys herab. Plinius der Ältere berichtet 77 n. Chr., wie das innere Heiligtum des Kapitols entsühnt und gereinigt werden musste, weil ein Uhu eingedrungen war. Als Wissenschaftler notiert er: „Doch weiß ich, dass der Uhu sich mehrfach auf Privathäusern niederließ, ohne einen Todesfall anzukündigen.“

Flaum vom Kauz gehört zum Gebräu der Hexen in Shakespeares „Macbeth“, der dies Getier öfter in seine Werke einbaute. Im englischen Yorkshire seiner Zeit kochte man Eulen zu einer Suppe, die gegen Keuchhusten helfen sollte. In der Bibel gehörten sie zu den Unreinen, in Jesaja 13, wo es um den Untergang von Babel geht, heißt es: „Wüstentiere werden sich da lagern, und die Häuser werden voll Eulen sein.“ Den Ainus Japans hingegen galten Eulen als Beschützer, im späten Mittelalter und mit zunehmenden naturwissenschaftlichen Kenntnissen setzte sich in Europa der Aspekt der Weisheit in den Vordergrund.

owl_stamp_postage-Dürer, Bosch, Magritte, Picasso …

Wandlungsfähig nennt Desmond Morris mit britischem Understatement das Tier. Sein wunderbar üppig und erlesen illustriertes Buch – viele farbige Stiche und Zeichnungen, kleine Vignetten überall da, wo der Umbruch es erlaubt – führt uns in die Emblematik, etwa zu dem mit 170 Auflagen zwischen 1531 und 1780 weit verbreiteten „Emblematum Liber“ von Andreas Alciatus, zu den Eulen im Volksglauben und bei den Naturvölkern, zu den Eulen in Literatur und Kunst, ehe auch die Biologie selbst zu ihrem Recht kommt und wir Zoologisches über die Tiere erfahren. Kein anderes Federvieh der Kunstgeschichte wurde öfter abgebildet, Dürers „Kleine Eule“ von 1508 dürfte der weithin bekannteste Vogel sein. Hieronymus Bosch holte ihn in seine Nachtgemälde, Goya in die Caprichos, Magritte nahm sich seiner an, Picasso hielt eine Eule als Haustier. Der Philatelist Mike Duggan aus Neuseeland zählte nicht weniger als 1224 Eulen-Briefmarken aus 192 Ländern. 30 Bildmotive davon alleine aus Angola, 32 aus der Elfenbeinküste, 33 aus Guinea-Bissau, 43 aus Benin und 44 aus dem Kongo. Harry Potters Hogwarts wurde dabei nicht erfasst.

Hoyt WhooUm die Brücke zum CrimeMag zu schlagen, ein Hinweis auf den etwas aus dem Blickfeld geratenen (und wohl bald von den Kölner Spraybooks wieder in den Blick gerückten) Richard Hoyt. Der gerne etwas schräge Thrillerautor schrieb 1991 den Privatdetektivroman „Whoo?“, in dem es um Hasch-Plantagen und eine gefährdete Eulenart in den von Abholzung bedrohten Wäldern Oregons geht. Dem Detektiv John Denson steht sein Freund und persönlicher Schamane Willy Prettybird zur Seite. 2014 ließ Hoyt „Crow’s Mind“ folgen, das Ermittlerpaar hieß nun Jake Hipp und Willow Blackwing, es ging um Krähen, aber auch Eulen kamen vor.

Ganze 13 der weltweit 200 Eulenarten leben in Europa. Im letzten Teil des Buches werden auf je einer Doppelseite neun Eulenarten vorgestellt. Es folgen – vorbildlich lesbar gestaltet, hier kann man sehen, dass so etwas tatsächlich geht – die Anmerkungen sowie ein Literatur- und Abbildungsverzeichnis. Superlative müssen tatsächlich her für dieses Eulen-Buch. Erst einmal für den Inhalt: Was Desmond Morris auf insgesamt 168 Seiten bietet, entspricht einer wohl arrangierten Enzyklopädie. Selten habe ich mich mit einem solch doch eher schmalen Band so mehrgängig und angenehm gesättigt gefühlt.

schalansky_atlasDie Errettung des Buches – als schönes

Schöne, wirklich schöne Bücher gehören zu den schützenswerten Arten. Der Band „Eulen“ ist nur einer von mehreren. Bisher sind in der Reihe „Naturkunden“ bei Matthes & Seitz in ähnlicher Ausstattung auch „Krähen“, „Schweine“, „Esel“ und „Heringe“ erschienen. Buch-Kleinode allesamt. Vieler Superlative würdig. Das Format handschmeichlerisch, die Haptik nicht nur auf den Einband begrenzt, das Papier (90 g/qm Fly 94 hochweiß, 1,2faches Volumen) ebenso ein Genuss wie Schrift, Lithografie, Druck und Bindung (Pustet, Regensburg) – eben die ganze Gestaltung. Sie liegt bei Pauline Altmann, nach einem Entwurf der Herausgeberin der Reihe, nämlich Judith Schalansky, einer ganz besonderes Autorin. Sie hat Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign studiert, ihr Streben gilt nicht nur literarischen Ambitionen, sondern der Errettung des Buches als Gesamtkunstwerk an sich. Zweimal schon wurde sie mit dem Preis der Stiftung Buchkunst (Die schönsten deutschen Bücher) ausgezeichnet, für ihren „Atlas der abgelegenen Inseln und für Der Hals der Giraffe“. Der Vortrag, mit dem sie durch Hochschulen und Akademien tourte, trägt den Titel „Wie ich Bücher mache“. Ihr literarisches Debüt, der Matrosenroman Blau steht dir nicht, erschien 2008. Seit dem Frühjahr 2013 gibt sie die Reihe „Naturkunden“ heraus.

Matthes & Seitz & Judith Schalansky unternehmen wirklich Großes. In den Naturkunden – dies ist der offizielle Verlagstext, an dem es nichts zu verkleinern, hinzu zu setzen oder zu berichtigen gibt – „erscheinen Bücher, die von der Natur erzählen, von Tieren und Pflanzen, von Pilzen und Menschen, von Landschaften, Steinen und Himmelskörpern, von belebter und unbelebter, fremder und vertrauter Natur. Der Name der Reihe ist Programm: Hier wird keine bloße Wissenschaft betrieben, sondern die leidenschaftliche Erforschung der Welt: kundig, anschaulich und im Bewusstsein, dass sie dabei vor allem vom Menschen erzählt – und von seinem Blick auf eine Natur, die ihn selbst mit einschließt. Jedes Buch in dieser Reihe wird, ungeachtet seiner Gattung, eine eigene Kunde von der Natur formulieren und dabei so aufwendig, vielgestaltig und schön werden, wie die Natur ihrer Gegenstände es fordert: bebildert, in historischen Formaten gebunden, fadengeheftet und mit Frontispiz sowie farbigem Kopfschnitt versehen. So feiern die Naturkunden nicht zuletzt die unnachahmlichen und mannigfaltigen Möglichkeiten einer lebendigen Buchkultur.“

Tiere

Wundern & Staunen

Schön, aufwendig und vielgestaltig wie die Natur, dies ist keine Reklame, sondern die Wahrheit über diese wunderbaren Bücher. Diese Serie verdient Auszeichnung. Der hochwertige, mit 18 Euro günstig abgegoltene „Eulen“-Band eignet sich jederzeit als ein feines Mitbringsel und wäre als kleines Gastgeschenk, anders als die Eulen in Athen, gewiss nicht überflüssig. 19 Bücher umfasst bislang die Reihe „Naturkunden“. Hach, wie gerne hätte ich sie ALLE. Da gibt es „Pilze“ von Jean-Henri Fabre, dessen „Erinnerungen eines Insektenforschers“ für den Literaturnobelpreis nominiert waren, einen 400 Seiten starken, mit 700 Aquarellen ausgestatteten, fadengehefteten Folioband für angemessene 98 Euro. Da gibt es „Die verlorenen Welten“, vom Tschechen Zdeněk Burian feinst gezeichnete Tiere der Urzeit (68 Euro), das sprießt das erstaunliche Buch über den „Bildungstrieb der Stoffe“ (68 Euro), dann kann man Korbinian Aigners „Äpfel und Birnen“ in über 900 Abbildungen durchaus einmal miteinander vergleichen. Wundern & Staunen & Freuen & Lernen auf schönste Art, das wird hier möglich. Eine Buchreihe, die glücklich macht – und einverstanden mit der Welt.

schalansky_Pilze_htmlDas Desmond-Morris-Buch „Owl“ stammt aus der Kooperation mit dem feinen, unabhängigen englischen Verlag Reaktion Books, der in London im interessanten Viertel Clerkenwell seinen Sitz hat und neben kundigen Monographien mehrere schöne Serien im Programm führt, so auch die des Titels „Animal“.

Anders als im Deutschen werden die Tiere bei den Briten im Singular benannt. Morris hat dort auch eine Studie über den Bison vorgelegt, die zu Recht für ihr gradioses „H is for Hawk“ gefeierte Helen Macdonald eine kleine Kulturgeschichte des Falken. Albatross, Ameise, Aal, Auster, Dachs, Bär, Biber, Biene, Kamel, Katze, Kuh, Krokodil, Elefant, Schabe, Wal oder Wolf, alles in allem 72 Tiere umfasst bisher die Reihe. Auf die in Berlin noch zu treffende und selbständig ergänzte Auswahl darf man gespannt sein. Wie auf all die noch kommenden Buchkunstperlen der Reihe „Naturkunden“. Bei Nr. 19 ist die Reihe, die Natur und Judith Schalansky haben sicher noch mehr zu bieten.

Alf Mayer

P.S. Möglich gemacht wird die Reihe übrigens durch die Unterstützung eines Mäzens aus Hamburg. Jan Szlovak findet im Impressum namentliche Erwähnung, in mancher Runde hoffentlich auch verdienten Beifall. Der diskrete Förderer ist Vorsitzender der Stiftung Elementarteilchen, die im Juli 2015 nun zum siebten Mal den gut dotierten „Internationalen Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt“ verleihen wird.

Desmond Morris, Judith Schalansky (Hg.): Eulen (Owl). Reihe Naturkunden Nr. 13. Aus dem Englischen von Meike Herrmann und Nina Sottrell, die auch Eulenporträts zeichnete. Flexibler Einband, Kopfschnitt, fadengeheftet. Matthes & Seitz, Berlin 2014. 168 Seiten, mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen. 18,00 Euro. Zum Buch, zur Reihe „Naturkunden“, zur Herausgeberin.

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