Geschrieben am 15. Juni 2016 von für Bücher, Crimemag, Interview

Bloody Questions: Robert Wilson (2)

robert_wilson-550x366The Crime Questionnaire (Vol. 16): Robert Wilson (Teil 2)

von Marcus Müntefering

Nachdem wir im ersten Teil des Krimi-Fragebogens von Robert Wilson unter anderem erfahren haben, dass er zu streng erzogen wurde, um jemals etwas wirklich Illegales anzustellen, dass er eher zu Chandler als zu Hammett greift und Anthony Hopkins als Hannibal Lecter aufgrund seines flamboyanten Auftretens für einen der faszinierendsten Finsterlinge der Geschichte hält, verrät er uns im zweiten Teil der Bloody Questions, warum er beim Schreiben keine Musik hört, was er von der Todesstrafe hält und was einmal auf seinem Grabstein stehen soll. Aber bis es soweit ist, wird er hoffentlich noch viele weitere Romane schreiben – mit seinem aktuellen Buch „Die Stunde der Entführer“, dem dritten Teil der Boxer-Reihe, hat er bewiesen, dass er auf einem guten Weg ist, sich einen Platz im Thriller-Olymp zu erarbeiten. Charles Boxer und seine skurrile Patchwork-Family wissen auf jeden Fall mit dem dritten Band zum ersten Mal richtig zu überzeugen, auch wenn er noch nicht wieder ganz auf dem Niveau des überragenden Sevilla-Quartetts angekommen ist.

61iiDrzMioL._SX308_BO1,204,203,200_8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?

Nach dem Ende meines Studiums 1979 führte ich ein Jahr lang archäologische Exkursionen auf Kreta. Doch als mein Vater starb, kehrte ich nach England zurück, um näher bei meiner Mutter zu sein. Ich arbeitete in London als Schiffsmakler und war auf den Transport von chemischen Stoffen spezialisiert. Ein Angebot aus Houston, dort eine Firma zu übernehmen, schlug ich aus. Stattdessen fuhr ich mit dem Rad durch Frankreich, Spanien und Portugal. Nach meiner Rückkehr ging ich in die Werbebranche. Ich führte eine Firma, die auf die Vermarktung von IT-Produkten spezialisiert war. 1989 zog ich nach Portugal, und ich versuchte, in Nigeria einen Vertrieb für Badezimmer aufzubauen. Das war ziemlich hart, weil die Nigerianer einfach nicht bezahlten. Ich habe noch eine Zeitlang in Afrika gearbeitet und den Export von Sheanüssen organisiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen ersten Roman veröffentlicht – und die Arbeit diente nur noch als Recherchegrundlage.

9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?

Als wir nach Portugal gezogen sind, in die Region Alentejo, waren wir so weit ab vom Schuss, dass wir unseren Strom mittels Solar- und Windkraft selbst erzeugen mussten. In den vergangenen 25 Jahren habe ich die Anlage dreimal erneuert. Die Technologie hatte sich jedesmal weiterentwickelt, aber nicht übermäßig, verglichen mit dem Fortschritt, den andere Technologien machen. Das ist es, was ich gern tun würde: Ein Unternehmen gründen, das die Vorhut der Energierevolution bildet.

10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?

Niemals. Ich brauche totale Stille. Musik stimuliert meine Gefühle, und ich finde es extrem schwierig zu schreiben, wenn ich emotional in eine bestimmte Richtung gedrängt werde.

11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?

Ich arbeite am Schreibtisch, meistens frühmorgens. Das fing in Portugal an, im Sommer ist es ab 14 Uhr zu heiß, um an Arbeit auch nur zu denken. Also habe ich mir angewöhnt, im Morgengrauen zu schreiben, wenn es noch etwas kühler ist. Mittags höre ich dann auf und gehe schlafen. Aber wenn nicht gerade Hochsommer ist, schreibe ich auch gern nachmittags und abends. Und wenn eine Abgabe vor der Tür steht rund um die Uhr.

12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?

Es ist unausweichlich: Schriftsteller haben immer mal wieder diese Mini-Blockaden, kommen einfach nicht drauf, wie es weiter gehen könnte. Mir hilft es in solchen Fällen, wenn ich noch einmal lese, was ich geschrieben habe. Einen ausgewachsenen writer’s block erlitt ich 2010: Ich habe zwar etwas zu Papier gebracht, konnte aber nicht mehr erkennen, ob es etwas taugte. Writer’s doubt habe ich diesen Zustand genannt. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste weitermachen, und nachdem ich mein Buch unter diesen höllischen Bedingungen fertig bekommen hatte, entdeckte ich mein Selbstvertrauen wieder. Und fand die Kraft, das Buch noch einmal komplett neu zu schreiben.

13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?

Unsere Körper sterben und werden in unbelebte Hüllen verwandelt. Das, was zählt, verschwindet. Ich habe vor längerer Zeit eine chilenische Dokumentation namens „Nostalgia for the Light“ gesehen, in der Frauen, deren Verwandte während des Pinochet-Regimes hingerichtet wurden, in der Atacamawüste nach den Überresten gesucht haben. Zur selben Zeit, in Observatorien hoch über der Wüste, schauten Astronomen durch den außergewöhnlich klaren Himmel bis zu den Sternen und erklärten uns, dass Calcium, Hauptbestandteil unserer Knochen, mit Sternenstaub zur Erde gekommen ist. Eine Astronomin, Valentina Rodriguez, gewann durch die Arbeit die Erkenntnis, dass wir Menschen, so wie die Sterne, Teil eines unendlichen Kreislaufs sind. Energie und Masse werden standing recycelt und gehen nicht verloren.

Dadurch konnte sie sich mit der Vergangenheit versöhnen. Sie wuchs bei ihren Großeltern auf, weil ihre Eltern in Pinochets Gefängnissen verschwunden waren – nachdem man die Großeltern dazu gezwungen hatte, ihren Aufenthaltsort preiszugeben.

14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?

In der Dokumentation “Making of a Murderer” (Netflix-Produktion, auch in Deutschland verfügbar, die Red.) wird ein armer, weißer Amerikaner fälschlicherweise angeklagt in Manitowoc County in Wisconsin eine Frau angegriffen und vergewaltigt zu haben. Er muss für 18 Jahre ins Gefängnis. Als er sich danach darauf vorbereitet, den Staat zu verklagen, wird ihm vorgeworfen, eine Frau namens Teresa Halbach ermordet zu haben, die kurz zuvor für ein Magazin sein Auto fotografiert hatte. Die Dokumentation zeigt, wie er ein zweites Mal auf der Basis höchst zweifelhafter Beweise verurteilt und wie Druck auf Zeugen ausgeübt wird. Wer diese Doku sieht, muss den Eindruck gewinnen, dass das Justizsystem nicht vertrauenswürdig ist.

Und genau deshalb sollte die Todesstrafe abgeschafft werden, und zwar überall auf der Welt.

15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…

Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass du, wenn du eine Bank überfällst und erwischt wirst, für deine Taten büßen musst. Wenn du hingegen eine Bank gründest und

Leuten Kredite aufdrängst, die diese gar nicht bedienen können, und wenn du diese unprofessionelle Vorgehensweise dadurch absicherst, dass du die faulen Kredite in zwielichtigen Wertpapieren bündelst, die das Risiko einer Epidemie auf die ganze Welt verteilen und diese so an den Rand eines ökonomischen Zusammenbruchs bringst, dann wirst du nicht nur nicht für deine Taten büßen müssen, sondern darüber hinaus einen Haufen Geld verdienen.

16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Und dabei sah er noch so gesund aus.

 

Robert Wilson: Die Stunde der Entführer (Stealing People). Aus dem Englischen von Kristian Lutze. Goldmann Verlag, München 2016. 480 Seiten, 16,99 Euro.

Die bisherigen „Bloody Questions“ von Marcus Münterfering sind auf seinem Blog „Krimi-Welt“ zu finden.
Geantwortet haben bisher:
Robert Wilson, Teil 1 (15)
Simone Buchholz (14)
Lawrence Block (13)
Karin Slaughter (12)
Val McDermid (11)
Joe R. Lansdale (10)
Bill Moody (9)
Wallace Stroby (8)
Robert Brack (7)
Lauren Beukes (6, Teil 1 und Teil 2)
Richard Lange (5)
Zoë Beck (4)
Sam Millar (3)
Declan Burke (2)
James Lee Burke (1)

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