Geschrieben am 5. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Blood Chops

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Bloody Chops – bis aufs Mark sezieren heute Joachim Feldmann (JF) Martin Schönes „Wolf hetzt die Meute“, Alf Mayer (AM) Greg Bardsleys „Cash Out“ und Thomas Wörtche (TW) den Comic von Moynot/Jean Vautrin: „Der Mann, der sein Leben ermordete.“

Martin_Schöne_Wolf_hetzt_die_MeutePulp-Fiction vom Feinsten

(JF) Tom Wolf ist ein Held, wie er einst im Heftchen stand. Ehemals Zielfahnder beim BKA hat sich der taffe Bursche nach Malta zurückgezogen, wo er als Besitzer einer Bar ein auskömmliches Dasein führt. Ermöglicht hat ihm diese sorgenfreie Existenz eine beträchtliche Erbschaft. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb er den Bullenjob an den Nagel gehängt hat. Als 1989 die Mauer fiel, verschwand sein Freund Peter spurlos. Und Wolf hat ihn gesucht. Jahrelang. Deshalb, so erzählt er uns, sei er überhaupt zum BKA gegangen. Doch Peter war nicht zu finden, und Tom Wolf wurde Privatier. Als ihn jedoch Peters Frau Anke Hilfe bittet, weil nun auch ihr Sohn Philip verschwunden ist, zögert er keine Sekunde und nimmt den nächsten Flieger nach Berlin.

Philip arbeitete als Wachmann bei einem Fernsehsender, der sein Hauptquartier in einem alten Stasi-Gebäude hat und ironischerweise DDR heißt – DDR für Dritter Deutscher Rundfunk. Man merkt schon, die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen in diesem großartigen Schundroman mit dem Martin Schöne, bislang bekannt als Krimi-Experte für die „Kulturzeit“ bei 3Sat, sein Debüt als Spannungsautor gibt. Tatsächlich existiert der untergegangene Arbeiter- und Bauernstaat auf bizarre Art in den Katakomben des Rundfunkgebäudes weiter, wie Wolf, der kurzerhand Philips Job beim Wachdienst übernommen hat, schon bald herausfinden soll. Vorher wird allerdings versucht, ihn nachhaltig zu demotivieren: Von einer aufgeschlitzten Ratte bis zu einem Brandanschlag auf sein vorübergehendes Domizil reichen die Maßnahmen. Doch solch Schabernack, das weiß man aus der einschlägigen Literatur, stacheln einen Mann wie Tom Wolf erst so richtig an.

Doch dass nun niemand auf die Idee kommt, hier handle es sich um eine Genreparodie. Martin Schöne lässt seinen Helden nicht nur furchtlos agieren, sondern auch vollkommen ironiefrei erzählen. Mike Hammer lässt grüßen. Und gerade hier liegt die Stärke dieser actionreichen Pulp-Fiction. Schnelle Autos, erstklassige Waffen und eine Verschwörung von ungeahnten Ausmaßen sorgen für ein unterhaltsames Spektakel, dessen abgedrehter Plot das einzige Indiz dafür ist, dass sich jemand hier einen großen Spaß erlaubt hat, den wir Leser gerne mit ihm teilen.

Martin Schöne: Wolf hetzt die Meute. Roman. Bielefeld: Pendragon 2014. 368 Seiten. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Greg_Bardsley_Cash_OutCash Out in Silly-con Valley

(AM) Drei Tage noch, dann kann (und will) Dan Jordan seine Aktienoptionen versilbern, die er als Angestellter der Silicon-Valley-Firma FlowBid hat. Der Scheck wird in seiner Bankfiliale in Menlo Park bereitliegen, dem Epizentrum der Venturekapitalwelt. Am nächsten Tag dann will Dan kündigen. „Ich bin sicher, man wird total sprachlos sein. Hier in der Gegend ist man allgemein der Ansicht, dass nur ein absoluter Schwachkopf mit 1,1 Millionen abziehen würde, wenn er eine weitere Million einsacken kann – oder sogar erheblich mehr, vorausgesetzt, die Aktie klettert weiter, vorausgesetzt, der Kurs bricht nicht ein … Aber das ist eben der Unterschied zwischen diesen Leuten und mir. Ich will raus.“

Dan ist am Aussteigen, plant alles vor. Er will sein Leben und seine Familie zurück, er hat genug von all dem Dotcom-Wahnsinn, von mit BMWs, Audis und Porsches verstopften Highways, von in die Stratosphäre schießenden Immobilienpreisen und dem Verlust aller Bodenhaftung. Früher arbeitete er als Reporter, jetzt ist er auf der Seite der Anzugtypen und schreibt hohle Reden für den Vorstand – da wird er auf dem Heimweg von ein paar durchgeknallten Typen aus der IT-Abteilung gekidnappt. Die haben, weil outgesourct, einige Rechnungen offen, wollen sich an den Chefs rächen und erpressen Dan mit E-Mails, Surf- und Chatprotokollen zur Mithilfe.

Gerade frisch vasektomiert, mit rasierten Eiern und weit gespreizten Beinen hatte das Eingangskapitel begonnen, gerät Dans Leben von jetzt auf gleich aus den Fugen. Ein Zwischenfall im Supermarkt, der im Kühlfach endet, ein Kampf auf dem Spielplatz mit Kinderspielzeug sind die Vorboten, dann geht es in echt wildes Gelände. Silly-con Valley war selten abgedrehter. Die Übersetzung von Jürgen Bürger tut ein Übriges, um im staubig-trockensten Ton einen Punch nach dem anderen zu servieren. „Cash Out“, der Erst- und bisher Einzling des ehemaligen Reporters und Redenschreibers Greg Bardsley hat zu viele begeisterte Blurbs, dass sie alle gekauft sein könnten. Nein, ich zitiere hier nichts davon, aber dieses schnelle, im Englischen mit dem Begriff „romp“ zu klassifizierende Buch, Popcornlektüre der keineswegs dummen Art mit einer Menge Einblicke in die „corporate culture“ dieser jungen feschen Internetunternehmen, könnte durchaus einen Warnhinweis tragen: „Achtung. Kann Spuren von Carl Hiaasen, Tim Dorsey, Charlie Huston, Duane Swierczynski, Victor Gischler und sogar von Elmore Leonard und Donald Westlake enthalten.“

Greg Bardsley: Cash Out (Cash Out, 201). Roman. Deutsch von Jürgen Bürger. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2013. 444 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Moynot_Der Mann, der sein Leben ermordeteNoir, radikal …

(TW) „Der Roman Noir“ sagt Jean Vautrin, „… ist Leben im Verdeckten, im Schatten und am Rande. Eine Disziplin, geeignet für Autodidakten, für Freigeister, für die sanftmütigen Verrückten der Utopie, für die von der Anarchie Faszinierten, die Feinde der schwarzen Ordnung.“ So sind schließlich auch die Romane, Novellen und Kurzgeschichten von Jean Vautrin, einem der Großmeister des néo polar. Und wie sein Bruder im Geiste, Jean-Patrick Manchette (TW zu Manchette im CrimeMag hier und hier)war Vautrin ein beliebter Vorlagenlieferant für Comic-Adaptionen, Jacques Tardi und Baru (mehr dazu hier) haben Stoffe mit ihm gemeinsam entwickelt oder adaptiert. Hier also Moynot, der oft als legitimer Tardi-Nachfolger bezeichnet wird, was ehrenvoll, aber auch ein wenig schräg ist. Denn Moynots Bilder, gerade hier, sind so düster, so noir wie Tardi selbst es nie war.

Die Story ist auch fies: Ein Mann, der von seiner Umwelt in den Knast gebracht wurde, rächt sich nach seiner Entlassung und liquidiert so radikal alle seine Sozialkontakte von früher, dass er selbst seine eigene Biografie vernichtet. Dazu ein abgehalfterter Exbulle, der weder als Privatdetektiv noch als Krimineller irgendetwas gebacken kriegt, aber unbedingt ein guter Mensch sein will. Die Wege der beiden kreuzen sich, aus dem reinen Zufall entstehen böse Konsequenzen. Das ist einfach, aber wirkungsvoll geplottet und in Bilder umgesetzt, die Dialog und Text oft überflüssig machen. Die Stimmung, also die Farben und die Perspektiven auf die handelnden Personen, dominiert diesen wunderbaren Comic, der es ganz beiläufig auch noch schafft, ein paar böse politische Kommentare abzufeuern. Sarkasmus gehört sowieso zur Grundausstattung. Die „neunte Kunst“ in Hochform.

Moynot/Jean Vautrinvon: Der Mann, der sein Leben ermordete (L’Homme Qui Assasinait Sa Vie, 2001/2013). Comic. Deutsch von Uwe Löhmann. Wuppertal: Edition 52, 2014. 110 Seiten. 20 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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