Geschrieben am 19. Oktober 2013 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“: James Carlos Blake: Das Böse im Blut

002-800_Blake und sein Umfeld2Outlaws, Grenzgänger, Heimatlose

‒ Kleiner Ritt durch das Werk von James Carlos Blake (Teil 2 der Besprechung von „Das Böse im Blut“).

Einen Poeten der Verdammten, der wie ein Engel schreibe, nannte ihn Donald Newlove einmal. James Carlos Blake, Jahrgang 1947, ist einer der wichtigsten zeitgenössischen US-amerikanischen Autoren, wie kaum ein anderer dem Wurzelwerk dieser auf Blut und Gewalt gebauten Nation zugewandt. „We may be through with the past, but the past ain’t trough with aus“, lautet eines der Mottos in seinem „Country of the Bad Wolfes“. Wer sich für die harte und realitätstüchtige Kriminalliteratur interessiert, findet in Blake einen ihrer wichtigsten Schatzgräber und Historiker. Mehr dazu in der CrimeMag-Besprechung seines nun auf Deutsch vorliegenden wichtigen Romans „Das Böse im Blut“ (In the Rogue Blood).

Blakes als history noir zu klassifizierende Romane graben und wühlen im Schlamm und Bodensatz einer wenig zimperlichen Zivilisation. Wie meinte Robert Musil in seinem „Mann ohne Eigenschaften“: „Alle Vorschriften unserer Moral sind lediglich Zugeständnisse an eine Gesellschaft von Wilden … die Decke darüber eine nur dünne Schicht.“ Blakes Romane kreisen oft um historische Personen, etwa die Ashely-Gang der Prohibitionszeit in Florida, den Gangster Harry Pierpont aus der Depressionszeit, den Missouri-Guerilla Bloody Bill Anderson, den Boxer Stanley Ketchel. Alle spielen sie im amerikanischen Westen und Süden, auch in Mexiko, von der Mitte des 19. bis ins frühere 20. Jahrhundert. Seine Protagonisten sind Outlaws, Ruhe- und Heimatlose, Bastarde, Abenteurer, Sturköpfe, gewalttätig, körperlich und fleischeslustig. Sie sind Verdammte, Renegaten, Grenzgänger. Ihr fiebriger Charakter lässt nur eine Richtung zu. Um es mit Joseph Conrad zu sagen: „Es gibt nur zwei Arten zu leben: brennen oder faulen. Wer möchte nicht brennen?“ Blake erzählt von Prometheus und Faust, von der Wildnis der menschlichen Seele, vom Mord als Grundlage unserer Zivilisation. „Foremost we admire the outlaw / who has the strength of his own lawfulness“, zitiert Blake Robert Duncan als Motto für sein Bankräuber-Epos „Handsome Harry“. In Mexiko geboren und in Texas aufgewachsen, begann erst spät mit dem Schreiben. Seinen ersten Roman veröffentlichte er nach längerer Soldatenzeit und etlichen schrägen Jobs im Alter von 48 Jahren. Hier eine kleine Tour durch seine Romane – Hinweise auf ungewöhnlichen Lesestoff.

James Carlos Blake

James Carlos Blake

The Pistoleer (1995)

„He was the deadliest man in Texas, on that they all agreed. Otherwise, they might have been talking about two different men…“, beginnt Blakes Erstlingswerk, in dem er das Leben John Wesley Hardins (1853‒95) aus der Sicht von 50 Personen schildert, die ihm begegnet sind. Hardin tötete seinen ersten Mann im Alter von 13, mindestens 25, wenn nicht gar 40 Tote sollen auf sein Konto gegangen sein. Immer habe er in Notwehr gehandelt, behauptete er, der angeblich ein Pfund Blei in seinem Körper trug. Verwandte, Gesetzeshüter, Barkeeper, Prostituierte, Freunde und Feinde, die ihn kannten, erzählen seine Geschichte in vielen Vignetten. Blake „spricht“ in vielen Stimmen. Angereichert mit Dokumenten, Zeitungsartikeln, Akten und Anekdoten entsteht so weit mehr als eine fiktionale Biographie, nämlich eine faszinierende Evokaton von Ort und Zeit, und eben jenen Menschen, die eine Grenze besiedelten. Im Sommer 2014 soll ein Film des Titels „Hardin“ eben diese Geschichte erzählen, Regie führt Bob Misiorowski.
Otto Penzler, der in seiner Mysterious Press Blakes jüngestes Buch „The Rule of Wolfe“ herausbrachte (siehe weiter unten) und eine Option für den nächsten Blake-Roman hat, lernte den Autor auf einer Buchmesse im amerikanischen Südwesten kennen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, erzählte mir Penzler. Das erste Blake-Buch, das er las und das ihn sofort auch literarisch für den Autor einnahm, war „The Pistoleer“.

johnwesleyhardindead1The Friends of Pancho Villa (1996)

An die zehn Jahre versucht der serbische Filmregisseur Emir Kusturica nun schon eine Verfilmung dieses Romans auf die Beine zu stellen. Blake hat an mehreren Drehbuchversionen mitgearbeitet. Johnny Depp, der lange mit an Bord gewesen war, Kusturica hatte mit ihm 1993 „Arizona Dream“ gedreht, sprang irgendwann ab, weil ihm eingeredet worden war, er könne keinen Mexikaner verkörpern. Dann sollten wir entweder Benicio Del Toro oder Gael Garcia Bernal als Pancho Villa sehen, gedreht werden sollte dieses Jahr in der spanischen Desierto de Taberns bei Almeria, das ehemalige Italo-Westerngebiet auch von der Szenierie her eine Remineszenz an Italo-Western und an Sam Peckinpah, aber alles ist wieder „on hold“, der Arbeitstitel inzwischen von ehemals „Sieben Freunde von Pancho Villa und die Frau mit den sechs Fingern“ in „Wild Roses, Tender Roses“ geändert. Doch zum all dem zugrundeliegenden Roman:

Blake lässt die Geschichte Pancho Villas und damit der mexikanischen Revolution von Rodolfo Fierro erzählen, Panchos rechter Hand, einem skrupellosen ehemaligen Zugräuber und mörderischen Banditen.
„I loved the Revolution“, sagt er. „It set free the man I truly am. It let me do what I do best as well as it can be done.“ Fierros Interesse an der Revolution ist nicht soziale Gerechtigkeit, für ihn bedeutet sie eine Freiheit jenseits aller Restriktionen. Er killt, säuft, hurt und kämpft sich hemmungslos durch ein geschundenes Land im Aufruhr. Ein unzuverlässiger, zynischer, ichbezogener Erzähler ist er, dieser einem wahren Leutnant Pancho Villas nachempfundene Soziopath, der zwar Villas Charisma und Massenwirkung zu sehen vermag, dem es aber nur ums eigene Überleben geht in einem Bürgerkrieg, der nahezu ein Drittel der Bevölkerung auslöschte und noch bis heute Wunden schlägt. Nur wenige nordamerikanische Schriftsteller haben so genau hingesehen wie Blake, sein Roman ist auch ein Kommentar zum Nihilismus des Krieges. Gewiss kein Buch für Zartbesaitete, aber auch Revolution ist ja nichts für solche Geister.

Zitate:
„Never did I fight for the poor. I fought against the rich–which of course isn’t at all the same thing. In any case, the fighting was the point. You don’t fight to become free–to fight is to be free. A man with a gun and the will to use it can’t be mastered, he can only be killed.“
„The power of men like me does not come solely from our ability to kill–which is no small talent in itself, true, but neither is it as rare as gold. No, the true source of our power is so obvious it sometimes goes unnoticed for what it is: our power comes from other men’s lack of courage. There is even less courage in this world than here is talent for killing. Men like me rule because most men are faint of heart in the shadow of death.”
„As we pulled out of Zacatecas, the air was thick with the odors of smoldering ash, bloody dust, putrefying flesh. The rich ripe smells of triumph.“

 blake_in_the_rogue_bloodIn the Rogue Blood (1997), dt. als „Das Böse im Blut“ (Liebeskind)

Eine der wichtigsten Krimi-Erscheinungen des Jahres 2013 in Deutschland, behaupte ich. Das Vorbürgerkriegsamerika und der mexikanisch-amerikansiche Krieg sind die Leinwand dieses literarischen Hieronymus-Bosch-Gemäldes. Die zwei im nördlichen Florida aufwachsenden Brüder John und Edward Little töten ihren Vater, suchen vergeblich nach der verschwundenen Mutter, ziehen durch ein atavistisches Land, durch eine buchstäblich im Schlamm sich formende Nation, durch ein wildes, erst halbbesiedeltes Amerika und ein archaisches Mexiko.

John entkommt dem Hängen, indem er sich Zachary Taylors Armee auf dem Weg zum Krieg in Mexiko anschließt. Auch Edward entflieht der Strafe für einen Mord, und zwar nach Texas, er reitet mit Skalpjägern und dann mexikanischen Banditen, wird in die amerikansche Spy Company gepresst. John desertiert und schließt sich auf der mexikanischen Seite der St. Patricks Brigade an. Eine „Encyklopädie anschaulichster Gewalt“ nannte „Kirkus Reviews“ den Roman: „Menschen werden erschossen, erschlagen, erstochen, kastriert, ausgeweidet, gepfählt, lebendig gehäutet, erhängt, skalpiert, gevierteilt, geopfert und in die Luft gesprengt. Die sexuellen Perversionen reichen von Vergewaltigung und Inzest zu Sodomie und Nekrophilie.“ In der CrimeMag-Besprechung wird das für weniger Zimperliche entsprechend zugeordnet, Besprechung hier.

Red Grass River (1998)

Zitat: „If the devil ever raised a garden, the Everglades was it.“

Das rasiermesserscharfe Gras der Everglades korrespondiert wirkungsvoll mit dem erzählerischen Untergrund dieser Outlaw-Ballade aus einem alles andere als sonnigen Florida. Prohibition, Familienfehden, Blutvergießen, Alkoholschmuggel und Gangsterkriege machten zwei Männer zu Legenden und Volkshelden. Der eine ist John Ashley, Killer, Bankräuber, Schmuggler und Ausbrecher, sein Gegenpart Sheriff Bobby Baker, dem Ashley einst sein Mädchen stahl. Blake, der hier mit epischem Atem von den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erzählt, macht auch die Zerstörung und Ausbeutung der Everglades zum Thema, die Ausbreitung von Big Business und organisiertem Verbrechen. Die Ashley Gang ist historische Realität, Blake entwirft ein fieber- und farbenprächtiges, sumpfpralles Zeitgemälde. „Sex and drawlin’ dialogue that don’t give a damn about real English, along with big whiffs of piney-fresh description, gusts of gunfire, and howling action like a night in a cathouse during a hurricane“, meinte „Kirkus Review“.

Borderlands (1999)

Zitat: „Some of us are always in the borderlands no matter where we might be on the map.“

Jahrhunderte und Kontinente überspannen diese sieben Kurzgeschichten, ihre Protagonisten haben eines gemeinsam: Sie sind Bürger jener Grenzgebiete, von denen nur im Tod ein Entkommen möglich ist. Harte und trostlose Lebensentwürfe sind es, die Blake uns schildert, Geschichten vom Überleben in der erbarmungslosen Grenzregion zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Ganze drei Seiten haben die „Three Tales of the Revolution“, in denen Blake aus drei Perspektiven Endgültiges zur mexikanischen Revolution sagt. Aufschlussreich ist sein Eingangstext, ein Memoirenstück mit dem Titel „The Outsider“, aus dem ich hier übersetze:

„Ich war immer schon ein Außenseiter, ein Fremder in jedem Stamm. Das sage ich nicht, um mich zu beschweren oder Mitleid zu schinden. Und gewiss ist so etwas auch anderen nicht unbekannt. Es ist das Gefühl, der Welt ringsherum enthoben zu sein, das den Außenseiter definiert, sein Gefühl des Getrenntseins aber geht über etwas bloß Örtliches hinaus. Mitten unter seinen Kameraden, inmitten seiner Familie fühlt der Outsider sich als Fremder, als Besitzer eines fremden Herzens. In meinem eigenen Fall spielen sicher meine Blutslinien und eine Kindheit an der Grenze ein Rolle.“

Blake_als ComicBlake, so erklärt er in dem Text, ist wie alle Männer seiner Familie vor ihm, in Mexiko geboren und in vierter Generation der Nachfahr eines Amerikaners, der von einem englischen Piraten gezeugt wurde. Als einziger dieser Familie wurde er im Grenzgebiet der beiden Länder großgezogen – „jener brutalen und rohen Region, die sich auf beiden Seiten der amerikanisch-mexikanischen Grenze über einige hundert Meilen erstreckt und sich über zweitausend Meilen von der Mündung des Rio Grande im Golf von Mexiko bis zu dessen Terminus an der kalifornischen Küste von Alta California hinzieht. Entlang dieser Grenze formt das Hinterland beider Staaten eine kulturell eigenständige, kaum besiedelte Provinz. Sie besteht fast nur aus Wüste, brutal und schattenlos, mit wenig Erbarmen. Vom Buschland in Südtexas und Coahuila (offiziell Coahuila de Zaragoza), den grimmigen Senken und Höhenzügen von Big Bend und Chihuahua bis zu den Wüstendünen von Arizona und Sonora scheinen all die dort lebenden Menschen weniger entweder Mexikaner oder Amerikaner zu sein als vielmehr eine Mischung von ihnen, in ihrem Wesen ebenso ausgeprägt abgeschieden und isoliert wie dieses Grenzgebiet selbst.“

Wildwood Boys (2000)

„Oh, I’m a good old rebel, that’s just what I am.
And for this Yankee nation I don’t care a damn.
I’m glad I fought against it, I only wish we’ won.
And I don’t want no pardon
for anything I’ve done.“

Diese Liedzeilen sind der Schluss des nach „In the Rogue Blood“ wohl gewalttätigsten Romans von Blake, in dessen Zentrum abermals eine historische Person zu vollem Blut ersteht. William T. „Bloody Bill.“ Anderson ist eine der widersprüchlichsten Figuren der amerikanischen Geschichte, ein vom Pferdedieb zum gefürchteten Guerillaführer gewordener Patriot, ein Mann, der wie kaum ein anderer Amerikas Gewaltgeschichte verkörpert. In den frühen Jahren des amerikanischen Bürgerkriegs gehörte er zu den „Bushwackern“ entlang der Kansas-Missouri-Grenze – ein nom de guerre der irregulären Südstaatenkräfte in der Region, deren Anführer der infame Charles Quantrill war. Die vier Jahre, in der sie diese Region mit atembeklemmender Grausamkeit terrorisierten, haben sich tief in das Gedächtnis Amerikas gegraben. Es war ein gnadenloser „black flag war – no quarter given, none ever asked“.

Auch Daniel Woodrell mit „Woe to Live On“ und die daraus erfolgte Verfilmung von Ang Lee („Ride With the Devil“) haben sich daran abgearbeitet. Anderson, sicher einer der im buchstäblich-zivilisatorischen Sinne wildesten Männer der US-Geschichte wird bei Blake zu einem Shakespeare-Helden, einem Titus Andronicus.

Zitate:
„Fear, boys – that’s half the fight right there. Make the other fella more afraid oft he awfulness of what you’ll do to him if he falls in your hands than you are of what he’ll do to you. That’s the secret, and crazy old Brown knows it. Same with the Indians. Damn Indians known it forwever. It’s what scalping’s all about, burning at the stake, all the redskin ways of killing.“
„The moon grew plump and pale as a peeled apple, waned into the passing nights, then showed itself again as a thin silver crescent in the twilit western sky. The shed of leaves became a cascade of red and gold and after a time the trees stood skeletal against a sky of weathered tin. The land lay bled of its colors. The nights lengthened, went darker, brightened in their clustered stars. The chilled air smelled of woodsmoke, of distances and passing time. Frost glimmered on the morning fields. Crows called across the pewter afternoons. The first hard freeze cast the countryside in ice and trees split open with sounds like whipcracks. Came a snow flurry one night and then a heavy falling the next day, and that evening the land lay white and still under a high ivory moon.”

Das Lieblingslied:

„We’re Bloody Bill’s wildwood boys;
we’re riders of the night.
We’re mean-ass sons of bitches,
and we love to fuck and fight.“

panchoVilla_comic_Taibo_SX385_A World of Thieves (2002)

Die Boomtowns und Ölfelder von Westtexas, das New Orleans der Flapper-Jahre und das Kettensträfling-gefängnis von Angola sind die Schauplätze dieser Gangstergeschichte aus dem Jahr 1928. Humor und Brutalität, so meinten die amerikanischen Kritiker, halten sich die Waage, wenn Blakes Held Sonny LaSalle sich seinen Onkeln Buck und Russell anschließt, die als desillusionierte Weltkriegsveteranen zu Räubern geworden sind. Der ehemalige Boxchampion Sonny wird von dem sadistischen Gesetzeshüter John Bones gejagt. Blake gelingt ein durchhgehend tragikkomischer Ton.

Zitate:
„Just because it’s a world of thieves out there don’t mean there ain’t no rules to it.“
„There’s an old saying,“ Buck said. „A hundred things can go wrong in a holdup, and if you can think of fifty of them you’re a damn genius.”

 

 

Under the Skin (2003)

Motti:
„Everyone’s skin is so particular and we are so largely unimaginable to one another.“ (Jim Harrison, Legends of the Fall)
„The heart has reasons that reason can not understand.“ (Blaise Pascal, Pensées)

Es beginnt mit einem prominenten Bordellgast. „Attention, Ladies!“, ruft Mrs. O’Malley ihren Mädchen zu, als sie zur Fleischbeschau antreten. „Schaut, wer uns die Ehre gibt.“ Eine von ihnen, Kate mit Namen, die sie alle „das Schulmädchen“ nennen, ruft aus: „Pancho!“ – und tatsächlich, mitten in der Revolution von 1914, als man das Gewehrfeuer aus Juàrez über den Rio Grande hinweg in Mrs. O’Malley’s Hurenhaus in El Paso hören kann, besucht Pancho Villa persönlich seine „favorita gringa“, den sommersprossigen irischen Rotschopf Megan. Begleitet wird er von Rodolfo Fierro, dem Erzähler in Blakes „The Friends of Pancho Villa“. Fierro will sein Tagwerk feiern: das Abschlachten von 300 kriegsgefangenen Armeesoldaten. Seine Wildheit veranlasst „seine“ Hure, die als Spooky Ava bekannte Ava, auf ihr Pessar zu verzichten und „auf Liebe zu gehen“. So geschwängert, heiratet sie den Rancher Cullen Youngblood und schenkt ihm dann einen auf James Rudolph Youngblood getauften Jungen.

Wir treffen Jimmy the Kid dann erstmals an Sylvester 1936, als er 21-jährig und schon mit Friedhofsaugen in die Welt schauend, im Freistaat von Galveston, der wildesten Spielerstadt des Landes, einen Eispickel in Willi Rags Herz treibt. Jimmy ist Zuschläger, Geldtransporteur, Geldeintreiber und Bodyguard für Rose und Sam Maceo, die sich an den Spielprofiten auf der Insel und in Galveston County vollsaugen. Willie Rags hatte für ein paar Dummköpfe gearbeitet, die ihnen in die Quere kamen. Jimmy ist Roses persönlicher Leibwächter und wird dabei machmal von Raymond Brando (nein, nicht Don Corleone, aber ein großer Schauspieler) und von LQ unterstützt (ein Name, der auch in Peckinpahs Film „Ride the High Country“ vorkommt). Rags Mob will die alten Anteile zurück, die Geschäfte werden blutig. Mitten in all dem Gemetzel trifft Jimmy die umwerfende Daniela Zarate, für die er nach Mexiko aufbricht, um sie zu retten. Der Schatten von Jimmys wahrem Vater liegt wie ein Schatten über dem düsteren Buch.

Zitat:
„As soon as we got on the move the snake inside me settled down, but it felt coiled and ready.“

Handsome Harry (2004)

Mottos:
Conscience is but a word that cowards use,
Devised at first to keep the strong in awe.
Our strong arms be our conscience; swords, our law.
(William Shakespeare, Richard III)
Formost we admire the outlaw
who hast he strenght of his own lawfullness.
(Robert Duncan, Roots and Branches)

I never knowingly harmed a fellow creature that didn’t get in my way.
(Nelson Algren, A Walk on the Wild Side)

Erster Satz:
Now all the gang’s dead except for me and Russell.
At least Russell can hope for a better tomorrow, since a guy doing life can always try another break. Me, they’re going to finish off in the morning.

blake__handsome_harryVon sieben Kugeln getroffen und notdürftig zusammengeflickt, erwacht „Handsome Harry“ Pierpont am 16. Oktober 1934 in einem von Polizisten bewachten Raum, erfahren wir im zweiten Absatz. Es ist der Tag seiner Hinrichtung. Als große Rückblende öffnet Blakes Roman das Panorama eines Gangsterlebens, in dem alle zentralen Charaktere reale Figuren waren und viele der geschilderten Vorfälle tatsächlich geschehen sind. Blake transportiert uns in ihre Innenwelt, zeichnet schnell und hart, blutig und sinnlich, Sex und Liebe kommen nicht zu kurz, sein Humor oft rabenschwarz. Handsome Harry Pierpont gehörte zur Dillinger Gang, zum direkten Umfeld also von Amerikas „Volksfein Nummer Eins“ in den später 1920er und 1930ern, er hatte ihn im Gefängnis kennengelernt. Gemeinsam ziehen sie Banküberfälle und Gefängnisausbrüche durch, vom Mittleren Westen bis Florida und Arizona, gejagt und schließlich zur Strecke gebracht von einem Großaufgebot der Staatsmacht.

Zitate:
„I mean to tell you, the Law’s notion of justice is more cold-blooded than any outlaw I ever knew. And I mean ‚outlaw,‘ not criminal. ‚Criminal‘ doesn’t distinguish between guys like men and the guys who own the banks and insurance companies and stock markets, who own the factories and coal mines and oil fields, who own the goddamn Law. I once said to John that being an outlaw was about the only way left for a man to hold on to his self-respect, and he said Ain’t that the sad truth. The girls laughed along with us because they knew it wasn’t a joke… John got the publicity because he loved it … he carried on like the whole thing was an adventure movie and he was Douglas Fairbanks. He wanted to to be a ’star.‘ That’s how he was. Not me. I never even liked having my picture taken. All I ever wanted was to show the bastards who own the law that it didn’t mean they owned me.“
„Every single time it was grand. I loved the moment when you announce the stickup and everything suddenly goes brighter and sharper and the world seems to spin faster. You show them the gun and say hand it over and there’s no telling what’s going to happen in the next tick of the clock.“

The Killings of Harvey Ketchel (2005)

Motto:
„I can entertain the proposition that life is a metaphor for boxing – for one of those bouts that go on and on, round following round, jabs, missed punches, clinches, nothing getermined, again the bell and again you and your opponent so evenly matched it’s impossible not to see that your opponent is you…“ (Joyce Carol Oates, On Boxing)

pancho_villaSpätsommer 1909. In einem Lokal in San Francisco legen die Manager zweier Boxer fest, wie der Kampf laufen soll, damit aus der daraus resultierenden Revange ein richtig gutes Geschäft gemacht werden kann. Am Schluss des Buches ist die Hauptfigur ermordet, in seinem Büro hebt Jack London ein Whiskyglas auf ihn: „Here’s to you, champ. Ashes. I say, ashes.“ Mit Stanley Ketchel, als Stanislaus Kiecal 1886 in Grand Rapids, Michigan, geboren, hat Blake sich einen der besten Mittelgewichtspuncher aller Zeiten als Helden genommen und folgt ihm durch sein gewalttätiges Leben, angefangen vom Ausreißen von zu Hause und dem Hobo-Leben als Eisenbahntramp. In Butte, Montana (Hammetts Vorbild für sein „Poisonville“ in „Red Harvest“), wird er Rausschmeißer in einem Salon und entdeckt seine Berufung als Faustkämpfer. Ohne sonderliches Training wird aus dem wilden Draufgänger der Weltmeister im Mittelgewicht von 1908, sein Traum- und Angstgegner der schwarze Schwergewichtschampion Jack Johnson, den er schließlich zu einem Titelkampf herausfordert, obwohl Johnson 44 Pfund schwerer und deutlich größer ist. Ihr Boxkampf ging in die Sportgeschichte ein, in der zwölften Runde hatte Ketchel seinen Gegner kurz vor dem K.o.

Die beiden Kontrahenden wurden Freunde. Von Anfang an aber wissen wir, dass Ketchel ein schlimmes Ende finden wird. Ermordet im 27. Lebensjahr, ein ruppiger und doch auch sanfter Mann. Wie vielen von Blakes Helden stirbt ihm die einzige wirkliche Liebe weg, muss er mit Heimat- und Ruhelosigkeit kämpfen. Blake erzählt hart und schnell, mit Sympathie und Respekt. Und mit viel Herz.
Terence Winter, Autor der TV-Serie „Boardwalk Empire“ und ausführender Produzent bei den „Sopranos“, hat sich die Filmrechte gesichert.

Country of the Bad Wolfes (2012)

Zitate:
„But I’ll tell you the truth, boys, he said. I’d give it all up in a minute if I could just be your age again. And I mean without a nickel in my pocket. All the money on earth aint worth spit compared to bein young and havin a dream to chase after. It’s nice to arrive at it, no denyin that, but the real fun’s in the gettin there. The gettin there.“

„Just imagine coming from people of two different races that had not a blamed thing in common except a love of blood in every which way. Imagine knowing your white daddy was a robber and killer just crazy with greed who raped your Indian momma who herself believed in cutting out people’s hearts to please the gods and eating what was left of the victim.“

„They loved the sea. They taught themselves to sail, to navigate and read the weather. Without their mother’s knowledge and long before she thought them old enough to sail outside the harbor, they were piloting their catboat all the way to the Isles of Shoals. They were on the return leg of one such excursion when the fickle weather of early spring took an abrupt turn and the sky darkened and the sun vanished and the wind came squalling off the open sea. They were a half mile from the harbor when the storm overtook them. The rain struck in a slashing torrent and the swells hove them so high they felt they might be sent flying–then dropped them into troughs so deep they could see nothing but walls of water the color of iron. They feared the sail would be ripped away. Samuel Thomas wrestled the tiller and John Roger bailed in a frenzy and both were wide-eyed with euphoric terror as time and again they were nearly capsized before at last making the harbor. When they got home and Mary Margaret saw their sodden state she scolded them for dunces and wondered aloud how they could do so well in their schooling when they didn’t have sense enough to get out of the rain.“

us_söldner_mexikoIn der kleinen Cinco Puntes Press aus El Paso, Texas, erschien Blakes bislang letzter epischer Roman, 456 Seiten stark. Und stark in jeder Hinsicht. Geradezu ausgelassen und übermütig erzählt Blake aus einer Drei-Generationen-Geschichte, die zu einem Gutteil die seiner eigenen Familie, zu einem befreiend schöpferisch-schweifenden Teil eben auch eine erfundene ist. Im Mittelpunkt stehen die eineiigen Zwillinge James Sebastian und Blake Cortez Wolfe, zwei von niemandem zu bändigende Außenseiter, die mehr als nur die Frauen miteinander teilen und miteinander durch ein von Blake zum zivilisatorischen Dschungel ausgebautes Dick & Dünn gehen.

Die Wolfes stammen – wie James Carlos Blake himself – von einem englischen Piraten ab, der, ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, nach New England kam und dann in Mexiko sesshaft wurde (siehe auchBlakes Biographie in der CrimeMag-Rezension. In Blakes Familiengeschichte wie auch in diesem breit angelegten Roman wächst zusammen, was zusammengehört: Das amerikanische Manifest Destiny als auch Teil der mexikanischen Geschichte, oder umgekehrt. Die Wolfes verbünden sich am Ende des 19. Jahrhunderts mit einem mysteriösen, rücksichtslosen Amerikaner namens Edward Little. Jenem Little, der all die Grausamkeiten in „Das Böse im Blut“ überlebt, seinen grausam ums Leben gekommenen Bruder begraben hat und nun als „Sicherheitsberater“ für Porfirio Diaz arbeitet, der Mexiko mehr als 30 Jahre regierte und aussaugte, ehe ihn die zwangsläufige Revolution 1910 hinwegfegte. Die Wolfes und die Littles schaffen in diesen Jahren die Basis ihres Vermögens, werden Teil jener gewalthaltigen kollektiven Schuld, die der Kulturanthropologe Richard Slotkin als zivilisatorische Grundlage der Vereinigten Staaten von Amerika in einem dreibändigen Werk aufgeschlüsselt hat: „Regeneration Through Violence“ (1973), „The Fatal Environment“ (1985) und „Gunfighter Nation.The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America“ (1992).

The Rules of Wolfe (2013)

Zitat: „The vastness of the desert frightened her. Everything looked too far away, even the couldless sky. There was nowhere you could hide in such emptiness.“

Abenteuerlustig wie alle seine Vorfahren, findet der junge, heißblütige Eddie Gato Wolfe ein wenig mehr an Aufregung, als ihm recht ist, hat er sich doch – gegen die Regeln seiner Familie handelnd – als Leibwächter nicht nur mit einem Drogenkartellboss eingelassen, sondern dessen Bruder getötet und eine Frau gestohlen. Eine Hetzjagd im mexikanisch-amerikanischen Grenzland quer durch die Sonora-Wüste setzt ein. Nach dem epischen „Country of the Bad Wolfes“ ist dies Blakes erster zeitgenössischer Roman und sein erster Auftritt in Otto Penzlers „Mysterious Press“. Tough und prägnant ist dieser „border noir“ – und ungewohnt für einen Autor eher epischen Stils.

Zitat: „When you make a deal you stick to it. Rock-hard rule. You don’t renege, you don’t sell out. You hold up your end and expect the other party to do the same. If the other party doesn’t, you’re entitled to deal with every man of it as you see fit in order to set things right. No–you’re more than entitled. You’re obligated. Or the rule would mean nothing.“

Alf Mayer

Die Bücher von James Carlos Blake:

The Pistoleer (1995)
The Friends of Pancho Villa (1996)
In the Rogue Blood (1997, dt. Das Böse im Blut, 2013)
Red Grass River (1998)
Borderlands, (short fiction, 1999)
Wildwood Boys (2000)
A World of Thieves (2002)
Under the Skin (2003)
Handsome Harry (2004)
The Killings of Stanley Ketchel (2005)
Country of the Bad Wolves (2012)
The Rules of Wolfe (2013)
Als Begleitlektüre, die Bücher von Richard Slotkin:
Regeneration Through Violence. The Mythology of the American Frontier, 1600-1860 (Wesleyan University Press, 1973)
The Fatal Environment. The Myth of the Frontier in the Age of Industrialization, 1800–1890 (Atheneum 1985)
Gunfighter Nation. The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America (Atheneum 1992).

Zum ersten Teil geht es hier. Verlagsinformati0nen zum Autor.

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